Manuskript Dewotschka Seebestatter

1
Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Das Feature
Dewotschka und toter Mann.
Ein friesischer Seebestatter und seine sowjetische Seele
Von Paula Schneider
Produktion: DLF 2010
(Wiederholung vom 26.02.2010)
Redaktion: Ulrike Bajohr
Sendung: Freitag, 17.02.2017, 20:10-21:00 Uhr
Regie: Leonhard Koppelmann
Sprecherin: Marita Breuer
Sprecher: Michael Wittenborn
Urheberrechtlicher Hinweis
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt
und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein
privaten Zwecken genutzt werden.
Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige
Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz
geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.
©
- unkorrigiertes Exemplar -
1
2
ATMO/MUSIK
MANN
Klingelte das Telefon: - Hier ist Wolodja Putin.
-Ach so? wie geht’s denn so…
- Ja die haben mich hier eingeladen zu ner Hafenrundfahrt. Ich dachte
du machst das.
- Gern.
Und denn kam der mit seiner Frau und zwei hübschen Töchtern an
Bord. Und da waren 4 Polizeiboote: voraus, backbord, steuerbord, und
achtern. Wunderbar, dachte ich, kannste noch einen trinken dabei, und
er auch. Sind wir durch `n Hafen geschippert. Drumrum die Boote, mit
Blaulicht und so. Besser kann `s gar nicht sein.
ATMO / MUSIK
01
Jetzt habe ich ihn das letzte Mal gesehen, da war ich zufällig dort. Da war
Schröder noch Kanzler. Und die sind ja befreundet Und ich saß zufällig auf
meinem Hocker...
MANN
Frag ich die Milizleute: was macht ihr denn hier? - Ja, nasch president
budjet…
ff
Und da kam er dann auch, mit Schröder im Schlepptau. Und da sagte er:
kennst du deinen Bundeskanzler eigentlich persönlich? Nee. Na, hier ist
er. Und da sagte der Schröder: mein Name ist Schröder. Mein Name ist
Drees.
Oh, schon viel von Ihnen gehört.
ATMO / MUSIK
ERZÄHLERIN /Ansage
Dewotschka und toter Mann. Ein friesischer Seebestatter und seine
sowjetische Seele
Ein Feature von Paula Schneider.
ATMO /MUSIK
hoch und weg
2
3
ERZÄHLERIN
Eben noch ist Opa auf den Balkon gegangen: Die Winterjacke überm
Bademantel zugezurrt, nachmittägliche Spatzen oder gefrorene Pfützen
mit schwachen Augen fixierend. Hat den Aschenbecher auf dem
Klapptisch zu sich herangezogen, und langsam, fast ganz zufrieden, die
dritte und letzte Zigarette des Tages geraucht.
ATMO /MUSIK
ERZÄHLERIN
Und dann?
Ein fremder dünner Mann...
MANN
Wir, die Seebestattungsreederei des Broder Drees, wissen aus langer
Erfahrung, wie Menschen sich fühlen, die einen Angehörigen verloren
haben. Die Reaktionen auf diesen Einschnitt können so unterschiedlich
sein wie die Menschen selbst.
ATMO /MUSIK
ERZÄHLERIN
Stoisch blickt der dünne Mann die paar Rentner an, die sich zwischen
dem altmodischen Zweimaster und den zugeknöpften Gestalten am
Bug verirren. Sein Bart überm Mund passt zum Haarschopf: schlohweiß
gegen die dunkle Jacke. Broder Drees, so heißt er. Getauft in
Nordfriesland, als der Krieg eben vorbei war.
ATMO
ERZÄHLERIN
Ein Oktobertag wie aus Bernstein gemacht. Kein Windstoß zerfetzt den
sonnengelben Teppich aus Laub da hinten auf der Kurpromenade. Das
dunkel-beplankte Schiff lässt auch den dicken Kolberger Leuchtturm
hinter sich, der seine Spitze im deutschen Krieg verloren hat.
3
4
ATMO
ERZÄHLERIN
Jetzt steht der Turm schon lange in Polen: in Kolobrzeg. Aber die kleine
Trauergesellschaft auf dem Schiff ist aus Berlin. Witwe und zwei
erwachsene Enkel von Herrn S.
Der war auf dem dicken Leuchtturm Funker in Kolbergs chaotischen
letzten deutschen Tagen, erzählt die Witwe: viele habe er gerettet. Herr
S. hat in seinen späten Jahren für deutsch-polnische Freundschaft
gekämpft.
ATMO
ERZÄHLERIN
Kurz hinter der Hafenmauer frischt der Wind auf, er schlägt mit der
Segelschnur Signale gegen den Mast, wie mit der Takelage eines alten
Piratenschoners.
ATMO
03 OT
D: Die Ostsee war wie n Ententeich…
ERZ
Und nun Wellen-Hänge, Wellen-Schluchten.
04 OT
D: die Wellen bauen sich auf urplötzlich mit dem plötzlichen Wind…
Das kam genau - oder fast zeitgleich mit unserem Verlassen des Hafens.
Wir wären auch gar nicht losgefahren wenn wir das gewusst hätten.
ATMO
ERZÄHLERIN
Der Seegang zwingt an den Schiffsrand. Wirft das schmale Schiff
herum wie ein Spielzeug.
05 OT
D: Die See braucht ganz kurze Zeit, bis sie sich aufbaut, dann bleibt sie
erstmal stehen. Kentern kann jedes Schiff.
4
5
ATMO
ERZÄHLERIN
Bald lässt die wütende Ostsee niemanden mehr frei an Bord stehen.
Vorwärts geht es nur kriechend, oder man bleibt gleich auf den
Seitenbänken sitzen.
Aber die Witwe an der Reling hält stand. Steht aufrecht im nassen Wind,
wie ein Mast, die Jacke hochgeschlossen bis zum Kinn; und lächelt
sogar.
06 OT
Witwe: Mein Mann musste sowas auch alles aushalten, und viel
schlimmeres.
ATMO
ERZÄHLERIN
Drees, vom auf und ab geworfenen Schiff im Heckwinkel auf den Boden
gedrängt, stemmt die langen Beine gegen Mast und Planken. Hält die
Urne fest zwischen den Knien.
07 OT
D: Jo, wenn die runter fällt, dann geht sie kaputt... Das ist wie Zwieback.
ATMO
ERZÄHLERIN
Die Ostsee schluckt den Kranz, schluckt die Urne, schluckt dreieinhalb
Kilo Asche..
ATMO
08 OT
D: Ich wollte noch weiter raus, aber ich hab gesagt, das ist zu gefährlich
jetzt, Es ist gestern eigentlich alles schief gelaufen was schief laufen konnte.
ERZÄHLERIN
Eigentlich soll sich die See im Zentrum von drei Ehrenrunden um die
Urne wundersam beruhigen.
ATMO
5
6
ERZÄHLERIN
Aber heute ist sie untreu, die Freundin, die See. Zankt wie nie.
MANN
(enttäuscht) Dabei ist Würde so wichtig. Im Leben... Und Tod gehört ja
auch zum Leben.
ERZÄHLERIN
Drees-Wetter: Erst unverfänglich, und plötzlich dramatischer, als man´s
glauben will.
ATMO
09 OT
Witwe: Also wenn er sein richtiges Ritual durchziehen kann, könnte ich mir
vorstellen, doch, ist schon recht feierlich. Ja, auch mit diesem Glasen.
ERZÄHLERIN
Glasen: Vier mal die Schiffsglocke schlagen.
Ein Seemannsbrauch wie der Rasmus-Schluck, bei dem man wortlos
einen Schluck Wodka aus dem kleinen Plastikbecher trinkt, und den
zweiten ins Meer gießt, der Urne hinterher. 10 OT
W: Das muss sein, wenn man diese Beziehung hat zum Meer und zu den
Schiffen. Die werden ja auch mit diesem Dings da geweckt. Dit is ja eben
auch: Wachablösung. Und Wachablösung war ja im Grunde genommen:
aufwachen, ihr Anderen. Jetzt können die mal in die Koje. Das kannte er ja
alles.
ATMO
11 OT
W: Der eine Enkel, der fährt auch so gern zur Ostsee. Und jedes Mal, wenn
du ins Wasser gehst, kannste sagen: Opachen!
ERZÄHLERIN
(leise) Na?
ATMO
6
7
MANN
Die Seeleute sagen: „Das Leben ist eine große Reise, und der Tod ist
das Einlaufen in den Heimathafen.
12 OT
Drees: ... hab ich Ihnen erzählt von der Mönkemeier Geschichte in
Hamburg?
Mönkemeier war 30 Jahre lang Hafendirektor in Hamburg.
2,20 groß. Ein Riesen Mann.
„Und krieg keinen Schreck, ich hab ne neue
Braut“, sagt er. Der, die Beine auf seinem Tisch, klopfte auf seine Lunge.
Und sagt: hier sitzt die Scheiße, sagt er. Ich hab Lungenkrebs. Und da ist
nichts mehr zu machen. Aber, weißt du, mein ganzes Leben hab ich immer
Entscheidungen getroffen, hab mein Leben in die Hand genommen. Und das
soll jetzt so bleiben. Bis zum Ende. Und das soll nicht so bitter sein.
Das hab ich sonst nicht im Programm. Und sagt er: du weißt, wie Weiber
sind. Dann verlieren sie wieder die Nerven. Ich möchte lieber, du bist auch
dabei.
ATMO
13 OT
D: Und dann bin ich in Bangkok, da hat mir ein Elefant auf den Fuß getreten.
Die laufen ja da durch die Straßen, ne. Und, aber Fuß ist heil geblieben. Die
haben ja ganz weiche Füße.
Na ja, hab ich mich gleich gemeldet, als ich wieder in Hamburg war. Sagt er:
komm sofort. Und ich gleich hin. Er wieder, Füße auf dem Tisch, sagt: so,
geht los jetzt. Und dann kommt die da an mit `m großen Apfelsaftglas. Und
da sagt sie: das schmeckt so bitter, ich hab schon probiert. Ich tu da noch n
bisschen O-Saft rein. Dann sagt sie: mach schon, mach schon. Und dann
nimmt er n tiefen Schluck, das ganze Glas ausgetrunken. Und dann fallen
ihm seine Augen zu. Und dann war das das. Dann haben wir noch 4 Stunden
gesessen, und ihm immer mit Stecknadeln in die Beine gepiekt, ob er
reagiert. Hat er aber nicht mehr. Und dann haben wir n Arzt gerufen. Und der
hat den Tod festgestellt. Und dann haben wir ne tolle Seebestattung
gemacht. Und eine schöne Gedenkfeier.
ATMO
MANN
Besteht die Urne aus Salz wird sie mit einem Tampen zu Wasser
gefiert.-Übrigens: Der jüngste Tote hier bei meinen Seebestattungen war ein
totgeborenes Kind.
ATMO /MUSIK
7
8
ERZÄHLERIN
Heute sitzt Drees in seinem Hamburger Parterrebüro. An der Wand über
sich ein Gemälde: Er selbst, Broder Drees, in jüngeren Tagen.
Thronend in einem Sessel. Mit volleren Wangen und frecherem Lächeln.
Die Lederweste des Wirts umspannt seinen Leib. Am Haar, hellblond
noch statt weiß, erkennt man den Friesen.
ATMO
ERZÄHLERIN
Der Drees unter dem Bild wirkt um ein Drittel leichter, erschöpft.
Schmerzen plagen ihn, sein langer Körper sitzt verdreht auf dem
antiken Sofa. Die Knie in der schmalen Anzughose stehen eckig vor.
Gäbe es nicht ein paar fahle rötliche Flecke auf den Wangen, das
Gesicht wäre bleich wie Haare und Schnauzbart.
ATMO
MANN
(murmelt) Zum Arzt? Das macht alles nur schlimmer.
Ich schau mir `ne schöne Frau an, dann geht’s mir schon viel besser.
ATMO
14 OT
D: Es gibt ja da auch Leute, die im Krankenhaus sind, und um die sich
niemand kümmert, die sind ja einsam. Keiner bringt mal ne Blume vorbei
oder n bisschen Obst. Bitter.
ERZÄHLERIN
Wenn er aufsteht, um eine Paar-Urne - eigene Erfindung -, oder Zeilen
von Putin oder das Foto einer lachenden Dewotschka zu suchen,
schlägt ihm sein Schmerz in die Seite. Er ächzt, verharrt zwei
Sekunden, und richtet sich endlich mühsam vollständig auf. Dann zeigt
er mir ein Foto von einem der Schiffe, die er, der Käptn, früher mal
besaß. Und jetzt: Seebestatter also.
ATMO
8
9
15 OT
D: Ich mache das jetzt schon seit 12 Jahren. Und mit den Behörden hab ich
nur insofern was zu tun, ich muss ihnen die Bescheinigung schicken, dass
die Bestattung durchgeführt wurde, mit dem und dem Datum. Stempel,
Unterschrift, das wars. Mehr brauchen die nicht.
ATMO
16 OT
D: Hab ich erzählt von diesen Bestattungen aus der Luft?
17 OT
D: Nach dem Muster: Gebt meine Asche dem Wind.
18 OT
D: Also das hat mich bewegt und begeistert. Sie müssen sich vorstellen:
rechts sitzt der Pilot. Links sitzt der Seebestatter. Und dann die Urne
zwischen den Kniescheiben. Und die ganzen Blumen, mit dem Kränzchen
usw., viel Platz ist ja da nicht - ringsherum. Alles eine Riesen Blumenpracht,
ne. Und dann sag ich dem Piloten, geh mal runter jetzt. Und dann mach ich
die Tür auf. Und dann wird die Asche ausgegossen aus der Urne.
MANN
Ich war wieder mal der erste, der das angeboten hat.
19 OT
Jetzt ist der Alarm vorbei, jetzt machen die andern das auch. Das kann gar keiner
verbieten, weil wir machen das außerhalb der 12-Meilen-Zone. Da kann jeder
machen was er will.
AT
...
20 OT
D: Außerdem ist es doch Quatsch. Es handelt sich hier um deutsche Asche,
die ein deutsches Krematorium verlassen hat. Die ist garantiert ökologisch
sauber. Die Elbe wird ganz anders verschmutzt.
ERZÄHLERIN
Aber Bestattungen im Wasser sind vielen unheimlich
Für Postboten zum Beispiel, die sich weigern, Päckchen auszuliefern,
auf denen Vorsicht Urne steht.
MANN
Schreit der Grenzer: „What about this? Say me!”
- Hab ich gesagt: this is ash.
-“What about ash? For what?“
9
10
Ich schreibe auf diese Bögen bei der Einreise immer „Künstler“. Hab
ich dem gesagt: ich mache Skulpturen, aus Asche. Da hat er mich
durchgelassen.
ATMO /MUSIK
ERZÄHLERIN
Dass Broder Drees drei Stunden vor einer Bestattung in einem Hafen in
Thailand steht und noch das passende Schiff sucht? Kann sein.
Aber Panik gibt es nicht beim Nordfriesen. Welche Hindernisse auch
den Weg blockieren, die Urne wird ihr Wasser finden. Auch Nachts.
21 OT
D:. Hat auch was, besonders am Hafen. Wenn die ganzen Lichter da
brennen... Und jede Nacht hat auch ihre gewisse Ruhe. Ist anders als am
Tage. Und das hat ja auch was zu tun mit ewiger Ruhe.
ATMO /MUSIK
ERZÄHLERIN
Vielleicht ist Drees der Bestattungsritter von der müden Gestalt. Doch
wenn, dann auch der mit dem farbigen Geist.
Hat schließlich früher Kunst studiert, und Werbung.
22 OT
D: Sie wissen doch, wie man so `n Zeitungsschiff macht. Und wir haben
gebaut so `n Riesending. Aus Japanpapier. Dann schön verstärkt. Und
haben die Asche da rein getan, in das Schiffchen. Und dann haben wir das
schwimmen lassen.
ATMO /MUSIK
23 OT
Das ist offiziell natürlich nicht erlaubt. Aber deswegen fühl ich mich ja nicht
als Verbrecher, wenn ich das nicht so mache, wie es in den Vorschriften
steht. Das ist auch unlogisch. Warum wird da so ´ne Urne vorgeschrieben.
Das kostet nur Geld.
ATMO /MUSIK
ERZÄHLERIN
Und wenn schon Urnenpflicht herrscht, und Wasserlöslichkeits-Pflicht,
muss die Urne nicht immer aus Salz sein.
10
11
Broder hatte die Idee einer Urne aus Brot.
Also: Gerstenteig. Ein Hamburger Bäcker bäckt nach Bedarf.
ATMO /MUSIK
24 OT
D: Hab ich Ihnen erzählt von der Bestattung vor Gibraltar, mit den
Delphinen?… Hab ich gesagt, das machen wir vor Gibraltar. Und dann hab
ich n Katamaran gechartert, Zweirumpfschiff, ne.
Und dann die Mutter mit ihrer Tochter, beide haben so auf dem Bauch
gelegen. Die Delphine kamen immer zwischen diesen beiden Rümpfen nach
oben, da haben sie die gestreichelt...
Die Urne war aus Pappe. Damals gab `s diese Broturne noch nicht. Und
dann habe ich die Urne beigesetzt, und da kam ein Delphin. Die haben ja
diesen langen Schnabel, nicht. Uund die sind ja so verspielt, die Delphine.
Und haut die Urne, -weg-. Ja, da hab ich gesagt, jetzt ist Peter bei seinen
Freunden.
ATMO /MUSIK
ERZÄHLERIN
Freunde! Manchmal ganz plötzlich! Laden Drees, obwohl sie ihn noch
nie gesehen haben, zum Beispiel nach Bangkok ein.
MANN
Da kommt `ne wunderhübsche Thailänderin rein. Begrüßt mich mit
Namen: ich bin Ihr Geschenk... und dann sollte ich ihr einen Gefallen
tun auf meinen Wegen zwischen Australien, USA und Europa.
ERZÄHLERIN
Doch dann fragt sich Broder Drees, was die vielen
Tausendmarkscheine im Koffer machen?
MANN
Die wollten mich als Drogenkurier!
ATMO /MUSIK
MANN
Aber illegale Sachen mach ich nicht.
11
12
ATMO /MUSIK
ERZÄHLERIN
Drees lehnt sich ins Sofa zurück, ächzt, greift sich an den Rücken. Zieht
umständlich das dunkle Jackett aus. Auf der ausgewaschenen T-ShirtBrust stehen Buchstaben: C C C P. Kyrillisch für UdSSR.
Ein Sowjetshirt?
MANN
Ja!
ATMO /MUSIK
MANN
20 Jahre hab ich das.
ATMO /MUSIK
ERZÄHLERIN
Vor über 20 Jahren war Drees Besitzer von 13 Hamburger Kneipen.
Bier, Jazz, Lustigsein; ein ganzes Viertel vor dem Abriss gerettet…
Aber ihm war ´s nicht mehr genug.
Es musste wieder weitergehen. Seit seiner Kindheit ist er am liebsten
gegen den Strom geschwommen.
26 OT
D: Da war ich sogar der Präsident vom Mickymaus Club. Und dann haben
wir alles andere gemacht als Mickymaushefte zu lesen und zu diskutieren.
Ich hab damals Raketen gebaut. Und Schießpulver gemacht und son Kram.
ERZÄHLERIN
Also: Warum nicht in den Osten ziehen! Mitten im großen Go West.
ATMO /MUSIK
ERZÄHLERIN
1987, 1988… Alles schien möglich!
12
13
27 OT
D: .... Ja, weil ich damals der Erste war. Also im gastronomischen Bereich
im Handelsregister Nummer 1. Das ist geschichtliche Wahrheit, das lässt
sich auch nicht mehr wegdiskutieren.
Da hieß es: jetzt dreht er total durch, jetzt spinnt er wieder. Das war natürlich
auch ne hochinteressante Geschichte: Wie betreibt man eine Gaststätte
nach westlichem Muster in der damaligen Soviet Union. Da gab es keine
Experten die man fragen konnte. Nichts, null Komma null.
ERZÄHLERIN
Da konnte eine neue Idee abheben: die „Tschaika“. Tschaika heißt
Möwe.
Und Tschaika die Möwe war ein brüchiges staatliches Kellerrestaurant.
Ein Jahr lang wurden ihr in Hamburg neue Federn verpasst, also Möbel
gebaut.
MANN
Ein sozialistisches Joint Venture!
28 OT
D: Meine Partnerin war damals die Stadt Leningrad.
MANN
Die erste Westkneipe in Leningrad. Die erste mit Hamburger Bier.
29 OT
D: (leise) Da waren doch auch diese ganzen Wände voller kommunistischer
Parolen. Und ich war so kess u habe einfach die Parolen abgerissen und meine
Reklame drübergehängt.
AT russ. TV
ERZÄHLERIN
Auch Leningrad war aufgeregt. Aufbruchsstimmung lauerte in den
Straßen. Hatte doch Gorbatschow selbst mehr Gastronomie gefordert.
ATMO /MUSIK
30 OT
D: Die russische oder sowjetische Seite wollten immer einen Bisnes Club
machen. Das wird anders geschrieben als im englischen, Bisnes, mit i.
13
14
Und dann hab ich gesagt, wir müssen erst mal dafür sorgen, dass hübsche
Mädels herkommen. Weil, das schönste Möbelstück, habe ich gesagt, ist
nicht so schön wie ein hübsches Mädchen.
31 OT
-Ja, aber die ganzen Geschäftsleute, auf die wir jetzt warten...? Ich sage:
genau die. Die machen ihre Geschäfte am Tage. Und abends wollen sie sich
amüsieren, sich unterhalten, und zwar gesellig unterhalten.
AT / MU
hoch, russ. TV
ERZÄHLERIN
Auch in Leningrad war Drees Wirt. Wirt mit einem Thron.
Und zierte sich nicht, da draufzusitzen, und, mit roter Generalsjacke,
oder blauer Admiralsmütze, den lustigen Mann zu machen.
ATMO /MUSIK
ERZÄHLERIN
Alles schien so leicht!
MANN
Die leichten Mädchen liebe ich - gerade, wenn sie leicht sind; denn ich
trage sie gern auf Händen.
32 OT
„Ja, aber was macht das für `n Bild..“ Ich sage: wir reden jetzt von Geldverdienen.
Na ja, und das hab ich mit Putin abgesprochen. Da sagt er: ja, recht hast du.
ERZÄHLERIN
Besprochen - mit Putin?
ATMO /MUSIK
33 OT
Ja, den hab ich mal kennen gelernt über Biertrinken.MANN
In meiner Möwe, ´89 oder so...
14
15
34 OT
-Die ganzen alten Stasisocken trafen sich da auch. Der hatte ja ne Jahre
lang in Dresden gelebt, Putin. Vom KGB da war er ja einer. Und die waren ja
Kollegen, die Stasis und die KGBs.
Da war er stellvertretender Bürgermeister von Leningrad. Schon mal was, ne.
Ja und dann. Der Oberbürgermeister damals hieß Anatoli Sobtschak. Und der ist
dann verstorben. Viele sagen: umgebracht worden. In Königsberg. Kaliningrad. Er
war der Ziehvater von Putin.
35 OT
Jetzt bin ich ja nicht mehr in Leningrad. Da haben wir uns jede Woche einmal
gesehen, mindestens.
MANN
Weil: Putin trinkt leidenschaftlich gern Bier. Schnaps nicht: Bier.
36 OT
D: Und das ist eben in der Gastronomie, in der geselligen Gastronomie so
üblich, dass man „du“ zueinander sagt. Und so ist das auch gelaufen. Da
spricht man über alles mögliche. Ob es um die Qualität des Bieres geht, oder
Weiber, oder irgendwas.
MANN
Putin ist nicht so kühl wie man denkt.
37 OT
D: Sogar sehr umgänglich, wenn man seinen Draht gefunden hat.
Da spielen so viele Sachen mit. Vertrauen und Gefühl, und -- Blickkontakt und die
ganzen sinnlichen Verhältnisse spielen da ne große Rolle.
38 OT
D: er hat mir auch geholfen. – Gib mir mal einen Brief. Ja, was soll denn da
drinstehen. Ich wollte mit meinem Schiff , Baltikavera, eine Reise machen von
Leningrad nach Hamburg. Über verschiedene Häfen. Und die Häfen sind immer
so teuer. Und da hat er mir den Brief vorbeigebracht. Da stand drin, dass
Herr Drees ein hochgeschätzter Bürger der Stadt sei. Und erfolgreich usw.
Und der macht jetzt eine good-will-tour mit dem Schiff Baltikavera, durch
verschiedene Hafenstädte. Äh, wir bitten die zuständigen Behörden im Sinne
von Frieden, Freundschaft und - äh, was auch immer, ihn ordentlich zu
behandeln. Und ihm alles mögliche zu gewähren. Und so kam es dann, dass
wir in jedem zweiten Hafen ‚ n Rathausempfang bekamen für die ganze
Mannschaft. Nur in Hamburg hörte das auf, obwohl das Partnerstädte sind.
ATMO /MUSIK
MANN
So war das in der Tschaika. Alles vom Feinsten.
39 OT
D: Die Küche war sehr überzeugend. Von rustikal, regional bis fein.
15
16
ERZÄHLERIN
Das schwere dunkelrote Gästebuch stammte von einem sowjetischen
Atom-U-Boot.
MANN
„Für die Gäste der Sowjetunion.“
ERZÄHLERIN
Leute wie Henning Voscherau haben sich eingetragen, Liza Minelli…
MANN
Oder Joseph Brodsky, Nobelpreisträger der Literatur 1987, mit dem ich
bis zuletzt freundschaftlich verbunden war.
ERZÄHLERIN
Oder UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar.
MANN
Seine Frau ist selbst hinter den Tresen geschossen, hat Wodka
eingeschenkt für ihre Gäste, fand ich kess. Irgendwann:
- Maybe we would like some Hamburger.”
- Bitte schön.
Wir hatten aber vor allem Labskaus aus Hamburg, haben sie das
gekriegt.
Am nächsten Tag kamen sie wieder: Sie müssten heute Nachmittag um
vier am Flughafen sein. Und ob ich das ganze Flugzeug voll machen
könnte mit Labskaus, äh, Hamburgern. (lacht)
ATMO /MUSIK
40 OT
D: Ich brauchte ja vernünftiges Personal. Was meine Sowjetrussen da
angeschleppt haben an Personal… Das ging immer nach Parteizugehörigkeit
und nichts anderem. Können Sie sich vorstellen, was das für Tanten da
waren. Ich habe gesagt, ich brauche schöne Mädchen. Und fleißige, wenn’s
geht auch ehrliche.
ERZÄHLERIN
Als Kellnerinnen.
42 OT
D: Erst mal geguckt, wie sehn die aus. Und was reden sie. Und dann hab ich
der einen oder andern gesagt, komm mal rein, ja. Was möchtste trinken.
ATMO /MUSIK
16
17
43 OT
Und dann haben sie so `ne Karte gekriegt mit Foto, von sich. Und dann hab
ich an der Rezeption so `ne Liste, auch mit Foto. Und mit Name, Anschrift
und Telefonnummer. Und auf dem Ausweis stand dann, dass sie reindarf,
ne. Und dann gehörte sie, wenn man so will, zu unserm erweiterten Kollektiv.
ERZÄHLERIN
Schließlich herrschte noch Kollektivismus!
44 OT
Ich hab dann auch ab und zu mal so `ne Versammlung abgehalten, die alle
eingeladen. Und die kamen auch alle. Und dann hab ich besprochen mit denen,
wie das so weitergeht. Und was nicht so schön ist, und was sie besser lassen
sollten. Und ich hatte zu denen ein prächtiges Verhältnis. Und ich hab ihnen
erklärt, dass wir uns freuen, dass sie da sind. Weil sie helfen uns durchaus,
den Betrieb wach zu halten, und zu fördern.
ATMO /MUSIK
MANN
Das waren Mädchen, überwiegend Hausfrauen, und die brauchten alle
Geld. So, dann haben die ihr Getränk genommen und auch bezahlt. Die
anderen Gäste haben sich voller Interesse umgeguckt. Und dann sind
sie vielleicht nach Hause gewackelt. Da gab `s kein Bordell, nichts.
Aber die haben für Geld gevögelt.
ATMO /MUSIK
MANN
Ich hatte damals 40 Mädels an der Leine.
ATMO /MUSIK
45 OT
D: So und dann hab ich da diesen Sparclub-Kasten gemacht. Jede, die dann
mit `m Freier nach Hause ging, musste da 10 Dollar reindrücken. Und da
kam einiges zusammen. Und die Milizleute hatten die Aufgabe, schön
aufzupassen, dass denen nichts passiert, und dass da keine Zuhälter
reinkommen.
MANN
Das hätte alles verdorben. Deshalb war das Geld aus dem SparclubKasten für die Miliz.
17
18
ATMO /MUSIK
46 OT
Und diese Mädels die nannten sich auch nicht, oder wurden nicht genannt,
Prostituierte oder Nutten, nein, nein. Die wurden ganz normal Dewotschki,
also Fräuleins-. Die waren auch nicht so wie hier die beruflichen. Nee, nee.
MANN
(zärtlich) Dewotschka.
ATMO /MUSIK
MANN
... Dewotschki…
ERZÄHLERIN
Anfang der 80er Jahre war Broder mit dem Hamburger Bürgermeister
das erste Mal nach Leningrad gekommen. Hatte die Russen sein Bier
kosten lassen. Und, viel wichtiger, in die Augen des ersten Fräuleins
Dewotschka geguckt. Danach hatte es eigentlich jedes Jahr eine Reise
in den rauen Osten gegeben. Und viele schöne Augen…
48 OT
Damals lief es in Leningrad anders. Die Mädels, die haben sich n schönen
Abend gemacht. So, und wenn dann einer vorbeikam, der ihnen ein Getränk
ausgegeben hat, haben sie sich gefreut. Das war aber keineswegs so, dass
jetzt damit der Rest des Abends eingeleitet ist, nein nein. Und wenn man sich
sympathisch fand, dann ist man gemeinsam nach Hause gegangen
47 OT
D: Ich bin ja auch nicht krösch, ich hab ja auch mal zugegriffen, nich.
49 OT
Aber wenn Sie da zu denen nach Hause kommen und sehen die Umstände
da, und vergleichen das dann mit Ihren eigenen Umständen, dann zieht man
gern `n Schein raus. Und wenn da noch kleine Kinder rumlaufen, dann, beim
nächsten Mal, wenn man wiederkommt, dann bringt man denen auch
Schokolade mit.
Mein Schrank war immer voller Kosmetika und Nylons und Kinderartikel...
ATMO /MUSIK
ERZ
Für die russischen Seele..... Ja?
MUSIK Listen People... my name is Bella
18
19
50 OT
D: Es gab natürlich diese Intourist Hotels. Zwei, drei gab `s in dieser 6
Millionen Stadt. Und dann gab `s diese Bar im Keller, eine sogenannte Valutabar.
Und deswegen saßen die Mädels da im Keller. Und sind auch mit den, na ja,
Männern mitgegangen, die da bereit waren, n paar Mark, n paar Dollar
hinterher hinzulegen. Und, ja, das gab es vor meiner Zeit schon. Und daher
kannte ich auch die besten Mädels.
MANN
Von der Bar. Nicht dass Sie `n falsches Bild kriegen.
ATMO /MUSIK
51 OT
D: Das war sehr – ist sehr, sehr gepflegt bis heute. Und da kommt Publikum
aus der ganzen Welt.
52 OT
Ich war damals eine sehr prominente Persönlichkeit. In dem Land da.
Und
das war bekannt und gewollt, auch politisch gewollt.
(… russ. TV)
53 OT
D: Der Präsident machte dann immer zu Silvester eine Neujahrsansprache.
Punkt Null Uhr. An das sowjetische Volk damals. Und dann fragte die Tanja
mich: sag mal, bist du bereit, 5 Minuten vor Gorbatschow eine Ansprache zu
halten, an das russische Volk? Ich hab gedacht, ich hör nicht richtig. Na
mach ich doch.
AT
dramat. TV-Ton /russ. Putsch
MANN
Dann kam der Putsch, dann Jelzin
54 OT
ff
Dann kam der Wechsel zu Jelzin. Da ruft die Tanja an: du, wir haben ja den
neuen Präsidenten. Der macht ja um null Uhr die Ansprache. Gleich nach
ihm, machst du da auch noch mal so `ne Ansprache?
ATMO
dramatischer TV-Reportageton
ERZ
Russland bebte, aber die Möwe Tschaika flog ruhig weiter.
55 OT
Die Tanja hat dann auch so Jugendsendungen gemacht.: ...Mädchen u Jungs,
was haltet ihr davon, dass er jetzt weg will hier? Dann wurde buh gerufen.
19
20
AT
russ. TV
56 OT
Ich war damals in gewisser Weise ein Hoffnungsträger für die Jugend.
MANN
Zum Beispiel als ich die Stellen ausgeschrieben hatte.
57 OT
Und da stand auch ein Termin drin, wann sie sich melden können. und dann
bin ich aufgewacht, durch so n komisches Geräusch im Hinterhof, was ich
nicht kannte. Und ich gucke aus dem Fenster. Der ganze Hof - schwarz. Mit
jungen Leuten.
58 OT
D: Erzählen Sie doch mal, warum möchten sie denn nicht woanders
arbeiten.. Und dann haben die, die meisten hatten ja einen Job, erzählt, was
da so los ist. Da habe ich die aufregendsten Sachen erlebt, gehört meine ich. Da
ging es viel um sexuelle Nötigung, und ja, unglaubliche Sachen. Ich sag
Ihnen das nur, weil ich sagen wollte, warum ich ein Hoffnungsträger war für
viele Menschen.
MANN
Ich war der erste, der normale Prinzipien der Arbeitswelt, wie in
Deutschland üblich, nach Leningrad verfrachtet hat. Egal wie anders
sonst alles lief.
59 OT
Da ging es also nicht nach den Qualitätsmerkmalen, die man braucht, in
einem normalen Betrieb. Da ging es eben, ja, hab ich eben schon gesagt.
Wer zieht da wen übers Kopfkissen. Und.. ach so, dann war das noch üblich,
das ist heute noch so: - wir reden jetzt von der Gastronomie-. Die Kellner
und die Barleute, die müssen einen Teil ihres Gehaltes abgeben an den
Direktor. Der kriegt sowieso schon bezahlt, aber die anderen werden auch
noch mal geplündert. Das müssen sie machen. darüber spricht keiner. Das
läuft automatisch. Überall.
MANN
Der Direktor steckt sich ein was er will. 1988 war das so und auch `92.
Heute wird das nicht anders sein.
ATMO
61 OT
D: Meine Putzfrau, Lena. Das ist ein gutes Beispiel. `ne sehr sympathische,
gebildete Frau. Ich hatte noch so `n Eiscafé, da hat sie gearbeitet.
Dein sowjetischer Kollege, der will mir immer an die Wäsche. Und vielleicht
kannst du mir helfen.
20
21
Da hab ich ihm gesagt: Boris Michailowitsch. Da haben Sie was falsch
verstanden. Ich kontrolliere nicht nur den geschäftlichen Ablauf…
ATMO
ERZÄHLERIN
Die Lena, die fast Fast-Ehefrau Nr. 4 geworden wäre?
MANN
Lena, war damals wissenschaftliche Mitarbeiterin des
Kulturhistorischen Museums in Tblissi.
Svetlana war Fotomodell.
Die dritte: eine andere Lena, beste Freundin meiner Kassiererin. Ist jetzt
verheiratet in England und hat ganz viele Kinder...
Und dann Rosa, Prinzess of Leningrad, Miss Leningrad. War so gierig
auf Deutschland! Ich konnte terminlich nicht zur Hochzeit, sie ist allein
geflogen... Hat einen reichen Mann getroffen gleich in Frankfurt und
lebt mit ihm bis heute!
62 OT
D: Zweimal war ich auf dem Standesamt, da hat das nicht geklappt. Gott sei
Dank. Und das andere mal war ich mit einer Russin in Dänemark auf dem
Standesamt. Das hat dann geklappt. Und 7 Jahre gedauert immerhin .
Olga, Olga. Und die Mutter meiner Tochter heißt auch Olga.
ATMO /MUSIK /TV
ERZÄHLERIN
Broder Drees - eine Skandalnudel, ständig in den Medien aufgewärmt
wie Blini und Piroggen?
63 OT
D: Die einfachen Leute, die hatten damit sowieso nix zu tun. Die hatten
andere Sorgen.
ATMO
MANN
Hab ich erzählt von der Suppenküche?
21
22
64 OT
Also anfangs konnte ich nur Valuta kassieren, also Devisen. Und dann hab
ich natürlich gesehen, wie die Russen, die auf der Straße da jeden Tag längs
liefen, immer reingeguckt haben, und die schöne Einrichtung gesehen, das
schöne Bier und so. Und die schönen Knackwürste, die da übrigens
begehrter waren als Kaviar. Nemetzki sausitzki. Na ja, und so geht das ja auch
nicht; da hab ich irgendwann n schlechtes Gewissen. Und da hab ich bei der
Hamburger Feuerwehr angerufen, den Pressechef den kannte ich gut. Ihr
habt da bei euch auf dem Hof `n paar Gulaschkanonen stehen. Die stehen da
immer nur rum. Gebt mir eine, leihweise. Nach Leningrad.
Und dann musste ja auch was rein in die Suppe, und das hat Langnese Iglu
großenteils gemacht. Die haben das geschenkt. Und so haben wir jeden
Tag bis zu 800 Leute mit kalorienreicher Suppe beköstigt, umsonst.
Das waren natürlich arme Leute, die kamen dann alle mit Konservendosen
oder Milchkannen, und dann wurde das umgefüllt mit `ner Kelle. Und dann haben
sie das mit nachhause genommen.
ATMO
MANN
Trotzdem...
65 OT
Damals zu kommunistischen Zeiten, da war die Welt in Ordnung. Aus meiner
Sicht jedenfalls. Und nun kam die Privatisierung dazu, und da witterten die
Leute Geld. Und wenn sie Geld wittern, dann werden sie ganz anders, ganz
komisch manchmal.
ATMO
66 OT
Na ja, und dann sollte der Laden privatisiert werden, so nannte sich das da.
Da kam auch der Erlass vom Präsidenten, der sah das vor. Und das hab ich
dann verhindern können. und das hat verschiedenen Leuten nicht gepasst.
Aus meinem eigenen Umfeld, ne.
Dann haben wir nachher das dadurch
verhindert, dass wir eine Aktiengesellschaft gegründet haben.
ERZ
Trotzdem schlug die sowjet-russische Bürokratie zu.
Steuern von 60, 80 oder, Importsteuer!, auch 3000 Prozent. Oder
Buchhalterallmacht. Oder eben Präsidentenerlasse.
67 OT
D: Nischnigolonbank war das, Staatliche Außenhandelsbank der damaligen
UDSSR. Das war zu Präsident Jelzins Zeit. Die hatten kein Geld mehr. und
es gab einen Präsidentenerlass, so nennt sich das da. Ukas Präsident
Jelzina. Dass alle Vermögen von Ausländern eingefroren werden.
22
23
Juristisch sind sie aus dem Schneider. Weil als ich das Geld abgegeben
hatte bei der Bank, da war der Kurs 1 zu 4. Das Konto musste in Rubel
geführt werden. ...Und als dann die ganze Einfrieraktion gelaufen war nach
ein paar Jahren, da war 1: 1700.
MUSIK
MANN
Anderthalb Millionen Mark, zack, ein großer Eisblock.
ATMO /MUSIK
69 OT
D: Ich musste aber weiter Gelder nach Deutschland schaffen, weil ich hatte
Bier zu bezahlen, und Knackwürste und Technik. Und da haben wir, hab ich
das Geld mit Bierfässern geschmuggelt. Mit ner ganz feinen Säge den
oberen Teil abgesägt. `ne halbe Million deutsche Mark in 12 verschiedenen
Währungen da rein getan, mit m Gummiband gebündelt. Und dann
Luftballons halb mit Wasser gefüllt, die Luftballons draufgelegt. Das Fass
wieder zugemacht. Und oben ist doch dieser Kickkopf, zugeschraubt. Und
dieses schwarze Gummiplättchen wieder draufgetan, alles mit feinem
Händchen. Und dann zurückgeschickt nach Hamburg, als schlecht
gewordenes Bier. Und dann haben die Zöllner das fass genommen, gerüttelt:
aha, schlechtes Bier, aha. Ging noch mal gut.
MANN
Und einmal hatte ich 40 000 Mark auf der Zollerklärung verzeichnet.
Ganz korrekt, dachte ich.
70 OT
Und soviel Geld darf man offiziell auch ausführen. Ich zur finnischen Grenze,
gestoppt, nachgeguckt, was überhaupt in diesen Tüten drin ist, die die mir
von meinem Betrieb mitgegeben haben. Es war eine halb Million etwa,
Deutsche Mark.
Und dann: Gospodin Broder... haben Sie denn was zu verzollen. Ich hier: 40
000 Mark. Nicht mehr? Nee. Sind Sie denn ganz sicher. Ja, ganz sicher.
MANN
Die haben den LKW total auseinandergenommen
71 OT
Die können ja nur n Tipp bekommen haben von meinen eigenen Leuten. Von
den Buchhaltern. Oder von meinem Co-Direktor. So. dann habe ich mir
natürlich auch die Überlegung gemacht, was wäre da passiert, wenn sie das
Geld gefunden hätten.
Tja, die hätten vielleicht 10 000 Mark offiziell
23
24
beschlagnahmt. Und den Rest hätten sie sich geteilt. Der Zoll, und meine
Jungs da.
ERZÄHLERIN
Trotzdem… Das fünfjährige Jubiläum der Tschaika wurde zwar eben
noch mit Bürgermeisterehre und Konzert im goldenen Spiegelsaal
gefeiert, mit Feuerwerk und Pferdeschlitten voller Wodka...
Aber...
72 OT
Einer von den Chefs von intourist. Mich begrüßt. Und da sagt er, jetzt muss
ich dich leider mit den Herren allein lassen.
Die sagten dann, gospodin broder Sie sind sehr gefährdet. Passen Sie auf, und
denken Sie mal nach, was sie alles falsch machen.
Und da habe ich gesagt: Sie können mich ja gar nicht schrecken, ich mach
nichts falsch.
Sie sind nicht in Deutschland. Sie sind in Sowjet Union. Da laufen die Regeln
anders. Wir wollen Sie nur warnen.
So. und dann bin ich zur Tür, Tür war zu, verschlossen. Und dann bin ich fast
durchgedreht.
ERZÄHLERIN
Die Lippen spannen trotziger; sonst verzieht Broder Drees,
Seebestatter, Ex-Kneipier, keine Miene.
MANN
Brave Leute schlafen nachts. Ich bin aber nicht brav.
MUSIK
73 OT
D: So und ich hatte in dieser Nacht zwei Damen bei mir. Und die waren
eingeschlafen. Ich kam gerade aus dem Bad, hatte `n Slip an und da hörte
ich im Flur so komische Geräusche. Nun hatte ich, der kluge Mann baut vor,
die Tür mit Panzerstahl bauen lassen. Die war von außen und von innen mit
Holz verkleidet, dass es nicht so blöd aussieht, mit dem Stahl da, ne.
Guck ich auf den Monitor. Und da macht es BUMM, und im selben Moment
seh ich, da haut einer mit der riesen blanken Axt gegen meine Tür.
24
25
MANN
Das war so ... Mitte der 90er Jahre.
ATMO
74 OT
Und auf einmal war das ganze Licht aus. Und dann wollte ich die Polizei
anrufen, die Miliz, die unten waren. Ging nicht mehr, Telefon war auch
abgehackt, alles war tot.-Und dann so BUMM, und da hat einer gegen geschossen, mit Gewehr oder
Pistole, das weiß ich nicht. und da hab ich Angst gekriegt.
MANN
Naja, hab ich mein Hemd angezogen und eine Socke und bin aus dem
Fenster gesprungen.
75 OT
Und draußen waren 19 grad minus. Wie ein geölter Blitz bin ich um die Ecke
geschossen vom Newski Prospekt zum Grand Hotel Europa. Die kannten
mich natürlich. Und haben mir mit fester Stimme erklärt, dass ich in diesem
Aufzug da nicht rein käme. Ja, zufällig kam dann `n Polizeiauto um die Ecke.
So n Geländewagen. Die kannten mich auch: Broder, was ist los?
77 OT
Komm ich am nächsten Tag, die Galina von der Bank sitzt da, und mein
sowjetischer Kollege. Und ich. Da sagt sie: Hast du denn ne Ahnung wer
das war?“ Und dann hab ich mit`m Finger, mit`m Zeigefinger: Kann sein,
dass er das war.
Auf meinen Kollegen, ja. Da wurde der innerhalb von Sekunden ganz grün im
Gesicht. Dem ist die Galle übergelaufen. Und der hat nicht tschüß gesagt,
der hat sich umgedreht und ist gegangen. Das heißt der hat sich möglicherweise
ertappt gefühlt.
ERZÄHLERIN
Felsen im Weg. Steine in der Suppe. Hagel am Kopf. Immer, immer,
immer wieder. Wer hält das aus?
79 OT
D: 4 Mordversuche waren für mich ausreichend. Da fiel bei mir der
Groschen. Habe ich gesagt, jetzt geh ich nach Hause. Bin ich wieder
ausgewandert, nach Deutschland.
25
26
MANN
4 Mordversuche.
Zum Beispiel: Mein Milizmann, der ausnahmsweise meinen Wagen
fuhr, und von zwei Volvos voller Wucht gegen `n Laternenpfahl
gedrängt wurde. Sein Kopf war ab.
Oder: Als mir mein Technikexperte zeigte, dass die Duschbrause, die
Badarmatur in meiner Wohnung, elektrisch geladen war. Wenn ich in
die Wanne gestiegen wäre.... wär ich tot gewesen.
ATMO
80 OT
D: Also irgendwann gewöhnt man sich auch interessanterweise an diese
Mordversuche, und da habe ich dann auch gesagt: machste jetzt lieber die
Fliege. Sieh, zu dass du wieder zurückkommst nach Hamburg, weil
irgendwann geht das mal schief.
leise russ. TV (Jugend)Sendung
81 OT
Und dann habe ich mich ordentlich verabschiedet. Und - ne ganze Reihe Mädels
hinter mir hergelaufen. Tatsächlich.
82 OT
D: Ich habe schöne hochinteressante Erinnerungen an die Zeit. Und ich
möchte sie nicht missen. Aber ich will auch nicht wieder hin. Nee. das ist
nicht mehr mein Russland.
ATMO /MUSIK
83 OT
Drees: ...Dann hab ich `ne zeitlang `n russisches Restaurant, Tschaika, in
Hamburg gemacht. Und dachte, das würde laufen, weil es in der Vorstellung
der Leute so interessant war. Aber Zitrone. Da lasen Leute diese russische
Reklame, und haben gedacht: nee, also das ist `n Mafialaden. Da gehen wir
nicht rein.
ATMO /MUSIK
MANN
Aber- mir geht `s ja gut.
Kennen Sie, das, das - Buch…
26
27
84 OT
Das eine heißt: „Achtung Feuer. Wir löschen mit Benzin“. Da sind Geschichten auch
von mir drin. Über mich, ja. Sie kennen das Lied doch: Ich möchte so gern am
Fließband stehn, am Fließband stehn, das fließt so schön? Kennen sie das? (singt)
Ich bin Künstler, können Sie mir glauben...
ATMO /MUSIK
85 OT
D: Ich freue mich auch jeden Morgen, wenn ich aufwache, dass ich allein bin.
Dass ich den Tag frei gestalten kann, ich kann machen was ich will. Und das
tu ich auch. Ich weiß morgens nicht, was im Laufe des Tages passiert. Und
wie der Tag dann enden wird, ich weiß nicht. Aber in so `ner Familie, da weiß
man das überwiegend genau.
MANN
Ich bin frei.
86 OT
D: Also ich finde es aufregen. Frei, ich bin ganz frei, fühle mich jedenfalls so.
ERZÄHLERIN
Frei wie das Meer, ja?
Und keine Sehnsucht danach, dass eine Frau mit eingecremten Händen
am Tisch wartet, durchgewischt hat, Blini und Piroggen auf den Tisch
stellt?
89 OT
Und ich kann ruhig laut sagen, je weiter ich in die Jahre komme, desto mehr
Gedanken mache ich mir über Frauen-aber nicht, weil ich diese Frauen
begehre, sondern, nein. Jeden Tag nahezu denke ich: nee, das will ich gar
nicht mehr. Das will ich gar nicht mehr. das ist mir zu kompliziert, Frauen sind
kompliziert. Da sind Hunde einfacher.
Ich finde, Frauen sehen sehr schön aus. Und sind auch überwiegend sehr angenehme,
interessante, äh... gesellige Menschen.
MANN
Weiber bleiben Weiber - international!
Gott sei Dank.
ATMO /MUSIK
90 OT
Ich trink gern Bier, wie Sie wissen. Und Wodka auch. Und dann sitz ich gern
mit hübschen Mädels zusammen. Ich bin n geselliger Mensch eher und
spreche gern. Und höre auch gern zu übrigens.
27
28
ATMO /MUSIK
92 OT
D: Ich unterhalte mich ungern mit meiner Stehlampe. Und als Alleinleber,
oder –lebender gehe ich demzufolge ab u zu, oder oft, in die Kneipe. Weil da
Menschen sind. Ich brauche das Gespräch. Ich brauche das, irgendeine
Form von sozialem Umfeld. Ich brauche auch manchmal Kritik.
ATMO /MUSIK
93 OT
Ich will noch lernen, dazulernen, was erleben. Und das kann ich zu Hause
nicht, weil da ist keiner. Nicht mal `ne Katze habe ich da. Es gibt Gedanken,
die muss man einfach mal loswerden.
MANN
Ich habe ein Mittel gegen Öltankerunglücke gefunden, und gegen das
Kentern von Booten. Vier Patente habe ich. Noch viel mehr ohne
Stempel und Unterschrift.
Ich denke eben manchmal was als erster. Und die ewigen Zweiten
machen große ungläubige Augen.
94 OT
Also mir geht es so, dass ich immer auf die besten Ideen komme, wenn ich
beim geselligen Bier, oder Glas Wodka n bisschen schnacke und dazulerne.
Passieren tut nur etwas da, wo andere Menschen sind. Richtig?
ERZÄHLERIN
Wie er so dasitzt, mit den eckigen Knien in der Anzughose, dem
rauchverhüllten müden Gesicht, dem Haar, altweiß wie das Shirt, und
auf der Brust steht „S S S R“. Wie er sich manchmal wegduckt unterm
eisernen Griff von Bruder Schmerz; und so geduldig die Kneipe
verteidigt - - sieht er wie ein Priester aus.
ATMO
28
29
ERZÄHLERIN
Waren die Bänke der Leningrader Tschaika nicht auch aus alten
Kirchenbänken gemacht?!
MANN
Kneipe als Religion? Gefällt mir.
ATMO /MUSIK
97 OT
Aus Hamburg kriege ich wenig Aufträge komischerweise. Sie kennen doch
das Sprichwort, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt.
D: Also ich war lange Zeit Stammgast in einer Rentnerkneipe. Bei mir gleich
um die Ecke. Und da hab ich aus Scherz gesagt, als mich einer fragte, was
willst `n in dieser Kneipe: Ja, ich warte auf Kundschaft. Die starben nachher
so, alle paar Tage starb da einer weg. Sie glauben doch wohl nicht, dass ich
da einen einzigen Auftrag gekriegt hätte.
ATMO
ERZÄHLERIN
Den Auftrag, meinen Opa zu bestatten, hat er bekommen.
Dabei habe ich Broder Drees kennen gelernt, auf einem polnischen
Schiff, vor Stettin. Sein Mietwagen hatte einen ungültigen Vertrag, und
er hatte von der Grenze her trampen müssen, mit dem großen Kasten
fürs Schifferklavier -
MANN
Meine Quetschkommode.
ERZÄHLERIN
- Und mit Urne und „Blumenpracht“ in einer Tüte von der
Pennymarktfiliale am Ende der Straße.
So ist eben das Drees-Wetter: Scheint oft seemannslatein-wolkig. Aber
dann klart es auf. Meistens.
ATMO /MUSIK
29
30
Absage
Dewotschka und toter Mann. Ein friesischer Seebestatter und seine
sowjetische Seele
Sie hörten ein Feature von Paula Schneider.
21 OT
D: Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Der uns beschützt, uns hilft zu
leben...
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten....
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich
entraffen...
Des Lebens Ruf wird niemals enden! Wohlan denn Herz, nimm Abschied,
und gesunde
Es sprachen: Marita Breuer und Michael Wittenborn
Ton und Technik: Gunther Rose und Hanna Steger
Regie: Leonhard Koppelmann
Redaktion: Ulrike Bajohr
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2010
30