Predigt zu Amos 5,21-24 Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt. Amen. Liebe Gemeinde! Alles muss raus! Das könnte ein Werbegag sein bei den Geschäften, die uns ganz oft suggerieren wollen, dass gerade jetzt eine günstige Zeit ist, sich etwas zu kaufen, weil alles billiger zu haben ist. Alles muss raus, denn das Alte darf keinen Platz mehr wegnehmen, denn sie brauchen den Platz für die neue Ware. Natürlich ist das eine große Masche – meiner Meinung nach – zu behaupten, unser Geschäft hat Platzmangel und deshalb bieten wir Ihnen dies und jenes ganz günstig an. Aber was ja stimmt, ist, dass, wenn eine Saison zu Ende geht und die neue Ware für die nächste Jahreszeit kommt, dann müssen die Geschäfte sich immer wieder neu einrichten. Denn die Waren der alten Saison müssen ausgeräumt werden und die neue Ware kommt in die Schaufenster. Insofern stimmt das: Alles muss raus! Und „Alles muss raus!“ ist ja oft auch das Motto bei unseren Häusern und Wohnungen, wenn sich irgendwelche großen Feiertage nähern. Meistens wenn Weihnachten oder Ostern vor der Tür stehen, dann wird bei uns eine große Putzaktion gestartet. Ich muss schon sagen, dass es bei mir persönlich ja ganz schlimm ist mit solchen Aktionen. Ich schiebe die ganze Sache gerne eine Zeit lang vor mir her – meistens bis es nicht mehr anders geht, weil es mir unangenehm ist. Es ist ein riesen Aufwand und ich muss jedes Zimmer auf den Kopf stellen, alle Möbel müssen bewegt werden. Es kann nichts unberührt bleiben, nichts kann so bleiben, wie es war, weil alles gereinigt werden muss. Der Müll, der Dreck, der Staub – alles, was sich in der Zeit angesammelt hat – muss ja raus. In dem Haus muss wieder ein Zustand einkehren, in dem ich das Gefühl habe, dass jetzt wieder alles in Ordnung ist. Wenn die ganze Aktion vorbei ist, dann weiß ich: Es war notwendig, damit ich mich wieder in der Wohnung wohl fühlen kann. Denn sonst jedes Mal, wenn ich auf das unaufgeräumte Zimmer gucke, muss ich daran denken, dass es noch gemacht werden muss. Dadurch finde ich nicht meine Ruhe, bis ich es dann nicht gemacht habe. Es muss alles raus – damit ich mich freuen und wieder alles genießen kann. Alles muss raus! Das gilt nicht nur bei den Geschäften oder den großen Putzaktionen zuhause. Ich denke, meistens gilt dieser Satz viel viel öfter für unsere Herzen. Ich denke dabei an die vielen Eindrücke und Gedanken, die wir im Laufe eines Tages, einer Woche oder sogar eines Jahres haben. Viele Gedanken und Gefühle, die wir in unserem Inneren haben, aber sie nicht aussprechen, sondern wir tragen sie mit uns mit. Es sind die Bingo-Kugeln, die in unserem Kopf arbeiten und uns dadurch nicht zu Ruhe kommen lassen. Es ist so ähnlich, wie mit meinem unaufgeräumten Zimmer, das mich bei jedem Blick darauf daran erinnert, dass ich es nicht gemacht habe. Wenn der Müll raus ist, dann ist wieder Platz für Neues. Mir scheint es, dass mit „alles muss raus“ eine tiefe menschliche Struktur gegeben ist: nämlich es ist notwendig, Dinge loszuwerden, zu putzen oder einen sauberen Tisch zu schaffen, um einen neuen Anfang zu ermöglichen. Manchmal ist es notwendig, frei zu werden von dem, was sich schon lange angesammelt hat. Was sich aufgestaut hat. Es muss ausgesprochen, besprochen werden, damit es mich nicht mehr bedrücken und dadurch gefangen halten kann. Damit ich wieder freier werde. Alles muss raus! In den Geschäften, im Zimmer, in den Herzen. Das ist manchmal bei Gott auch so. Wie es unser Predigttext heute im Buch des Propheten Amos im fünften Kapitel beispielhaft zeigt (Am 5,21-24): So spricht Gott, der Herr: Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Liebe Gemeinde, alles muss raus! Auch bei Gott! Er ist sauer. Er ist wütend. Er hat einfach die Schnauze voll. Bei Gott scheint sich auch einiges aufgestaut zu haben. Es hat sich manches angesammelt und jetzt musste mal alles raus. Er musste einige Sachen loswerden und reinen Tisch machen mit seinem Volk. Was soll denn das – fragt Gott. Was sollen die tollen Feiertage und die vielen, braven Versammlungen? Was bringen die Brandopfer, Speiseopfer und Dankopfer? Was soll denn das Ganze? Es ist ja hart, was Gott so sagt: er mag das alles nicht, er ist müde davon und ihm ist die ganze Sache sehr lästig geworden. Selbst die Lieder will er nicht mehr hören, alles ist vergebliche Mühe. Das kommt nicht so oft vor in den Texten, die wir im Gottesdienst lesen: Gott bitter enttäuscht, sauer und wütend auf sein Volk! Aber wo liegt eigentlich das Problem? Ich meine, Gott hat das doch gewollt, dass das Volk Brand- und Speiseopfer, Dankopfer bringt und bestimmte Feiertage hält! Und die Lieder will er plötzlich auch nicht mehr hören. Woran könnte es liegen? Meiner Meinung nach eher daran, dass die ganzen Opferarten und auch die ganzen Gottesdienste und Feiertage nicht mehr ihren Sinn und Zweck erfüllt haben. Denn die ganzen Opferarten waren eher dafür da, dass sie die Menschen an ihre Fehler und Schuld erinnern. Dass sie ihnen ins Bewusstheit rufen, dass keiner von denen perfekt ist, sondern jeder sich hier oder da, im Kleinen oder im Großen, schuldig macht. Die ganzen Opfer sollten als ein symbolischer Akt der Wiedergutmachung gelten. Aber wenn etwas zu einem Automatismus wird und ich dabei nicht mehr daran denke, warum und weshalb ich es mache, dann verliert das seinen Sinn. So ähnlich, wie bei meinem unaufgeräumten Zimmer: Die Unordnung muss schon sein, damit mich der Anblick immer wieder daran erinnert, dass ich mal aufräumen soll. Aber wenn das allzu lange Zeit so bleibt und mein Blick gewöhnt sich dran und ich werde nicht mehr daran erinnert aufzuräumen, dann hat das sein Ziel und Zweck verfehlt und es nützt mir nichts mehr. Dann muss alles raus – damit ein Neuanfang möglich wird, damit die alten, unnützen Sachen wegkommen und stattdessen neue reinkommen. Wie eben in den Geschäften – was nützt es, das Wintersortiment Mitte/Ende Februar noch im Regal zu halten, wenn die Menschen eher nach einer Frühlingsjacke suchen? Da müssen die Handschuhe und die dicke Mützen raus, um für die Frühlingssachen Platz zu machen. Alles muss raus! So ähnlich meint es Gott auch, wenn er davon spricht, dass die ganze Opferarten und alle Lieder nichts mehr nützen, wenn sie nicht ehrlich gemeint sind, wenn wir nicht danach leben. Dann müssen alle Opfer und Gebete eben mal raus aus dem Sortiment, damit die Hilfe für unterdrückte Menschen, die Unterstützung der Armen, Recht und Gerechtigkeit für all die Menschen, die wir meistens schnell übersehen Platz findet in dem neuen Sortiment. Alles muss raus! Bedeutet immer wieder nachzudenken über die Sachen, die ich in meinem Leben tue. Ob mein Glauben genug gelebt wird, indem ich im Gottesdienst war und die verschiedenen kirchlichen Veranstaltungen besucht habe. Es bedeutet nachzudenken darüber, ob der aktuelle Zustand bei uns in der Kirche und Kirchgemeinde in sehr vielen Facetten noch stimmig ist, oder doch des Öfteren nicht mehr so, wie es sein sollte. Es bedeutet darüber nachzudenken, womit wir als Gemeinde beschäftigt sind, wo wir unsere Zeit und Energie investieren. Reden wir nur noch über Strukturen und Finanzierungen, über neue Agenden und Gottesdienstordnungen, während außerhalb der „heilen“ Kirchenwelt Armut, Hass und Missachtung den Ton angeben? Wenn wir ganz mit den schönen Gottesdiensten und Veranstaltungen beschäftigt sind, dann bleibt die aktive Nächstenliebe vielleicht oft auf der Strecke? Alles muss raus! Bedeutet eine Neuorientierung, einen neuen Anfang, ein Versuch der Erneuerung. Heute am letzten Sonntag vor der Passionszeit halte ich inne und denke darüber nach, was gewesen ist. Ob alles immer gut war? Ob ich meinen Glauben als Christ authentisch lebe? Oder sind es oft nur die Worte und Gedanken, aber das entsprechende Tun ist dann eher Mangelware? Ob ich auch Möglichkeiten habe, manches besser zu machen? Kann ich es auch zugeben, dass manches bis jetzt grundsätzlich schief gelaufen ist? Und ich meinen Anteil dazu beigetragen habe? Die Fastenaktion unserer Kirche für dieses Jahr möchte uns dafür sensibilisieren. „Du bist schön – 7 Wochen ohne Runtermachen“ – heißt das Motto. Stimmen noch meine äußeren Worte mit meiner innere Einstellung ein? Ich lebe als Christ, aber vergesse oft die Wertschätzung meiner Mitmenschen? Lebe ich meinen Glauben in Gedanken, Worten und Taten? Die Passionszeit bedeutet für mich, dass ich manche Missstände in mir aufdecke und darüber nachdenke – auch wenn das manchmal weh tut und unangenehm ist. Alles muss raus! Ich muss mit mir selber ins Reine kommen. Damit wieder Platz für Neues wird. Für das, was wirklich wichtig ist. Das äußere und innere Leben muss stimmig werden, damit ich mit meinem Leben zufriedener sein kann. Die Passionszeit ist ein Neuanfang, ein Anlass zum Nachdenken und zur Erneuerung. Denn Gott will einen Neuanfang mit seinem Volk – damals und auch heute mit uns. Deshalb: Alles muss raus! Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unser Herr. Amen.
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