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Tax News 01-02/2017
Wiederaufnahme auf Antrag: VwGH klärt Zweifelsfrage
Verfahrensrecht
Nach Auffassung des VwGH berechtigen nur aus Sicht des Abgabepflichtigen
neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel den Abgabepflichtigen
zur Stellung eines Wiederaufnahmeantrags.
Seit 01.01.2014 war zur Wiederaufnahme eine
Frage umstritten: Darf eine Wiederaufnahme selbst
dann beantragt werden, wenn der Abgabepflichtige
die vorgebrachten Tatsachen oder Beweismittel im
Zeitpunkt der ursprünglichen Bescheiderlassung
bereits kannte? Der VwGH hat diese Frage nunmehr geklärt.
1. Neuerungstatbestand und Perspektive
Mithilfe des sogenannten Neuerungstatbestandes
(§ 303 Abs 1 lit b BAO) wird im Abgabenverfahren
bisher unbekannten Sachverhaltselementen oder
Beweismitteln nachträglich Rechnung getragen.
Dabei ist die Frage von entscheidender Bedeutung,
aus wessen Sicht sich Tatsachen oder Beweismittel als neu hervorgekommen darstellen müssen.
Die Rsp des BFG zu dieser Frage war seit der
Rechtslage ab 01.01.2014 widersprüchlich (siehe
ausführlich Tax News 07-08/2015).
Nach der Rsp des VwGH zur Rechtslage bis zum
31.12.2013 schloss die bloße Kenntnis der Partei
von Tatsachen oder Beweismitteln im Bescheiderlassungszeitpunkt das Neuhervorkommen dieser
Umstände und damit eine Wiederaufnahme auf Antrag aus (zB VwGH 26.02.2003, 97/13/0081). Dagegen war es nach Ansicht der Finanzverwaltung für
die Zulässigkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag
nicht entscheidend, ob die später hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel der Partei bereits
im abgeschlossenen Verfahren bekannt waren oder
nicht (zB BMF, Wiederaufnahme des Verfahrens
(§§ 303-307 BAO), AÖF 2006/192, Abschn 2.1).
KPMG Tax News 1-2/2017
2. Rsp des VwGH (VwGH 19.10.2016, Ra
2014/15/0058)
Nach der aktuellen Rsp des VwGH muss nach der
Rechtslage ab 01.01.2014 – wie schon davor – der
Wiederaufnahmeantrag ua die Bezeichnung der
Umstände, auf die der Antrag gestützt wird, enthalten. Darüber hinaus bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei, welche
Wiederaufnahmegründe für die Wiederaufnahme
herangezogen werden (siehe auch schon VwGH
14.05.1991, 90/14/0262). Daher muss ein Antrag
auf Wiederaufnahme bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen die Behauptung enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind.
Diese Überlegungen setzen nach der Rsp des
VwGH voraus, dass die neuen Tatsachen oder Beweismitteln im Zeitpunkt der Antragstellung bereits
bekannt geworden sind. Daher ist bei einem Antrag
auf Wiederaufnahme das Neuhervorkommen von
Tatsachen aus Sicht des Antragstellers zu beurteilen. Gleiches gilt spiegelbildlich für die Wiederaufnahme von Amts wegen, bei der die für die Behörde neu hervorgekommenen Tatsachen im Wiederaufnahmebescheid anzuführen sind.
Diese Lösung deckt sich mit der Rsp des VwGH
zur Rechtslage bis zum 31.12.2013, ergibt sich aber
nicht zwingend aus dem aktuellen Gesetzeswortlaut. Denn der Gesetzeswortlaut verknüpft den
Kenntnisstand im Bescheiderlassungszeitpunkt und
damit das Neuhervorkommen in keiner Weise mit
einer der beiden Verfahrensparteien (= Abgabenbehörde und Abgabepflichtiger).
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3. Ergebnis
Die jüngste Rsp des VwGH klärt die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrages: Hatte der Abgabenpflichtige im Bescheiderlassungszeitpunkt bereits
Kenntnis von bestimmten Tatsachen und/oder Beweismitteln, können diese nicht mehr als Begründung für einen Wiederaufnahmeantrag herangezogen werden. Nur aus Sicht des Abgabepflichtigen
neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel berechtigen ihn zur Stellung eines Wiederaufnahmeantrags. Gleiches gilt für die Abgabenbehörde bei einer Wiederaufnahme von Amts wegen:
Hatte die Abgabenbehörde im Bescheiderlassungszeitpunkt bereits Kenntnis von Tatsachen und/oder
Beweismitteln, berechtigen diese die Abgabenbehörde nicht zur Vornahme einer Wiederaufnahme.
Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung auf
diese Rsp reagieren wird.
Stefan Papst
Senior Manager, Tax
T +43 662 4084-6229
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kpmg.at
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