Die Zukunft Europas - John F. Kennedy Schule Esslingen

„Die Zukunft Europas“
 Kreis Esslingen: Schüler der John-F.-Kennedy-Schule lernen in einem Workshop ihr Nachbarland Frankreich besser kennen – Schüleraustausch soll gefördert werden
Von Maria Krell
In der Mitte des Raumes stehen
Stühle in einem Kreis angeordnet,
die weißen Tische wurden an die
Wand gerückt. Eine Fensterfront
lässt viel Licht hereinfluten, der Fußboden besteht aus graublauem Linoleum – typisch für ein Klassenzimmer. An der Tafel hängt eine Karte.
Sie zeigt Frankreich.
Benjamin Thurotte vom deutschfranzösischen Team des Projekts
Francemobil sitzt auf einem der
Stühle, seine Kollegin Melanie Le
Touze kniet zu seiner Rechten. Gemeinsam mit Marie Bauer, der
Dritten im Bunde, veranstalten die
jungen Lektoren Workshops und
interkulturelle Tage an deutschen
und französischen Berufsschulen.
Gestern hatte das Projekt an der
John-F.-Kennedy-Schule in Esslingen-Zell Premiere.
Thurottes Hände umfassen jetzt
den Kopf seiner Kollegin, beide geben Schnalzgeräusche von sich. Le
Touze steht auf. Sie geht mit einem
Glas Wasser in der Hand zu den
männlichen Schülern im Stuhlkreis,
schüttet ihnen das Wasser in den
Mund. Die Mädchen sitzen unterdessen alle ohne Schuhe auf roten
Decken auf dem Boden. Ihnen wird
das Glas nur gereicht, trinken müssen sie selbst. Der Vorgang wiederholt sich, diesmal mit Chips. Viele
der 15 Schüler des Berufskollegs
lachen verlegen, andere schauen
skeptisch-amüsiert.
„Was habt ihr wahrgenommen?“, übersetzt Le Touze die Fragen ihres französischen Kollegen.
Thurotte spricht meist französisch,
wo es mit der Verständigung hapert, hilft Le Touze auf deutsch
nach. Viel gelingt aber auch ohne
ihre Unterstützung, die jungen Lektoren arbeiten, wenn es sein muss,
auch mit Händen und Füßen. Das
Urteil fällt eindeutig aus: „Das war
ein altes Mann-Frau-Bild. Der
Mann war hier mehr wert“, interpretiert einer der Schüler die Situation. Eine dunkelhaarige Schülerin
dern fördern. Junge Menschen sollen so das Nachbarland besser kennenlernen. „Je früher sich der Geist
weitet, desto besser. Zwar ist es
heute leichter als früher, ins Ausland zu gehen. Aber gerade Schüler
an beruflichen Schulen sind von dieser Mobilität weiter entfernt, als jene
des Gymnasiums“, sagt Thurotte.
Diese Sicht teilen auch seine beiden Kollegen: Berufsschüler haben
oft mit größeren Hürden zu kämpfen als Schüler auf Gymnasien, wenn
sie Auslandserfahrungen sammeln
wollen. Das junge Team möchte
diese Hürden so niedrig wie möglich
halten. „Unser Fokus liegt klar auf
Berufsschulen. Wir werden den
Schülern zeigen, was es für Möglichkeiten gibt, wo sie finanzielle Unterstützung bekommen und ihre Fragen
beantworten“, betont Marie Bauer.
Kulturelle und geistige Öffnung
Beispiel für eine patriarchalische Gesellschaft? Melanie Le Touze weiß: Kulturelle Missverständnisse treten schneller auf, als man denkt.
stimmt dem zu: „Ja, die Männer
waren hier höher gestellt, sie wurden bedient.“
Le Touze nickt. „Ok. Was ist
wenn ich euch sage, dass die Erde
fruchtbar und daher heilig ist? Wer
liefert die Energie?“ Kurze Stille.
„Die Frau hat die Energie gegeben“, sagt ein Mädchen. Ein anderes legt nach: „Sie hatte mehr Freiheit. Sie konnte sich selbst nehmen.“ Ein Schüler in einem grauen
Pullover meldet sich: „Wir sind
von uns ausgegangen. Vielleicht
steht die Frau ja sogar höher als
Das Projekt Francemobil
Das Projekt soll Schülern die Möglichkeit geben, interkulturelles Lernen zu erleben, das Nachbarland
kennenzulernen und zu einem Austausch motivieren. Innerhalb
Deutschlands ist die Gruppe Francemobil unterwegs, in Frankreich die
„Mobiklasse.“
Mehr als 81 500 deutsche Schüler
haben am Francemobil-Workshop von
12 Lektoren an 1050 Schulen im
Schuljahr 2014/15 teilgenommen.
Die Referenten verbringen im Januar jeweils einen Tag an zwei Berufskollegs in Baden-Württemberg sowie
an zwei lycées professionnels in Frankreich.
Unterstützt wird das Projekt vom
Deutsch-Französischen Jugendwerk
(DFJW).
Mehr Informationen gibt es unter
https://francemobil.institutfrancais.
de/start.
Foto: Bulgrin
der Mann.“ Bingo. Thurotte lächelt
und zieht die Augenbrauen hoch.
„Der erste Eindruck ist nicht unbedingt der richtige. Vielleicht interpretiere ich eine andere Kultur
ja durch eine unpassende Brille.“
Während er das sagt, schiebt er
seine blaue Brille ein wenig hoch.
Den Blick zu weiten, sich einer
anderen Kultur zu öffnen, ist eines
der Ziele dieses Tages. Der Workshop soll außerdem die deutschfranzösische Beziehung verbessern
und einen Schüler- oder Praktikantenaustausch zwischen den Län-
Nach Ansicht des französischen
Wirtschafts-, Sozial und Umweltrats (CESE) gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Bildungsgrad und der Mobilität von Jugendlichen. Franzosen würden bei einer
Ausbildung immer weniger ins Ausland reisen und kurze Anfahrtswege präferieren. Ähnlich verhält
es sich in Deutschland. Andrea
Knupfer, zusammen mit Susanne
Götze Französischlehrerin der
Klasse, formuliert es so: „Viele
Schüler suchen einen Ausbildungsplatz hier um die Ecke. Das liegt
am Elternhaus, an finanziellen
Gründen aber auch an der Angst
vor dem Fremden, selbst innerhalb
neuer Regionen Deutschlands.“
Vor der derzeitigen politischen
Lage erscheint eine kulturelle und
geistige Öffnung mehr denn je gefordert. Thurotte, der sich durch die
Bekanntschaft einer „sehr offenen“
deutschen Gruppe für deren Sprache
zu interessieren begann, sagt: „Die
deutsche und französische Jugend
ist unsere Zukunft, die Zukunft Europas. Von einer engen Beziehung
der beiden Länder profitieren alle.“