Das Manuskript zum Beitrag

Manuskript
Beitrag: Das Dosen-Desaster –
Pfandfreier Müll aus dem Ausland
Sendung vom 14. Februar 2017
von Thomas Münten, Heiko Rahms und Hüseyin Topel
Anmoderation:
Es war einmal das Dosenpfand. Das wurde erfunden, damit bei
uns weniger Müll rumliegt. Es sollte das Mehrwegsystem stärken
und der Umwelt dienen. Vor 14 Jahren wurde es eingeführt, unter
heftigen Protesten von Industrie und Handel. Auch Verbraucher,
die sich vom Staat nicht gängeln lassen wollten, waren vom
Dosenpfand genervt. Aber es schien zu funktionieren. Die
Deutschen sammelten und sammelten. Sie retournierten und
recycelten - und so könnte das Märchen von der sauberen Dose
ewig weitergehen, wenn die Wirklichkeit inzwischen nicht ganz
anders wäre. Thomas Münten und Heiko Rahms haben
hingeschaut.
Text:
Dortmunds Fußballtempel - gerade ist ein Bundesligaspiel zu
Ende gegangen. Die Fans wollen auf den Dortmunder Sieg
trinken. Wie überall im Land rund um die Stadien warten fliegende
Händler mit Paletten voller Dosen: Bier und Softdrinks, für zwei
Euro - und meistens ohne Pfand.
O-Ton Fußball-Fan:
Beim Türken kriegt man die ja auch, beim Dönerladen. Da
achtet man so nicht drauf.
Wir sprechen einen der Getränkehändler an.
O-Ton Frontal 21:
Sie verkaufen pfandfreie Dosen. Wissen Sie, dass das illegal
ist?
O-Ton Getränkehändler:
Ne. Komm, du nimmst mir mein Geld weg.
Die pfandfreien Dosen kommen aus dem Ausland und dürfen in
Deutschland grundsätzlich nicht verkauft werden. Und dennoch
sind sie überall zu haben. Die Folge: überquellende Mülleimer.
Wie aber kommen die illegalen Dosen in den Handel? Wir drehen
verdeckt in einem Imbiss, geben vor, selbst einen Laden eröffnen
zu wollen. Wir fragen, wie man an pfandfreie Dosen rankommt.
O-Ton, Gedächtnisprotokoll:
Wir verkaufen das seit fünf Jahren. Das Ordnungsamt schaut
regelmäßig vorbei, drückt aber immer ein Auge zu. Wenn du
auch Dosen brauchst, gebe ich dir die Telefonnummer von
unserem Händler, der kann dir alles liefern.
Ganz einfach - nur ein Anruf und schon haben wir eine
Verabredung mit einem Zwischenhändler. Treffpunkt, ein
Parkplatz. Wieder drehen wir verdeckt. Ein weißer Kleinlaster
wartet. Wir bekommen zehn Paletten pfandfreie Dosen. Im Auto
gäbe es noch viel mehr.
O-Ton, Gedächtnisprotokoll:
30 Cent pro Dose, macht alles zusammen 80 Euro.
O-Ton Frontal 21:
Wenn ich noch mehr Dosen bräuchte, ginge das auch?
O-Ton, Gedächtnisprotokoll:
Klar, ich kann dir jede Menge liefern.
Das Geschäft unter der Hand lohnt sich. Verkauft werden die
Dosen für 1,50 Euro. Dabei kostet die pfandfreie Dose aus dem
Ausland den Händler nur 30 Cent. Unterm Strich bleibt ein
schöner Gewinn: 1,20 Euro pro Dose. Eine deutsche Pfanddose
kostet im Einkauf 84 Cent. Für den ehrlichen Verkäufer bleiben
nur 66 Cent Gewinn, etwa die Hälfte.
Die ehrlichen Kioskbesitzer sind ratlos. Sie halten sich ans
Gesetz und haben das Nachsehen.
O-Ton Philipp Eckershoff, Kioskbesitzer:
Es macht mich ziemlich sauer, dass ich halt eben diesen
großen Arbeitsaufwand habe, durch die Lagerung, durch das
Entsorgen des Pfandes letztendlich, während halt der
Konkurrent, der Dönermann, ein anderer Kiosk, wie auch
immer, entsprechend die Sachen rausgibt, die Sachen
billiger anbieten kann, ohne groß letztendlich auf dem
Mehraufwand hängenzubleiben.
Eingeführt wurde das sogenannte Dosenpfand 2003, um die
Recyclingquote bei Getränken zu steigern. Das sollte die Umwelt
schützen, Müll reduzieren, Rohstoffe und Energie sparen. 80
Prozent Mehrweganteil, das war das hochgesteckte Ziel der
damaligen rot-grünen Bundesregierung.
O-Ton Jürgen Trittin, B‘90/GRÜNE, ehemaliger
Bundesumweltminister, am 29.09.2003:
Wir wollen möglichst eine hohe Mehrwegquote, das deutet
sich an. Wir haben inzwischen von 50 wieder auf 60 Prozent
die Mehrwegquote gesteigert.
Umso tiefer der Fall: Mehr als 76 Prozent aller Verpackungen
werden heute nur einmal benutzt, dann landen sie auf dem Müll.
Bei nur 23,8 Prozent liegt heute die Mehrwegquote für
alkoholfreie Getränke.
Wir suchen den Importeur der illegalen Dosen und stoßen auf
einen Getränkegroßhändler in Nordrhein-Westfalen. Wieder
drehen wir mit versteckter Kamera. Ein Mitarbeiter zeigt uns das
Sortiment. Große Mengen pfandfreie Cola- und Fanta-Dosen,
gestapelt auf Paletten. Die Dosen kommen vor allem aus
Dänemark. Wir fragen nach beim Großhändler. Am Telefon sagt
man uns:
O-Ton Gedächtnisprotokoll:
Wir machen Import-Export, da dürfen wir das.
Auch auf schriftliche Nachfrage - keine weitere Stellungnahme.
Dabei ist der Verkauf importierter pfandfreier Dosen bis auf ganz
wenige Ausnahmen verboten.
Der illegale Dosen-Handel läuft deutschlandweit. Im Westen und
Norden kommen die Dosen aus Dänemark, im Osten aus Lettland
und Polen und im Süden aus Österreich und Ungarn.
Auch für die Produzenten, zum Beispiel aus Dänemark, ein gutes
Geschäft. In einem Bericht des dänischen Finanzministeriums
heißt es, dass „der illegale Grenzhandel mit
kohlensäurehaltigen Erfrischungsgetränken im Jahr 2015
25 Millionen Liter betrug.“
Coca-Cola Dänemark gehört zum Carlsberg Konzern. Brauereien
wie hier in Fredericia produzieren viel mehr Getränkedosen, als
die Dänen trinken können. Kein Wunder, wenn man sie auch in
Deutschland und den Niederlanden kaufen kann. Zu seinen
Exportzahlen will sich der Konzern nicht äußern.
O-Ton Prof. Peter Pagh, Umweltrechtler Universität
Kopenhagen:
Sie produzieren in Dänemark, Coca-Cola zum Beispiel, dann
wird es in Dänemark gekauft und illegal nach Deutschland
gebracht. Wenn sie dieses Problem lösen wollen, müssten
sie alle Importe kontrollieren. Das wird nicht funktionieren.
O-Ton Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe:
Mich erinnert das Verhalten von Coca-Cola in Dänemark an
die Zigarettenmafia, die eben auch dann praktisch illegale
Ware an ein anderes Land verkauft. Coca-Cola Dänemark
weiß ganz genau, dass diese Getränke illegal verkauft
werden, und trotzdem bereichert sich das Unternehmen an
diesen illegalen Verkäufen.
Coca-Cola weist diese Kritik zurück. Kein Interview. Man
produziere nicht eigens Dosen für den deutschen Markt, heißt es
schriftlich. Mit den illegalen Geschäften in Deutschland habe
Coca-Cola Dänemark nichts zu tun.
Zurück in Deutschland. Kontrolliert wird kaum und verfolgt
werden, wenn überhaupt, nur Endverkäufer – mit kleinen
Bußgeldern. In Duisburg, zum Beispiel, gab es 2015 ganze 33
Anzeigen. Und das Bußgeld beträgt im Durchschnitt gerade mal
100 Euro.
Und so wird das Pfandsystem ungestraft umgangen, die
Recyclingquote fällt, der Müllberg wächst. Nachfrage bei
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks:
O-Ton Frontal 21:
Unsere Recherchen haben ergeben, dass bundesweit
pfandfreie Getränkedosen angeboten werden. Das ist illegal.
Warum bekommt der Staat das nicht in den Griff?
O-Ton Barbara Hendricks, SPD, Bundesumweltministerin:
Ich kann das nicht bestätigen, dass bundesweit pfandfreie
Getränkedosen angeboten werden. Da müsste ich meinen
Fachmann, den Unterabteilungsleiter, Herrn Rummler,
fragen. Ich kann das nicht bestätigen.
Wir fragen nochmals nach. Schriftlich heißt es,
Zitat:
„Geahndet werden können solche Verstöße nur von den
örtlichen Behörden. Vertreter der Bundesländer haben dem
Bundesumweltministerium daher zugesichert, gegen den
Verkauf nicht bepfandeter Dosen nun stärker zu
vorzugehen.“
Pfandfreie Dosen aus dem Ausland, ein ungelöstes Problem –
weil bisher Kontrollen fehlen und einheitliche europäische Regeln.
O-Ton Martin Häusling, B‘90/GRÜNE, MdEP:
Wir brauchen ein Modell, was in Europa, am Ende in 28
Mitgliedsländern wirkt, Und da muss die Kommission
sozusagen das auch vorschreiben. Das traut sie sich
politisch im Moment nicht. Gegen eine Branche, die mit allen
Mitteln darum kämpft, dass dieser Wegwerfwahn wirklich
weitergeht, und noch ihre Geschäfte nebenbei macht.
Und die Umwelt verliert weiter.
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