Ludwig von Flue - Sturm auf die Bastille (September 1789)

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Ludwig von Flue - Sturm auf die Bastille (September 1789)
Ludwig von Flue (oder Flüe), Leutnant beim Schweizer Regiment Salis-Samanden, schilderte in einem Brief an seinen
Bruder im September 1789 die Geschehnisse um die Bastille im Juli desselben Jahres.
"...Die Bastille liegt in der Vorstadt St. Anton in Paris. Acht Türme, welche mit kurzen Wällen zusammenhängen, bilden
den Umfang dieses Schlosses, welches noch mit einem tiefen Graben umgeben ist. Die Höhe der Türme beträgt
ungefähr 80 und die Dicke der Mauern 12 - 15 Fuß. Diese sind mit einer Plattform bedeckt, auf welcher sich Batterien von
großem Kaliber befinden, und von wo man den größten Teil der Stadt beschießen kann. Diese Festung, nach der alten
Kriegskunst gebaut, ist so stark, daß Heinrich IV. und andere Könige mehr als sechs Wochen und auch mehr als zwei
Monate mit Armeen von 30000 und 40000 Man davor gelegen, bevor sie selbe erobern konnten. Dieses Schloß wurde
schon seit vielen Jahren als Staatsgefängnis gebraucht und war ein Dorn in den Augen der Pariser, weil es dieselben
einigermaßen im Zaume hielt. Es wurde von jedermann verabscheut wegen verschiedener durch die Minister verübten
Grausamkeiten, die sie vermöge der Steckbriefe in selbem zu vollziehen die Gewalt hatten.
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 Der Befehlshaber des Schlosses, Herr Graf von Launay, ein Mann von nur geringen Kenntnissen im Kriegswesen, ohne
Erfahrung, mit wenig Herz, wandte sich schon im Anfange der Unruhen an die Generale der Armee und verlangte, daß
man die Besatzung verstärke, die damals bloß aus 80 Invaliden bestund. Er wurde abgewiesen, weil man glaubte, daß der
Aufstand nie so heftig werde und weil man nicht vermutete, daß es jemanden in den Sinn komme, sich der Bastille zu
bemächtigen. Er wiederholte sein Begehren. Endlich, um ihn zu beruhigen, wurde ich mit 30 Mann auserwählt und den 7.
Juli dahin abgeschickt. Schon am ersten Tag, nachdem ich angekommen, lernte ich diesen Mann kennen und sah
deutlich aus allen seinen Zurüstungen, die er zur Verteidigung seines Postens machte und die zu nichts taugten, aus
seiner beständigen Unruhe und Unentschlossenheit, daß wir sehr schlecht kommandiert wären, wenn wir angegriffen
würden. Er war so voll Furcht, daß er des Nachts den Schatten von Bäumen und andern Gegenständen für Feinde
ansah und wir deswegen die ganze Nacht auf den Füßen sein mußten. Die Herren vom Stab, des Königs Leutnant, der
Platz-Major und ich selbst machten ihm öfters Vorstellungen, um ihn einerseits wegen der Schwäche der Besatzung,
worüber er immer klagte, zu beruhigen, andererseits wegen unbedeutender Vorsorgen, die er traf, während er
wichtigere vernachlässigte. Er hörte sie an, schien sie zu billigen und handelte dann wieder ganz anders; darauf änderte
er wieder und zeigte in seinem ganzen Tun und Lassen die größte Unentschlossenheit. Obschon er mit seinem Stab und
den Offizieren seiner Garnison verabredet, das Äußere des Schlosses, wenn sie angegriffen werden, so lange als
möglich zu verteidigen, so befahl er dennoch den 12. Juli abends, daß wir uns gänzlich in das Innere der Festung
zurückziehen sollten und das Äußere verlassen, wo sich bis dahin die ganze Besatzung aufgehalten, welches ein
Posten war, wo man großen Widerstand leisten konnte. Nun waren wir hinter 80 Fuß hohen und 15 Fuß dicken Mauern,
auf die wir besseres Vertrauen hatten als auf die Geschicklichkeit des Befehlshabers.
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 Am Morgen des 14. Juli kamen Abgeordnete der Bürger und verlangten, daß man ihnen das Schloß übergebe. Ich
glaube, der Herr Gouverneur würde das getan haben, wenn nicht die Herren vom Stab und ich ihm deutlich zu
verstehen gegeben, daß dieses für ihre Ehre ungeziemend und nicht ihrer Schuldigkeit gemäß sei. Nachmittags um 3
Uhr wurden wir angegriffen. Eine Menge bewaffneter Bürger und auch einige von den französischen Garden
bemächtigten sich der Vorhöfe, die wir schon am Tag vorher verlassen. Der Gouverneur ließ bei jedem Tor nur einen
bewaffneten Mann, um dieses den Durchgehenden zu öffnen und wieder zu schließen. Die Fallbrücke und die Tore,
welche zum Schloß führten, wurden zerhauen. Dieses konnte leicht geschehen, weil es uns verboten war, dieselben
von den Türmen aus mit unserm Feuer zu schützen. Nun kam man zur letzten Pforte, welche hauptsächlich den
Eingang zur Festung bildet. Nachdem man die Belagerer umsonst ermahnt, sich zurückzuziehen, da wurde endlich
befohlen, auf dieselben zu schießen. Herr Launay hatte sich mit 30 Invaliden auf die Plattform begeben. 30 andere
Invaliden waren zu beiden Seiten des Portals in den Zimmern und Schießlöchern, um dasselbe zu beschützen. Es
kostete Mühe, bis sie sich dahin begaben. Erst nach vielem Zureden konnte man sie bewegen, auf die Feinde zu
schießen. Ich befand mich mit meiner Mannschaft im Hof des Schlosses, gegenüber dem Portal, wo ich die drei
Zweipfünder hatte, die von 12 Soldaten bedient wurden, um den Eingang zu beschützen, wenn das Portal
durchhauen wäre. Um ihnen den Vorsatz, den sie hatten, das Portal zu durchbrechen, beschwerlicher zu machen, ließ ich
in die aufgezogene Fallbrücke zwei Löcher hauen, worin ich zwei von meinen Stücken zu setzen gedachte, und
damit die Brücke zu wischen. Ich konnte aber mit selben nicht nahe genug herbeirücken, um sie mit Vorteil
gebrauchen zu können. Ich ließ deswegen in dieselben zwei Ramportgewehre hineinsetzen und sie mit Geschmetter
laden. Man konnte aber keinen großen Gebrauch davon machen, weil die Feinde sich hinter die Mauer der Vorhöfe
zurückgezogen hatten, von wo sie durch die Schießlöcher auf uns feuerten. Unterdessen hatten sie einen Wagen mit
brennendem Stroh auf den Eingang der Brücke gebracht und das Haus des Gouverneurs, welches im Hofe lag, in
Brand gesteckt. Dieses hinderte uns, daß wir den Feind nicht mehr in großer Anzahl sehen konnten. Sie hatten fünf
Achtpfünderstücke und einen Bombemkessel herbeigeführt, welche sie nicht weit davon in Batterie gesetzt, von wo
sie unsere Türme beschossen, von denen gegen sie mit unseren Kanonen gefeuert wurde. Auf diese Weise
scharmützten wir drei Stunden. Die Belagerer hatten, wie wir seither gehört, 160 Tote und Verwundete. Als die Feinde
sahen, daß ihr Geschoß ohnmächtig an den Mauern abprallte, machten sie Anstalten, die Tore einzubrechen und
brachten die Stücke auf die Brücke, welche zum Portal führt. Sobald Herr Launay diese Anstalten von den
Türmen aus sah, schien er gänzlich den Kopf verloren zu haben. Ohne jemanden vom Stab oder von der Garnison zu
beraten und seine Meinung zu vernehmen, ließ er durch einen Tambour das Zeichen zur Übergabe geben. Ich hörte auf
zu feuern, sah mich nach Herrn de Launey um, den ich im Begriffe fand, einen Zettel zu schreiben, worin er den
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Belagerern meldete: er habe 2000 Zentner Pulver in der Festung; wenn sie die Kapitulation nicht annehmen, dann werde
er die Festung, die Garnison und die ganze Gegend in die Luft sprengen. Ich macht ihm Vorstellungen und sagte: Wir
seien noch nicht dazu genötigt, wir haben noch keinen Schaden erlitten, die Tore seien noch unverletzt. Wir seien noch
nicht im Fall, uns übergeben zu müssen. Er war aber unfähig, etwas anzuhören und übergab mit den Zettel mit
dem Befehl, ihn dem Feinde zukommen zu lassen. Ich übermachte ihn durch eines der Löcher, die ich zuvor in die
Fallbrücke hatte schneiden lassen. Dies blieb ohne Wirkung. Man wollte nichts von Kapitulation wissen. Ein
allgemeines Geschei: Man solle die Tore öffnen und die Fallbrücke herbablassen - war die einzige Antwort. Ich
meldete dem Gouverneur, was vorgegangen und begab mich unverzüglich zu meinem Volk und erwartete den
Augenblick, wo Herr Launay seine Drohung vollziehen werde. Ich verwunderte mich sehr, als ich einen Augenblick
nachher vier Invaliden sah, die sich dem Portale näherten, dasselbe öffneten und die Fallbrücke herunterließen. In
einem Augenblick war die Festung mit Volk angefüllt, das sich unser bemächtigte und uns entwaffnete. Wir mußten
fürchten, auf hunderterlei Art ermordet zu werden. Man plünderte und verheerte das ganze Schloß. Wir verloren alles,
was wir bei uns hatten.
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 Endlich wurde ich mit einigen von meinen Soldaten, die während dieser Verwirrung bei mir geblieben, hinaus und nach
dem Rathaus geführt, auf dem ganzen Weg, welcher fast eine Viertelstunde weit ist, waren die Straßen und Häuser bis
auf die Dächer hinauf mit unzähligem Volk besetzt, welches mir nichts als Fluchworte und Drohungen zurief. Unterwegs
wurden zwei von meinen Soldaten von dem rasenden Volk ermordet und mehrere schwer verwundet. Ich selbst hatte
während dieses Zuges eine Menge von Bajonetten, Flinten, Degen und Spießen auf meinem Leib. Diejenigen, welche
keine Waffen hatten, hoben Steine gegen mich auf. Die Weiber knirschten mit den Zähnen und drohten mit den Fäusten.
So kam ich unter allgemeinem Geschrei, mit der Aussicht, aufgehängt zu werden, bis etwa 200 Schritte vom Rathaus
entfernt, als man schon den Kopf des Herrn Launay mir auf einer Lanze entgegenbrachte und und selben zum
Betrachten darbot. Endlich erreichte ich den Platz de Grève, welcher vor dem Rathaus ist. Man führte mich neben
dem ermordeten Platz-Major vorbei, der noch in seinem Blute lag. Man zeigte mir den Leib des Aide-Major. Gegenüber
war man im Begriff, zwei Invalidenoffiziere und drei Gemeine an einem Laternenpfahl aufzuhängen. Diese alle waren
noch kurz vorher bei mir, und ich pflegte mit ihnen umzugehen, seitdem ich in die Bastille gekommen. In dieser Aussicht
bestieg ich die Stiege des Rathauses. Man stellte mich einer Ratsversammlung vor und klagte mich an, daß ich auch
Schuld sei an dem Widerstand, den man in dem Schloß geleistet und an dem Blut, das vergossen worden. Ich suchte
mich, so gut als möglich, zu entschuldigen und sagte: Ich sei nicht schuld, da ich selbst ein Untergebener gewesen.
Wenn einiges Unglück durch mich geschehen, so komme das daher, weil ich die Befehle meiner Oberen vollzogen.
Endlich, um mich und die Ãœberbleibsel meines Volkes dem Strange zu entziehen, trug ich ihnen meine Dienste an und
übergab mich ihnen und der Nation. Ich erklärte, daß ich mit meinem Volke bereit sei, zu gehorchen, wenn ich einen
Dienst erweisen könne. Ob nun der Pöbel vom Morden müde war oder meine Verteidigung ihnen so überzeugend
schien - plötzlich änderten sich die Gemüter und eine allgemeines Händeklatschen und Geschrei: Bravo! Bravo!
Bravo! Suisse! zeigte mir, daß man mein Anerbieten angenommen und daß man mir Gnade wiederfahren ließ. (...)" In den
folgenden Abschnitten beschreibt Flue, daß ein Irrtum ihm die Sympathien des "versammelten Volkes" einbrachte, das
ihn nun für einen ehemaligen Staatsgefangenen hielt. Aussagen seiner Untergebenen machten seinen Wächtern
jedoch später klar, daß Flues Verhalten ein Hauptgrund für den Widerstand in der Bastille gewesen sei. Nach Flues
Auffassung rettete ihm nur die Intervention eines Unbekannten das Leben, der weiteres Blutvergießen nicht zulassen
wollte. Nach etwa zwei Wochen konnte Flue zu seinem Regiment zurückehren, das in Pontoise lag. Der Brief endet:
"Hier haben Sie den ganzen Verlauf der Begebenheit. Nun werden Sie urteilen können über verschiedene
Erzählungen, die bezüglich der Einnahme der Bastille verbreitet, und von denen Sie wohl auch gelesen haben. Daraus
können Sie nun schließen, was von der Verräterei des Herrn Launay, deren er beschuldigt wurde, zu halten ist. Aus
dem, was ich weiß und gesehen habe, kann ich nicht herausfinden, daß er gegen die Stadt oder die Bürgerschaft
verräterisch gehandelt. Wenn er das Schicksal, das er gelitten, verdient, so hat er es nicht von seiten der Nation
verdient."Â
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