Die ZEIT Nr. 7/2017

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DIEZEIT
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Aufstehen gegen Trump
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9. Februar 2017 No 7
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Diese Woche
in der ZEIT:
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Schon Sechsjährige
benutzen sie. Was
tun sie damit? Seite 73
Wie viel Gehalt
ist noch gerecht?
Manager wehren
sich gegen
eine Obergrenze
Titelfotos [M]: Go Nakamura/Redux/laif; Mike Segar/Reuters (v. l.)
Wirtschaft, Seite 19
Warten auf Busse
und Bahnen
Wo sie ihr Geld
wert sind
und wo nicht
Wirtschaft, Seite 22
In ganz Amerika formiert sich Widerstand gegen den Präsidenten – und zeigt Wirkung
DOSSIER
Die gute
Erkältung
Halsschmerzen
und Schnupfen
sind gesund
Wissen, Seite 33
MASSENMORD IN SYRIEN
WAHLEN IN FRANKREICH
HOOLIGANS
Henker des
eigenen Volkes
Unheimlich entspannt
Die Schande
von Dortmund
13 000 Hingerichtete – wohl ohne
Folgen für Assad VON ANDREA BÖHM
E
s gab schon genug schreckliche Be‑
richte von den Gräueltaten des Re­
gimes in Syrien. Und doch lässt sich
aus der jüngsten Do­ku­men­ta­tion
von Amnesty International etwas
Neues über das Re­gime des Baschar al-Assad
lernen. Viele westliche Politiker und Kom‑
mentatoren – darunter auch solche, die sich
links nennen – sehen mittlerweile in Assad einen,
wenn auch unappetitlichen Verbündeten im
»Krieg gegen den Terror«. Das ist er nicht.
Amnesty berichtet aufgrund Dutzender
Zeugenaussagen, dass zwischen 2011 und
2015 auf Anordnung von höchster Ebene bis
zu 13 000 Häftlinge hingerichtet wurden –
ohne Gerichtsurteil oder nach kurzem Schein‑
prozess. Es waren Morde am Galgen.
Wer waren die Opfer?
Assad zielte nicht auf die islamistischen
Hard­
liner ab. Deren Führer wurden schon
2011 größtenteils aus der Haft entlassen. Er
verfolgte vielmehr Ärzte, Rechtsanwälte, Leh‑
rer, Intellektuelle, kritische Militärs. Jene
Schicht also, die man für einen Übergang zu
demokratischeren Verhältnissen brauchte.
Assad wusste genau, wen er ermorden muss‑
te, um sich am Ende der internationalen Ge‑
meinschaft als »alternativlos« zu präsentieren.
Das ist die Logik, die sich aus den Recher‑
chen von Amnesty lesen lässt. Was folgt daraus?
Vielleicht doch die Einsicht, dass Assad
nicht das »kleinere Übel« ist. Verhandeln muss
man mit ihm trotzdem, dafür haben seine rus‑
sischen und iranischen Verbündeten gesorgt.
Aber selbst Moskau weiß, dass mit Assad auf
Dauer keine Befriedung Syriens möglich sein
wird. Es ist an der Zeit, ihm das Gefühl der Un‑
antastbarkeit zu nehmen. In Deutschland ha‑
ben vor einigen Monaten bereits sechs Juristen
Strafanzeige gegen Assad wegen Kriegsverbre‑
chen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
gestellt. Ein Akt der Hilflosigkeit? Keineswegs.
Assad selbst wird vermutlich nie auf einer
deutschen Anklagebank enden. Aber vielleicht
einige seiner Handlanger, die sich in Deutsch‑
land aufhalten. Dann könnte dem Versagen
europäischer Politik zumindest ein Si­gnal ent‑
gegengesetzt werden: dass im 21. Jahrhundert
eine Vernichtungskampagne gegen die politi‑
sche Op­po­si­tion nicht straflos bleiben kann.
www.zeit.de/audio
Wird Marine Le Pen Präsidentin, ändert sich für Deutschland
alles. Seltsam, dass dies so untergeht VON ELISABETH R AETHER
N
atürlich ist es interessant, was Lady
Gaga zu Donald Trump zu sagen
hat, wenn sie beim Super Bowl
im Glitzerkostüm auftritt, näm‑
lich Folgendes: Freiheit und Ge‑
rechtigkeit für alle! Dagegen kann niemand etwas
haben. Das Problem an dieser behaglichen Form
der Trump-Kritik ist, dass einem darüber ande‑
re Dinge entgehen. Zum Beispiel der unaufhalt‑
same Aufstieg von Marine Le Pen in Frankreich.
Sie kann die Wahl im Mai gewinnen, was
die deutsche Öffentlichkeit mit vollständiger
Leidenschaftslosigkeit zur Kenntnis nimmt. So
wie man in Seelenruhe mit 150 km/h auf eine
Wand zufährt. Wird schon schiefgehen.
Zwei Methoden der Selbstberuhigung gibt
es. Die erste geht so: Man glaubt fest daran,
dass Le Pen nicht gewinnen kann. Umfragen
sehen sie im ersten Wahlgang vorn, in der
Stichwahl aber fliegt sie raus. Allerdings ist es
nicht nur abenteuerlich, sich nach dem Jahr
2016 noch auf Umfragen zu verlassen. Der
Fall Fillon zeigt auch, wie dünn der Faden
ist, an dem alles hängt: Vor Kurzem noch
Hoffnung der Konservativen, am Montag
musste er die Franzosen um eine zweite Chan‑
ce bitten, weil sich der Verdacht erhärtet, er
habe Gelder veruntreut.
Und, ja, Emmanuel Macron ist sehr sym‑
pathisch. Die Kampagne des liberalen, unab‑
hängigen Kandidaten reißt mit, aber sie hat
auch etwas Selbstgestricktes. Macron ist keine
40 und hat alle gegen sich, nämlich beide etab‑
lierten Parteien sowie WikiLeaks-Gründer J­u­
lian Assange. Der hat schon damit gedroht, er
habe kompromittierendes Material. Was auch
immer es ist: Der Wettkampf zwischen Macron
und Le Pen ist ungleich. Ihm wird der kleinste
Fehler schaden, ihr kann nichts etwas anhaben.
Le-Pen-Anhänger wollen den Umsturz, Details
sind egal. Gespräche verlaufen ungefähr so:
Le-Pen-Anhänger: Das Beste an ihr ist ihre
Aufrichtigkeit.
Einwand: Hat sie nicht gerade das EU-Par‑
lament um Steuergelder betrogen?
Le Pen-Anhänger: Irgendwas ist immer.
Zweite Methode der Selbstberuhigung: Man
denkt, Le Pen könne gewinnen, sei aber so
schlimm gar nicht. Zum Beispiel leugne sie
nicht den Holocaust wie ihr Vater. Das stimmt.
Doch es heißt nicht, dass sie nicht alles in Schutt
und Asche legen wollte. Jedem, der ab und zu
nach Frankreich reist, sei empfohlen, eine ihrer
öffentlichen Wahlkampfveranstaltungen zu be‑
suchen. Dort kann man erleben, wie sie den
Frust Tausender anfeuert. Man muss kein Fran‑
zösisch können. Es reicht, auf sich wirken zu
lassen, wie der ohrenbetäubende Sprechgesang
anhebt, sobald Le Pen versichert, kriminelle
Ausländer auszuweisen, und dabei eine Hand‑
bewegung macht, mit der man Hunde verjagt.
Leute mit Talent zur Verdrängung können
noch dagegenhalten: Nicht schön, aber jeder,
wie er will, und delinquente Ausländer müssen
echt abgeschoben werden. Doch sollte man
sich nicht täuschen lassen. Le Pens Ideologie
treibt sie in ein radikales Projekt: Frankreichs
Ausstieg aus Nato, Euro und EU.
Für Deutschland ändert sich dann alles.
Wenn Frankreich in eine Bankenkrise gerät,
weil die Leute ihr Geld ins Ausland schaffen,
wenn die Kaufkraft schlagartig sinkt – die
Deutschen werden davon betroffen sein.
Und es wird das Ende der deutsch-französi‑
schen Freundschaft sein. Was ist deutsch-fran‑
zösische Freundschaft? Schüleraustausch und
Städtepartnerschaften? Offiziöse und zugleich
sentimentale Reden zu Feiertagen? Auch. Aber
es gibt noch andere Beispiele. 2003 konnten
die Deutschen beim Nein zum Irakkrieg blei‑
ben, weil die Franzosen auf ihrer Seite waren.
Die Sanktionen gegen Russland wären 2014
ohne Frankreich nicht möglich gewesen.
Ein Muster ist erkennbar: Sind Großmäch‑
te im Spiel, ist es gut, wenn der Nachbar zu‑
mindest dem Prinzip nach solidarisch ist, vor
allem wenn dieser über das Militär verfügt, das
man selbst nicht hat. Eine Präsidentin Le Pen
aber wird sich dem Prinzip nach mit Trump
und Putin bestens verstehen und gegen alles
sein, was in Deutschlands Interesse liegt, vor
allem wenn die Königin der Flüchtlinge wei‑
terregieren sollte. Laut Le Pen ist Deutschland
nämlich schuld am Unglück Frankreichs.
So ärgerlich das sein mag, es ist ein bisschen
zu spät, sich zu beklagen, dass Aufwiegler jetzt
die Themen vorgeben. Wo sind die Antworten
der Deutschen? Wo die Vorschläge derer, die
Europa nicht zerstören wollen? Fassungslos
schaut man auf den Trash-Populisten Trump.
Gleich nebenan siegt gerade die Demagogie
auf Weltniveau.
www.zeit.de/audio
Der Angriff auf Leipziger Fans ist ein
Politikum VON MARTIN MACHOWECZ
D
ie Ausschreitungen von Dort‑
mund am Samstag sind die Um‑
kehrung des Ost-West-Klischees.
Plötzlich kommen die Friedli‑
chen aus dem Osten und die
Wütenden aus dem Westen. Plötzlich werden
Anhänger eines ostdeutschen Vereins von west‑
deutschen Fans attackiert, weil sie zu erfolgreich
im Kapitalismus sind.
Der Fußball erlebt eine Re­
vo­
lu­
tion aus
dem Osten. Darum – und nicht nur aufgrund
ihrer Brutalität – gehen die hässlichen Ereig‑
nisse von Dortmund über den Sport weit hi‑
naus. Rücksichtslos attackierten Hunderte
BVB-Anhänger alle Menschen, die irgendwie
als Fans der Leipziger ausgemacht werden
konnten. Immer unter der Parole: »Ihr macht
unseren Sport kaputt!« – weil RB Leipzig vor
einigen Jahren vom österreichischen Red-BullKonzern gegründet wurde.
Doch verrät der Spruch von »unserem
Sport«, dass die wahren Motive der Gewalt­
täter ganz andere sind: Es ging ihnen nicht um
die Bewahrung von Werten und »Tra­di­tion«,
nicht um den Kampf der Kleinen gegen kapi‑
talistische Einflüsse im »Volkssport« Fußball.
Wäre das so, müsste man als Anhänger der
börsennotierten Borussia Dortmund GmbH
& Co. KGaA die eigenen Bosse und Sponso‑
ren kritisieren, nicht die Anhänger der anderen
Vereine halb bewusstlos prügeln.
Nein: Den Hooligans von Dortmund geht
es darum, den Fußball exklusiv zu halten. Ex‑
klusiv in den Händen der (westdeutschen)
Ver­eine, die schon immer da waren. Exklusiv
aber auch in den Händen derjenigen Schläger
und Extremisten, die in genau diesen »Tra­di­
tions­ver­einen« ganze Fankurven dominieren,
weil sie seit Langem schon die Kunst der Ein‑
schüchterung beherrschen.
Für Randalierer wie jene vom Wochenende
ist RB Leipzig die größte vorstellbare Bedro‑
hung. Ausgerechnet dieser ostdeutsche Club
verbindet zwei Dinge, die es zusammen im
deutschen Fußball sonst nirgendwo gibt: abso‑
lute Leidenschaft – und absolute Gewaltlosig‑
keit. Der Verein wirkt gegen Underdog-Ängste
im Osten, gegen Minderwertigkeitskomplexe
in Sachsen, gegen Wut in Leipzig. Er ist auch:
Gegengift gegen Pegida und Populismus.
www.zeit.de/audio
In den Augen von
Jil Sander
Die weltberühmte
Designerin gestaltet
die Mode-Ausgabe
des ZEITmagazins
PROMINENT IGNORIERT
65 Jahre ein Fels
Sie hat Stalin und Pol Pot über‑
lebt, den Sechstagekrieg und den
Krieg in Vietnam, die Sueskrise
und die Kubakrise, den Ungarn‑
aufstand und den Krieg in Nord‑
irland, die Rückeroberung der
Falklandinseln und den Fall der
Mauer, das Brexit-Votum und die
Inauguration Donald Trumps.
Elizabeth II sitzt seit 65 Jahren auf
dem englischen Thron – ein Fels
im Mahlstrom der Vergänglich‑
keit. God Save the Queen! GRN.
Kleine Bilder (v. o.): Cachetejack für DZ;
M. Mumby/Indigo/Getty Images
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