PREIS DEUTSCHLAND 4,90 € DIEZEIT 102786_ANZ_10278600009437_12746883_X4_ONP26_02 2 06.02.17 10:41 WO C H E N Z E I T U N G F Ü R P O L I T I K W I RTS C H A F T W I S S E N U N D KU LT U R Aufstehen gegen Trump Das neue Heft. Jetzt im Handel! Weitere Informationen unter www.zeit.de/zeitcampus 9. Februar 2017 No 7 102786_ANZ_10278600009437_12746883_X4_ONP26_03 3 06.02.17 10:41 Diese Woche in der ZEIT: ys Ha nd f ür er K ind Schon Sechsjährige benutzen sie. Was tun sie damit? Seite 73 Wie viel Gehalt ist noch gerecht? Manager wehren sich gegen eine Obergrenze Titelfotos [M]: Go Nakamura/Redux/laif; Mike Segar/Reuters (v. l.) Wirtschaft, Seite 19 Warten auf Busse und Bahnen Wo sie ihr Geld wert sind und wo nicht Wirtschaft, Seite 22 In ganz Amerika formiert sich Widerstand gegen den Präsidenten – und zeigt Wirkung DOSSIER Die gute Erkältung Halsschmerzen und Schnupfen sind gesund Wissen, Seite 33 MASSENMORD IN SYRIEN WAHLEN IN FRANKREICH HOOLIGANS Henker des eigenen Volkes Unheimlich entspannt Die Schande von Dortmund 13 000 Hingerichtete – wohl ohne Folgen für Assad VON ANDREA BÖHM E s gab schon genug schreckliche Be‑ richte von den Gräueltaten des Re gimes in Syrien. Und doch lässt sich aus der jüngsten Dokumentation von Amnesty International etwas Neues über das Regime des Baschar al-Assad lernen. Viele westliche Politiker und Kom‑ mentatoren – darunter auch solche, die sich links nennen – sehen mittlerweile in Assad einen, wenn auch unappetitlichen Verbündeten im »Krieg gegen den Terror«. Das ist er nicht. Amnesty berichtet aufgrund Dutzender Zeugenaussagen, dass zwischen 2011 und 2015 auf Anordnung von höchster Ebene bis zu 13 000 Häftlinge hingerichtet wurden – ohne Gerichtsurteil oder nach kurzem Schein‑ prozess. Es waren Morde am Galgen. Wer waren die Opfer? Assad zielte nicht auf die islamistischen Hard liner ab. Deren Führer wurden schon 2011 größtenteils aus der Haft entlassen. Er verfolgte vielmehr Ärzte, Rechtsanwälte, Leh‑ rer, Intellektuelle, kritische Militärs. Jene Schicht also, die man für einen Übergang zu demokratischeren Verhältnissen brauchte. Assad wusste genau, wen er ermorden muss‑ te, um sich am Ende der internationalen Ge‑ meinschaft als »alternativlos« zu präsentieren. Das ist die Logik, die sich aus den Recher‑ chen von Amnesty lesen lässt. Was folgt daraus? Vielleicht doch die Einsicht, dass Assad nicht das »kleinere Übel« ist. Verhandeln muss man mit ihm trotzdem, dafür haben seine rus‑ sischen und iranischen Verbündeten gesorgt. Aber selbst Moskau weiß, dass mit Assad auf Dauer keine Befriedung Syriens möglich sein wird. Es ist an der Zeit, ihm das Gefühl der Un‑ antastbarkeit zu nehmen. In Deutschland ha‑ ben vor einigen Monaten bereits sechs Juristen Strafanzeige gegen Assad wegen Kriegsverbre‑ chen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gestellt. Ein Akt der Hilflosigkeit? Keineswegs. Assad selbst wird vermutlich nie auf einer deutschen Anklagebank enden. Aber vielleicht einige seiner Handlanger, die sich in Deutsch‑ land aufhalten. Dann könnte dem Versagen europäischer Politik zumindest ein Signal ent‑ gegengesetzt werden: dass im 21. Jahrhundert eine Vernichtungskampagne gegen die politi‑ sche Opposition nicht straflos bleiben kann. www.zeit.de/audio Wird Marine Le Pen Präsidentin, ändert sich für Deutschland alles. Seltsam, dass dies so untergeht VON ELISABETH R AETHER N atürlich ist es interessant, was Lady Gaga zu Donald Trump zu sagen hat, wenn sie beim Super Bowl im Glitzerkostüm auftritt, näm‑ lich Folgendes: Freiheit und Ge‑ rechtigkeit für alle! Dagegen kann niemand etwas haben. Das Problem an dieser behaglichen Form der Trump-Kritik ist, dass einem darüber ande‑ re Dinge entgehen. Zum Beispiel der unaufhalt‑ same Aufstieg von Marine Le Pen in Frankreich. Sie kann die Wahl im Mai gewinnen, was die deutsche Öffentlichkeit mit vollständiger Leidenschaftslosigkeit zur Kenntnis nimmt. So wie man in Seelenruhe mit 150 km/h auf eine Wand zufährt. Wird schon schiefgehen. Zwei Methoden der Selbstberuhigung gibt es. Die erste geht so: Man glaubt fest daran, dass Le Pen nicht gewinnen kann. Umfragen sehen sie im ersten Wahlgang vorn, in der Stichwahl aber fliegt sie raus. Allerdings ist es nicht nur abenteuerlich, sich nach dem Jahr 2016 noch auf Umfragen zu verlassen. Der Fall Fillon zeigt auch, wie dünn der Faden ist, an dem alles hängt: Vor Kurzem noch Hoffnung der Konservativen, am Montag musste er die Franzosen um eine zweite Chan‑ ce bitten, weil sich der Verdacht erhärtet, er habe Gelder veruntreut. Und, ja, Emmanuel Macron ist sehr sym‑ pathisch. Die Kampagne des liberalen, unab‑ hängigen Kandidaten reißt mit, aber sie hat auch etwas Selbstgestricktes. Macron ist keine 40 und hat alle gegen sich, nämlich beide etab‑ lierten Parteien sowie WikiLeaks-Gründer Ju lian Assange. Der hat schon damit gedroht, er habe kompromittierendes Material. Was auch immer es ist: Der Wettkampf zwischen Macron und Le Pen ist ungleich. Ihm wird der kleinste Fehler schaden, ihr kann nichts etwas anhaben. Le-Pen-Anhänger wollen den Umsturz, Details sind egal. Gespräche verlaufen ungefähr so: Le-Pen-Anhänger: Das Beste an ihr ist ihre Aufrichtigkeit. Einwand: Hat sie nicht gerade das EU-Par‑ lament um Steuergelder betrogen? Le Pen-Anhänger: Irgendwas ist immer. Zweite Methode der Selbstberuhigung: Man denkt, Le Pen könne gewinnen, sei aber so schlimm gar nicht. Zum Beispiel leugne sie nicht den Holocaust wie ihr Vater. Das stimmt. Doch es heißt nicht, dass sie nicht alles in Schutt und Asche legen wollte. Jedem, der ab und zu nach Frankreich reist, sei empfohlen, eine ihrer öffentlichen Wahlkampfveranstaltungen zu be‑ suchen. Dort kann man erleben, wie sie den Frust Tausender anfeuert. Man muss kein Fran‑ zösisch können. Es reicht, auf sich wirken zu lassen, wie der ohrenbetäubende Sprechgesang anhebt, sobald Le Pen versichert, kriminelle Ausländer auszuweisen, und dabei eine Hand‑ bewegung macht, mit der man Hunde verjagt. Leute mit Talent zur Verdrängung können noch dagegenhalten: Nicht schön, aber jeder, wie er will, und delinquente Ausländer müssen echt abgeschoben werden. Doch sollte man sich nicht täuschen lassen. Le Pens Ideologie treibt sie in ein radikales Projekt: Frankreichs Ausstieg aus Nato, Euro und EU. Für Deutschland ändert sich dann alles. Wenn Frankreich in eine Bankenkrise gerät, weil die Leute ihr Geld ins Ausland schaffen, wenn die Kaufkraft schlagartig sinkt – die Deutschen werden davon betroffen sein. Und es wird das Ende der deutsch-französi‑ schen Freundschaft sein. Was ist deutsch-fran‑ zösische Freundschaft? Schüleraustausch und Städtepartnerschaften? Offiziöse und zugleich sentimentale Reden zu Feiertagen? Auch. Aber es gibt noch andere Beispiele. 2003 konnten die Deutschen beim Nein zum Irakkrieg blei‑ ben, weil die Franzosen auf ihrer Seite waren. Die Sanktionen gegen Russland wären 2014 ohne Frankreich nicht möglich gewesen. Ein Muster ist erkennbar: Sind Großmäch‑ te im Spiel, ist es gut, wenn der Nachbar zu‑ mindest dem Prinzip nach solidarisch ist, vor allem wenn dieser über das Militär verfügt, das man selbst nicht hat. Eine Präsidentin Le Pen aber wird sich dem Prinzip nach mit Trump und Putin bestens verstehen und gegen alles sein, was in Deutschlands Interesse liegt, vor allem wenn die Königin der Flüchtlinge wei‑ terregieren sollte. Laut Le Pen ist Deutschland nämlich schuld am Unglück Frankreichs. So ärgerlich das sein mag, es ist ein bisschen zu spät, sich zu beklagen, dass Aufwiegler jetzt die Themen vorgeben. Wo sind die Antworten der Deutschen? Wo die Vorschläge derer, die Europa nicht zerstören wollen? Fassungslos schaut man auf den Trash-Populisten Trump. Gleich nebenan siegt gerade die Demagogie auf Weltniveau. www.zeit.de/audio Der Angriff auf Leipziger Fans ist ein Politikum VON MARTIN MACHOWECZ D ie Ausschreitungen von Dort‑ mund am Samstag sind die Um‑ kehrung des Ost-West-Klischees. Plötzlich kommen die Friedli‑ chen aus dem Osten und die Wütenden aus dem Westen. Plötzlich werden Anhänger eines ostdeutschen Vereins von west‑ deutschen Fans attackiert, weil sie zu erfolgreich im Kapitalismus sind. Der Fußball erlebt eine Re vo lu tion aus dem Osten. Darum – und nicht nur aufgrund ihrer Brutalität – gehen die hässlichen Ereig‑ nisse von Dortmund über den Sport weit hi‑ naus. Rücksichtslos attackierten Hunderte BVB-Anhänger alle Menschen, die irgendwie als Fans der Leipziger ausgemacht werden konnten. Immer unter der Parole: »Ihr macht unseren Sport kaputt!« – weil RB Leipzig vor einigen Jahren vom österreichischen Red-BullKonzern gegründet wurde. Doch verrät der Spruch von »unserem Sport«, dass die wahren Motive der Gewalt täter ganz andere sind: Es ging ihnen nicht um die Bewahrung von Werten und »Tradition«, nicht um den Kampf der Kleinen gegen kapi‑ talistische Einflüsse im »Volkssport« Fußball. Wäre das so, müsste man als Anhänger der börsennotierten Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA die eigenen Bosse und Sponso‑ ren kritisieren, nicht die Anhänger der anderen Vereine halb bewusstlos prügeln. Nein: Den Hooligans von Dortmund geht es darum, den Fußball exklusiv zu halten. Ex‑ klusiv in den Händen der (westdeutschen) Vereine, die schon immer da waren. Exklusiv aber auch in den Händen derjenigen Schläger und Extremisten, die in genau diesen »Tradi tionsvereinen« ganze Fankurven dominieren, weil sie seit Langem schon die Kunst der Ein‑ schüchterung beherrschen. Für Randalierer wie jene vom Wochenende ist RB Leipzig die größte vorstellbare Bedro‑ hung. Ausgerechnet dieser ostdeutsche Club verbindet zwei Dinge, die es zusammen im deutschen Fußball sonst nirgendwo gibt: abso‑ lute Leidenschaft – und absolute Gewaltlosig‑ keit. Der Verein wirkt gegen Underdog-Ängste im Osten, gegen Minderwertigkeitskomplexe in Sachsen, gegen Wut in Leipzig. Er ist auch: Gegengift gegen Pegida und Populismus. www.zeit.de/audio In den Augen von Jil Sander Die weltberühmte Designerin gestaltet die Mode-Ausgabe des ZEITmagazins PROMINENT IGNORIERT 65 Jahre ein Fels Sie hat Stalin und Pol Pot über‑ lebt, den Sechstagekrieg und den Krieg in Vietnam, die Sueskrise und die Kubakrise, den Ungarn‑ aufstand und den Krieg in Nord‑ irland, die Rückeroberung der Falklandinseln und den Fall der Mauer, das Brexit-Votum und die Inauguration Donald Trumps. Elizabeth II sitzt seit 65 Jahren auf dem englischen Thron – ein Fels im Mahlstrom der Vergänglich‑ keit. God Save the Queen! GRN. Kleine Bilder (v. o.): Cachetejack für DZ; M. Mumby/Indigo/Getty Images Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. 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