Kreis Lippe SEITE 29 LIPPISCHE LANDES-ZEITUNG NR. 205, DIENSTAG, 2. SEPTEMBER 2008 Kabul hinter Panzerglas Eindrücke aus einer geschundenen Stadt ■ Kabul. Als Transportpanzer vom Typ „Fuchs“ die deutsche Journalistengruppe, zu der auch ein Vertreter der LZ gehört, aus dem Lager „Camp Warehouse“ Richtung Kabul-Innenstadt transportieren, wird kurzfristig die Hauptstraße gesperrt. Dann nimmt unsere Kolonne den gesamten Raum auf den Fahrbahnen in die Stadt ein, alle anderen Fahrzeuge müssen mit Abstand dahinter bleiben. Aus Sicherheitsgründen, die Straße gilt als Ziel von Anschlägen. Hupend schaffen sich die Panzer ihren Platz nach vorn, stecken bleiben wäre das schlimmste. Die Soldaten stehen in den offenen Luken, die Waffen im Anschlag. Das sieht besatzermäßig, martialisch aus, nicht freundlich. Doch die Soldaten sehen darin Sicherheit für sich und ihre Fracht. „Signifi kant“ sei die Lage in Kabul, ist im „Camp Warehouse“ zu lesen, lang ist die Liste mit Anschlagswarnungen. Wenn sich ein Fahrzeug zu eng dem Konvoi nähert, bekommt der Fahrer deutliche Zeichen, im Notfall, so sagen die Männer, würden sie schießen. Nur durch einen kleinen Sehschlitz in der Hecktür des Radpanzers ist etwas von der Stadt zu erblicken, besser zu erahnen. Brüchig ummauerte Höfe rasen vorbei. Kleine Hütten, Ruinen, dazwischen Zeilen mit kleinen Läden oder Werkstätten. Das Leben in Kabul, so viel kann man sehen, spielt sich auf den Straßen ab. Kinder an Wasserstellen winken den Panzern hinterher, aber die Soldaten winken nicht zurück. Als sich die Panzertüren wieder öff nen, stehen wir in einer anderen Welt. Das Irene Salimi Childrens Hospital ist neu, wirkt modern und freundlich. In großen Zimmern liegen 6 bis 8 der kleinen Patienten, begleitet von ihren Müttern. 50 Plätze hat das Krankenhaus, das weitgehend aus deutschen Spenden finanziert wird. Auch die Einsatzunterstützungskompanie der Bundeswehr in Kabul fördert das Hospital. Hier werden Kinder behandelt, die chirurgische oder orthopädische Eingriffe erdulden müssen, beispielsweise die Korrektur von Missbildungen. Gleichzeitig werden Arbeitsmöglichkeiten für Afghanen geschaffen. Zentral liegt ein großes Spielzimmer mit Kuscheltieren, Kasperletheaterfiguren, Lego-Steinen und Spielautos. Auch eine eigene Schule hat das Hospital, in das Eltern aus dem ganzen Land ihre Kinder bringen. „Manchen hat es hier so gut gefallen, dass sie gar nicht wieder wegwollten“, sagt Azis, unser junger Dolmetscher, lächelnd. Nichts lässt sich leichter glauben als das. Ein Morgen in Kundus: Hinter dem Rollfeld des Flugplatzes geht die Sonne auf. Der Silberstreif am Horizont wird schmaler DER HINTERGRUND: Die Augustdorfer Soldaten stehen in Afghanistan vor schweren Aufgaben ■ Mazar-I-Sharif / Augustdorf (te). Seit dem Mittwoch vergangener Woche hat es drei Angriffe auf deutsche Patrouillen nahe Kundus in Nordafghanistan gegeben, und an einem Checkpoint von deutschen und afghanischen Einheiten wurden eine Frau und zwei Kinder erschossen, weil der Fahrer ihres Wagens alle Haltezeichen ignoriert hatte. Wie gefährlich ist der Einsatz? Wer danach fragt, erhält von den Militärs Antworten, die je nach Ebene unterschiedlich ausfallen. Im Hauptquartier der ISAF in Kabul hat sich die Lage in Afghanistan für den deutschen Stabschef, General Hans-Lothar Domröse, im Vergleich zum vergangenen Jahr nicht verschlechtert – aber auch nicht verbessert. Er lenkte am vergangenen Donnerstag den Blick auf Faktoren, die nicht Schwer bewaffnet: Ein Soldat am Turm-MG des Transportpanzers militärischer Art sind: Es fehlen für die Fahrt durch Kabul. Arbeitsplätze, Industrie, Auf- bau. Domröse fasst das in dem englischen Wort „built“ (bauen) zusammen. Das könne das Militär nicht, das müssten andere tun. „Clear“ und „hold“ – klären und halten – das sei den Soldaten möglich, doch es fehle an Wertschöpfung. Das derzeitige Einsatzkontingent wird zu großen Teilen von der Panzerbrigade 21 aus Augustdorf getragen. Deren Chef ist General Jürgen Weigt, gleichzeitig Ober- Jürgen Weigt kommandierender für Nordafghanistan. „Angespannt“ nannte er die Lage am vergangenen Samstag, unmittelbar unter dem Eindruck der Ereignisse. Regional und örtlich gesehen würden die Zwischenfälle das Verhältnis der Bevölkerung zu den Der Weg zurück Trauer: Soldaten in Masar-ISharif gedenken des getöteten Hauptfeldwebels Micha Meier. ten „Quick Reaction Force“, unmittelbar nach dem Tod des Hauptfeldwebels in Kundus am Mittwoch gesagt. Den Angehörigen seiner Soldaten riet er aber zur Ruhe. „Wir haben das, was Die Logistiker haben gut zu tun VON THORSTEN ENGELHARDT N Schreiben Sie dem Autor: [email protected] ISAF-Truppen natürlich beeinflussen. Aber die Bundeswehr werde ihre Anstrengungen genauso fortsetzen. „Es wird jetzt darum gehen, das gute Ansehen Deutschlands nicht nachhaltig zu betrüben“, sagt er. Allgemein heißt es, die Deutschen genießen ein hohes Ansehen. Aber was die Menschen dort denken, ließ sich für unsere Journalistendelegation letztlich nicht herausfinden. Alle von der Bundeswehr vorgesehenen Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme mit Einheimischen wurden gestrichen: eine Patrouillenfahrt aus Sicherheitsgründen, ein abendliches Barbecue mit afghanischen Journalisten aus Rücksicht auf die Trauerfeier für den gefallenen Hauptfeldwebel. „Dieser Zwischenfall macht uns betroffen. Das kann uns allen passieren“, hatte Oberstleutnant Gunnar Brügner, Kommandeur der vom Augustdorfer Panzergrenadierbataillon 212 gestell- Schrauben per Luftfracht KOMMENTAR ach vier Tagen in Afghanistan wäre es die pure Arroganz, zu behaupten, ich hätte begriffen, was in diesem Land geschieht. Aber es ist mir klar geworden, dass auch die deutschen Soldaten der ISAF-Schutztruppe sich längst in einem Krieg befinden. Und in einer Zwickmühle: Ohne die ISAF-Soldaten, davon bin ich überzeugt, wird es für die Afghanen überhaupt keine Ruhe geben. Deshalb kann ein sofortiger Rückzug keine Lösung sein, obwohl ich wie jeder froh wäre, wenn die vielen Soldaten aus Augustdorf und den anderen Standorten bald wieder nach Hause zurückkehren könnten. Auf der anderen Seite wird die „International Security Assistance Force“ allein die Probleme des Landes nicht lösen können. Der Weg in die Heimat führt nur über Bildung und Arbeit für die Afghanen. FOTOS ENGELHARDT 55 000 Liter Sprit zum Fahren und Fliegen ■ Masar-I-Sharif (te) 30 000 Liter Dieselkraftstoff werden von der Bundeswehr in Nordafghanistan am Tag benötigt. Nicht nur für die Fahrzeuge, sondern auch, um das eigene Kraft werk im „Camp Marmal“ in Masar-I-Sharif zu betreiben. 25 000 Liter Flugbenzin für Tornado-Aufk lärungsflugzeuge, Hubschrauber und Transall-Transporter kommen noch hinzu. Angeliefert wird das alles von privaten Firmen, die die Betriebsstoffe in Karachi, Pakistan, von Schiffen übernehmen und dann durch das Land bis in den Norden Afghanistans fahren. Das sei sehr zuverlässig, sagt Oberstleutnant Jochen Deuer, Chef des Logistik-Bataillons in Masar-I-Sharif. Oberleutnant Marco Obermaier (Foto) und seine Leute haben ein Auge darauf, dass der Sprit auch den Qualitätsanforderungen genügt, wenn er angeliefert wird. Dafür ist eigens ein Labor eingerichtet worden, in dem Proben untersucht werden, bevor der Tankwagen abladen kann. Außerdem werden die Tankfahrzeuge von Kampfmittelräumern untersucht, bevor sie an die Einfallstutzen fahren dürfen. ■ Masar-I-Sharif. (te) 3202 Soldaten aus Deutschland sind derzeit in Afghanistan stationiert, rund 1100 davon aus Augustdorf. Allein im „Camp Marmal“, dem Hauptfeldlager, gelegen bei Masar-I-Sharif, werden pro Tag 400 Kubikmeter Wasser verbraucht. Für den Nachschub jeder Art ist das Logistik-Unterstützungsbataillon zuständig. Vor dem Stab des Bataillons zeigt ein Wegweiser an: Von hier sind es 4807 Kilometer nach Augustdorf. Pioniere aus der Garnison in der Senne stellen einen Teil der Logistik-Truppe, die unter dem Kommando von Oberstleutnant Jochen Deuer vom Logistikbataillon 7 in Unna steht. Die Pioniere sind unter anderem für die Wasseraufbereitung zuständig, sie bessern aber auch Straßen und Brücken aus, bauen Checkpoints – aber auch schon mal einen Kinderspielplatz in einem Dorf. Nachschub und Unterstützung des Infrastrukturaufbaus gehören zu ihrem Auftrag. Vom Toilettenpapier bis zum Schützenpanzer wird alles Gut per Luftfracht eingeflogen, auch die Lebensmittel. Was das alles kostet, vermag der Oberstleutnant nicht zu nennen. Vier Brunnen versorgen das Camp mit Wasser. Marketenderwaren wie Zigaretten kommen per Schiff, werden in Karachi in Pakistan dann auf Lkw von Privatfirmen verladen und Richtung Nordafghanistan gebracht. Kleinere „Handkäufe“ und Baumaterial stammen aus Afghanistan selbst. Zu den Aufgaben der Logistiker gehört auch die Instandhaltung der Fahrzeuge. Dabei stellten die klimatischen Bedingungen die größten Herausforderungen, sagt Deuer. Zum Beispiel seien immer wieder Klimaanlagen ausgefallen. Fahren auch ohne ASU Alle 10 000 Kilometer müssen an den Geländewagen vom Typ „Wolf“ die Stoßdämpfer ausgewechselt werden. Vorschriften, die den Einsatz behinderten, gebe es nicht, beteuert Deuer. Zwar müssen auch die Militärfahrzeuge eine Abgasuntersuchung über sich ergehen lassen, aber der Offizier macht klar: „Wenn ein Fennek (ein Panzerspähwagen) gebraucht wird, fährt er auch ohne ASU raus.“ wir brauchen. Wir sind gut ausgestattet.“ Deutlich spürbar war in den Tagen aber die Niedergeschlagenheit bei den Soldaten. Dass am Donnerstagabend eine Frau und zwei Kinder getötet worden sind, ist nicht nur an sich fürchterlich, es macht auch die ISAFAufgabe noch mal sehr viel gefährlicher. „Niemand bleibt von den Ereignissen unbeeindruckt“, sagte General Weigt. Auch, weil die Soldaten es mit einem so schön „asymmetrisch“ genannten Konflikt zu tun haben. Ihr Gegner greift nicht an, sondern legt Hinterhalte, er ist nicht genau zu identifizieren. „Taliban“ könnten es genau so sein, wie Kriminelle oder Volksgruppen, die sich im Vergleich zu anderen benachteiligt sehen. Die Wahrheit ist in Afghanistan vielschichtiger als man es aus dem 5200 Kilometer entfernten Deutschland erkennen kann. FRAGEN UND ANTWORTEN Der Alltag W as bedeutet das Leben in den nordafghanischen Feldlagern? Hier einige Alltagsfragen und ihre Antworten: Wie leben die Soldaten? Das ist unterschiedlich. In Masar-I-Sharif bestehen die Unterkünfte zumeist aus langen Containersiedlungen. In Kundus gibt es auch fest gemauerte Häuser in Atrium-Bauweise. Aber es wird auch in Zelten übernachtet, die mit Fußboden und – wie alle anderen Unterkünfte auch –Klimaanlagen ausgestattet sind. Wie essen sie? Die Verpflegung wird in Masar von einem privaten Unternehmen sichergestellt, das die Küche betreibt. In Kundus haben die Soldaten ihre eigene, von Bundeswehrangehörigen betriebene Küche. Wie ist die medizinische Versorgung organisiert? Die Camps verfügen über eigene Rettungszentren, mit kleiner Intensivstation. Für den Transport Schwerstverletzter stehen eine „Medevac“-Transall und Hubschrauber bereit. In Köln wartet zudem immer ein Airbus als fliegende Intensivstation. (te)
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