Einer, der auszog, um den Frieden zu suchen

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Einer, der auszog, um den Frieden zu
suchen
Simon Jakob und seine Peacemaker-Tour
Das Gespräch führt Dalia El Gowhary
Sendung: Freitag, 3. Februar 2017, 10.05 Uhr
Redaktion: Petra Mallwitz
Produktion: SWR 2017
Bitte beachten Sie:
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TRANSKRIPT
Dalia El Gowhary:
Herr Jakob, können Sie mir etwas über ihr Projekt erzählen?
Simon Jakob:
Wir als die Nachfahren derer die nach Deutschland geflohen sind und um hier
Frieden und Ruhe zu suchen, wir haben uns überlegt, was müssen wir tun um dem
Bild entgegenzusetzen, welches zum Beispiel Extremisten hier in Europa an den Tag
legen, sei es jetzt die Al-Nusra oder jetzt vor allem der Islamische Staat, durch die
Brutalität; die es an den Tag legt und wir haben uns gefragt, ist die nahöstliche
Gesellschaft wirklich so, sind alle nur davon beseelt den anderen umbringen zu
wollen, den Kopf abschneiden zu wollen oder ähnliches. Gerade die Nachfahren
derer die aus dieser Region kommen, wissen, dass dem nicht so ist, denn Krieg und
Gewalt gehen immer von einer Minderheit aus, die die Mehrheit terrorisiert, die ihnen
Angst macht, sei es in Ägypten in Tunesien oder vor allem in Syrien oder im Irak.
Also haben wir uns vor einem Jahr zusammengesetzt, was müssen wir tun, um der
Gesellschaft zu beweisen, dass Frieden in diesen Regionen möglich ist. Vielleicht
nicht nach unseren politischen Maßstäben, aber nach der Sichtweise einer jungen
Generation, die genug hat von Krieg und Terror. Und wenn wir sagen eine junge
Generation, dann meinen wir Christen, Muslime, Schiiten, Sunniten, Atheisten, eine
junge Generation die dort nach etwas strebt. Also haben wir uns auf den Weg
gemacht und bereisten all diese Länder. Und Ziel war es nicht nur, uns mit Politikern
zu unterhalten oder Geistigen, sondern wir wollten uns ganz einfach mit dem
einfachen Menschen dort unterhalten, dem jungen Studenten, der jungen Studentin,
der jungen Kämpferin, die im Norden Syriens gegen den Islamischen Staat kämpft,
dem Vater, der seine Kinder verloren hat, die Mutter, die weint, die Tochter, die
vergewaltigt wurde, ich denke, es ist wichtig ein Bild der Gesellschaft zu projizieren,
wie es real existiert und nicht die Sichtweise der Politiker, die immer wieder ihre
Gegebenheiten an den Tag legen um etwas erreichen zu können.
Dalia El Gowhary:
Wie kam es zur Initialzündung? Es ist ja auch eine lange Vorbereitungszeit. Erzählen
Sie mir mehr darüber.
Simon Jakob:
Ja, was musste ich als Junge aufgeben, ich bin natürlich auch Angestellter gewesen,
wie viele Andere, in einem Großunternehmen, ich hatte einen Seniorposten und ich
habe mir irgendwann die Frage gestellt, was muss ich tun um der Gesellschaft zu
zeigen, dass die Menschen dort anders sind, um Brücken schlagen zu können, das
war für mich eine ideologische Entscheidung und ich habe für mich gesagt, ok, ich
werde mein Manager-Verhältnis kündigen, weil so eine Reise bedarf natürlich
mehrerer Monate Vorbereitungszeit, auch Investitionen und ich hatte mir einiges
angeschaut und ich habe mir gesagt, ich kündige einfach meinen Arbeitsplatz. Viele
haben mich für verrückt gehalten und dachten, wie kannst du deine Karriere aufs
Spiel setzten, für eine Idee, die vielleicht verrückt klingt. Also jetzt muss man
hinzufügen, dass Menschen mit einem nahöstlichen Bezug, Ideen die man hier
vielleicht für verrückt hält, für ganz normal halten, weil die an etwas glauben, die
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bringen die Leidenschaft mit, die nötig ist. Ich kündigte meinen Arbeitsplatz und hatte
eigentlich vor, nach der längeren Reise wieder zurückzukommen, und so nahmen wir
das Ganze in Angriff. Wir setzten uns zusammen mit mehreren anderen Freunden,
Journalisten, Unterstützern, machten einen Zeitplan, wie wir das Ganze angehen, wir
sagten, wir starten mit Türkei, Istanbul, das war im September, kurz vor den Wahlen.
Ja und so begann unsere Reise in Istanbul, mit einigen Unterstützern aus
Deutschland und wir hatten eine grobe Reiseroute, die uns über den gesamten
nahen Osten, inklusive der Kaukasusregion bringen sollte. Ja, und die Reise dauerte
insgesamt, die ersten Etappen, sechs Monate, Start Türkei, über die südöstliche
Region der Türkei, Georgien, Armenien, Syrien, Irak und zuletzt den Iran. Und
während all dieser Reisen machten wir unzählige Interviews und
überraschenderweise, das ist etwas, was für uns eigentlich wunderbar war, jedem
dem wir davon erzählten, von diesem Projekt, jeder öffnete uns die Tür und sagte, ihr
müsst zu uns kommen, berichtet darüber, das ist wichtig, gebt uns eine Stimme.
Dalia El Gowhary:
Sind dadurch auch die vielen Kontakte zustande gekommen? Ich habe gesehen, Sie
haben unheimlich viele Kontakte dort in den einzelnen Ländern aufnehmen können.
Sind sie zustande gekommen durch Mund-zu-Mund Propaganda oder wie?
Simon Jakob:
Also viele Kontakte bestanden schon vorher, insbesondere die orientalischen
Kirchen, sei es jetzt die koptische Kirche, die syrisch-orthodoxe Kirche war hier
unterstützend zur Stelle, aber auch sehr viele ehrenamtliche Mitarbeiter in
Deutschland, die ihre Wurzeln in diesen Regionen hatten. Durch die ersten Kontakte
sind dann noch mehr Kontakte zustande gekommen, das heißt, es sprach sich sehr
schnell herum, dass junge Menschen aus Deutschland hier sind, die Aktivität an den
Tag legen, die sozialen Medien nutzen, einen Blog haben, Fotos machen, Interviews
führen und ähnliches, und wenn ich ehrlich bin, wir hatten noch gar nicht mal genug
Zeit um alle Menschen zu interviewen, um alle regionalen Politiker zu besuchen, aber
die Türen wurden uns weit, weit geöffnet, die Gastfreundschaft war immens, aber
eine Botschaft war immer wieder markant und jeder hatte das immer mitgesagt: Sagt
der Welt da draußen, sagt den Menschen in Europa, in Deutschland, wir sind keine
Extremisten, wir suchen den Frieden, wir möchten Ruhe haben und bitte helft uns
dabei und denkt nicht, dass wir alle so sind, ganz im Gegenteil, die Mehrheit der hier
lebenden Menschen ist friedlich, aber helft uns Frieden zu schaffen. Ich habe Höhen
und Tiefen erlebt, ich habe sehr viel Frieden gesehen, ich habe eine Gesellschaft
gesehen, die sehr wohl Willens ist, Frieden zu schaffen, die sehr wohl bereit ist, die
Waffen niederzulegen, die sehr wohl imstande ist auch eine Gesellschaft zu formen,
die friedlich ist, aber ich habe auch das Gegenteil entdeckt, angefangen von den
Massengräbern des Islamischen Staats bis hin zur Zerstörungswut der Extremisten,
die Angst, der Terror, all das habe ich auch gesehen. Und das, was sie tun ist
übrigens ein Resultat auch einer Politik die wir mitgestaltet haben aus dem Westen
heraus, weil wir Jahrzehnte auf eine Politik gesetzt haben, die vielleicht für unsere
wirtschaftlichen Möglichkeiten förderlich war, aber letzten Endes eigentlich zu dieser
Situation geführt hat.
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Dalia El Gowhary:
Sie hatten ein Team vor Ort, die haben für ihre Sicherheit gesorgt, an einem Punkt
sind Sie alleine weitergereist, wie war das für Sie?
Simon Jakob:
Also wir hatten erst einmal in der Türkei, in Georgien, Armenien Freunde, die mit uns
immer dabei waren, manche aus Deutschland, manche vor Ort, manche haben uns
ein paar Tage begleitet, andere für Wochen, das waren so praktisch unsere Guides,
unsere Scouts, wenn man das so nennen darf. Ab Syrien und Irak musste ich die
meisten meiner Freunde, auch die aus Deutschland, die etappenweise mitkamen,
zurücklassen, weil die Situation für sie einfach zu gefährlich war, das zum einen, und
zum anderen das, was wir dort erblicken sollten auch für ihr Gemüt nicht in Ordnung
war, es wäre schwierig für sie gewesen. Ab Syrien und dem Irak war ich in
Begleitung von Freunden aus Sicherheitskreisen, Milizionäre, Soldaten, die mich
ständig begleitet haben, weil ohne ihre Sicherheit wäre ich entführt worden, hätte
man mich gefangen genommen oder sonst etwas, es ging sogar so weit, dass ich zu
politischen Terminen mit einem gepanzerten Fahrzeug abgeholt wurde und wieder
zurückgefahren wurde.
Dalia El Gowhary:
Sie haben gesagt, sie sind in der Türkei gestartet, sind dann weitergefahren, in
Richtung ja eigentlich Syrien und dem Irak. Sie haben gerade auch den IS
angesprochen, was hat Sie da besonders schockiert, was Sie vielleicht nicht so nicht
erwartet haben?
Simon Jakob:
Seit fünf Jahren berichte ich aus der Region und ich habe einiges an Brutalitäten
erlebt und die Türkei an sich war ab Istanbul bis Izmir zur Ägais wunderbar,
wunderschön, teilweise bin ich zu Fuß oder mit dem Motorrad weitergekommen, ab
und zu auch mit dem Fahrrad. Die Situation in der Südosttürkei war schwierig
aufgrund der rechtlichen Situation für die Minderheiten, vor allem für die Kurden, aber
am meisten schockiert hat mich dann, als ich dann wieder mal im Irak war und in
Syrien vor allem die Brutalität des IS gegenüber Andersgläubigen, gegenüber
Kuffars, wie sie sie nennen, gegenüber Christen, Jesiden, Schiiten und Frauen vor
allem, aber ich kann mich noch erinnern, ich bin durch die zerbombten Straßen
Sinjas gelaufen und Sinja ist ein strategischer Drehpunkt zwischen Rakka in Syrien
und Mossul. Diese Stadt ist komplett zurückerobert worden, allerdings durch massive
Bombardements. Da steht kein Stein mehr auf dem anderen. Und als ich so die
Straße entlanglief, und da bin ich ehrlich, da habe ich völlig empathielos und wenn
man das so sagen darf, da waren überall verbrannte und zerfetzte Leichen und
Hunde haben an dem Fleisch genagt, nur, das muss man sich vorstellen, das macht
einem irgendwann nichts mehr aus. Man sieht sich das an, und es macht einem
überhaupt nichts mehr aus, und neben so einer halb verwesten, halb verbrannten
Leiche, die nach Barbecue gerochen hat, das erste was man gedacht hat, die riecht
ja nach Barbecue wie in Europa, wie in Deutschland, mehr Gedanken hatte ich dazu
nicht. Und "soll diese Leiche noch tausendmal verbrennen", es war ein Dschihadist.
Also, als ich diese Leiche entdeckte und mit meiner Arbeit beschäftigt war und
fotografierte, fand ich neben der Leiche eine Art Fotoalbum und ich habe mich
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gefragt, was sucht ein Monster, ein widerwärtiges Wesen, welches Kinder
abschlachtet, was fängt es mit einem Fotoalbum an, warum hat er das
mitgenommen. Und meine ersten Gedanken waren, da ist eine Sprengfalle drin,
wenn ich das aufhebe, dann bin ich tot. Ich muss ehrlich zugeben, es hat mich
zunächst Überwindung gekostet, aber ich habe dieses Album aufgehoben und als ich
dieses Album aufmachte und blätterte und blätterte und blätterte, da überkam mich
ein Schockzustand. Ich zitterte an den Händen und ich hab plötzlich angefangen
wieder etwas zu fühlen, zu spüren, eine innige Kraft, die mich fast zum
Zusammenbruch brachte, nach all den Jahren in diesen Kriegsregionen war ich so
erkaltet, dass ich etwas in meinem Herzen selber nicht mehr erkannt hatte. In diesem
Album sah ich plötzlich Bilder von diesem "Monster" in Anführungszeichen, diesem
Dschihadisten, mit seinen Kindern, seiner Tochter, mit seinen Frauen, ich sah in
einem Bild, da sah man wie er gerade den Kopf der Tochter streichelte, ihre Haare,
und ab dem Moment wurde mir eines klar, ich bin selber zu dem Monster geworden
innerlich, dass ich nie werden wollte. Also ich habe nach Frieden gesucht aber
letzten Endes habe ich das Gefühl für Frieden verloren, und in dem Moment in dem
ich das realisierte, bin ich innerlich fast zusammengebrochen. Ich bin innerlich fast
zusammengebrochen, weil ich einfach nicht mehr konnte, ich habe realisiert, dass
das, was hier neben mir liegt, diese verbrannten Knochen und diese halb verweste
Leiche, dass das ein Vater war und der hat Familie, er hat Kinder, er hat Frauen und
der Krieg hat da plötzlich ein Gesicht bekommen. In diesem Moment kam mir mein
Glaube zu Hilfe, in diesem Fall mein christlicher Glaube und ich habe mich wirklich
hingekniet und neben dieser Leiche war eine zerstörte Kirche und ich suchte in
diesem Trümmerhaufen, in dieser zerstörten Kirche, obwohl sie vermint war, nach
irgendeinem Symbol, irgendetwas was mich aufwecken konnte und ich habe ein
Kreuz gefunden, ich habe das Kreuz aufgestellt und habe mich hingekniet und habe
gesagt, Gott, vergib mir, vergib mir bitte, dass ich, dass ich so unmenschlich war,
vergib mir, dass ich deine Schöpfung verachtet habe und vergib mir all den Hass,
den ich in mir habe, weil ich habe nicht danach gesucht und ich bitte dich darum, hilf
diesem Menschen, der da verbrannt ist, lass ihn zu dir, nimm seine Seele zu dir,
verzeih ihm, aber noch wichtiger, schütze seine Frau, seine Kinder, seine Tochter,
sie können nichts dafür. Das ist seine Familie, sie können nichts dafür, für das, was
einige wenige anstellen, aber das wird das Ziel unseres Projektes sein, unter all dem
Hass den wir erblicken, unter all dem Hass, sollten wir trotzdem den Frieden und die
Menschlichkeit bei uns bewahren und das war für mich die wichtigste, die wichtigste
Lektion die ich dort gelernt habe.
Dalia El Gowhary:
Wow, das muss man sich erst mal vor Augen halten, was Sie da alles erlebt haben.
Wie ist das mit den Gesprächspartnern. Gibt es da jemanden, der gar nicht mehr aus
Ihrem Kopf rausgeht?
Simon Jakob:
Ja, tatsächlich neben all den vielen Gesprächen die ich hatte, war es ein sunnitischer
Clanführer in Syrien der mit mir ein hochgradig interessantes Gespräch geführt hat,
kurz vor der Frontlinie und dieser sunnitische Clanführer, der in Rakkah seine Familie
hat, sagte zu mir, ich habe mich dem Kampf gegen den IS angeschlossen
gemeinsam mit Christen, weil ich diese Art des Islams, diese Art der Gewalt hier
nicht haben möchte. Ich möchte dagegen angehen und ich möchte einfach dagegen
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kämpfen, weil das nicht meine Zukunft ist, es ist nicht die Zukunft meiner Kinder, es
ist nicht die Zukunft meiner Familie. Paar Monate später erfuhr ich, dass er im
Gefecht gefallen ist und das hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, weil
bei allen Politikern die ich getroffen habe, bei jedem Menschen hatte ich immer einen
Eindruck, dass er etwas schaffen möchte, dass er aber auch Angst hat. Aber dieser
Mann, als Sunnit, der sich einer christlichen Einheit angeschlossen hat, die gegen
den Islamischen Staat gekämpft hat, hat einen Mut hervorgebracht, der über die
menschlichen Grenzen hinausgegangen ist, und das weiß ich zu respektieren,
gerade weil er dafür sein Leben gelassen hat.
Dalia El Gowhary:
Sie sind ein Mensch, der sehr eloquent ist und auch Führerqualitäten hat. Gab es
einen Moment, wo Sie gedacht haben, ich nehme jetzt auch eine Waffe in die Hand
und schließe mich einer Gruppe an um dort vor Ort für den Frieden zu kämpfen?
Simon Jakob:
Diese Momente gab es sehr oft in den letzten Jahren, einfach aufgrund der
Gegebenheiten die dort herrschten, der Erfahrungen, die ich gesammelt habe, der
Wut oft, des Hasses, der Angst. Ich war oft dazu geneigt eine Waffe in die Hand zu
nehmen und zu sagen, ich schließe mich dem Ganzen an. Aber letzten Endes habe
ich auch gelernt, mit allen diesen Emotionen umzugehen und das ist eine
Errungenschaft des Westens übrigens, der Westen hat mir beigebracht in einen
Dialog zu treten, der Westen hat mir beigebracht mich zu artikulieren und er hat mir
den Wert der Kommunikation näher gebracht, denn wenn ich eine Waffe in die Hand
nehme und ich richte unter anderem Schaden beim Falschen an, so kann ich ihn
nicht mehr zum Leben erwecken. Wenn ich allerdings versuche mit denen den Dialog
zu führen, die bereit sind für den Dialog, so erreiche ich viel mehr, ich beschütze
Leben ich bewahre den Frieden, ich finde den Konsens, vielleicht nicht den Konsens,
den wir uns in Europa vorstellen innerhalb unserer demokratischen Struktur, wir
finden einen Konsens, mit denen die einen Konsens suchen wollen und deswegen
bin ich der Meinung, dass es eine Herausforderung ist, sich dieser Tatsache zu
stellen, das heißt sich seinem eigenen Dämon zu stellen, seiner eigenen Wut,
seinem eigenen Trieb und zu sagen, nein, ich lasse hier eher zu, dass mein Verstand
die Oberhand gewinnt und nicht meine Emotionen.
Dalia El Gowhary:
Ja, das sind große Worte, aber gab es für Sie denn eine brenzliche Situation – Sie
sind bei der Bundeswehr ausgebildet worden – wo Sie sich verteidigen mussten?
Simon Jakob:
Die Situation kam auch vor, ich musste mich verteidigen. Es ist nicht so, dass ich in
manchen Regionen unbewaffnet bin, es ist allerdings auch zu meinem eigenen
Schutz und zum Schutz meines Teams aus einem einfachen Grund, weil Sie unter
Umständen auf die jeweilige Situation reagieren müssen, sehen Sie, Sie stehen ja
nicht einer konventionellen Armee gegenüber, die sich an die Genfer Konvention
hält, an das Kriegsrecht, sondern Sie stehen einer Gruppierung gegenüber, die sich
herzlich wenig um weltliche Rechte scheren, das heißt, dass Sie im Fall der Fälle
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bereit sein müssen sich zu verteidigen und im Fall der Fälle müssen Sie auch bereit
sein eine Waffe zu benutzen, weil Sie keine andere Wahl haben, im Fall der Fälle.
Dalia El Gowhary:
Abgesehen von dem vielen Leid, wie läuft der Alltag der Menschen ab? Haben Sie
auch etwas gesehen, was Hoffnung birgt?
Simon Jakob:
Nun, trotz der Umstände die wir heutzutage haben, kann ich durchaus behaupten,
dass sich die Situation in manchen Regionen zum Beispiel verbessert hat, im Norden
Syriens haben sich Kurden, Araber und Christen, sogenannte Suryoye, also Syrer
Aramäer und Chaldäer zu einer starken Formation zusammengeschlossen und
stellen dort zum Beispiel die Sicherheit auf. Also das heißt, sie geben den Menschen
eine Möglichkeit sich zurückzuziehen in eine Sicherheitszone wo sie einigermaßen
beschützt werden, vielleicht nicht nach unseren Maßstäben, wo sie eine Perspektive
haben, wo sie ausharren können. Ähnlich verhält es sich im Norden des Iraks wo die
Kurden durchaus für Sicherheit sorgen können, übrigens sehr, sehr viele Flüchtlinge
aufgenommen haben, in einem Rahmen, wie wir uns das hier in Deutschland gar
nicht vorstellen können, sie bewältigen das trotzdem, ich sehe durchaus Hoffnung,
ich sehe Lichtblicke ich sehe Möglichkeiten und das sind keine Situationen, an die
wir uns klammern, sondern das ist die Realität.
Dalia El Gowhary:
Auf Ihre Reise mussten Sie wahrscheinlich auch bei Familien übernachten, weil Sie
gar keine andere Möglichkeit hatten irgendwo anders unterzukommen. Was haben
Sie bei diesen Begegnungen erspürt?
Simon Jakob:
Ich habe viel Zeit bei christlichen, muslimischen, jesidischen Familien verbracht, ich
habe intensive Gespräche mit ihnen geführt und die Situation hat immer eines
gezeigt, wenn sie in den Mikrokosmos der Gesellschaft gehen, in die Familien, wo
die Kinder sind, wo der Vater mit dem Kind spielt, die Mutter sich mit dem Vater
unterhält und sie in Kontakt kommen mit dieser lebendigen Gesellschaft, dann
spüren Sie doch eines, dass vielleicht der Vater oder der Mann, der gerade noch als
Politiker nach außen noch so hart aussah, in Wirklichkeit auch nur seinen Frieden
sucht, in seinem kleinen Refugium. Aber wir müssen eines sicherstellen, dass diese
Menschen keine Angst haben, dass sie keine Angst haben umgebracht zu werden,
wenn sie sich vielleicht nicht zu ihrem Glauben bekennen, dass sie Angst haben
umgebracht zu werden, wenn sie ihre politische Sichtweise zum Beispiel an den Tag
legen und dass sie vor allem nicht umgebracht werden, wenn sie anderen helfen,
wenn zum Beispiel Muslime Christen helfen, sollen sie nicht Gefahr laufen.
Dalia El Gowhary:
Haben Sie das erlebt, dass Muslime Christen geholfen haben?
Simon Jakob:
Ja also, wir haben im Irak sehr intensiv erlebt, dass Muslime auch Christen geholfen
haben. Sehen Sie sich die Flüchtlingssituation im Norden des Iraks an, es waren
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auch viele Muslime, die Unterkünfte bereitgestellt haben, die mitgeholfen haben
innerhalb der NGOs oder ähnliches, es sind auch im Südosten der Türkei Muslime,
die zum Beispiel auch Christen wieder helfen ihre Kirche wiederzubekommen, die
enteignet wurden, die sie vor Gerichten vertreten, es sind in Syrien Muslime, die
auch Christen aufnehmen, sie beschützen, gemeinsam mit ihnen gegen Extremisten
kämpfen. Das ist die Realität, die vielen hier eigentlich gar nicht mal so offensichtlich
ist.
Dalia El Gowhary:
Was haben Sie in den Augen dieser Menschen gelesen? Wovon träumen die –
abgesehen vom Frieden?
Simon Jakob:
Naja, letzten Endes haben sie alle eine Sehnsucht nach Sicherheit, nach einem
einfachen Job, nach bisschen Bildung, sie möchten heiraten, sie möchten Kinder
haben, sie möchten eine Familie gründen, sie möchten keinen ultraflachen
Superfernseher haben oder Ähnliches, sondern sie möchten erst einmal einen ganz
normalen Lebensstandard haben und ganz normal ihrem Alltag nachgehen, ihrem
Studium, ihrem Hobby, oder was auch immer das ist, und das erfordert in erster Linie
immer Sicherheit. Und ich komme da zurück, was mir einmal eine Sunnitin in
Ägypten gesagt hat, eine junge Dame sagte zu mir, das einzige, das war kurz vor der
Revolution in Ägypten, das einzige was wir haben wollen ist, wir möchten eine Jeans,
einen iPod haben und wir möchten uns frei äußern dürfen. So, mehr möchten wir
doch gar nicht, ist es denn so schwierig, Jeans, iPod, frei äußern dürfen und am
besten noch einen Job und wir sind zufrieden. Mehr wollten diese Menschen nicht,
das war alles.
Dalia El Gowhary:
Sie sind selbst Flüchtlingskind. Schwingt das mit?
Simon Jakob:
Oh, das schwingt sehr, sehr stark mit, und ich glaube mein Vater bereut das fast,
dass er mir das nähergebracht hat, als Kind, da war ich vielleicht fünf oder sechs
Jahre alt, ich weiß es nicht mehr, da sagte mir mein Vater, jetzt begreifst du das noch
nicht, aber eines Tages wirst du feststellen, dass es sehr viel wert ist seine Religion
frei ausleben zu können, seine Sprache frei sprechen zu dürfen und frei seine
Meinung äußern zu dürfen. Und als Fünf- oder Sechsjähriger verstehen Sie das
nicht, heute wenn mich mein Vater fragt und er voller Sorge ist, Sohn wo geht du
wieder hin, warum bleibst du nicht in Deutschland, warum tust du das alles, dann
sage ich, Vater, warum hast du mir als kleines Kind alles beigebracht, warum hast du
mir die Werte und Demokratie beigebracht. Eigentlich bist du daran Schuld, du bist
der Grund, warum ich all diese Reisen mache, dann schaut er mich an und sagt, ja,
hätte ich das gewusst, hätte ich vielleicht anders gehandelt, mit einem Lächeln, aber
in Wirklichkeit meinte er, es ist richtig so, es ist in Ordnung, aber er macht sich
natürlich Sorgen, aber ich bin geprägt durch die Geschichte meiner Eltern, durch die
Geschichte meiner Vorfahren, durch die Gegebenheiten in der sich vor allem
christliche Minderheiten im nahen Osten befanden und immer noch befinden, und
das prägt, wenn Sie da in einer Region sind, in einem Land, wo sie all diese Rechte,
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haben, diese, dieses Privileg, frei die Religion ausleben zu dürfen, ohne
Einschränkungen, das Privileg frei wählen zu dürfen, das Privileg auf die Straße
gehen zu dürfen, zu demonstrieren ohne eingesperrt zu werden. Nun kann man
sagen, ja, es mag sein, dass ich ein Risiko eingehe, aber die Demokratie oder die Art
und Weise wie wir leben gemeinsam hier in Europa, es ist wichtig.
Dalia El Gowhary:
Ist Ihr Vater mehr stolz oder mehr ängstlich?
Simon Jakob:
Zum aktuellen Zeitpunkt würde ich sagen, er ist eine Mischung aus beidem, er ist
ängstlich aber er ist auch stolz, er sieht das allerdings aus einem anderen
Blickwinkel, er sieht das aus dem Blickwinkel, des Geflohenen, des Flüchtlings, der
weg musste, und der immer Angst um das Leben der Familie hatte.
Dalia El Gowhary:
Sie sind aus der Türkei geflohen, richtig?
Simon Jakob:
Also meine Eltern sind aus der Südosttürkei geflohen, da war ich zwei Jahre alt,
aufgrund der Repressalien die dort herrschten, es hab einen, gibt es heute wieder
leider Gottes einen Konflikt zwischen der kurdischen Minderheit und dem türkischen
Militär, das ist wieder entfacht, das ist traurig das mit anzusehen, Menschen fliehen
wieder und gerade Christen sind aus dieser Region geflohen.
Dalia El Gowhary:
Wie sehen jetzt die weiteren Etappen ihrer Peacemakertour aus?
Simon Jakob:
Also, ich muss ja auch irgendwann mal beruflichen Aktivitäten nachgehen um, ja,
meinen Haushalt zu finanzieren, nachdem ich von der letzten Etappe zurückkamen
aus dem Iran haben wir festgestellt, dass wir eine riesige Fangemeinde inzwischen
haben und dass uns vor allem Institutionen, Stiftungen, Politiker immer wieder zu
Vorträgen eingeladen haben, und gerade gemeinsam mit jungen Menschen haben
sie überlegt, was müssen wir tun, um das Ganze fortzusetzen, da habe ich gesagt,
wir gründen einen Verein dazu, und vor allem werden wir andere Menschen, junge
Menschen, wenn die auch Lust haben das mitzumachen, die nächste Etappe wird
Ägypten sein, Israel, Palästina, Jordanien, Libanon, nach Russland sind wir
eingeladen worden, nach Südamerika, nach Nordamerika, die nächsten Etappen
werden Teams angehen, wo ich nicht mehr mit dabei bin, weil das Ganze inzwischen
gewachsen ist, aber die Art und Weise, wie wir die Projekte an den Tag gelegt
haben, wie wir die Interviews geführt haben, werden beibehalten, einfach nicht im
Sinne des Journalisten, der vielleicht Politiker interviewt, oder Geistliche und hohe
Würdenträger, sondern den einfachen Menschen, wie geht es dem jungen Menschen
vor Ort und wie können wir dem einfachen Menschen, dem Vater, der Mutter, dem
Jungen, dem Mädchen, dem Studenten, der Studentin, wie können wir ihnen eine
einfache Stimme verschaffen, wir machen da weiter.
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Dalia El Gowhary:
Ein Wort, wenn Sie mit einem Wort beschreiben sollten, was Sie gewonnen haben,
nach dieser Reise, was würde das sein?
Simon Jakob:
Hoffnung
Dalia El Gowhary:
Dann wünsche ich, dass Sie noch ganz viel Hoffnung in diese Länder bringen und
drücke für Ihre weiteren Etappen ganz fest die Daumen. Herzlichen Dank für das
Gespräch
Simon Jakob:
Herzlichen Dank.
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