Schoko-Shots: Kakao als Droge Hoch konzentriert getrunken, soll Kakao glücklich machen. Und? Wirkt’s? ▶ Seite 13 AUSGABE BERLIN | NR. 11242 | 5. WOCHE | 39. JAHRGANG H EUTE I N DER TAZ FREITAG, 3. FEBRUAR 2017 | WWW.TAZ.DE € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND Die rechte Lehre HOCHSCHULEN In Deutschland sprengen Studierende Veranstaltungen mit AfDlern an ihrer Uni. In Kalifornien attackieren Demonstranten den Auftritt eines Rechtspopulisten. Ist das ein angemessener Umgang? ▶ SEITE 3 WÜRSELEN Alles, wirk- lich alles über die Stadt an der Wurm, ihre große Zeit im Fußball und wie es dann bergab ging samt Linksverteidiger Martin Schulz ▶ SEITE 19 BERLIN Kneipe Kadter- schmiede in der Rigaer Straße darf nicht geräumt werden ▶ SEITE 21 TRUMP HOP Rapper Talib Kweli über Reime als Widerstand ▶ SEITE 16 Fotos: getty images (oben), VERBOTEN Dringende Warnung! In Deutschland kursiert seit gut einer Woche eine stark süchtig machende, neue Partydroge. User berauschen sich an dem Gefühl, kurz vor der Machtübernahme zu stehen. Von ihnen favorisierte Parteien erscheinen ihnen binnen Tagen auf wundersame Weise um 5 bis 8 Prozentpunkte größer. Sie verspüren zudem den unbedingten Drang, der Gemeinschaft der Rotbüchler beizutreten. Nebenwirkungen sind Haarausfall auf der Pläte und unhipper Bartwuchs. Fachleute haben die Droge nach ihre Wirkung „super cool halluzinogen ultra left zymogen“ genannt. Angefixte nennen sie schlicht S:C:H:U:L:Z: TAZ MUSS SEI N Die tageszeitung wird ermöglicht durch 16.660 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. Infos unter [email protected] oder 030 | 25 90 22 13 Aboservice: 030 | 25 90 25 90 fax 030 | 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: 030 | 25 90 22 38 | 90 fax 030 | 251 06 94 [email protected] Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22 tazShop: 030 | 25 90 21 38 Redaktion: 030 | 259 02-0 fax 030 | 251 51 30, [email protected] taz.die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet: www.taz.de twitter.com/tazgezwitscher facebook.com/taz.kommune 50605 4 190254 801600 Bekommt jetzt ein Nachspiel im Landtag: Protest gegen den Auftritt von André Poggenburg (AfD) an der Uni Magdeburg Mitte Januar Foto: Stephan Schulz KOMMENTAR VON KLAUS HILLENBRAND ZUM UMGANG MIT DER AFD D Keine Krönungsmesse für Rechtspopulisten ie rechten Populisten der AfD ziehen nicht nur in die Parlamente ein. Ihre Protagonisten haben längst damit begonnen, den öffentlichen Raum zu besetzen, sei es bei Demonstrationen, bei Veranstaltungen – und eben durch Studenten an den Universitäten. Hochschulen sollten Orte des Diskurses sein. Aber darf das bedeuten, dass die große Mehrheit der Gegner dieser Partei solche Veranstaltungen verhindern sollte, nicht nur mit Rechtsmitteln, sondern auch mit gellenden Trillerpfeifen, möglicherweise gar mittels einfacher körperlicher Gewalt? Das ist eine grundsätzliche Frage. Die AfD ist eine zugelassene Partei. Anders als bei der NPD handelt es sich nicht um Neonazis, wiewohl immer wieder rechtsextreme Versatzstücke in der Argumentation führender Mitglieder auftauchen. Deshalb gilt die Freiheit der Meinungsäußerung, wie sie das Grundgesetz garantiert, auch für sie – so schwer das bisweilen auch zu ertragen ist. Punkt. Und doch: Wollen wir die Studenten, die gegen die Okkupation ihrer Uni auf die Barrikaden gehen, etwa verurteilen? Ist es nicht im Gegenteil ausgesprochen beruhigend, dass diese Jungen es eben nicht widerspruchslos hinnehmen, wenn sich rechtes Gesülze über ihren Campus verbreitet? Ja, so ist es. Den Studenten gehört unsere volle Sympathie. Und den- Massenprotest in Bukarest RUMÄNIEN Hunderttausende gegen die Regierung BUKAREST dpa | Hunderttau- sende empörte Menschen auf der Straße, Randale und Tränengas: Rumänien erlebt die heftigsten politischen Tumulte seit einem Vierteljahrhundert. Selbst Staatschef Klaus Johannis opponiert gegen die Regierung, die zunehmend auch aus dem eigenen Lager kritisiert wird. Die sozialliberale Regierung versucht, den Vorsitzenden der Sozialdemokraten (PSD) vor Strafverfolgung zu schützen. Dazu wurde das Strafgesetz per Eilverordnung geändert. ▶ Der Tag SEITE 2 ▶ Meinung + Diskussion SEITE 12 noch ist es falsch, AfD-Veranstaltungen mit Gewalt verhindern zu wollen. Dafür sprechen nicht nur grundsätzliche, sondern auch taktische Argumente. Es ist jetzt schon so, dass sich die AfD über eine Publizität ohne Ende freuen kann. Mit jeder Provokation schafft sie es in die Schlagzeilen, noch das dümmste Geblöke findet seinen Widerschein. Das Blockieren von Veranstaltungen aber wird für Meinungsfreiheit gilt auch für die AfD – so schwer das auch zu ertragen ist die Rechten zur Krönungsmesse, dank der sie sich als verfolgte Unschuld gerieren können – um dann noch mehr Wählerstimmen einzufangen. Ob Menschen gegen diese Partei protestieren sollten? Natürlich! Ob Studenten ihrem Protest gegen rechte Kommilitonen Ausdruck verleihen dürfen? Unbedingt! Die Zivilgesellschaft darf den öffentlichen Raum nicht denen preisgeben, die ins letzte Jahrhundert zurückdrängen. Aber sie muss peinlich darauf bedacht sein, die selbst gesetzten Regeln auch für diese Feinde der modernen Gesellschaft zu beachten. Und sie darf den Rechten nicht die Chance bieten, von den Protesten sogar zu profitieren. „Opposition gehört dazu“ TÜRKEIREISE Angela Merkel ermahnt Recep Tayyip Erdoğan in Ankara ANKARA afp/taz | Bundeskanzle- rin Angela Merkel (CDU) hat bei ihrem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf die Einhaltung der Meinungsfreiheit in der Türkei gepocht. Sie habe mit Erdoğan auch ausführlich über die Pressefreiheit gesprochen, sagte Merkel in Ankara. „Opposition gehört zu einem demokratischen Staat dazu“, hob Merkel mit Blick auf die politischen Entwicklungen in der Türkei hervor. Dort versucht der islamisch-konservative Präsident derzeit auch, seine Macht durch ein Präsidialsystem zu zementieren. Mehrere Nichtregierungsorganisationen, Politiker der Opposition und selbst vom Koalitionspartner SPD hatten Merkel vor ihrer Reise dazu aufgefordert, zur Lage in der Türkei gegenüber Erdoğan klar Stellung zu beziehen. ▶ Ausland SEITE 10 02 TAZ.DI E TAGESZEITU NG PORTRAIT NACH RICHTEN ANGRI FF IM JEMEN NACH MI LLIARDENVERLUSTEN US-Militär bedauert zivile Opfer Deutsche Bank sieht Trendwende SANAA | Bei einem Einsatz von Wusste nicht, dass sie arbeitet: Penelope Fillon Foto: ap Ahnungslose Penelope P enelope Fillon wird ungewollt zur Chefanklägerin ihres eigenen, für die französische Präsidentschaft kandidierenden Gatten: „Ich war nie seine Assistentin oder so etwas Ähnliches“, hat sie 2007 der britischen Zeitung Sunday Telegraph erklärt. Um einen Übersetzungsfehler kann es sich nicht handeln, denn sie sprach englisch, weil sie selbst aus Wales stammt und erst 2007 als Französin eingebürgert worden ist. Jetzt hat der Fernsehsender France-2 diese Äußerung aus dem Archiv ausgegraben und ausgestrahlt. Damals hatte sich die Ehefrau ein wenig über ihr eher langweiliges Leben aus Hausfrau und Mutter von fünf Kindern im ländlichen Sablésur-Sarthe beklagt und ihren Traum erwähnt, dank ihres Anwaltsdiploms eines Tages vielleicht eine berufliche Aktivität aufzunehmen. Das Zitat aus dem Interview belastet François Fillon, der offenbar die größte Mühe hat, zu beweisen, dass seine Frau Penelope, die er während langer Jahre als parlamentarische Assistentin großzügig bezahlt hatte, tatsächlich auch gearbeitet hat. Hat sie damals gelogen oder wusste sie womöglich gar nicht, dass sie laut schriftlich vorliegendem Vertrag offiziell die parlamentarische Assistentin zuerst ihres Manns und danach seines Nachfolgers war? Noch im letzten Oktober erklärte sie der Lokalzeitung Bien public, sie sei „bis jetzt“ noch nie an der Politik ihres Manns beteiligt gewesen. Das wäre aber doch wohl die Aufgabe einer parlamentarischen Mitarbeiterin gewesen. Auch das sehr konservative Image des Ehepaars Fillon ist kaum vereinbar mit der angeblichen Vollzeitanstellung als Beraterin. In Magazinen sprach „Penny“ bisher lieber von ihren Konfitüren, Pferden oder Ponys. Das Paar posierte auf den Fotos nicht vor einem Aktenstapel im Büro des Politikers, sondern mit den Kindern vor dem eigenen Schloss. In Paris, wo Penelope Fillon ihren Mann nur gelegentlich bei öffentlichen Anlässen begleitete, war sie nicht bekannt. Und nur auf ausdrücklichen Wunsch ihres ehrgeizigen Gatten hatte sie sich bei den Kommunalwahlen 2014 aufstellen lassen und wurde prompt gewählt. Doch auch in der Lokalpolitik erinnert sich niemand an ihre Aktivitäten. RUDOLF BALMER Der Tag FREITAG, 3. FEBRUAR 2017 US-Spezialkräften gegen Stellungen des Terrornetzwerkes al-Qaida im Jemen sind am vergangenen Wochenende nach amerikanischer Darstellung „bedauerlicherweise“ auch Zivilisten getötet worden. Möglicherweise seien unter den Opfern auch Kinder, teilte das USMilitär am Mittwochabend mit. Nach dessen Darstellung mische al-Qaida regelmäßig Frauen und Kinder unter Kämpfer in Lagern und Stellungen. „Und das macht Fälle wie diesen so besonders tragisch“, wurde ein Sprecher des Central Command zitiert. Bei dem Angriff waren nach örtlichen Angaben 30 Menschen – unter ihnen mehrheitlich Zivilisten – getötet worden. Mindestens acht Kinder und acht Frauen seien unter den Opfern, berichteten Sicherheitskreise in der Provinz al-Baida. Das USMilitär selbst hatte zuvor mitgeteilt, dass bei dem Einsatz im Jemen 14 Kämpfer der al-Qaida getötet worden seien. Ein USSoldat kam bei der Operation ums Leben, drei weitere wurden verletzt. Einen weiteren Verletzten gab es, als ein Flugzeug der Amerikaner hart auf dem Boden aufsetzte. (dpa) FRANKFURT | Bei der Deutschen Bank wächst nach dem zweiten Milliardenverlust in Folge wieder die Zuversicht. „Wir hoffen, in diesem Jahr Gewinn zu machen, das ist unsere Absicht“, sagte Konzernchef John Cryan gestern in Frankfurt. Der Großteil teurer Rechtslasten sei abgearbeitet, im Tagesgeschäft laufe es wieder besser. Das Jahr 2017 habe vielversprechend begonnen. 2016 fiel der Verlust mit 1,4 Milliarden Euro zumindest deutlich geringer aus als das Rekordminus von 6,8 Milliarden Euro im Vorjahr. (dpa) L AUT ODER LEISE? HAFT FÜR AUTOBRAN DSTI FTER Etablierte Musiker, frische Jungbands, Pop-Diskurse sowie Interviews mit SängerInnen und Klang-Fricklern: Aufs nächste Konzert einstimmen auf taz.de/musik Konzerte Kritiken Klänge www.taz.de Tat aus Rache an linker Szene BERLIN | Ein Autobrandstifter ist nach Anschlägen auf drei Fahrzeuge in Berlin zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der einschlägig vorbestrafte 27-Jährige, der sich als AntifaAussteiger bezeichnete, hatte erklärt, er habe die Tat aus Rache der linken Szene in die Schuhe schieben wollen. Das Landgericht sprach ihn gestern der versuchten Brandstiftung schuldig. Er habe Grillanzünder auf Reifen deponiert und angezündet. Weil Polizisten schnell löschen konnten, blieb der Schaden mit 1.300 Euro gering. (dpa) Rumänien: Größte Proteste seit 1989 KORRUPTION Rund 300.000 Menschen verlangen von der Regierung die Rücknahme der Aufweichung von Antikorruptionsregeln. Der Handelsminister erklärt seinen Rücktritt. Der Premier ruft zur Ruhe auf VON WILLIAM TOTOK BERLIN taz | Am Rande von seit Tagen anhaltenden regierungskritischen Protesten ist es am späten Mittwochabend in Bukarest zu schweren Ausschreitungen gekommen. Dabei gab es nach Zusammenstößen mit der Polizei mehrere Verletzte. Rund 20 Personen wurden festgenommen. Bereits am Morgen hatten sich einige Demonstranten vor dem Regierungssitz eingefunden. Am Abend waren es dann schätzungsweise über 100.000 Menschen. Dem Beispiel aus Bukarest folgten andere Städte. Rumänische Medien sprechen von 300.000 Menschen, die landesweit auf die Straßen gingen, und von den größten Protestaktio- nen seit dem blutigen Sturz des kommunistischen Regimes im Jahr 1989. Am Vortag hatte die von Sorin Grindeanu geführte Regierung Eilverordnungen verabschiedet, die viele Rumänen als Aufweichung der Antikorruptionsmaßnahmen und eine verantwortungslose Begnadigung verurteilter Straftäter empfinden. Die Neuregelungen treten am 10. Februar in Kraft. Staatspräsident Klaus Johannis nannte die Verordnungen ein „Trauerspiel für den Rechtsstaat“. Die spontanen, nicht genehmigten, jedoch friedlichen Proteste Hunderttausender sind die Antwort auf das Vorgehen der Regierung. Im Visier der Demonstranten befindet sich insbesondere Liviu Dragnea, der Chef der sozialdemokratischen Partei (PSD), der wegen Wahlfälschung zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden ist und der nun durch das Amnestiegesetzes reingewaschen werden könnte. Bevor es am Mittwochabend zu den schweren Ausschreitungen zwischen Polizei und einem gewalttätigen Block zum Teil vermummter Jugendlicher kam, forderten die Demonstranten in Sprechchören die Rücknahme der Eilverordnungen, die Auflö- „Ein Trauertag für den Rechtsstaat“ DER RUMÄNISCHE STAATSPRÄSIDENT KLAUS JOHANNIS ÜBER DIE REGIERUNGSVERORDNUNGEN sung der PSD und die strafrechtliche Verfolgung der Regierung. Der parteilose Handelsminister Florin Jianu erklärte am Donnerstag seinen Rücktritt und begründete seinen Entschluss als eine aus „Gewissengründen“ gefällte „ethische Entscheidung“. Premierminister Sorin Grindeanu forderte die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren und den Manipulationen bestimmter Medien keinen Glauben zu schenken. Regierungskritische Bukarester Fernsehsender behaupteten, die Auseinandersetzungen seien von einer dem Fußballclub Dynamo nahestehenden Gruppe von Hooligans ausgegangen. Diese seien von Sympathisanten der regierenden Sozialdemokraten angestiftet worden, um die Kundgebung zu diskreditieren. In einer Erklärung wiesen die DynamoFans die Anschuldigungen zurück. „Der Hauptschuldige für die Proteste“, hieß es in der auf Facebook veröffentlichten Mitteilung, „ist die politische Klasse Rumäniens, die auch in den vergangenen Jahren ähnliche Tumulte ausgelöst hat.“ Die für ihre regierungsfreundliche Haltung bekannten Sender verbreiteten Spekulationen, wonach die Demonstrationsteilnehmer dem Aufruf von dem Milliardär George Soros gekaufter Aktivisten gefolgt seien, um Rumänien zu destabilisieren, Neuwahlen zu erzwingen und die Regierung durch einen Staatsstreich zu Fall zu bringen. EU-Kommission warnt „Wir werden jeden Tag hier sein“ steht auf dem Plakat eines Demonstranten in Bukarest Foto: Vadim Ghirda/ap Amtsmissbrauch leicht gemacht RECHT ■■Die EU-Kommission in Brüssel hat die rumänische Regierung ungewöhnlich scharf kritisiert. „Der Kampf gegen Korruption muss vorangetrieben werden, und nicht rückgängig gemacht“, sagte Behördenchef Jean-Claude Juncker am Mittwoch. Man verfolge die jüngsten Entwicklungen in dem EU-Mitgliedsstaat mit großer Sorge. ■■Die EU-Kommission überwacht seit Jahren die Fortschritte und berät Rumänien im Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität. Erst in der letzten Woche hatte sie einen Zwischenbericht vorgelegt. Darin wurden erste Erfolge der Justiz gelobt, gleichzeitig warnte Brüssel aber auch vor Rückschritten. ■■„Wir werden uns die Eilverordnung genau ansehen“, warnte Juncker. Sie schränkt die Strafverfolgung bei Amtsmissbrauchs ein. Zu den Massenprotesten in rumänischen Städten äußerte sich die Brüsseler Behörde nicht. Inoffiziell werden sie aber als ermutigendes Zeichen für die Reife der Zivilgesellschaft gelobt. (taz) THEMA DES TAGES Wie Rumänien die Korruptionsbekämpfung erschwert. Amtsmissbrauch wird erst ab 50.000 Euro Schaden strafbar BERLIN taz | Die per Eilverord- nungen beschlossenen Änderungen einiger Paragraphen der rumänischen Strafprozessordnung und des Strafgesetzbuches enthalten folgende Bestimmungen: Amtsmissbrauch soll künftig nur dann strafrechtlich geahndet werden, wenn der dadurch entstandene Schaden mindestens 200.000 Lei (etwa 50.000 Euro) beträgt. Die Anzeige einer Straftat, die nicht innerhalb von maximal sechs Monaten erfolgt, wird nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Der Straftatbestand der „Begünstigung des Täters“ wird „für Verwandte 1. und 2. Grades“ nicht mehr gelten. Straftätern, die zu einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt wurden, wird die Haftzeit halbiert. Einer Halbierung der Strafe erfreuen sich auch Häftlinge, die das 60. Lebensjahr überschritten haben, schwangere Frauen und Eltern mit Kindern unter 5 Jahren. Ausgenommen von den Begnadigungen sind Personen, die wegen staatsgefährdender Straftaten verurteilt wurden, wegen Mord, Körperverletzung, Totschlag, Freiheitsberaubung, Erpressung, sexuellem Missbrauch von Kindern, sexueller Nötigung, Inzest, Raub, Dieb- stahl, Tortur und ungerechter Behandlung, Flucht aus dem Gefängnis. Gleiches gilt für Personen, die rechtsgültig weiterer Straftaten wie etwa Terrorakte, Bestechung, Misshandlung Minderjähriger, Zuhälterei, Menschenhandel und Kinderpornografie für schuldig befunden wurden. Schwerpunkt Hochschulen FREITAG, 3. FEBRUAR 2017 TAZ.DI E TAGESZEITU NG 03 Die alte Frage kehrt immer wieder: Wer darf an der Universität reden? Was dient der Erkenntnis, was ideologischer Verblendung? VON RALF PAULI AfD-Auftritte verhindert BERLIN taz | Die tumultartigen ■■Januar 2015: Studierende blockieren den Auftritt von AfDRechtsaußen Alexander Gauland an der Uni Erfurt. Veranstalter: die Campus Alternative Erfurt. ■■Juni 2015: Die Universität Göttingen nimmt eine Raumzu sage für eine AfD-Veranstaltung zurück. Ein Formfehler – nicht die vehementen Proteste von Studie renden – sei dafür ausschlagge bend gewesen. ■■April 2016: Der AStA der Universität Düsseldorf zieht eine Einladung für AfD-Gründer Bernd Lucke zurück. Obwohl der Wirtschaftsprofessor zu diesem Zeitpunkt kein Parteimitglied mehr ist, lautet die Begründung: Man könne seine Sicherheit nicht garantieren. ■■Juni 2016: Der Fachschaftskon vent der Ludwig-Maximilians-Uni versität München verbietet alle politischen Hochschulgruppen. Es war die einzige Möglichkeit, die Zulassung einer AfD-Hochschul gruppe zu verhindern. Szenen im Hörsaal 6 der Universität Magdeburg haben jetzt ein Nachspiel im sachsen-anhaltischen Landtag: Für den heutigen Freitag hat die AfD-Fraktion eine Aktuelle Debatte zum Thema „Linksextremismus im politischen Diskurs“ beantragt. In der Begründung heißt es: „Der politische Diskurs wird zunehmend vom Linksextre- Hochschulvertreter erklären, man werde auch ungeliebte Meinungen nicht unterdrücken mismus beherrscht, was eine sachliche Auseinandersetzung unmöglich macht.“ Hintergrund: Am 12. Januar hatten rund 400 Studierende den Vortrag des Biologen Gerald Wolf verhindert, der von der AfD-Hochschulgruppe Campus Alternative Magdeburg eingeladen worden war. Viele Abgeordnete halten die Ansicht, an der Hochschule dominiere immer stärker Linksextremismus die Debatten, für absurd. „Wenn etwas zunehmend diskutiert wird, dann sind es doch rechte oder rechtsextreme Positionen“, sagt Falko Grube der taz. Der Politikwissenschaftler steht im Landtag für die SPDFraktion auf der Rednerliste. Er hat an der Universität Magdeburg promoviert – eben da, wo die AfD „Ausgrenzung und Gewalt gegenüber unliebsamen Positionen, Parteien und Mandatsträgern“ festgestellt hat. Der Protest im Januar richtete sich gegen die AfD-Veranstaltung „Gender an der Uni!?“. Der Flyer der AfD-Hochschulgruppe bezeichnete „Gendermainstreaming“ als geselligen „Zeitvertreib für Leute ohne Probleme“. Der Vortrag des Biologen Wolf sollte wissenschaftlich belegen, dass es einen biologischen Unterschied zwischen „männlichen“ und „weiblichen“ Gehirnen gibt. Was viele KommilitonInnen mindestens genauso störte: André Poggenburg, AfD-Landesund Fraktionsvorsitzender, der auf Twitter immer wieder eine Verbindung zwischen Flüchtlingen und Terrorgefahr herstellt, sollte das Grußwort halten. Mit der Debatte im Landtag erhofft sich die AfD offenbar, neue Anhänger unter den Studierenden zu mobilisieren. Jan Protest gegen AfD-Veranstaltung an der Uni Magdeburg. Vorn AfD-Landespolitiker André Poggenburg Foto: Stefan Schulz Dilemma der Meinungsfreiheit RECHTE Viele Studierende fühlen sich von AfD-Hochschulgruppen provoziert, wie zuletzt an der Universität Magdeburg. Doch ist Debatten verhindern richtig? Schmidt, Landeschef der Parteijugend Junge Alternative auf Facebook: „Wir werden natürlich mit der Campus Alternative Magdeburg wieder an die Uni zurückkehren und unsere Veranstaltung durchsetzen.“ Auch an anderen Hochschulen im Land sollen neue AfDGruppen bald eine alternative Hochschulpolitik anbieten – unter anderem gegen den „Genderwahn“ am Campus. Wie leicht sich linke Studierende durch die AfD provozieren lassen, sah man an jenem Tag in Magdeburg: Da hatte der Studierendenrat kurzerhand zu einer Gegenveranstaltung mit der Gleichstellungsbeauftragten der Hochschule eingeladen – im selben Raum, unmittelbar vor der AfD-Veranstaltung. Alle blieben wie abgemacht sitzen. Auf zahlreichen Videos im Netz kann man sehen, wie der Protest eskaliert, wie von beiden Seiten Gewalt ausgeht. Als Poggenburg zu reden beginnt, kommt es zum Handgemenge, jemand schlägt Professor Wolf ein Gehirnmodell aus der Hand, ein Böller explodiert. Zuletzt verlassen die AfD-Leute unter Beifall den Hörsaal. Was linke Hochschulgruppen als Zivilcourage gegen rechts feiern, stößt bei Hochschulleiter Jens Strackeljan auf Entsetzen. „Gewalt gegen Personen und Sachen ist absolut nicht tolerabel“, sagte er im MDR. Die AfD mit 24 Prozent der Wählerstimmen in Sachsen-Anhalt stelle eine große gesellschaftliche Frage, sagte er. Diese Frage im Dialog zu beantworten – auch bei völlig unterschiedlichen Positionen – sei die Aufgabe von Universitäten. Welches Erbe? Aktive AfD-Hochschulgruppen gibt es bereits an mehreren Unis. In vier Fällen sitzen A fDler schon im Studierendenparlament und machen selbst Hochschulpolitik (siehe Text unten). Am Tag nach den Tumulten sprach AfD-Fraktionschef Poggenburg vom problematischen „Erbe jahrzehntelanger linker Ideologisierung der Hochschulen“. Sie erinnerten ihn an eine „prügelnde und pöbelnde Studenten-SA, die 1933 jüdische und politisch andersdenkende Professoren aus den Hörsälen vertrieb“, schrieb er. Knapp eine Woche später stellte Poggenburg Strafanzeige – unter anderem wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. Er reichte Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Dekan der Fakultät für Humanwissenschaften, Michael Dick, ein, der die Proteste begrüßt haben soll – was der zurückweist. Er habe allein die Haltung der Studierenden gelobt, die sich gegen die Instrumentalisierung der Universität zur Wehr setzen wollten. Für Dick sei klar, dass die Veranstaltung nicht der wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern parteipolitischen Zielen diente. Ähnlich sieht es auch Cornelia Lüddemann. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen will der „Opferinszenierung“ der AfD bei der Debatte im Landtag entgegentreten. Die Hochschule zur Verbreitung politischer Propaganda zu nutzen, sei unzulässig, sagt sie: „Noch dazu vermengt mit kruden, wissenschaftlich nicht fundierten, menschenverletzenden Thesen. Wer Meinungsfreiheit propagiert, muss auch die Gegenmeinung zulassen und aushalten.“ Wie schwer das manchen offenbar fällt, zeigen die Hassmails und Morddrohungen, die Rektor Strackeljan und Dekan Dick inzwischen erhalten haben. Um die Sicherheit zu gewährleisten, hat der Hochschulsenat neue Regeln erlassen: Wer künftig einen Raum haben will, muss über Inhalt, Format und Teilnehmerkreis der geplanten Veranstaltungen informieren. Wie aber geht man mit AfDHochschulgruppen um? Hochschulvertreter erklären, man werde auch ungeliebte Meinungen nicht unterdrücken. Viele linke Hochschulgruppen hingegen wollen Rassismus, Sexismus, trans- und homophobe Hetze verhindern – notfalls mit Gewalt Dekan Dick spricht von einem Dilemma. Grünen-Politikerin Lüddemann verteidigt hingegen den Protest: „Deutschland hat einmal erlebt, dass eine Demokratie auch mit demokratischen Mitteln abgeschafft werden kann. Das werden wir kein zweites Mal zulassen!“ Wie’s anderswo zugeht ■■Wo? Zum Beispiel an der Universität im kalifornischen Berkeley: Hier hatten am Mitt wochabend (Ortszeit) mehrere Hundert Demonstranten gewalt sam gegen einen Auftritt des ultrarechten Bloggers Milo Yian nopoulos protestiert. Studenten und Dozenten warfen dem Anhänger des neuen Präsidenten Donald Trump Rassismus, Trans phobie und Frauenfeindlichkeit vor. Die von einer konservativen Studentenvereinigung geplante Veranstaltung wurde kurzfristig abgesagt. ■■Was nun? Am Donnerstag reagierte Trump scharf – und drohte der Hochschule mit dem Entzug von Geldern: Wenn die Universität „keine Redefrei heit erlaubt und Gewalt gegen unschuldige Menschen mit einer anderen Meinung anwendet“, sei zu überlegen, „keine Bundes mittel“ mehr zu geben, schrieb Trump bei Twitter. ■■Wo noch? Schon im Januar hatte es an der Universität im kalifornischen Davis ähnliche Proteste gegeben, die ebenfalls zur Absage von Auftritten des Bloggers führten. Yiannopoulos sollte auch in Los Angeles spre chen, dies wurde aber ebenfalls abgesagt. Vertreter aller drei Uni versitäten betonten, sie hätten Yiannopoulos nicht eingeladen und unterstützten seine Ansich ten auch nicht, sie seien aber für die Redefreiheit. (afp) Campus Alternative geht in die Uni-Parlamente POLITIK An immer mehr Hochschulen sitzen inzwischen AfD-Mitglieder im StuPa: Provokation, Irritation und Opferinszenierung BERLIN taz | Am Tag nach sei- ner ersten Sitzung lächelt der Vorstand der AfD-Hochschulgruppe zufrieden in die Kamera: „Liebe Kommilitonen, liebe Zuschauer“, sagt er, „mein Name ist David Eckert und ich bin Vorsitzender der Campus Alternative Düsseldorf – und seit Kurzem erster gewählter Vertreter der AfD in einem nordrhein-westfälischen Hochschulparlament.“ Seit elf Tagen betreibt Eckert an der Universität Düsseldorf da Hochschulpolitik. In seiner ersten Sitzung hat er mehrere Anträge gestellt: unter anderem auf eine Deutschlandfahne für den Campus, die Abschaffung des Genderreferats sowie die Ausweitung einer ausgeschriebenen Stelle gegen Rechtsextremismus auch auf „Linksex tremismus“. Das irritierende Verhalten, erzählt Benjamin Bartels, seit Mitte 2015 für den RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) im StuPa, gehe mit kleinen Formalitäten los. So würde die Campus Alternative das Studierendenparlament stets als „Studentenparlament“ bezeichnen. „Die können ja sonst gerne sprechen, wie sie wollen. Aber wenn das Gremium nun mal so heißt, sollte man aus Respekt den richtigen Namen verwenden“, sagt der 24-Jährige, Generell, so Bartels, sei der Umgang untereinander konstruktiv. „Manche Vorschläge sind inhaltlich sinnvoll, aber nicht die Begründung. Dann lehnen wir ab.“ Wie den Antrag, die Teilnehmerzahl bei Veranstaltungen der autonomen AStA-Referate zu erheben. Die Campus Alternative wollte dafür auch die Namen wissen. „Bei dem LesBi- oder dem Schwulenrefe- Er beantragte eine Deutschlandfahne für den Campus, die Abschaffung des Genderreferats sowie die Ausweitung einer ausgeschriebenen Stelle gegen Rechtsextremismus auch auf „Linksextremismus“ rat kommt das einem zwangsweisen Outing nahe“, echauffiert sich Bartels. „Die Referate sind ein Schutzraum. Das geht zu weit.“ Auch in Kassel und an der Fernuniversität Hagen sitzt bereits je ein AfD-Mitglied im StuPa. An der Uni Kiel gewann eine Gruppe einen Sitz, der mehrere AfD-Mitglieder angehören. Auch dort beherrschen die AfDler die Kunst, sich als Opfer zu inszenieren. „David Eckert ist darin sehr gut“, sagt Parlamentspräsidentin Katharina Sternke der taz. Dennoch behandelt sie ihn genauso wie alle anderen Parlamentarier, sagt sie. Die Jusos hingegen lehnen eine Kooperation mit der AfD-Gruppe ab, räumt Lukas Marvin Thum ein: „Die Fraktion ist der AfD angehörig und das sehen wir sehr problematisch.“ In seiner Videonachricht behauptet Eckert, AfD-Anträge würden ohne Begründung abgelehnt – oder nur deshalb, weil die Campus Alternative sie eingebracht habe. Andere im StuPa sagen, die AfD-Anträge seien schlicht unsinnig gewesen. RALF PAULI
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