Satirischer Nachschlag

Satirischer Nachschlag
Ich kann es euch erklären, aber ich verstehe es nicht
Ich lach mich kaputt: Die Welt geht kaputt. Aber lustig ist es nicht.
Von Wolfgang Schaller, künstlerischer Leiter des Dresdner Kabaretts Herkuleskeule
Ich informiere mich in Zeitungen, ich sehe politische Sendungen auf allen TVKanälen, ich bin sogar so pervers und halte bei Talkshows durch, ohne den Fernseher
zu zerschlagen. Ich bin informiert, aber ich weiß nichts. Dank Minihörkapseln höre
ich ausgezeichnet, aber ich verstehe nichts mehr. Dank Brille sehe ich gut, aber ich
sehe nicht mehr durch. Früher las ich nur das „Neue Deutschland“. Da stand, dass
die Arbeiter des VEB Schlagfix zu Ehren Lenins den Plan übererfüllt haben. Da wusste
ich: Das stimmt nicht. Heute höre ich auf N24 die Verschwörungstheorie, die
Amerikaner hätten die Kriege angefangen, damit die Flüchtlinge nach Europa
flüchten. Ich denke: Da könnte was Wahres dran sein, obwohl nichts Wahres dran
ist. Unter den Flüchtlingen gibt es Gefährder. Ich dachte immer, Gefährder sind
gefährlich. Unsere Innenminister wussten das nicht. Es schien so, als hätten sie zur
Fahndung Pittiplatsch eingesetzt. Das könnte Unfähigkeit sein, oder sie wollen
bewusst Angst schüren und dann mit immer noch mehr Sicherheitsgesetzen einen
Polizeistaat aufbauen. Ich halte alles für möglich. Aber ich glaube nichts mehr. Wir
fürchten uns vor Terror. Nach jedem Anschlag Schweigeminuten für unsere Toten.
Wie viele Monate müssten wir schweigen für eine Million Tote in den Kriegen des
Westens?
Von früh bis nachts trommeln die Medien den Namen Trump in meine Ohren. Er will
das Verhältnis zu Russland entspannen. Das ist schlimm. Er hält die Nato für obsolet.
Ich schwöre: Von mir hat er das nicht. Trump hat zwölf Frauen angemacht, Hillary
Clinton hat sich an vier Kriegen beteiligt. Hätte ich zwischen beiden die Wahl, ich
würde lieber Frauen anmachen. Trump ist ein Rassist, ein widerlicher Nationalist,
aber wieso freut sich da Nato-Chef Stoltenberg auf die Zusammenarbeit? Ich weiß es
nicht. Ok, dass sich Trump bei Putin bedanken will, weil er ihn per Hackerangriff ins
Präsidentenamt gehackt hat. Jedenfalls weiß dass die CIA, die auch wusste, dass
Hussein im Irak Massenvernichtungswaffen baut, weil man ja immer einen Grund
braucht, um einen Krieg zu beginnen. Ich weiß, dass die NSA die ganze Welt abhört,
ich wusste vom Hackerangriff der USA auf den Iran. Aber, dass das der Putin auch
kann, obwohl es gar nicht bewiesen ist, obwohl mir das die Kommentatoren von ARD
und ZDF tagelang erzählen? Bei Facebook sollen jetzt bei erfundenen Meldungen
Warnzeichen angebracht werden, bei mir ist der Fernseher schon damit vollgeklebt.
In einem Film werden vier DDR-Stasi-Haudegen vom BND reanimiert. Der Film heißt
„Kundschafter des Friedens“. James Bond schoss sich durch Feindesland geiler Autos
und geiler Frauen wegen und natürlich für Geld. DDR-Spione waren Kundschafter,
natürlich für den Frieden und für die gute Sache. Das war alles einfach zu begreifen:
Unsre waren in den Medien die Guten, und der Klassenfeind war der Böse. Heute
sind in den Medien die ehemaligen Bösen die Guten und die ehemaligen Guten sind
die Bösen. Wer da mal in Jugendjahren bei der Stasi war wie dieser Berliner
Abgeordnete, wird eliminiert. Tja, wäre er bei der NSDAP gewesen. Ich kann das
verstehen, aber nicht begreifen.
Das scheint auch in den Talkrunden so zu sein, wenn alle Männer vom Kauderwelsch
bis zum Platzeberg über Frau Wagenknecht herfallen: Sie verstehen, was sie sagt,
aber sie begreifen es nicht. Ich habe jetzt gelesen, dass die acht reichsten Männer
der Welt mehr Geld besitzen als die Hälfte der Menschheit. Und dass die weniger
Steuern zahlen als ihre Putzfrauen. Und wissen Sie: Das will ich gar nicht begreifen.
Ich befürchte, ich würde künftig bei Pegida mitlaufen. Deshalb höre ich mir eine
Rede meiner Kanzlerin an, die erklärt, dass diese Welt in Ordnung ist. Da stimmt
dann mein Klassenstandpunkt wieder.