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2 MEINUNG/HINTERGRUND
DONNERSTAG, 2. FEBRUAR 2017
Parallelen zum Fall Amri
KOMMENTAR
Der Wert von
Symbolen
Ein in Frankfurt lebender Tunesier wurde rund um die Uhr überwacht und galt als tonangebend in der
salafistischen Szene. Als Gefährder stuften ihn die Behörden trotz eines Verdachts aus Tunesien aber nicht ein.
TERRORVERDACHT
VON IRA SCHAIBLE, DPA
Frankfurt/Wiesbaden — Als bei
dem Terrorverdächtigen in
Frankfurt die Handschellen klicken, ist es noch dunkel. Gegen 4
Uhr dringen Spezialkräfte des
hessischen Landeskriminalamts
in eine Wohnung ein und verhaften den Tunesier. Fast drei Monate hat die Polizei den 36 Jahre
alten Asylbewerber rund um die
Uhr überwacht, auch beim Verfassungsschutz von Bund und
Land war er kein Unbekannter.
Die Ermittler sind überzeugt,
dass der Mann einen Terroranschlag in Deutschland verüben
wollte.
Ein Anschlagsziel habe es aber
noch nicht gegeben, sagt Generalstaatsanwalt Alexander Badle. „Es gab keine konkrete Anschlagsgefahr in dem Sinne, dass
ein Terroranschlag kurz bevorstand.“ Hinweise auf eine Verbindung des 36-Jährigen zu dem
Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, seinem Landsmann Anis Amri, gebe es nicht.
„Jedenfalls bisher“, betont Badle.
Christoph
Hägele
Anschlag in Tunis
Der als Asylbewerber nach
Deutschland eingereiste Mann
ist nach Einschätzung der Behörden hochgefährlich. Das wissen die Ermittler aus seiner Heimat Tunesien. In dem nordafrikanischen Land wird gegen ihn
ermittelt, weil er den Anschlag
auf das Bardo-Museum in Tunis
im März 2015 mit geplant haben
soll.
Damals waren mehr als
20 Touristen getötet worden.
Rund ein Jahr später soll er an einem Angriff auf einen Militärstützpunkt in der tunesischen
Es lief alles
ruhig und
geordnet ab.
Alexander Badle
Generalstaatsanwalt
Die Polizei hat am Mittwoch mehrere Objekte in ganz Hessen wegen Terrorverdachts durchsucht.
Grenzstadt Ben Guerdane beteiligt gewesen sein. Den deutschen Behörden jedenfalls fiel
der Tunesier seit seiner Einreise
als Asylbewerber im August
2015 als Anwerber und Schleuser für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auf. Er soll ein
ganzes Netzwerk an Unterstützern aufgebaut haben.
Im August 2016 war er schon
einmal in Frankfurt festgenommen worden, weil er noch eine
Reststrafe aus einer Verurteilung wegen Körperverletzung
verbüßen musste. An diese Gefängnisstrafe schloss sich die
Auslieferungshaft an.
Die tunesischen Behörden
hatten auch ein Festnahmeersuchen zur Vorbereitung der Auslieferung nach Deutschland geschickt. Doch die dafür notwen-
digen Papiere legten sie trotz
mehrfacher Aufforderung der
Behörden nicht innerhalb von 40
Tagen vor. Innenminister Peter
Beuth (CDU) kritisiert das.
Fehlende Dokumente
Denn nach dieser Frist musste
der Verdächtige am 4. November freigelassen werden. Auch
im Fall des Berliner Attentäters
Amri, der vor Weihnachten einen Lastwagen in einen Weihnachtsmarkt gesteuert und zwölf
Menschen getötet hatte, war eine Abschiebung wegen fehlender Dokumente seines Heimatlandes Tunesien gescheitert.
Erst unmittelbar nach dem
Anschlag lagen die Passersatzpapiere vor. Zwischen dem Land
Nordrhein-Westfalen
und
dem Bund entbrannte daraufhin
„Fußfesseln sind kein Allheilmittel“
Berlin — Bundesinnenminister
Thomas de Maizière (CDU) hat
die Länder aufgefordert, ebenfalls erleichterte Voraussetzungen für elektronische Fußfesseln
bei islamistischen Gefährdern zu
schaffen. „Fußfesseln sind kein
Allheilmittel, sie sind aber ein
wichtiges Instrument, um die
Überwachung von Personen zu
erleichtern“, sagte der Minister
am Mittwoch in Berlin.
Das Bundeskabinett hatte am
Vormittag eine entsprechende
Änderung des Gesetzes über das
Bundeskriminalamt (BKA) beschlossen. Die meisten Gefährder würden aber nach Landesrecht überwacht. „Deshalb hoffe ich, dass sich die Bundesländer an der Vorschrift und der
Formulierung orientieren und
rasch vergleichbare Befugnisse
schaffen.“ De Maizière und Justizminister Heiko Maas (SPD)
F
ür Deutschlands Sicherheit war der Mittwoch
ein guter Tag. Die Sicherheitsbehörden polierten
ihr vom Berliner Attentat verbeultes Image auf und bewiesen mit der Festnahme von
mutmaßlichen Islamisten ihre
Schlagkraft.
Und damit sie Gefährder
künftig noch besser überwachen können, gab das Bundeskabinett den Behörden am selben Tag noch das Instrument
der Fußfessel in die Hand.
hatten sich vor wenigen Wochen
auf Konsequenzen aus dem Terroranschlag von Berlin verständigt – die Fußfessel für Gefährder ist Teil des Maßnahmenpakets. Das elektronische Überwachungsgerät erleichtere die Polizeiarbeit wesentlich, ersetze
aber nicht andere Formen der
Observation.
So könne man mit dem Sender
etwa nicht feststellen, mit wem
sich ein Gefährder etwa in einer
Moschee treffe.
Uneinheitlich geregelt
Bei der Überwachung per Fußfessel handle es um einen
Grundrechtseingriff, der an gewisse Voraussetzungen gebunden sei, sagte der Minister. Diese
seien bundesweit aber uneinheitlich geregelt, ebenso wie für
Ausländer und Deutsche. De
Maizière stellte eine Anglei-
Unabhängige Tageszeitung in Franken/Volksblatt
Herausgeber: Mediengruppe Oberfranken GmbH & Co. KG, HRA 8435, vertreten durch den Geschäftsführer Walter Schweinsberg
Chefredakteur (verantw. i.S.d.P.): Frank Förtsch
Stellvertretende Chefredakteure: Falk Zimmermann, Christian Holhut.
chung der Vorschriften in Aussicht. Für ausländische Gefährder soll dafür das Aufenthaltsgesetz geändert werden. Dann soll
auch eine erleichterte Abschiebehaft möglich werden.
Das wolle er ebenfalls bald ins
Kabinett einbringen.
Zugleich beschloss das Kabinett eine Neustrukturierung des
BKA-Gesetzes. De Maizière
sprach in diesem Zusammenhang von einer grundlegenden
Modernisierung der Informationstechnik der Polizei. „Ein Polizist in einem Bundesland muss
wissen, dass sein Kollege in einem anderen Bundesland gegen
die gleiche Person ermittelt, und
beide müssen wissen, welche
Daten über diese Person beim
Bundeskriminalamt
bekannt
sind“, sagte er. Doppelstrukturen könne man sich nicht mehr
leisten.
dpa
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– Redaktionen GmbH & Co. KG, Bamberg.
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Bamberg. Geschäftsführer: Walter Schweinsberg, Sigrun Albert, Frank Förtsch.
eine Debatte über den Umgang
mit dem Gefährder. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD)
wehrte sich gegen den Vorwurf
von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), nachlässig gewesen zu sein und keinen Antrag auf Abschiebehaft
gestellt zu haben.
Die rechtlichen Möglichkeiten hätten dafür nicht ausgereicht, sagte er damals. Auch
Hessens Innenminister Beuth
trat am Mittwoch dem Eindruck
entgegen, es könne eine Ermittlungspanne gegeben haben –
und forderte von Tunesien mehr
Kooperationsbereitschaft.
In
Hessen überwachten 150 Polizeibeamte den terrorverdächtigen Tunesier nach seiner Freilassung aus der Auslieferungshaft rund um die Uhr, bis die Er-
Foto: Boris Roessler,dpa
mittler wieder zugriffen und ihn
aus dem Verkehr zogen.
An der Razzia waren mehr als
1100 Beamte beteiligt, um die
Unterstützerszene zu zerschlagen. Sie durchsuchten 54 Wohnungen, Gewerberäume und
Moscheen. Eine davon, die Bilal-Moschee in Frankfurt, sei
immer wieder wegen radikaler
Prediger aufgefallen und gelte
als eine der Kernachsen im salafistischen Umfeld, sagt die Ethnologin Susanne Schröter von
der Frankfurter Universität.
Dem Netzwerk sollen insgesamt 16 Beschuldigte im Alter
zwischen 16 und 46 Jahren angehören. Festgenommen wurde
nur der 36-Jährige. Widerstand
leistete er bei seiner Festnahme
nicht. „Es lief alles ruhig und geordnet ab“, sagt Badle.
Niemand kann behaupten,
die Fessel allein löse auf einen
Schlag sämtliche Probleme bei
der Überwachung von Gefährdern. Hinzu kommt, dass
selbst deren Grundrechte
nicht umstandslos dem
Wunsch nach Sicherheit geopfert werden dürfen. Die deutschen Gerichte werden darauf
ein scharfes Auge haben.
Diesen Einwänden zum
Trotz ist eine klug eingesetzte
Fessel ein wichtiges Puzzlestück bei der notwendigen
Neujustierung der Sicherheitsarchitektur. Ergänzt werden muss die Fessel durch die
konsequente Abschiebung
von Gefährdern, die Harmonisierung der föderal unterschiedlichen Überwachungskriterien und nicht zuletzt
auch durch pädagogisch begleitete Präventionsarbeit.
Wer die Fußfessel aber abschätzig als Symbolpolitik abtut, muss sich seinerseits Unernst nachsagen lassen. Denn
er irrt gleich zweifach: nicht
nur, dass er den sachlichen
Nutzen der Fessel falsch einschätzt. Er unterschätzt zudem, dass Symbole ein wichtiger Teil der Kommunikation
zwischen politischer Elite und
Gesellschaft sind. Die Fußfessel ist ein solches Symbol. Mit
ihr sagt die Politik: Ja, wir haben nach dem Berliner Attentat verstanden.
Die elektronische Fußfessel
1 Vom Gericht werden Bereiche festgelegt, in denen sich der
Träger (z. B. ein überwachter Ex-Häftling oder ehemaliger
Sicherheitsverwahrter) aufhalten muss.
Satellit
2 Fußfessel erfasst
Standort per GPS ...
Zentralrechner
... und sendet
3 regelmäßig
Standort
(mit SIM-Karte)
wenn kein
GPS-Empfang:
Ortung über
Mobilfunkmasten
Gemeinsame
elektronische
Überwachungsstelle der Länder
(GÜL) in Bad
Vilbel, Hessen
Befestigungsband
LEDLeuchte
(optischer
Alarm)
4 Alarm bei
• Verlassen
des erlaubten
Bereichs
• Betreten verbotener Orte
• Entfernen
der Fußfessel
• leerem Akku
5 Zuständige Stellen (Polizei, Justiz) werden gegebenenfalls informiert.
Anzeigenleitung: Philipp Gatz, Stellvertreter: Stefan Apfel. Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 63 gültig ab 1.1.2017
(inklusive Zeitungsring Oberfranken). Vertriebsleitung:
Sandra Zimmermann. Überregionale Seiten werden erstellt in Kooperation mit der Mediengruppe Main-Post,
verantwortlich: Michael Reinhard, Berner Straße 2,
97084 Würzburg. Druck: DZO Druckzentrum Oberfranken GmbH & Co. KG, Gutenbergstraße 1, 96050 Bamberg. Internet: www.inFranken.de. Bezugspreis:
34,90 € monatl. incl. Zustellung und 7% MwSt.; Postbezugspreis: 39,70 € monatl.
Die Fußfessel ist wasserdicht
und stoßfest. Ihr Träger ist dafür
verantwortlich, den Akku
regelmäßig aufzuladen.
Vibrationsalarm
schematische Darstellungen
Quelle: GÜL
Grafik: dpa
incl. 7% MwSt. Studenten bei Vorlage eines gültigen Studiennachweises 24,50 €
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