Das Ehepaar Petry und Pretzell

Manuskript
Beitrag: Im Konflikt mit Landeswahlgesetzen –
Das Ehepaar Petry und Pretzell
Sendung vom 31. Januar 2017
von Andreas Halbach, Thomas Münten und Heiko Rahms
Anmoderation:
Protestwähler wählen offenbar gerne AfD. Sie wollen den
Regierenden eins auswischen. Ob die Alternative für Deutschland
wirklich Alternativen bietet, scheint vielen dabei egal. Aber ist es
diesen Wählern auch egal, wenn AfD-Politiker gar nicht so nah
dran sind am Bürger, wie sie vorgeben? Wenn sie die Nöte der
Region, in der sie zur Wahl antreten, nicht kennen können, weil
sie ihren Lebensmittelpunkt woanders haben? Laut Wahlgesetz
ist das jedenfalls nicht egal. Demnach gilt bei Landtagswahlen für
alle Politiker: Sie dürfen nur kandidieren, wenn sie in dem
Bundesland auch wirklich wohnen. Bei dem Ehepaar Marcus
Pretzell, gemeldet in Nordrhein-Westfalen, und Frauke Petry,
gemeldet in Sachsen, sind unsere Reporter an der richtigen
Adresse - an der richtigen Adresse zumindest, um Fragen zu
stellen. Hier ihr Bericht über Alternatives Wohnen.
Text:
Das Traumpaar der Alternative für Deutschland: Parteichefin
Frauke Petry und ihr Ehemann Marcus Pretzell, Vorsitzender des
größten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen.
Am 22. Dezember 2016 haben sie geheiratet - in Leipzig, wo
Frauke Petry mit ihren vier Kindern lebt. Auf ihrer Facebook-Seite
postete die schwangere Ehefrau Hochzeitsfotos und beide
verkünden ihren Stolz auf die neue, besondere Familie. Doch das
Eheglück könnte zum Problem für das Paar werden - wenige
Wochen vor der NRW-Landtagswahl im Mai.
Marcus Pretzell kandidiert auf Platz eins der Landesliste der AfD
als Mitglied des „Kreisverbandes Bochum“. Mitten im Revier soll
sein Hauptwohnsitz sein, behauptet er. Einen Hauptwohnsitz in
NRW braucht Pretzell unbedingt, um überhaupt gewählt werden
zu können.
O-Ton Professor Joachim Wieland,
Verfassungsrechtsexperte, Universität Speyer:
Der Gesetzgeber will durch diese Residenzpflicht bewirken,
dass die Abgeordneten als Vertreter des Volkes auch die
Probleme in dem jeweiligen Land kennen, dass sie wirklich
das Landesvolk repräsentieren können und nicht
gewissermaßen als Fremdherrscher aus einem anderen Land
kommen und dann dort politische Entscheidungen treffen.
So steht es auch im nordrhein-westfälischen Landeswahlgesetz:
„Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der am Wahltag seit
mindestens drei Monaten in Nordrhein-Westfalen (…) seine
Hauptwohnung hat (…).“
Und eine sogenannte „Hauptwohnung“ ist laut
Bundesmeldegesetz:
„(…) die vorwiegend benutzte Wohnung (…)“
Doch Marcus Pretzell nahm es offenbar nicht immer so genau mit
dem Meldegesetz. Im Februar 2016 gab er an, hier seinen
Hauptwohnsitz gehabt zu haben, auf einem abgelegenen Gehöft
im Düsseldorfer Süden. Das leerstehende Haus wird heute als
Lagerschuppen genutzt. Frontal 21 fragte damals bei der
Meldebehörde an. Nach einer Überprüfung teilte die Stadt
Düsseldorf mit, sie gehe bei Marcus Pretzell,
Zitat:
„(… ) von einem Verstoß gegen die Meldepflicht aus.“
Düsseldorf meldet Pretzell von Amts wegen ab. Wochenlang
hatte der AfD-Landesvorsitzende 2016 keinen gemeldeten
Wohnsitz in NRW. Auf Fragen dazu antwortet Pretzell nicht.
O-Ton Prof. Thorsten Koch, Rechtswissenschaftler,
Universität Osnabrück:
Nach den jetzt vorliegenden Informationen bestehen doch
Zweifel, ob der Hauptwohnsitz in Nordrhein-Westfalen
besteht, denen auf jeden Fall nachgegangen werden sollte,
um den Bestand der Landtagswahl nicht zu gefährden.
Inzwischen ist Pretzell verheiratet. Der Illustrierten BUNTE
gewährte das Liebespaar Petry-Pretzell exklusive Einblicke ins
Familienleben. Aus erster Ehe haben beide jeweils vier Kinder.
Frauke Petry betont:
„Ich bin nach wie vor ganz für die vier da, mache ihnen
morgens das Frühstück, fahre sie zur Schule - wie jede
Mutter eben.“ Quelle: BUNTE
Das Gesetz fordert bei Verheirateten:
„Hauptwohnung (…) ist die vorwiegend benutzte Wohnung
der Familie (…).“
Frauke Petry lebt in Leipzig mit ihren vier Kindern. Ihr Ehemann
Marcus Pretzell versichert, sein Lebensmittelpunkt sei Bochum.
Bochum Wattenscheid-Höntrop, ein bürgerliches Wohnviertel, ein
Grundstück mit zwei Häusern, ein Klebestreifen mit dem Namen
„Pretzell“. Das vordere Haus gehört der Familie einer AfDLandtagskandidatin mit aussichtsreichem Listenplatz. Hier wohnt
der AfD-Landeschef Pretzell zur Miete. Niemand ist zu Hause.
Im Haus gegenüber schauen sie direkt auf Pretzells Einfahrt.
O-Ton Frontal 21:
Er sagt, er sei also hier mit seinem Hauptwohnsitz.
O-Ton Renate Rost, Nachbarin:
Nee, nee, und der hätte hier einen Wohnsitz?
O-Ton Frontal 21:
Seinen Hauptwohnsitz sogar!
O-Ton Renate Rost, Nachbarin:
Nee, niemals.
O-Ton Andreas Mertin, Nachbar:
Hab ich noch nie gesehen, nee.
O-Ton Frontal 21:
Noch nie gesehen? Auf der Straße noch nie?
O-Ton Andreas Mertin, Nachbar:
Nee, noch nie aufgefallen.
O-Ton Frontal 21:
Der hat hier seinen Hauptwohnsitz, der soll hier regelmäßig
sein.
O-Ton Andreas Mertin, Nachbar:
Ja, aber ich hab den noch nie gesehen, wirklich nicht.
O-Ton Frontal 21:
Hält dieser Mann sich hier regelmäßig auf in diesem Haus?
O-Ton Paul Schmitz-Kranz, Nachbar:
Habe ich nicht gesehen.
O-Ton Frontal 21:
Sie haben ja direkten Einblick. Also, Sie schauen ja direkt
aufs Grundstück.
O-Ton Paul Schmitz-Kranz, Nachbar:
Ich schau da drauf, aber ich hab ihn so konkret nicht
gesehen.
Nachfrage am Kiosk, nur 50 Meter entfernt.
O-Ton Frontal 21:
Das ist der Chef der AfD Nordrhein-Westfalen,
Europaabgeordneter.
O-Ton Marga Volmer, Nachbarin:
Der soll hier wohnen?
O-Ton frontal 21:
Ja.
O-Ton Marga Volmer, Nachbarin:
Nee, hab ich hier noch nie gesehen!
O-Ton Frontal 21:
Ist der Ehemann von Frauke Petry, haben Sie den schon mal
hier gesehen?
O-Ton Marga Volmer, Nachbarin:
Nee, Frauke Petry kenne ich aus dem Fernsehen, aber den
kenne ich nicht.
O-Ton Frontal 21:
Das ist der Ehemann.
O-Ton Kioskbesitzer:
Das ist der Marcus Pretzell?
O-Ton Frontal 21:
Sie haben ihn auch noch nicht gesehen?
O-Ton Kioskbesitzer:
Also, im Fernsehen schon, aber hier nicht.
Wir gehen zum Eigentümer des Hauses direkt nebenan, keine
fünf Meter von Pretzells Haustür entfernt, zeigen ihm Fotos von
Pretzell. Vor die Kamera will er nicht.
O-Ton Frontal 21:
Also, Sie gehen aber nicht davon aus, dass das sein
Hauptwohnsitz ist hier?
O-Ton Eigentümer (Gedächtnisprotokoll):
Wenn das der Hauptwohnsitz wäre, dann wäre er auch
regelmäßig für mich sichtbar - und das ist nicht der Fall.
Die Stadt Bochum ist die zuständige Meldebehörde. Sie hat am
13. Dezember mit einem solchen Dokument die „Bescheinigung
der Wählbarkeit“ für Marcus Pretzell ausgestellt. Die ging an den
Landeswahlleiter. Und auch der hat nach nochmaliger
Überprüfung keine Bedenken gegen die Kandidatur des AfDPolitikers Pretzell für den NRW-Landtag. Er teilt uns mit,
Zitat:
„Die Wählbarkeitsbescheinigung der Kommune für diesen
Bewerber vom 13. Dezember 2016 hat daher Bestand.“
Wir fragen nach bei Marcus Pretzell. Sein Anwalt antwortet,
Zitat:
„Unser Mandant hat insbesondere seine Hauptwohnung in
NRW. Es handelt sich dabei auch um die vorwiegend
benutzte Wohnung.“
Warum aber haben ihn dann so viele seiner Nachbarn in Bochum
noch nie gesehen? Auf dem Landesparteitag am Wochenende in
Oberhausen fragen wir ihn selbst.
O-Ton Frontal 21:
Wir haben Fragen zu Ihrem Wohnsitz in Bochum. Ist dort Ihr
Hauptwohnsitz?
O-Ton Marcus Pretzell, AfD-Landesvorsitzender NordrheinWestfalen:
Das wissen Sie und das hat im Übrigen auch die
Meldebehörde festgestellt, aber das ist Ihnen bekannt. Und
Ihre Versuche, hier Dinge zu skandalisieren und sich auf
Aussagen von Dritten, die der AfD nichts Gutes wollen, zu
verlassen, sind zwar aller Ehren wert, und Sie bekommen
bestimmt auch den Merkel-Verdienstorden dafür, aber es ist
genauso falsch. Aber das wissen Sie, denn Sie haben eine
Stellungnahme von mir dazu, sogar schriftlich und Sie
wissen vielleicht auch, dass die Meldebehörde sich eindeutig
gegenüber dem Landeswahlleiter zwei Mal geäußert hat, Herr
Halbach.
O-Ton Frontal 21:
Nicht gegenüber uns.
O-Ton Marcus Pretzell, AfD-Landesvorsitzender NordrheinWestfalen:
Das muss sie auch nicht.
O-Ton Frontal 21:
Ihre Nachbarn dort kennen Sie nicht, Herr Pretzell.
O-Ton Marcus Pretzell, AfD-Landesvorsitzender NordrheinWestfalen:
Das ist nicht wahr. Auch das ist gelogen, Herr Halbach. Das
ist gelogen, Herr Halbach.
Viele Nachbarn sagen, sie hätten den AfD-Spitzenmann noch nie
an seiner Hauptwohnung gesehen. Die Behörden aber glauben
ihm. Also, alles in Ordnung?
Pretzell sagt, sein Hauptwohnsitz und damit „Lebensmittelpunkt“
sei Bochum - 435 Kilometer und fast fünf Autostunden getrennt
von seiner Ehefrau Frauke Petry. Die hat ihren Hauptwohnsitz in
Leipzig, lebt dort mit ihren vier Kindern und erwartet ein Baby von
Pretzell. Zwei Hauptwohnsitze – geht das überhaupt?
O-Ton Professor Joachim Wieland,
Verfassungsrechtsexperte, Universität Speyer:
Das Ehepaar kann nicht zu zweit praktisch
Landtagsabgeordnete in verschiedenen Ländern sein,
sondern sie müssen sich entscheiden, wo sie ihren
Hauptwohnsitz nehmen. Und in dem Land, wo sie den
Hauptwohnsitz haben, sei es in Sachsen oder sei es in
Nordrhein-Westfalen, kann dann einer von beiden
Landtagsabgeordneter sein oder bleiben.
Im Klartext: Tritt Pretzell im Mai als AfD-Spitzenkandidat in NRW
an, müsste Frauke Petry ihr Mandat im sächsischen Landtag
abgeben. Sollte Petry im Landtag bleiben, dürfte Pretzell nicht zur
Wahl antreten. Diesen möglichen Konflikt sollte der
Landeswahlleiter in NRW ernst nehmen, meint der
Verfassungsrechtler.
O-Ton Professor Joachim Wieland,
Verfassungsrechtsexperte, Universität Speyer:
Das Risiko, das der Landeswahlleiter mit seiner
Unbedenklichkeitserklärung eingeht, ist, dass ein Wahlfehler
vorliegt und dass die Wahl deshalb mit hohen Kosten später
wiederholt werden müsste.
Sie müssen sich entscheiden – entweder Sachsen oder
Nordrhein –Westfalen. Das AfD-Traumpaar im Konflikt mit dem
Gesetz.
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