SWR2 Wissen

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Yosemite – Der zweitälteste
Nationalpark der USA
Von Wolfgang Stuflesser
Sendung: Dienstag, 31. Januar 2017, 8.30 Uhr
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Autorenproduktion
Produktion: SWR 2017
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MANUSKRIPT
Atmo Park
O-Ton Doug Mewhinney:
„It just makes you feel so small and unimportant.”
Sprecher:
Doug Mewhinney steht im Yosemite Tal und schaut auf El Capitan. Der riesige
Granitfels ragt 1000 Meter hoch aus dem Tal heraus, sein Gipfel liegt 2300 Meter
über dem Meeresspiegel. Entstanden vor mehr als 100 Millionen Jahren, ist El
Capitan, auf Deutsch „Der Häuptling”, eines der Wahrzeichen des YosemiteNationalparks. Kein Wunder, dass Doug beim Anblick des hellgrauen, erstaunlich
glatten Felsmassivs ins Philosophieren kommt: „Die Natur wird noch lange nach uns
da sein“, sagt er, „und sie war lange vor uns hier. Sie kümmert sich nicht um uns,
sondern ist einfach grandios.“
O-Ton Doug Mewhinney:
„Nature will be … It‟s just grand.”
Musik: Ten Speed
Ansage:
Yosemite - Der zweitälteste Nationalpark der USA
Eine Sendung von Wolfgang Stuflesser
Sprecher:
Ein Gletscher hat sich in der letzten Eiszeit durchs Yosemite-Tal gewälzt und ihm
dabei seine Form gegeben. Heute wälzen sich vor allem Touristenmassen durch die
prachtvolle Landschaft – mehr als 4 Millionen sind es im Jahr. Wie Alex, Carl und
Sakku aus Finnland, die einen Rucksacktrip durch den Park machen und, wie sie
sagen, alles sehen wollen:
O-Ton Alex und Co.:
„Everything - El Capitan, Half Dome, Water falls.”
Musik: Ten Speed
Atmo Park, Vogelzwitschern
O-Ton Scott Gediman:
„This is the office, so …”
Sprecher:
Das hier sei sein Büro, sagt Scott Gediman und lächelt verschmitzt. Er ist Park
Ranger im Yosemite Park und steht nicht in einem wirklichen Büro, sondern auf der
Wiese Cooks Meadow im Herzen des Parks:
2
O-Ton Scott Gediman
Übersetzer:
„Das ist einer meiner Lieblingsplätze, weil man hier einen 360-Grad-Rundum-Blick
hat. Dort oben sieht man den Upper Yosemite Fall, den höchsten Wasserfall des
nordamerikanischen Kontinents, im Osten dann Half Dome – dieser halbkugelförmige
Fels ist das inoffizielle Wahrzeichen des Parks. Das da drüben ist Sentinel Rock, der
bei Kletterern besonders beliebt ist. Dann natürlich El Capitan – und umgeben sind
wir von dieser schönen Wiese mit dem Merced River.“
Sprecher:
Die ersten Menschen betraten wohl vor acht- bis zehntausend Jahren das Tal, und
seit mindestens dreitausend Jahren gab es dauerhafte indianische Wohnstätten. Erst
1851 verschlug es die ersten amerikanischen Siedler hierher. Unter ihnen der Arzt
und Naturforscher Lafayette Bunnell. Er schrieb über seine erste Begegnung mit der
Naturschönheit dieser Gegend später:
O-Ton Zitat Lafayette Bunnell
Zitator:
„Als ich mir das Tal anschaute, schien ein merkwürdig erhabenes Gefühl mein
ganzes Wesen zu erfassen – und meine Augen füllten sich mit Tränen. Mit
Enthusiasmus sagte ich: ‚Ich habe hier die Kraft und den Ruhm eines höheren
Wesens erfahren. Diese Felsen sind Zeugen der Majestät seiner Schöpfung.„„
Sprecher:
Leider zollten Bunnell und seine Leute den hier lebenden Menschen nicht denselben
Respekt wie der Natur: Ihr Mariposa Bataillon hatte das Ziel, die im Tal siedelnden
Indianer zu vertreiben, die sie für einen Angriff auf eine nahegelegene Siedlung
verantwortlich machten. Bunnell gab dem Tal auch seinen heutigen Namen –
„Yosemite“ – er glaubte, so heiße der hier lebende Indianerstamm. Ein Fehler:
„Yosemite“ bedeutet wörtlich übersetzt „Sie sind Mörder” – so bezeichnete der
Stamm der benachbarten Miwok-Indianer ihre Feinde, die im Tal lebenden
Ahwahneechee. In deren eigener Sprache hieß die Gegend „Ahwanee“, was wörtlich
übersetzt so viel wie „offener Schlund“ bedeutet. Im Grunde ist der heute so
berühmte Name „Yosemite“ also eine Beschimpfung, ein Stück Kriegspropaganda.
Musik: Wooden Nickel
Sprecher:
Die Nachricht, dass es hier einen hunderte Meter hohen Wasserfall gebe, verbreitete
sich schnell in den USA und zog Touristen an. Allerdings brauchten sie eine gewisse
Ausdauer: Zwei Tage dauerte die Reise mit der Kutsche von San Francisco bis zur
nächstgelegenen Stadt. Dann folgte, mangels befestigter Straßen, ein dreitägiger
Treck zu Fuß oder auf dem Rücken eines Pferdes über schmale Gebirgspfade an
den Granitfelsen entlang. Doch für viele lohnte das Ziel die Mühe allemal: Bald schon
kursierten Zeichnungen, Gemälde und erste Fotografien des Tals.
3
Und im Grunde wurde hier die Idee der Nationalparks geboren, erzählt Park Ranger
Scott Gediman. Das war, als Präsident Lincoln 1864 ein Gesetz mit dem Namen
„Yosemite Grant” unterzeichnete.
O-Ton Scott Gediman
Übersetzer:
„Die Vereinigten Staaten waren im Bürgerkrieg, und Präsident Lincoln versuchte
natürlich, die Nation zusammenzuhalten. Man brachte ihm frühe Fotos und
Beschreibung dieses schönen Tals, der Wasserfälle und der SequoiaMammutbäume. Während des Goldrauschs kamen viele Leute hierher, sägten die
Sequoias ab und schütteten Chemikalien in die Flüsse. Dagegen formte sich eine Art
kleine Umweltbewegung, und das Ergebnis ist der Yosemite Grant: Zum ersten Mal
auf der Welt wurde ein Stück Land in dieser Art unter Schutz gestellt, um es zum
Wohle aller zu erhalten.”
Sprecher:
Damit entstand im Yosemite-Tal die Idee, die erst acht Jahre später zur Gründung
des ersten Nationalparks in Yellowstone führte. Kein privater Landbesitz, strenge
Schutzauflagen für die Natur.
Yosemite selbst erhielt erst 1890 den Status eines Nationalparks. Mitverantwortlich
dafür war wieder einer, der der Schönheit der Natur restlos erlegen war: John Muir.
Auf alten Fotos sieht er aus wie eine Mischung aus Heidis Almöhi und Louis Trenker
– drahtig, ein bisschen kauzig, mit langem, weiß gelocktem Bart. Doch als er
Yosemite zum ersten Mal sah, war er erst um die dreißig. Später schrieb er in einem
Brief darüber:
Zitat John Muir
Zitator:
„Als ich das Yosemite-Tal erreichte, schienen alle Felsen zu mir zu sprechen,
liebenswerter als je zuvor. Sie sind mir gute Freunde, und durch ihr granitsteinernes
Fleisch fließt warmes Blut. Meine Liebe zu den Felsen ist durch unsere lange, enge
Kameradschaft noch gewachsen. Ich badete im klaren Fluss, bummelte über die
Wiesen, unterhielt mich mit den Steinkuppeln und spielte mit den Pinien.“
Sprecher:
Für Muir kam der erste Besuch des Tales einem Erweckungserlebnis gleich – der
schottische Einwanderer, der eigentlich in San Francisco wohnte, kehrte noch
mehrmals in sein geliebtes Yosemite zurück, arbeitete einen Sommer als Hirte und
lebte zwei Jahre in einer einfachen Hütte, die er sich eigens am Yosemite Creek
zusammen mit einer vom Wasser betriebenen Säge für Baumstämme gebaut gebaut
hatte, und zwar bewusst so, dass das Wasser auch durch einen Teil der Hütte floss –
Muir hörte das Plätschern so gern.
Immer wieder erkundete Muir die fast unberührten Wälder rund um das Tal,
ausgerüstet nur mit einer Blechtasse, ein paar Blättern Tee und einem Laib Brot.
Bald wurde Muir zu einer festen Größe in Yosemite, war ebenso eine
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Sehenswürdigkeit, die die Leute besuchten, wie El Capitan und Half Dome. Ein Guru,
würde man heute vielleicht sagen. Einer, für den die Natur einen fast heiligen Status
hatte.
Zitat John Muir
Zitator:
„Felsen, Wasser und so weiter sind Worte Gottes – wie die Menschen auch. Wir alle
entströmen einer einzigen Seele, sie ist unsere Quelle. Wir alle sind Ausdruck einer
einzigen Liebe. Gott ergießt sich nicht nur aus engen Felsspalten und Brunnen, die
an ein paar von ihm bevorzugten Orten gebohrt wurden. Er fließt in einem großen,
ungeteilten Strom. Uferlos und ohne Grenzen ergießt er sich über alle Religionen,
Kulturen und Völker, über Menschen und Tiere. Er sättigt sie und lässt sie ihrerseits
zu Brunnen werden.“
Sprecher:
Es wäre aber falsch, Muir als etwas spinnerten Hippie abzutun: Er führte
Naturstudien durch, veröffentliche Artikel darüber und betrieb richtige Lobbyarbeit für
Yosemite, bis der Kongress im tausende Kilometer entfernten Washington 1890 ein
Gesetz verabschiedete, mit dem auch Yosemite den Status eines Nationalparks
erhielt. Für Yosemite hatte das allerdings nicht nur positive Folgen. Park-Ranger
Scott Gediman:
O-Ton Scott Gediman
Übersetzer:
„In den 1930er- und 40er-Jahren wollte man es den Besuchern des Parks so einfach
wie möglich machen – und so baute man zum Beispiel eine Asphaltstraße bis direkt
an die Sequoia-Bäume, auch Straßen für eine Bimmelbahn und einen Souvenirladen
gleich daneben.”
Countdown – Geräusch Vorschlag-Hämmer 2014
Sprecher:
Deshalb gab es vor drei Jahren ein besonderes Event: Statt eines Spatenstichs
griffen die Verantwortlichen für den Park zum Vorschlaghammer und hauten auf ein
Stück Asphalt ein, direkt an der berühmtesten der drei Sequoia-Ansiedlungen im
Park: Es war der Auftakt zu einer mehrjährigen Sperrung der Mariposa Grove.
O-Ton Scott Gediman
Übersetzer:
„Ich nenne es gern ein Rückentwicklungs-Projekt oder eine Wiederherstellung: Der
Souvenirladen ist weg, wir reißen die Straßen heraus und ersetzen sie durch
hölzerne Stege, auf denen die Fußgänger laufen können, ohne die Wurzeln der
Bäume zu beschädigen. Nächsten Sommer wollen wir die Mariposa Grove in ihrer
alten Natürlichkeit wieder öffnen.”
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Sprecher:
Die Mariposa-Grove ist dabei nur ein Teilprojekt in einem großen Masterplan, erklärt
Scott Gediman:
O-Ton Scott Gediman
Übersetzer:
„In den nächsten 15 bis 20 Jahren wird Yosemite sicher natürlicher werden. Mit
weniger Infrastruktur und weniger Menschen. Wir schauen uns auch an, welche
heimischen Tierarten bedroht sind und versuchen, ihre Population zu erhöhen. Wir
wollen die Artenvielfalt und das Biosystem wieder herstellen und auch ein paar
Gebäude abreißen. Wir sagen dazu: Lass‟ der Natur ihren Lauf.”
Sprecher:
Fürs erste aber bleibt der große Andrang ein Problem: Im Sommer, besonders am
Wochenende, reiht sich im Park Auto an Auto, Stoßstange an Stoßstange – wie zur
Rush Hour in einer Großstadt. Die Parkplätze sind belegt, der Parkbesuch wird zur
Geduldsprobe.
O-Ton Scott Gediman
Übersetzer:
„Unsere größte Herausforderung ist das Auto. Wir haben eine Menge Besucher, die
im Auto kommen, und es ist nicht einfach, die nötigen Parkplätze bereitzustellen oder
Staus zu verhindern. Vor allem am Wochenende ist viel los, deshalb empfehlen wir
den Besuchern zum Beispiel, samstags früh am Morgen oder dann erst wieder am
Nachmittag zu kommen.”
Sprecher:
Der National Park Service, der den Park verwaltet, tut eine Menge, um die Zahl der
Autos auf einem erträglichen Maß zu halten:
O-Ton Scott Gediman
Übersetzer:
„Wir haben ein wunderbares Shuttle-Bus-System im Park. Die Busse fahren mit
Hybridantrieb, Diesel und elektrisch, sie kommen alle fünf Minuten und sie sind
kostenlos. Wir fordern die Leute auf, ihr Auto gleich zu parken und dann mit dem Bus
weiter zu fahren. Die Shuttles steuern alle Sehenswürdigkeiten an und auch die
Startpunkte der Wanderwege. Sie werden sehr gut angenommen, weil die Leute
merken, dass sie mit ihrem eigenen Auto ohnehin nur im Stau stehen würden. Die
Busse sind immer voll, und das ist eine großartige Sache.”
Musik
Sprecher:
Der Park zieht ganz verschiedene Besucher an: Viele wandern und klettern, einige
angeln, andere fahren von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten - man sieht auch
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Künstler, die ihre Staffelei aufstellen und versuchen, die Naturschönheit wie damals
zur Zeit John Muirs mit Stift und Pinsel einzufangen. Nur mit einer Gruppe kann der
Parkservice gar nicht: Das sind die sogenannten Base-Jumper, die von einem der
hohen Felsen springen und dann einen Flügelanzug, den sogenannten Wing Suit,
nutzen, um durchs Tal zu gleiten und gerade noch im letzten Moment ihren
Fallschirm zu öffnen. Klingt gefährlich – und ist es auch: Dean Potter, der ungekrönte
König der kalifornischen Base-Jumper, machte hier im Park vor anderthalb Jahren
tragische Schlagzeilen:
O-Ton CNN, 18.05.2015
Sprecher:
Potter und sein Partner Graham Hunt hatten versucht, vom Aussichtsfelsen Taft
Point ins Yosemite-Tal zu springen. Später meldeten Freunde sie als vermisst, und
die Suchtrupps konnten nur noch ihre Leichen bergen. Beide hatten die Winde im Tal
falsch eingeschätzt.
O-Ton Scott Gediman
Übersetzer:
„Base-Jumping ist hier im Park verboten. Wir betonen immer, dass wir damit nicht
über das Base-Jumping an sich urteilen – wir müssen aber entscheiden, ob es als
Aktivität im Park angemessen ist – also ob es andere Besucher beeinträchtigt oder
die Natur schädigt. Wir hatten schon Base-Jumper, die ihren Fallschirm nicht richtig
steuern konnten, so dass sie auf Bergsteiger an den Felswänden gestürzt sind.
Andere landeten in Bäumen. Wir finden, dass Base-Jumping eine Atmosphäre
schafft, die dem Park nicht zuträglich ist.”
Sprecher:
Man merkt es Scott Gedimans vorsichtigen Formulierungen an, dass der National
Park Service solche Entscheidungen wie das Verbot des Base-Jumpings nicht ohne
gründliche Überlegung trifft.
O-Ton Scott Gediman
Übersetzer:
„Wir haben eine doppelte Mission hier im Park: Wir wollen die Natur erhalten und
schützen – und sie den Menschen zugänglich machen, damit sie sich daran erfreuen
können.“
Musik: Ten Speed
Sprecher:
Natürlich ist der Yosemite-Nationalpark auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die
ansonsten eher strukturschwache Gegend vier Autostunden östlich von San
Francisco. Es gibt allein 1100 Hotelbetten rund um den Park – zusätzlich zu den 14
Campingplätzen im Park selbst mit Platz für 2700 Camper. Der Park hat ein
Jahresbudget von 28 Millionen Dollar. Der National Park Service beschäftigt in der
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Hochsaison im Sommer 1200 Menschen. Dazu kommen noch mal 1700 in den
Cafés, Läden und Hotels im Park - denn wer in Yosemite übernachten will, muss das
nicht im Schlafsack auf der Isomatte tun. Das Ahwanee-Hotel, eine Art Mischung aus
Ritterburg und Ranch, 1927 eröffnet, hat 123 Zimmer für mehr als 450 Euro pro
Nacht und ist für den Sommer oft schon Monate vorher ausgebucht.
Ahwanee Hotel Werbespot
Sprecher:
Die Queen hat hier schon übernachtet, und Apple-Gründer Steve Jobs, dem sonst
nichts gut genug war, hat hier seine Hochzeit gefeiert. Doch seit März vorigen Jahres
heißt das „Ahwanee” nicht mehr so – der indianische Name wurde ersetzt durch „The
Majestic”. Nicht aus Marketinggründen, sondern weil der National Park Service sich
in einem Rechtsstreit befindet. Scott Gedimann:
O-Ton Scott Gediman
Übersetzer:
„Es ist eine komplizierte Geschichte: Wir haben im Park Verträge mit den
Unternehmen, die die Hotels betreiben. Die Hotels selbst gehören der Regierung.
2014 hat die Betreiberfirma Delaware North den Bieterwettstreit um die
Vertragserneuerung an die Firma Aramark verloren. Und nun wurde bekannt, dass
sich Delware North ohne das Wissen des National Park Service die Rechte an den
Namen wie Ahwanee, Curry Village oder Badger Pass gesichert hat. Sie fordern vom
neuen Betreiber 51 Millionen Dollar für die Namensrechte. Die neuen Namen, die wir
verwenden, sind nur temporär, weil die Gegenseite mit einem Antrag auf Schließung
der Hotels gedroht hat. Wir wollen sichergehen, dass die Besucher, die oft ein Jahr
im Voraus reserviert haben, nicht vor verschlossenen Türen stehen. Die alten Namen
werden zurückkehren. Aber jetzt benutzen wir erst mal die neuen.”
Sprecher:
Der erbitterte Rechtsstreit könnte sich noch über Jahre hinziehen – er zeigt, wie
wertvoll die Marke Yosemite auch wirtschaftlich ist.
Musik: Reward the Dog
Geräusch Bohrmaschine
Sprecher:
Lee Zimmermann kann der Namensstreit egal sein. Ihm gehört das erste Hotel, das
in mehr als 25 Jahren rund um den Park eröffnet hat. Im vorigen Sommer hat die
„Rush Creek Lodge” ihren Betriebe aufgenommen – als ich die Lodge wenige
Wochen später besuche, ist immer noch viel zu tun. Gerade wird ein Grill für
„S„mores” installiert, die in den USA so beliebte Kombination aus Keksen,
Schokolade und Marshmallows, die die Gäste nach einem langen Tag im Park am
Feuer schmoren lassen sollen.
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Die Hotelanlage wirkt längst nicht so düster wie die üblichen Blockhütten-Hotels im
Park. Helle Holzbauten gruppieren sich um einen großen Swimmingpool. Ein Pool in
einem Wandererhotel – das klingt erst mal merkwürdig.
O-Ton Lee Zimmermann
Übersetzer:
„Während des Tages sind alle im Yosemite Park unterwegs. Aber so ab fünf Uhr
abends kommen alle zurück und dann haben 200 Leute Spaß im und am Pool.“
Sprecher:
Mit Preisen von umgerechnet bis zu 400 Euro pro Nacht zielt die Lodge auf ein
zahlungskräftiges Publikum. Unlackiertes Holz und schmiedeeiserne Elemente
schaffen einen Look, der irgendwo zwischen nobel und rustikal pendelt – gut
vorstellbar, dass hier in Zukunft die Angestellten der großen Computerfirmen aus
dem Silicon Valley bei einem Wochenendtrip mal so richtig ausspannen. Allerdings
fehlen in den Zimmern manche der typischen Annehmlichkeiten. Ganz bewusst, sagt
der Hotelchef.
O-Ton Lee Zimmermann
Übersetzer:
„In unseren Zimmern gibt es keine Fernseher. Statt dessen stehen da zwei große
Kisten, eine mit Brettspielen und eine mit Büchern. Das ist unsere Philosophie und
wir drängen sie unseren Gästen im Grunde auf. Man braucht keinen Fernseher,
wenn man an einem so schönen Ort ist, wo es so viel zu sehen gibt. Notfalls gibt es
Fernseher in der Hotelbar, aber ansonsten bieten wir den Leuten die Chance,
abzuschalten, abzutauchen, auch aus dem Zwang der Erreichbarkeit. Wenn wir den
Leuten das bieten können, ist das ein großer Gewinn.“
Sprecher:
Auch optisch probiert Lee Zimmermann Dinge aus, die in amerikanischen Hotels
sonst eher unüblich sind: Die Rückwand der Rezeption besteht aus
wiederverwertetem Holz, das aus Scheunen der Umgebung stammt, und viele Möbel
wurden von örtlichen Handwerkern angefertigt. In Zusammenarbeit mit einer Schule
gibt es Praktikantenplätze für Jugendliche aus sozial schwachen Familien. Und
besonders viele Gedanken hat Zimmermann auf den Umgang mit der im
dürregeplagten Kalifornien so kostbaren Ressource Wasser verwendet:
O-Ton Lee Zimmermann
Übersetzer:
„Unser gesamtes Wasser müssen wir selbst aus der Erde pumpen, aus 300 Metern
Tiefe. Es ist kristallklar, aber auch teuer. Deshalb wollen wir jeden Tropfen recyclen.
Das Brauchwasser aus den Duschen wird gleich zum Gießen der Pflanzen
wiederverwertet. Und das Schmutzwasser bereiten wir selbst wieder auf, bis es
sauber genug ist, dass wir es unter der Erdoberfläche zum Bewässern einsetzen
können.“
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Sprecher:
Seit vier Jahren herrscht in Kalifornien Dürre – und das hat natürlich auch Folgen für
den Park – auf dem Weg von der Rush Creek Lodge Richtung El Capitan und Half
Dome steht stellenweise gar kein Wald mehr, nur vereinzelt ragen verkohlte
Baumstämme wie schwarze Schaschlikspieße in die Luft. Der Wassermangel hat die
Wälder und besonders das Unterholz über Jahre austrocknen lassen – und wenn
dann auch nur ein Funke fliegt, ist schnell die Katastrophe da. Wie im Jahr 2013, als
das Rim Fire im Park wütete. Und auf einmal war die Natur in großer Gefahr, erinnert
sich Park Ranger Scott Gediman.
O-Ton Scott Gediman
Übersetzer:
„Die Riesensequoias sind ein Grund dafür, dass der Yosemite Nationalpark
überhaupt gegründet wurde. Sie sind wunderschön, manche sind geschätzte 1800
Jahre alt, und es gibt nur noch wenige Ansammlungen dieser Bäume. Das Rim Fire
hat die Sequoias in Merced Grove bedroht, also haben wir temporäre Sprüh-Systeme
installiert und eine historische Hütte dort in eine Art Alufolie gepackt. Normalerweise
lassen wir der Natur so weit es geht ihren Lauf, aber die Sequoias sind so wertvoll,
dass wir eine Ausnahme gemacht haben. Sie sind Teil des Erbes der Nationalparks,
und zum Glück konnten wir sie schützen.“
Musik: Reward the Dog
Atmo Vernal Fall
Sprecher:
Dürre und Feuer – daran ist hier kaum zu denken: Vernal Fall, einer der großen
Wasserfälle des Yosemite Parks, stürzt fasst 100 Meter zwischen den Granitfelsen in
die Tiefe und taucht das Tal des Merced River in einen Nebel aus Wassertröpfchen.
Das Besondere: Die Besucher können auf einem schmalen Pfad über den Fels die
gesamte Höhe des Wasserfalls erklimmen und so ein Gefühl für die Naturgewalt
bekommen. „Mist Trail“, Nebelpfad heißt die Tour auf den Wanderkarten. Schon der
Lärm ist ohrenbetäubend, die Flora wirkt fast tropisch, Pflanzen scheinen aus jeder
Ritze in den Felsen zu quellen, weil überall ein ständiger Sprühregen niedergeht. Ein
malerischer Regenbogen reiht sich an den nächsten – doch der Weg ist glatt und
schlüpfrig. Im Fels sind Metallgeländer verankert, daran ziehen sich die Leute hoch.
Es ist mit die einfachste Wanderstrecke, längst nicht so spektakulär wie das
Besteigen des Half Dome oder auch der Yosemite-Wasserfall mit seinen mehr als
400 Metern Höhe – doch auch hier wird die schiere Größe und Erhabenheit der Natur
schon spürbar. Und bei allem auch eine Verbundenheit mit den anderen Besuchern
– wenn sich eine Schulkasse aus der Highschool den Wassermassen ebenso
ehrfürchtig nähert wie eine Gruppe Amisch-People werden alle zu Pilgern mit dem
gemeinsamen Wallfahrtsziel der grandiosen Natur. Das verbindet, und man kommt
mit den Besuchern schnell ins Gespräch. Wie mit Patrick Killgallon. Er ist um die 60,
trägt Bermudas, Muscle-Shirt und Vokuhila, und ist auf einer Tour durch die
Nationalparks der USA.
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O-Ton Patrick Kilgallon:
„I‟m kind of on a tour across the national parks around the country. I left in Boston. …
went and so Devil‟s Tower.“
Sprecher:
In Boston ist er mit seinem uralten Honda losgefahren, gut fünfeinhalb tausend
Kilometer hat er schon hinter sich: Yellowstone, Mount Rushmore, Devil‟s Tower –
hat er alles schon gesehen. Er arbeitet eine richtige Wunschliste ab.
O-Ton Patrick Kilgallon:
„You know, kind of like a bucket list … never get to stop.”
Sprecher:
Früher war er Fernfahrer, erzählt er, und ist an den Parks immer nur vorbeigefahren.
O-Ton Patrick Kilgallon
Übersetzer:
„Und dann habe ich vor ein paar Jahren meine Frau verloren und wurde danach ein
bisschen depressiv. Die Reise hier ist mein Weg raus aus der Depression.“
Sprecher:
Die vielen Besucher in Yosemite stören ihn nicht, sagt er. Im Gegenteil, er schätzt es,
dass der Park so gut mit Straßen erschlossen ist. Er klopft auf seine Beinprothese.
O-Ton Patrick Kilgallon
Übersetzer:
„Ich habe nur ein Bein und kann nicht so weit durch den Wald laufen. Die
Nationalparks sind sehr benutzerfreundlich – ich sehe viele schöne Dinge.“
Sprecher:
Sagt‟s und steigt wieder in sein Auto – mehr als 6000 Kilometer hat er noch vor sich,
in drei Wochen will er wieder an der Ostküste sein.
Musik: Reward the Dog
Park-Atmo, Auto fährt
Sprecher:
Naturerlebnis, Wirtschaftsfaktor, Lebenshelfer - der Yosemite Park hat viele
Gesichter, erfüllt zahlreiche Funktionen. Wer eine Weile in der gigantischen Weite
und mühelosen Pracht dieser Natur verbringt, beginnt zu verstehen, warum die
Amerikaner so stolz sind auf ihre Nationalparks. „Sie sind die beste Idee, die wir je
hatten”, hat der US-Schriftsteller Wallace Stegner einmal gesagt. „Absolut
amerikanisch, absolut demokratisch – sie spiegeln das Beste an uns wider.” Das
erklärt vielleicht auch, warum die amerikanische Regierung wenig tut, um die Massen
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der Besucherströme einzuschränken. Auch wenn die Natur davon sicher profitieren
würde, stünde ein solcher Schritt der Idee des Nationalparks diametral entgegen. Als
im vorigen Frühjahr der damalige US-Präsident Barack Obama den Yosemite Park
besuchte, hielt er eine seiner kleinen, jovialen Ansprachen vor dem Hintergrund der
malerischen Szenerie, in Hemdsärmeln und mit den Augen in die Sonne blinzelnd.
Und warb im Grunde für noch mehr Besucher:
O-Ton Barack Obama
Übersetzer:
„Im Weißen Haus, in der Lobby des Westflügels hängt ein Gemälde, das Vernal Fall
und Half Dome zeigt. Aber in echt sieht das Ganze deutlich besser aus: Schauen Sie
sich diese Landschaft an: Die können sie auf keinem iPad oder Flachbildschirm
einfangen, auch nicht in einem Ölgemälde. Sie müssen herkommen und es selbst
einatmen.“
Sprecher:
Und so touristisch überlaufen das zentrale Yosemite-Tal auch ist – es macht natürlich
nur einen kleinen Teil des eigentlichen Parks aus. Wandert man nur eine Stunde in
Richtung einer der Gebirgsketten, hat man schon bald das Gefühl, weit weg zu sein
von allen Menschenmassen und die Natur ganz allein genießen zu dürfen.
Musik: Ten Speed
Sprecher:
Diese Schönheit der Natur als Gemeingut zu betrachten, dass geschützt und doch
allen frei zugänglich ist – das ist genau die typisch amerikanische Idee der
Nationalparks. Oder, wie es der Autor und Dokumentarfilmer Duncan Dayton in
seiner groß angelegten Dokumentation über die Nationalparks der USA formuliert:
O-Ton Duncan Dayton
Übersetzer:
„Ich glaube, tief in unsere DNA eingebettet gibt es diese Erinnerung daran, dass wir
früher nicht getrennt vom Rest der Natur waren, sondern ein Teil davon. In der Bibel
gibt es den Garten Eden als Ort, wo die Menschheitsgeschichte begann. Bei den
Nationalparks wurde zumindest versucht, sie so zu erhalten, wie sie ursprünglich
waren. Wenn wir so einen Park betreten, dann überschreiten wir eine Grenze und
sind nicht mehr Herren der Natur, sondern gehören dazu. In diesem Sinne ist es wie
eine Heimkehr: Es ist egal, wo wir herkamen, wir sind zurück am Ort unseres
Ursprungs.“
Musik: Ten Speed
(alle Musiken: Komponist: Thomas Newman, Album: The Judge: Original Motion
Picture Soundtrack, Label: Water Tower Music, LC 50893)
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