faulheit & arbeit Sonnabend/Sonntag, 4./5. Februar 2017, Nr. 30 n Drucksachen n Schwarzer Kanal n Reportage n ABC-Waffen Fabrikation von Fabrikanten. Friedrich Engels 1888 über Schutzzölle und Protektionismus in den USA. Klassiker Hitler im Weißen Haus. Jakob Augstein sieht bei Spiegel online die USA auf dem Weg in die Diktatur. Von Arnold Schölzel Die »Blockadekinder« Leningrads bezeugen ein unvorstellbares Verbrechen der Wehrmacht. Von Alexandre Sladkevich Am meisten staunte ich über ihre Augen. Wie war es, aus so einem Blau herauszusehen? Blaufiguration. Von René Hamann ACTU »Wir sind nur mit Abwehrkämpfen beschäftigt« Ein Gespräch Mit Alice Keys. Über Arbeitsbedingungen in Australien, Gewerkschaftsarbeit und die anhaltende Diskriminierung der Aborigines W ie ist die Situation der Lohnabhängigen in Australien? In einem Wort: schlecht. Manchmal habe ich das Gefühl, bei uns herrschen die schlimmsten Arbeitsgesetze der westlichen Welt. Während woanders durchaus immer mal wieder Verbesserungen durchgesetzt oder zumindest diskutiert werden, sind unsere Gewerkschaften nur mit Abwehrkämpfen beschäftigt. Debatten, wie die um eine Reduzierung der Arbeitszeit, sind hier unvorstellbar. Ich habe Aufkleber einer deutschen Gewerkschaft gesehen, wo es darum ging, die 35-Stunden-Woche durchzusetzen. So etwas ist bei uns unvorstellbar. Oh, diese Debatten sind auch in Deutschland leider längst überholt. Die Kampagne um die 35-StundenWoche ist sehr alt. Heutzutage bringt kein Gewerkschafter mehr solche Forderungen aufs Tapet. Trotzdem haben Sie deutlich mehr Arbeitsrechte als wir. Befristete Verträge sind bei uns die Regel. Das macht auch die Organisation extrem schwierig. Es traut sich doch kaum einer, sich gegen den Chef zu wehren, wenn sein Arbeitsvertrag in wenigen Monaten endet und auch danach nur für wenige Monate verlängert wird. Wenn er Glück hat, geht das so über Jahre gut und er ist immer in derselben Firma beschäftigt. Aber wenn man dem Chef zu oft widerspricht, sich für seine Kollegen einsetzt oder versucht, die wenigen Arbeitsrechte, die wir haben, durchzusetzen, gibt es eben kein »Roll-over«, also kei- Alice Keys … arbeitet in einer Fast-Food-Kette und engagiert sich in der »Shop, Distributive and Allied Employees’ Association«, einer australischen Dienstleistungsgewerkschaft ne Vertragsverlängerung. Das müssen Sie als Vorgesetzter nur einmal machen, dann wissen alle anderen Angestellten Bescheid und halten die Füße still. Aber seit dem Jahr 2009 gibt es doch den »Fair Work Act«? Dadurch hat sich auch viel verbessert, aber der Politik ging es zuallererst darum, die komplizierten Regelungen im ganzen Land einheitlich zu regeln. Sie müssen sich die Situation vor 2009 so vorstellen: In jedem Bundesstaat galten andere Regelungen, alles war extrem kleinteilig organisiert, je nach Branche, manchmal je nach Betrieb. Jetzt gibt es Bundesgesetze, auf die ich mich als Beschäftigter beziehen kann. Was besagen diese? Sie müssen sich das wie eine Pyramide vorstellen: Ganz unten, das Fundament, sind die »National Employment Standards« (NES), also die Mindeststandards, die für jeden Job in Australien gelten müssen. Dazu gehört etwa, dass die maximale Arbeitszeit auf 38 Stunden pro Woche festgelegt wurde. Zumindest theoretisch. Warum theoretisch? Also doch keine Mindeststandards? Eigentlich darf von diesen Regelungen nicht abgewichen werden, zumindest nicht, wenn es zum Nachteil für die Kollegen ist. Aber wenn es »angemessen« ist, darf der Chef auch verlangen, dass mehr gearbeitet wird. Aber wer beurteilt schon, was angemessen ist? Die Regeln dafür sind von Branche zu Branche unterschiedlich und sind in den NES festgehalten. Natürlich schimpfen die Unternehmer genauso darüber wie wir. Wir, weil es wachsweiche Formulierungen sind, und sie, weil sie ihnen nicht weit genug gehen. Es ist vielleicht ein wenig übersichtlicher geworden, aber immer noch kompliziert. Wie geht die Pyramide weiter? In den sogenannten Modern Awards der »Australian Industrial Relations Commis- »We are Union« – »Wir sind die Gewerkschaft«. Ein landesweiter Ak tionstag der australi schen Beschäftigten mit einer großen und vor allem kämpferischen Demonstration in Mel bourne am 5. März 2015 Abwehrkämpfe Ein Gespräch mit der australischen Gewerkschafterin Alice Keys über Arbeitsbedingungen in ihrem Land und die Diskriminierung der Aborigines. Außerdem: Hitler im Weißen Haus. Jakob Augstein sieht die USA nach zwei Wochen Trump auf dem Weg in die Diktatur. Schwarzer Kanal n Fortsetzung auf Seite zwei ACHT SEITEN EXTRA GEGRÜNDET 1947 · SA./SO., 4./5. FEBRUAR 2017 · NR. 30 · 2,00 EURO (DE), 2,20 EURO (AT), 2,60 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Wackelnde Oligarchie Verringertes Gefälle Springende Kopeke Phantasierender King 3 5 9 12 Vor 25 Jahren begann unter Führung von Hugo Chávez in Venezuela die »Bolivarische Revolution« Tarifabschluss für die Beschäftigten der Geld- und Wertbranche: Schritt zu Ost-West-Angleichung Russland will die Aufwertung des Rubels stoppen. Westliche Sanktionen verpuffen Narziss und Echo: Donald Trump schafft sich seine eigene Wahrheit. Von Götz Eisenberg Watschn für Demokratie Dein Abo Zeit. zur rechten Österreichs Innenminister will Demonstrationsrecht einschränken, wenn Kapitalinteressen bedroht werden – Unternehmer und Rechte jubeln. Von Michael Wögerer, Wien Bestellcoupon auf Seite 16 ! EPA/HERBERT P.OCZERET Trump-Beraterin erfindet Anschlag Alle Jahre wieder: Proteste gegen den rechten »Akademikerball« in Wien am 30. Januar 2015 D er Zeitpunkt war bewusst gewählt: Einen Tag vor der antifaschistischen Demonstration gegen den rechtsextremen »Akademikerball« in Wien lässt Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka von der konservativen Volkspartei (ÖVP) mit Plänen zur Einschränkung des Versammlungsrechts aufhorchen. Wie die Tageszeitung Die Presse am Donnerstag berichtete, sollen Demonstrationen künftig verboten werden können, wenn Geschäfte dadurch ihren Profit gefährdet sehen. Des weiteren sollen »Versammlungsleiter« für Sachbeschädigungen durch Demonstranten zivilrechtlich haften. Die Vorwände dafür muten skurril an. Im Juli demonstrierten nationalistische Türken in Wien gegen den Militärputsch in ihrem Land. Daraufhin ordnete das österreichische Innenministerium eine Prüfung des Versammlungsrechts an. Selbsternannte »Retter der Demokratie«, die nun offen die geplante Präsidialdiktatur des türkischen Regierungschefs Erdogan unterstützen, gaben also den Anstoß für die aktuelle antidemokratische Entwicklung in Österreich. Hinzu kommt das vorgeschobene Problem sogenannter »Spaßdemos«, die Sobotka untersagen lassen will. Die Reaktionen darauf folgten aufs Wort. Die rechtspopulistische FPÖ ließ in einer Aussendung verlauten, sie seien bezüglich der Vorschläge »gesprächsbereit«. Mit der persönlichen Haftung des Veranstalters würde der »Demonstrationstourismus durch linksextreme Chaoten relativ schnell aufhören«, ereiferte sich FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl. Doch nicht nur Rechtsaußen jubelt über Sobotkas Ideen. Das Demonstrationsrecht dürfe nicht dazu führen, »dass die Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Geschäftstreibenden der Inneren Stadt ununterbrochen in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt werden«, zeigt sich der Bezirksvorsteher im 1. Bezirk Wiens, Markus Figl, über die Pläne seines Parteikollegen erfreut. Für Juxdemos wie etwa den »Udo-JürgensBademantel-Umzug« von 2014 hätten die »Innenstädter« kein Verständnis. Die Wirtschaftskammer als gesetzliche Interessenvertretung der Händler nutzte die Gelegenheit, ihre Forderung nach »vordefinierten, fixen Demozonen« zu erneuern. Wo sich diese befinden sollen, verrät sie in ihrer Pressemitteilung allerdings nicht. . Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), die Grünen und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen reagierten empört auf die Pläne Sobotkas. Die Gruppe SOS Mitmensch sammelte bis jW-Redaktionsschluss mehr als 6.800 Protestunterschriften. Aus gewerkschaftlicher Sicht sei die Versammlungsfreiheit nicht verhandelbar, verlautbart der ÖGB. »Alle Maßnahmen, die darauf abzielen, diese Rechte einzuschränken, indem man Menschen, die demonstrieren wollen, mit der Androhung von Repressalien und Haftungen einschüchtert, sind inakzeptabel und mit den Grundrechten unvereinbar«, betont ÖGB-Präsident Erich Foglar. Die Reaktion der regierenden Sozialdemokraten war indes verhalten: »Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, mit dem sollte man nicht spielen«, meinte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler. Dass die Vorschläge des österreichischen Innenministers in der Öffentlichkeit durchaus auf offene Ohren stoßen, liegt nicht zuletzt an den jahrelangen Kampagnen der Boulevardmedien. Bei jedem noch so kleinen Aufmarsch im Herzen Wiens titelte zum Beispiel das Revolverblatt Österreich: »Demo legt Wien lahm«. Dass derartige »Fake News« weiterhin im großen Stil durch öffentliche Zuschüsse und Werbeaufträge gefördert werden, ist einer der Gründe, warum es in Österreich immer einfacher wird, demokratische Grundrechte auszuhebeln. Kiew verstößt gegen Minsker Abkommen Ukraine setzt Panzer im Donbass ein. Erneuter Beschuss von Zivilisten. USA beschuldigen Russland D ie Ukrainische Armee hat in der Nacht zu Freitag mehrfach gegen das Minsker Abkommen verstoßen. Wie die deutsche Nachrichtenagentur dpa meldete, haben die Kiewer Truppen Stadtviertel von Donezk mit Raketenwerfern beschossen. Dabei seien mindestens zwei Zivilisten getötet und 14 verletzt worden. Die russische Außenamtssprecherin Marija Sacharowa bezeichnete laut dem russischen Nachrichtenportal Sputnik den ukrainischen Angriff als Verstoß gegen die Genfer Konvention. Auch in der Industrie- stadt Awdijiwka starben nach Angaben der »Volksrepublik Donezk« mindesten zwei Menschen durch Artilleriebeschuss. Gefechte wurden zudem aus der Hafenstadt Mariupol gemeldet. Das Regime in Kiew machte unterdessen die Aufständischen in den beiden international nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk für die Eskalation der Lage verantwortlich. Sechs ukrainische Soldaten seien nach Angaben des Pressestabs von Freitag ums Leben gekommen, 18 wurden verletzt. Seit mehreren Tagen zählte die im Donbass stationierte Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) immer mehr ukrainische Panzer an der Front. Dies sei sowohl im Gebiet Donezk der Fall, allein in Awdijiwka seien vier Panzer gesichtet worden, als auch bei Lugansk. Dieses Vorgehen sei laut ARD ein Verstoß gegen das Minsker Abkommen, das den Rückzug von schwerem Kriegsgerät von der Front vorsieht. Zuletzt hatte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag in Berlin beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko dazu aufgerufen, an einer Verhandlungslösung im Rahmen des Minsker Abkommens festzuhalten. »Alternative Fakten« präsentierte dagegen die neue US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen (UN), Nimrata Haley. Die schreckliche Lage in der Ostukraine sei derart, »dass sie eine klare und scharfe Verurteilung des Verhaltens Russlands erfordert«, sagte Haley am Donnerstag im UNSicherheitsrat, wie die Nachrichtenagentur Reuters am Freitag meldete. Jasmin Werner Washington. Donald Trumps Beraterin Kellyanne Conway hat dessen Einreisestopp unter Hinweis auf ein »Massaker« durch irakische Flüchtlinge in den USA verteidigt – das es nicht gegeben hat. Zwei Iraker seien »Drahtzieher des Massakers von Bowling Green« gewesen, sagte sie am Donnerstag (Ortszeit) in einem Interview des Nachrichtensenders MSNBC. Allerdings gab es in Bowling Green im Bundesstaat Kentucky nie ein solches Massaker. 2011 waren dort zwei Iraker festgenommen worden, weil sie versucht haben sollen, Geld und Waffen für Al-Qaida in den Irak zu schicken. Einen Anschlag in den USA hatten sie den Ermittlungen zufolge nicht geplant. Trotzdem verschärfte die Regierung von Barack Obama daraufhin die Überprüfungen irakischer Flüchtlinge. Ein mit Trumps Erlass vergleichbares Einreiseverbot gab es dagegen nicht. (dpa/jW) Sieben Milliarden Euro Erbschaftssteuer Berlin. In Deutschland seien noch nie so viele Vermögen vererbt worden wie 2016, berichtete das Boulevardblatt Bild am Freitag. Den Bundesländern seien dadurch sieben Milliarden Euro Erbschaftssteuer zugeflossen. Dies seien elf Prozent mehr als 2015 und 60 Prozent mehr als 2011. Bayern habe mit 1,7 Milliarden Euro am meisten Geld eingenommen, gefolgt von NordrheinWestfalen (1,4) und Baden-Württemberg (1,1). Der Osten Deutschlands sei weit abgehängt. Gegenüber jW rückte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung am Freitag die Relationen zurecht: »Vererbt werden in Deutschland 200 bis 300 Milliarden Euro pro Jahr, von daher sind sieben Milliarden Euro nicht viel, denn die großen Vermögen werden weitgehend steuerfrei vererbt.« (jW) wird herausgegeben von 1.998 Genossinnen und Genossen (Stand 26.1.2017) n www.jungewelt.de/lpg
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