GERDSEN

Peter
GERDSEN
Peter
GERDSEN
Gesammelte
Mensch und Transzendenz
Der vorliegende Band enthält die Monographien ›Eine Erde wird
zur Hölle – Zwischen Tradition und Moderne‹, eine Aufsatzsammlung aus dem Jahre 2013 und ›Das moralische Kostüm
geistiger Herrschaft – Wie unter dem Deckmantel der Moral
Macht ausgeübt wird‹ aus dem Jahre 2014. Die erste Monographie geht der Frage nach, ob und inwieweit ein Leben ohne
Religion möglich ist und welche Auswirkungen diese auf die
Identität des Menschen und seine Selbstbestimmung hat. Der
Mensch bedarf einer spirituellen Dimension, die ihm Zuversicht,
Hoffnung und Seinsgewissheit schenkt. In der zweiten Monographie dieses Bandes ›Das moralische Kostüm geistiger Herrschaft‹ geht es um die Analyse des Zeitgeistes, die bereits der
Hintergrund der beiden Monographien ›Blockiertes Deutschland‹ und ›Deutschland in den Fesseln der Ideologien‹ war. Dieses Werk führt seine Leser auf eine gedankliche Reise voller
Reflexionen durch die verborgenen Gewölbe des Zeitgeistes.
Werke
Mensch und Transzendenz
Eine Erde ohne Himmel
wird zur Hölle
Das moralische Kostüm
geistiger Herrschaft
ISBN 978-3-95948-155-7
8
2013-2014
bautz
verlag
Hamid Reza Yousefi [Hrsg.]
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
____
Band 8
Mensch und Transzendenz
Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle
Zwischen Tradition und Moderne
[2013]
Das moralische Kostüm geistiger Herrschaft
Wie unter dem Deckmantel der Moral
Macht ausgeübt wird
[2014]
herausgegeben und eingeleitet
von
Hamid Reza Yousefi
gefördert durch
Peter-Gerdsen-Stiftung
Traugott Bautz
Nordhausen 2017
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Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in Der Deutschen Nationalbibliographie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Verlag Traugott Bautz GmbH
99734 Nordhausen 2017
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für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in Germany
ISBN 978-3-95948-155-7
www.bautz.de
Inhalt
Worum geht es in diesem Band? ................................................................ 7
[2013] Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle –
Zwischen Tradition und Moderne ............................................................. 13
1. Stellung und Selbstbild des Menschen .................................................. 18
1. 1. Von der Bedeutung der personalen Identität ....................................18
1. 2. Irdische Vernunft und kosmisches Denken –
Identität zwischen Dienst und Verrat ........................................................32
1. 3. Vernunft und die Bestimmung des Menschen ..................................48
1. 4. Denken und menschliches Verstehen ................................................60
2. Licht- und Schatten der Aufklärung ....................................................... 68
2. 1. Menschenrechte und Aufklärung ......................................................68
2. 2. Toleranz und Aufklärung ....................................................................78
2. 3. Ethik und Aufklärung..........................................................................90
2. 4. Globalisierung und die Weltgesellschaft..........................................100
2. 5. Menschenrechte und Wissenschaft .................................................120
3. Kultur und Wissenschaft ..................................................................... 130
3. 1. Sinn und Bedeutung der Kultur........................................................130
3. 2. Theologie der Kultur ........................................................................147
3. 3. Konzepte der Wissenschaftskulturen ..............................................161
3. 4. Karl Jaspers und die Wissenschaft ...................................................184
[2014] Das moralische Kostüm geistiger Herrschaft –
Wie unter dem Deckmantel der Moral Macht ausgeübt wird ................. 199
1. Strukturen, Funktionen und Aufgaben geistiger Herrschaft ................ 204
1. 1. Grundlegende Überlegungen...........................................................204
1. 2. Von den Prinzipien der Ausübung....................................................213
1. 3. Verschwörungstheorie? ...................................................................221
1. 4. Über den Herrschaftsanspruch ........................................................225
Inhalt
1. 5. Ursachen und Wirkungen ................................................................ 229
2. Theoretische und praktische Grundlegung geistiger Herrschaft .......... 235
2. 1. Immanente Systematik .................................................................... 235
2. 2. Theorie der Begriffe ......................................................................... 238
2. 3. Bewusstseinsführende Begriffe ....................................................... 248
2. 4. Strukturelle Strategien .................................................................... 258
2. 5. Strukturelle Prinzipien ..................................................................... 271
2. 6. Machtausübung durch Täter-Opfer-Transformationen .................. 277
2. 7. Machtausübung durch Demagnetizing............................................ 288
3. Fassaden geistiger Herrschaft –
ein mediendemokratisches Modell? ....................................................... 295
3. 1. Demokratie und Medien ................................................................. 295
3. 2. Machtmechanismen der Medien .................................................... 301
3. 3. Medien im Dienste geistiger Herrschaft .......................................... 308
4. Mensch und Kultur im Kreise der Religion .......................................... 316
4. 1. Was bedeutet Religion?................................................................... 317
4. 2. Strukturen des Bewusstseins ........................................................... 320
4. 3. Ethik und Moral ............................................................................... 333
4. 4. Formen der Gemeinschaftsbildung ................................................. 347
4. 5. Rechtsstaat ohne Religion ............................................................... 350
Ausblick .................................................................................................. 364
6
Worum geht es in diesem Band?
Eine kurze Inhaltsangabe der bereits erschienenen Bände:
Band 1:
Der erste Band umfasst die erste Sektion der Gesamtausgabe von Peter
Gerdsen mit folgenden Schriften: 13 natur- und ingenieurwissenschaftliche Abhandlungen aus den Jahren 1966-1979 sowie die Monographie
›Hochfrequenzmesstechnik – Messgeräte und Messverfahren‹ aus dem
Jahr 1982. Charakteristisch für diese Periode ist, dass die Aufsätze 19661970 aus der Industriezeit Gerdsens, praktische Anwendungen aus der
Farbfernsehtechnik behandeln, während der Lehrtätigkeit 1971-1982
eine theoretische Vertiefung für das wissenschaftliche Fundament der
studentischen Ausbildung erfahren. Die Hochfrequenzmesstechnik,
die als konstitutives Element der Natur- und Ingenieurwissenschaften
eine verbindende Bedeutung für Gerdsens Schriften hat, dokumentiert
unter dem Paradigma der analogen Nachrichtentechnik eine Kulmination seines Wirkens.
Band 2:
Der zweite Band beschreibt einen vertiefenden Weg des Denkens von
Peter Gerdsen. In den 1980er Jahren vollzieht sich ein allmählicher Paradigmenwechsel von der analogen zur digitalen Nachrichtentechnik,
welche die Gebiete der Signalübertragung und -verarbeitung umfasst.
Dabei tritt an die Stelle der Signaldarstellung durch eine kontinuierliche Spannungszeitfunktion eine solche durch eine Zahlenfolge. Die
Signalverarbeitung wird nicht mehr mit einer Schaltung aus elektrischen und elektronischen Bauelementen durchgeführt, sondern mit einem Zahlenfolgen verarbeitenden Rechenwerk, welches durch einen
Signalprozessor realisiert wird. Damit entsteht die Aufgabe, klassische
Schaltungen der analogen Signalverarbeitung in Algorithmen für Signalprozessoren umzusetzen. Die neue digitale Nachrichtentechnik ist
der analogen, hinsichtlich der Präzision, weit überlegen.
Mit der anschließenden Monographie ›Digitale Signalverarbeitung in
der Nachrichtenübertragung – Elemente, Bausteine, Systeme und ihre
Algorithmen‹ gibt Peter Gerdsen der neuen Situation insbesondere für
Worum geht es in diesem Buch?
die Ausbildung der Studenten ein sicheres Fundament. Die erste Auflage des Buches erscheint 1993; auf Grund des großen Erfolges erfolgt
1997 eine 2. Auflage in wesentlich erweiterter Form, die Gegenstand
des vorliegenden 2. Bandes der Gesamtausgabe ist. Dabei bezieht sich
die Erweiterung hauptsächlich auf die Berücksichtigung von Simulationsprogrammen in der digitalen Signalverarbeitung. Damit wird einem Trend Rechnung getragen, Systeme nach ihrem Entwurf durch Simulation auf einem Computer auf ihre Eigenschaften hin zu überprüfen. Solche Simulationsprogramme, die auch für die Schaltungen der
analogen Nachrichtentechnik entwickelt wurden, sind durch die ständig steigenden Rechenleistungen der Computer möglich geworden.
Die Monographie ist geprägt sowohl durch ihren Lehrbuchcharakter,
der in zahlreichen Übungsaufgaben zum Ausdruck kommt, als auch
von einer gründlichen Darstellung des neuen Gebietes der Nachrichtentechnik.
Band 3:
Der dritte Band enthält eine ›Systemtheorie der Telekommunikation‹.
Eine solche Theorie wurde notwendig, als auf der Grundlage der in den
1980er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstandenen digitalen Signalübertragung immer komplexere Telekommunikationsnetze entstanden, um Studenten ein vertiefendes Verständnis der Vorgänge in diesen Netzen unter übergeordneten Gesichtspunkten zu ermöglichen. So
wie zur Beschreibung der Algorithmen in Computern besondere Sprachen erforderlich wurden, war dies auch bei der Formulierung einer
›Systemtheorie der Telekommunikation‹ der Fall. Durchgesetzt hatte
sich zur Beschreibung der Vorgänge in Kommunikationssystemen die
Sprache SDL (Specification and Description Language), die auch wesentlicher Bestandteil des vorliegenden Bandes ist. Bei der Formulierung der Systemtheorie trat zu Tage, dass diese sowohl die ursprünglich dominante Mensch-zu-Mensch-Kommunikation als auch die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation erfasste.
Band 4:
Der vierte Band der Gesamtausgabe enthält das Buch ›Kommunikationssysteme 2 – Anleitung zum praktischen Entwurf (SDL)‹, das eine
wichtige Ergänzung zu dem vorigen 3. Band ›Kommunikationssysteme 1 – Theorie, Entwurf, Messtechnik‹ darstellt und damit deren Inhalte voraussetzt. Dabei geht es um eine Anleitung zum praktischen
8
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
Entwurf von Telekommunikationssystemen am Beispiel einer Dateiübertragung zwischen mehreren Personal Computern. Grundlage für
den Entwurf ist das ›Open System Interconnection‹ Referenzmodell.
Aufbauend auf einer Anforderungsanalyse wird nach einer Analyse
der Schichtenfunktionen eine vollständige SDL-Spezifikation erstellt.
Band 5:
Der vorliegende letzte 5. Band der ersten Abteilung der Gesamtausgabe
›Digitale Nachrichtenübertragung – Grundlagen, Systeme, Technik,
praktische Anwendungen‹ stellt eine grundlegende Erweiterung und
wesentliche Vertiefung der bereits 1983 erschienenen ›Digitalen Übertragungstechnik‹ dar. In den folgenden 13 Jahren ereignete sich ein fortschreitender Wandel von der analogen zur digitalen Nachrichtenübertragung, so dass eine vertiefte lehrbuchartige Darstellung dieser neuen
Technik notwendig wurde. Das Buch ist modular aufgebaut. Es besteht
aus zwölf einzelnen, im Wesentlichen für sich lesbaren Kapiteln. Die
beiden wichtigsten zusammenfassenden Begriffe sind die Quellen- und
die Kanalcodierung, wobei diese auf drei Kapitel verteilt wurden: Leitungscodierung, Fehlersicherung und Modulation. Ausführliche Berücksichtigung finden die Gebiete Messtechnik und Realisierungsprinzipien.
Band 6:
Vorangestellt wird dem vorliegenden Band, der die zweite Abteilung
der Gesamtausgabe eröffnet, der Grundsatzbeitrag ›Mensch und
Transzendenz‹. Dieser Beitrag bildet das Fundament seines geisteswissenschaftlichen Wirkens in Form einer transzendenten Anthropologie.
Gerdsen macht in wenigen Schritten deutlich, wie er die Welt betrachtet und von welchem Menschenbild er ausgeht. Er arbeitet heraus, dass
eine Ursehnsucht im menschlichen Wesen verankert ist, die ihn Zeit
seines Lebens anregt und motiviert, über die Struktur der Welt und die
Zusammenhänge der Natur nachzudenken.
Die erste Monographie analysiert die Gegenwartsverhältnisse und
zeigt auf, wie gegensätzliche Lebensorientierungen Gräben und Fronten in der Gesellschaft aufreißen und in Auseinandersetzungen münden, die den Charakter eines geistigen Bürgerkriegs haben. Die Kommunikationsfähigkeit unter den Menschen nimmt ab und Aggressionen werden freigesetzt. Viele Zeitgenossen geraten in einen Strudel von
Ereignissen, denen sie hilflos gegenüberstehen, weil sie diese nicht
9
Worum geht es in diesem Buch?
durchschauen. Hier setzt nun dieses Buch ein, indem versucht wird,
den Zeitgeist als geschlossenes System darzustellen, dessen innere Gesetzmäßigkeiten aufgezeigt werden können; denn ein echtes Verstehen
aus den inneren Gesetzmäßigkeiten heraus ist eine wichtige Voraussetzung, um Sicherheit in chaotischer Zeit zu gewinnen. Das Nichtdurchschauen der Zeitverhältnisse in ihrer verwirrenden Vielfalt bewirkt bei
den Menschen eine seelische Destabilisierung, die durch das Lesen dieses Buches überwunden werden kann. Das Buch analysiert die Zeitverhältnisse mit dem Ergebnis, dass der sich wissenschaftlich und aufklärerisch gebärdende Zeitgeist den Charakter einer Pseudoreligion angenommen hat, die sich als exaktes Gegenbild zum Christentum erweist.
In der zweiten Monographie werden historische Entwicklung und Inhalt des Begriffs ›Ideologie‹ untersucht. Auf diesem Hintergrund wird
das Denken der Menschen analysiert; denn nichts ist so charakteristisch
für eine Zeit wie die Art und Weise des Denkens. Wenn nun dieses
Denken in irgendeiner Weise erkrankt ist, dann entstehen Ideologien,
deren Wesen durch Wirklichkeitsfremdheit und Lebensfeindlichkeit
gekennzeichnet sind. Krankes Denken bringt Ideologien hervor und
macht anfällig für vorhandene Ideologien. Auf Grund ihrer Wirklichkeitsfremdheit und Lebensfeindlichkeit bewirken die Ideologien eine
Fesselung unseres Landes sowohl in wirtschaftlicher und wissenschaftlicher als auch in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht. Die Symptome sind bekannt: Arbeitslosigkeit in vielfacher Millionenhöhe, dramatische die Gesamtheit gefährdende Kinderarmut und gleichzeitig offenbar völlig fehlende Kraft zu Reformen. Die Monographie beklagt
nicht nur die Zustände, sondern sie zeigt auch Wege zur Befreiung aus
den Fesseln auf, indem sie das Wesen der Ideologien analysiert. Dabei
wird deutlich gemacht, dass der christliche Glaube gegen die Verführung durch Ideologien immunisiert und zur Gesundung des Denkens
beiträgt.
Band 7:
Im vorliegenden Band geht es um die Frage der Interkulturalität. Im
Laufe des Jahres 2004 macht Peter Gerdsen die Bekanntschaft von Hamid Reza Yousefi mit der Folge eines lange währenden Gedankenaustausches über Probleme der Interkulturalität. Im Jahre 2006 ruft Hamid
Reza Yousefi die vom Verlag Traugott Bautz herausgegebene Reihe ›Interkulturelle Bibliothek‹ ins Leben. Für diese Reihe verfasst Peter Ger-
10
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
dsen die erste Monographie dieses Bandes ›Natur- und Geisteswissenschaft im Kontext des Interkulturellen – Die Scientific Community als
Beispiel kultur- und völkerübergreifender Verständigung‹. In dieser
Monographie verbindet Gerdsen zwei Themenkreise miteinander: Das
für die europäisch-westliche Kultur problematische Verhältnis zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften, das bereits 1959 von
Charles Percy Snow mit seiner Schrift ›Die zwei Kulturen‹ ins Bewusstsein gehoben wurde und die im Rahmen der Interkulturalität entstehende Aufgabe der kulturen- und völkerübergreifenden Verständigung.
Dabei untersucht Gerdsen die den Wissenschaften zugrundeliegenden Denkstrukturen und kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere
die Naturwissenschaften Kulturen und Völker übergreifend wirken,
indem sie die in ihnen wirkenden Menschen in einer ›Scientific Community‹ verbinden. Im Laufe der Zeit reift angesichts der Aktualität die
Idee, den Gedankenaustausch über Probleme der Interkulturalität in
Form eines Dialogs zu veröffentlichen. So entsteht 2008 die zweite Monographie dieses Bandes ›Interkulturalität wozu? – Hamid Reza Yousefi und Peter Gerdsen im Gespräch‹, die von Ina Braun und Hermann-Josef Scheidgen herausgegeben wurde. Interkulturalität als eine
grundsätzliche Überzeugung und Einstellung ist eine unentbehrliche
Denknotwendigkeit unserer Zeit mit vielen Facetten und Dimensionen.
Die Monographie stellt ein buntes Kaleidoskop von interkulturellen
Zugängen vor, entfaltet von verschiedenen Sachproblemen auf variierenden methodischen Wegen her Fragen und bietet Lösungsansätze an.
Den Abschluss dieses Bandes bilden in ergänzender Weise zwei Beiträge, die um das Thema Interkulturalität kreisen, − ›Die Menschenrechte – Dekonstruktion und Rekonstruktion eines umstrittenen Begriffs‹ aus dem Jahre 2008 und ›Globalisierung und Religion im Widerstreit‹ aus dem Jahre 2013.

Der vorliegende Band der Gesamtausgabe enthält zwei Monographien
von Peter Gerdsen: ›Eine Erde wird zur Hölle – Zwischen Tradition
und Moderne‹, eine Aufsatzsammlung herausgegeben von Hamid
Reza Yousefi aus dem Jahre 2013 und ›Das moralische Kostüm geistiger
Herrschaft – Wie unter dem Deckmantel der Moral Macht ausgeübt
wird‹ aus dem Jahre 2014, das bereits 3 Auflagen erlebte. Die erste Mo-
11
Worum geht es in diesem Buch?
nographie geht der Frage nach, ob und inwieweit ein Leben ohne Religion möglich ist und welche Auswirkungen diese auf die Identität des
Menschen und seine Selbstbestimmung hat. Der Mensch bedarf einer
spirituellen Dimension, die ihm Zuversicht, Hoffnung und Seinsgewissheit schenkt. Geht diese abhanden, so bekommt das Leben einen
materiellen Sinn in Form von Religionsersatz. Peter Gerdsen diskutiert
diese virulente Frage in 3 Kapiteln: ›Stellung und Selbstbild des Menschen‹, ›Licht- und Schatten der Aufklärung‹ sowie ›Wechselverhältnis
von Kultur und Wissenschaft‹, die 13 ausgewählte Schriften umfassen.
In der zweiten Monographie dieses Bandes ›Das moralische Kostüm
geistiger Herrschaft‹ geht es um die Analyse des Zeitgeistes, die bereits
der Hintergrund der beiden Monographien ›Blockiertes Deutschland‹
und ›Deutschland in den Fesseln der Ideologien‹ war. Dieses Werk
führt seine Leser auf eine gedankliche Reise voller Reflexionen durch
die verborgenen Gewölbe des Zeitgeistes. Es werden Mechanismen
analysiert, die vor Augen führen, wie die geistige Beherrschung der
Menschen funktioniert und inwieweit der Leser selbst bereits ein Opfer
dieser Beherrschung geworden ist. Die eigentlichen Ursachen für die
Bedrohung der Freiheit und der moralischen Verhältnisse sieht der Autor in dem Verlust der Transzendenz, der die Strukturen des Bewusstseins verändert und das Denken der Wirklichkeit entfremdet.
12
[2013] Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle –
Zwischen Tradition und Moderne
Das Buch besteht aus drei Abteilungen, die zwölf Aufsätze Gerdsens
umfassen, in denen die beschriebenen sieben Leitmotive und Denkwege seiner Grundüberzeugung deutlich zum Ausdruck kommen. Es
handelt sich erstens um die Stellung und das Selbstbild des Menschen,
zweitens um die Licht- und Schattenseiten der Aufklärung und drittens
um das Wechselverhältnis von Kultur und Wissenschaft, die im Folgenden zusammengefasst werden.
1. Stellung und Selbstbild des Menschen
Die erste Abteilung umfasst drei Beiträge, die zwar unterschiedlich
sind, aber als Bausteine des Denkens von Gerdsen eng zusammen hängen. Es geht in der Hauptsache um die Stellung und das Selbstbild des
Menschen.
Der erste Beitrag ›Von der Bedeutung der personalen Identität‹ thematisiert die Frage nach der personalen Identität und die der Bestimmung des Menschen, die zusammenhängen. Beide Begriffe gründen
auf Freiheit, die zur Ausbildung der personalen Identität des Menschen
führt. Diese Identität schenkt ihm Zuversicht und Selbstbewusstsein,
die seine Handlungen bestimmen, mit denen der Mensch in die Welt
hineinwirkt. Diese Form sich mit Menschen in Beziehung zu setzen,
bringt eine geistige Gemeinschaft hervor, die eine kollektive Identität
begründet. So entsteht durch die Vielfalt der personalen Identitäten
eine kollektive Identität, die ein ›Wir-Gefühl‹ erzeugt. Gerdsen stellt bei
seinen Ausführungen klar, dass die atheistisch ausgerichtete Moderne
der Aufklärung und später die Postmoderne diese personale Identität
sowie die kollektive Identität gefährden.
In dem zweiten Beitrag ›Irdische Vernunft und kosmisches Denken –
Identität zwischen Dienst und Verrat‹ behandelt Gerdsen die Frage
nach irdischer Vernunft und kosmischem Denken aus einer philosophischen Perspektive. Angesichts der Existenz des Menschen in der, durch
Raum und Zeit bestimmten, irdischen Welt, wird die Frage nach dem
Wesen des Menschen gestellt und muss sich als eine zentrale Frage
nach der Struktur des Menschen verstehen. Dabei zeigt sich der
Mensch als Bürger zweier Welten, der irdischen und einer geistigen
Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle
transzendenten Welt, die in den Phänomenen der Sprache und des
Denkens in die irdische Welt hineinragt. Nach einer Untersuchung der
Wesensmerkmale des Denkens werden drei Grundstrukturen herausgearbeitet, in denen es um das ›Erfassen der Wirklichkeit‹, das ›Handeln in der Welt‹ sowie um das ›Bewusstsein der eigenen Geschöpflichkeit‹ geht. Auf dem Hintergrund dieser Denkstrukturen werden dann
Pathologien des Denkens identifiziert; denn für das Erfassen der Wirklichkeit und für die Gestaltung der Zukunft müssen Grundbedingungen erfüllt sein. Die Pathologien des Denkens ergeben sich, wenn das
Denken die Verbindung zur geistigen, transzendenten Welt verliert
und sich aus diesem Grund materialisiert.
In seinem dritten Beitrag ›Vernunft und die Bestimmung des Menschen‹ entwickelt Gerdsen eine neue Deutungsmöglichkeit der Vernunft. Um über die bekannten Inhalte des Begriffs Vernunft hinauszukommen, leitet er die Bestimmung des Menschen aus den Bedingungen
seiner Existenz in Raum und Zeit her. Gerdsen ist der Meinung, dass
der Mensch sich zu Freiheit und Schöpfertum hin entwickeln soll, was
besondere Qualitäten des Denkens erforderlich macht. Dabei geht es
um ein intuitives Denken, das ihn in die Freiheit führt und ihn schöpferisch macht. Auf Grund der Blickfähigkeit der Vernunft holt dieses
Denken aus dem geistigen Urgrund der Welt Ideen hervor, die im Bewusstsein als Intuitionen erscheinen. Basis der auf solchen Intuitionen
beruhenden Handlungen ist die innere Harmonie der Welt, so dass die
Menschen das eigene Tun in sinnvoller Weise mit dem Tun der Anderen verbinden und sich miteinander verständigen können.
Im vierten Beitrag ›Denken und menschliches Verstehen‹ diskutiert
Gerdsen die Frage nach Verstehen und Verständigung aus naturwissenschaftlicher Sicht. Nach Gerdsen gibt es im Menschen kultur- und
völkerübergreifend einen Grundtrieb zur Wissenschaft, der Menschen
in begeisternder Weise zu einer ›Scientific Community‹ vereinen kann.
Dabei geht er von der Annahme aus, dass die Welt durch und durch
von den Natur- und Ingenieurwissenschaften geprägt ist, die Völker
verbindet, weil sie anthropologische Grundkonstanten beinhalten. Er
untersucht diese Disziplinen hinsichtlich der Methode, der geistigen
Blickrichtung, des Erkenntnisgegenstandes und der Art des Denkens.
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Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
2. Licht und Schatten der Aufklärung
Die zweite Abteilung umfasst Beiträge über das Themenfeld der europäischen Aufklärung. Gerdsen zeigt positive wie negative Folgen dieser Epoche und ihre Konsequenzen für die Welt.
Im ersten Beitrag ›Menschenrechte und Aufklärung‹ unternimmt Gerdsen eine Analyse des gegenwärtigen Menschenrechtsbegriffs, indem
er dessen Prägung durch die europäische Aufklärungsepoche aufzeigt
und eine Reihe innerer Widersprüche offenlegt. Nicht nur angesichts
der Tatsache, dass die Menschenrechtsideologie eine weltweite Verbreitung gefunden hat, sondern auch weil diese Ideologie den Weg in
eine übernationale Gesetzesherrschaft eröffnet, führt ein gerader Weg
zu dem Begriff der Weltherrschaft. Gerdsen zeigt auf, dass sich die
Menschenrechtsideologie mit einem ethisch-moralischen Glanz
umgibt, der ihre Kritiker weitgehend entwaffnet und der seine Ursache
in der für diese Ideologie eigentümlichen Mischung aus moralischen,
juridischen und politischen Komponenten hat.
Im zweiten Beitrag untersucht Gerdsen das Wechselverhältnis von
›Toleranz und Aufklärung‹. Dabei diskutiert er konstruktive und destruktive Dimensionen der Aufklärung und die Bedingungen, unter
denen Toleranz entsteht. Während die Aufklärung dem Verfasser zufolge durch den Drang nach Erkenntnis, Freiheit und Individualität gekennzeichnet ist, bringt sie auf der anderen Seite eine Verdunkelung
des Bewusstseins mit der Folge der Profanisierung und geistigen Entmachtung der Religion mit sich. Dass hier Religion durch eine Vernunftreligion ersetzt wird, ist ein Wesensmerkmal dieser Profanisierung. Die Begegnung mit dem Anderen, also ›Fremden‹ ist gekennzeichnet durch die Erfahrung von Fremdheit als Bedrohung. An die
Stelle der Anerkennung des Anderen tritt als vorläufiges Notprogramm die Toleranz, die entstehende Diskordanzen in ethischen
Grundfragen als erträglich proklamiert.
Im dritten Beitrag ›Ethik und Aufklärung‹ wird dieses Themenfeld
fortgeführt. Gerdsen sieht das zugrundeliegende Menschenbild als
Quelle der Ethik. So unterscheidet Gerdsen das Menschenbild der Religion, aus dem eine ›Spirituelle Ethik‹ hervorgeht, und das Menschenbild ohne Religion, aus dem sich eine ›Materialisierte Ethik‹ herleitet.
Beide Ethikformen werden einander gegenübergestellt, indem die drei
Bereiche der personalen Identität, der Formen des Denkens und moralischen Gebote hinsichtlich der ethischen Konsequenzen besonders in
15
Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle
den Blick genommen werden. Gerdsen zeigt, wie die materialisierte
Form der Identität in eine Entgrenzungsethik führt, in der alles nivelliert wird, was dem Leben Form, Gestalt und Struktur gibt. Diese Ethik
hat die Auflösung der Werte, den Verlust von Objektivität, Wahrheit
und Selbstlosigkeit zur Folge. Anschließend erfolgt eine Klärung des
Begriffs der ›Aufklärung‹, wobei sich die ›Europäische Aufklärung‹ als
Sonderfall erweist, weil sie sich mit einem atheistischen Humanismus
verbindet und als Folge davon eine ›Materialisierte Ethik‹ hervorbringt.
Im vierten Beitrag ›Globalisierung und die Weltgesellschaft‹ thematisiert Gerdsen Wesen und Struktur der Globalisierung, die von Befürwortern und Kontrahenten unterschiedlich betrachtet wird. Während
die Befürworter in ihr das Wohl der Menschheit sehen, erblicken die
Gegner in der Globalisierung eine Bedrohung der Menschheit. Er ist ein
Kritiker dieser Richtung. Nach Gerdsen sind es bestimmte Denkformen, die sich als geistige Quelle der Globalisierung erweisen. Er ist der
Meinung, dass die Globalisten Gewalt und strukturelle Gewalt hervorrufen und identitätszerstörend wirken. Allerdings werden diese Konsequenzen erst deutlich, wenn man auf der Ebene des Denkens zu den
Tiefenstrukturen vordringt.
›Menschenrechte und Wissenschaft‹ bildet das letzte Thema dieser
Abteilung, das mit dem der strukturellen Gewalt zusammenhängt. Peter Gerdsen verweist hier darauf, dass diese zwei Schlüsselbegriffe der
europäischen Aufklärung ausgeprägte Herrschafts- und Machtaspekte
beinhalten. Er zeigt, wie es hinsichtlich der Machtaspekte zu einer Kollision zwischen den so auf zweifache Weise gedanklich verbundenen
Begriffen kommt. So ist es für Gerdsen kein Zufall, dass freie wissenschaftliche Betätigung von Menschen und Völkern keine Berücksichtigung in den Menschenrechtskatalogen findet, obgleich es einen Grundtrieb zur Wissenschaft als anthropologische Konstante gibt und somit
eine Aufnahme in den Katalog der Menschenrechte naheliegt.
3. Kultur und Wissenschaft
Die dritte Abteilung vereint fünf zusammenhängende Themenbereiche, die das Wechselverhältnis von Kultur und Wissenschaft artikulieren.
Im ersten Beitrag ›Sinn und Bedeutung der Kultur‹ wirft Gerdsen einen Blick auf Strukturmerkmale, die allen Kulturen der Welt gemein-
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Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
sam sind, indem er ihre Innenperspektive ausleuchtet. Beispielhaft verdeutlicht er an Hand der europäischen Kultur, wie sie im historischen
Werdeprozess zu dem geworden ist, wie sie gegenwärtig in Erscheinung tritt. In diesem Prozess legen sich einzelne Schichten übereinander, so dass sich eine hierarchische Schichtenstruktur ergibt. Für die
europäische Kultur gibt es nach Gerdsen ein Sieben-Schichten-Strukturmodell, das für andere Kulturen zu modifizieren wäre. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Aufbaucharakter des Modells, das auf
die Verletzlichkeit von Kulturen hinweist; denn Zerstörungen in einer
unteren Schicht können in darüber liegenden Schichten zu überraschenden Verwerfungen führen. Gerdsen arbeitet dieses Phänomen an
Hand der europäischen Kultur heraus.
Der zweite Beitrag ›Theologie der Kultur‹ leuchtet die verschiedenen
Dimensionen des Kulturbegriffs aus, indem er zeigt, wie sich Kultur
aus dem Wesen des Menschen und aus seiner Bestimmung heraus ergeben. Dabei führt er Kultur auf Religion zurück. Dies hängt damit zusammen, dass der Mensch stets nach dem Sinn des Lebens sucht und
sich im Kosmos definieren will. Gerdsen analysiert die kulturelle Bedeutung der vorherrschenden Art des Denkens sowie die Wechselwirkung zwischen persönlicher und kultureller Identität. Nach der Darstellung der kulturzerstörenden Prozesse, welche unsere Gegenwart
beherrschen, findet der Beitrag seinen Abschluss in der Beschreibung
des Einflusses der Aufklärung auf die kulturellen Verhältnisse. Zusammenfassend möchte dieser Beitrag unser Augenmerk darauf richten,
dass wir heute Zeitzeugen des Übergangs einer durch Religion inspirierten Kultur in ein völlig säkularisiertes Welt- und Menschenbild und
damit der Kultur sind.
Der dritte Beitrag wendet sich der Analyse der ›Konzepte der Wissenschaftskulturen‹ der Natur- und Geisteswissenschaften zu. Gerdsen
untersucht diese Wissenschaftsrichtungen und charakterisiert sie hinsichtlich der Entwicklung, der zugrundeliegenden Denkformen, der
Methoden der Erkenntnisgewinnung, der zu erforschenden Gegenstände und der geistigen Blickrichtung. Die Entstehung der Wissenschaftskonzepte wird zurückgeführt auf den fundamentalen Bewusstseinsumschwung, der am Ausgang des Mittelalters eine starke Entwicklungsdynamik freisetzte. Die Parallelität der neuen mathematischen Naturwissenschaft und Aufklärungsbewegung ruft eine kultu-
17
Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle
relle Spaltung und als Folge davon zwei Wissenschaftsrichtungen hervor. Auf Grund der großen Erfolge strahlen die Naturwissenschaften
nach Gerdsen hinsichtlich ihrer Methodik weit in die Geisteswissenschaften hinein und geben diesen eine materialistische Färbung. Von
den Naturwissenschaften spalten sich die Ingenieurwissenschaften ab,
die sich hinsichtlich ihrer Gestaltungskraft als geistige Weltmacht erweisen.
Der vierte Beitrag ›Karl Jaspers und die Wissenschaft‹ greift das Verhältnis beider auf. Gerdsen untersucht dabei die historische Entwicklung des modernen Wissenschaftsbegriffs, um damit ein Licht auf Jaspers‘ philosophisches Denken zu werfen. Dieser hat sein Verständnis
von Philosophie in scharfer Abgrenzung zur Wissenschaft bestimmt.
Gerdsen macht deutlich, dass nach Jaspers nicht nur die Natur- und
Geisteswissenschaften, sondern auch die Wissenschaften und die Philosophie insgesamt in einem komplementären Verhältnis zueinander
stehen. Allerdings tragen für Jaspers die Wissenschaften nicht zur Erhellung der Existenz des Menschen bei. ›Existenzerhellung‹ wird zu einem Schlüsselbegriff seiner Philosophie, die zu einer Selbstvergewisserung und Selbstentwicklung des Menschen beitragen kann und soll.
1. Stellung und Selbstbild des Menschen
1. 1. Von der Bedeutung der personalen Identität
Einleitung
Zur Einführung wird zunächst der Aufbau des Aufsatzes dargestellt.
Am Beginn steht die Untersuchung der Frage ›Wie personale Identität
zu einem Thema wurde‹; denn die Aktualität des Identitätsthemas ist
durchaus nicht selbstverständlich. Im Anschluss daran folgt eine Untersuchung des ›Begriffs der personalen Identität‹. Nach den ersten beiden orientierenden Abschnitten geht es um die ›Ausbildung der personalen Identität‹, indem untersucht wird, wie personale Identität entsteht. In engem Zusammenhang mit der personalen Identität steht die
kollektive Identität. Um diesen Zusammenhang darzustellen, wird der
Weg ›Von der personalen zur kollektiven Identität‹ dargestellt. Die
nächsten beiden Abschnitte ›Identität in der europäischen Aufklärung‹
18
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
und ›Identität in der Moderne und Postmoderne‹ beschreiben die Gefährdungen der Identität.
Die Frage nach der Identität
Das Nachdenken über ›personale Identität‹ berührt die Entstehungsbedingungen dieser Frage. Irgendwann muss eine Veränderung der Bewusstseinsverfassung eingetreten sein, mit der Folge, dass die Selbstgewissheit der Menschen erschüttert wurde. Aber eine Veränderung
der Bewusstseinsverfassung hat natürlich auch eine Veränderung der
kulturellen Verhältnisse zur Folge.
Eine sehr charakteristische Schilderung der gegenwärtigen kulturellen Verhältnisse zeigt, dass »... wir Augenzeugen eines Gesellschaftswandels innerhalb der Moderne sind, in dessen Verlauf die Menschen
aus den Sozialformen der industriellen Gesellschaft – Klasse, Schicht,
Familie [...] – freigesetzt werden, ähnlich wie sie im Laufe der Reformation aus der weltlichen Herrschaft der Kirche in die Gesellschaft entlassen wurden [...] In allen reichen Industrieländern – besonders deutlich
in der Bundesrepublik Deutschland – hat sich in der wohlfahrtsstaatlichen Modernisierung nach dem Zweiten Weltkrieg ein gesellschaftlicher Modernisierungsschub von bislang unerkannter Reichweite und
Dynamik vollzogen [...]. Das heißt: Auf dem Hintergrund eines vergleichsweise hohen materiellen Lebensstandards und weit vorangetriebenen sozialen Sicherheiten wurden die Menschen in einem historischen Kontinuitätsbruch aus traditionalen Klassenbedingungen und
Versorgungsbezügen der Familie herausgelöst und verstärkt auf sich
selbst und ihr individuelles Arbeitsmarktschicksal mit allen Risiken,
Chancen und Widersprüchen verwiesen.«1
Zusätzlich haben sich auch neue Organisationsformen der Arbeit innerhalb von Firmen und anderen Organisationen entwickelt, die man
laterale und team-orientierte Organisation nennt. Dabei gehört jeder
Mitarbeiter einem oder mehreren Teams an. Die Rollen von Gruppenmitgliedern und -führern wechseln von Team zu Team, niemand ist auf
die Dauer nur Mitglied oder Führer.2 Solche Entwicklungen führen zu
Orientierungslosigkeit, zu einem allgemeinen Gefühl des Ausgelie-
1
2
Beck, Ulrich: Risikogesellschaft, 1986.
Vgl. Winterhoff-Spurk: Peter: Kalte Herzen, 2005.
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Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle
fertseins und der Hilflosigkeit; es entsteht ein Bedürfnis nach Selbstvergewisserung. Das Thema der personalen Identität sowie die eng damit
zusammenhängende Frage ›Wer bin ich?‹ werden zunehmend wichtig.
Begriff der personalen Identität
In diesem Abschnitt gilt es, den Inhalt des Begriffs ›Personale Identität‹
zu verdeutlichen: »In der Debatte um personale Identität, die eng mit
der philosophischen Fragestellung um den menschlichen Geist in der
Form einer Philosophie des Geistes verbunden ist, wird die Frage behandelt, was unsere Identität ausmacht. Diese Frage ist schwierig, da
sie im abstraktesten Sinn eine tiefere Frage nach Identität überhaupt,
sowohl in der Mathematik als auch in der Logik betrifft.« Bevor also die
personale Identität näher in den Blick genommen wird, gilt zunächst
den Begriff der Identität allgemein zu fassen.
In logischen Systemen wird Identität über Ununterscheidbarkeit eingeführt: Das Identitätsprinzip, das Gottfried Wilhelm Leibniz zugeschrieben wird, besagt, dass ein Gegenstand A genau dann mit einem
Gegenstand B identisch ist, wenn sich zwischen A und B kein Unterschied finden lässt. Eine klassische Definition der Identität besagt
»Zwei Dinge sind identisch, wenn sie in allen ihren Eigenschaften ununterscheidbar sind.« Auf den Menschen angewandt bedeutet das
Identitätsprinzip, dass er dann nur mit sich identisch ist, wenn er sich
in allen Eigenschaften von allen anderen Menschen unterscheidet. Das
ist natürlich nie ganz vollständig der Fall. Im Zusammenhang mit der
Identität spricht man auch von der Individualität des Menschen, indem
man darauf verweist, dass er eine ›unteilbare‹ Ganzheit und in seiner
Erscheinung einmalig ist, nur mit sich selbst identisch.
Das Wesen des Begriffs ist immer auch der Zusammenhang mit anderen Begriffen. Wie beispielsweise die Identitätsfrage mit der Fragestellung: ›Wer bin ich?‹ Damit ist ein weiterer Begriff gegeben. Der
Name ›Ich‹ als Bezeichnung für einen Menschen hat nur dann einen
Sinn, wenn der Mensch sich selbst so bezeichnet. Ich bin ein Ich nur für
mich; für jeden anderen bin ich ein Du. Das eigentliche Wesen des ›Ich‹
ist von allem Äußeren unabhängig. Damit ist das ›Ich‹ der Wesenskern
des Menschen. Fragt man einen Menschen ›Wer bist Du?‹, so wird dieser auf seinen physischen Leib zeigen und antworten ›Das bin ich!‹. Das
verweist darauf, dass der physische Leib das Individualisierungsprinzip unserer physischen Existenz ist. Weniger einfach ist die Frage ›Wer
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Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
bist Du?‹ zu beantworten, wenn der Mensch die Pforte des Todes
durchschritten hat. Nachdem nun der physische Leib zerfallen ist,
muss sich der Mensch mit einer ›geistigen Haut‹ umgeben, die er
dadurch schafft, dass er sich bewusst wird, auf welche Weise sich der
Mensch in geistiger Hinsicht von allen anderen Menschen unterscheidet. Dann haben wir den Menschen als geistige Individualität und als
solche ist er nur mit sich selbst identisch.
Ausbildung der personalen Identität
Auf die Frage nach der personalen Identität des Menschen gibt der
Schöpfungsmythos eine bemerkenswerte Antwort. In diesem Mythos
wird ausgeführt, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf. Damit wird ausgesagt, dass im Menschen die Entwicklung zu Freiheit und
Schöpfertum veranlagt wurde. Gott hat jeden Menschen als einmaliges
Ich geschaffen; die Ausbildung seiner personalen Identität als geistige
Individualität ist ihm als Aufgabe gegeben. Mit der Vertreibung aus
dem Paradies wurde der Mensch auf den Weg in die Freiheit geschickt
und ging damit eigene Wege in eigener Verantwortung. Der Mensch
als einmaliges Ich ist nicht zu identifizieren mit den Lebensweisen,
Weltanschauungen und Taten, die von ihm ausgehen; diese kennzeichnen das Ausmaß seiner Abwendung von seinem göttlichen Ursprung.
Inwieweit diese zur Ausbildung seiner personalen Identität beitragen,
soll untersucht werden.
Dazu werden zunächst die Konsequenzen, die sich aus der ›Existenz
des Menschen in Raum und Zeit‹ ergeben, aufgezeigt. Dann wird deutlich, inwieweit die Lebensweisen, Weltanschauungen und Taten zur
Ausbildung seiner personalen Identität beitragen. Zunächst zeigt sich,
dass der Mensch zu Freiheit und Individualisierung berufen ist. Dabei
ist das intuitive Denken die Quelle von Freiheit und Individualität;
denn dieses Denken ist von Einflüssen der Vergangenheit frei und daher schöpferisch. In den Handlungen, die aus solchem Denken hervorgehen, ist der Mensch nur mit sich selbst identisch.
Existenz des Menschen in Raum und Zeit
Kulturen-, Religionen- und Epochenübergreifend ist für alle Menschen
ihr Hineingestelltsein in eine raum-zeitliche Welt die Fundamentalgegebenheit ihrer Existenz. Die Zeit entfaltet sich in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Zusammenhang dieser drei Komponenten
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Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle
der Zeit wird auf folgende Weise deutlich. Die Wirklichkeit der Gegenwart ist geprägt von der Vergangenheit, in welcher der Mensch das geworden ist, was er gegenwärtig ist. In der Gegenwart begegnen sich die
Wirklichkeit des Gewordenen und die Möglichkeit des Zukünftigen.
Das menschliche Leben vollzieht sich nun so, dass fortwährend die
Möglichkeit des Zukünftigen, also das was der Mensch von seinen Entwicklungsmöglichkeiten noch nicht realisiert hat, übergeführt wird in
die Wirklichkeit des Gegenwärtigen. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass der Mensch ein denkendes und aus Erkenntnis handelndes Wesen ist; denn durch Denken bildet er sich eine Vorstellung von
Ereignissen und Vorgängen in der Zukunft und diese Vorstellung leitet
sein Handeln in der Gegenwart. Daraus ergeben sich weitreichende
Konsequenzen.
Das für alle Naturvorgänge gültige Kausalgesetz, nach dem Vorgänge und Ereignisse in der Gegenwart Vorgänge und Ereignisse in der
Zukunft determinieren, gilt nicht für den Menschen, weil er als denkendes und aus Erkenntnis handelndes Wesen eine Richtungsumkehr
des Kausalgesetzes bewirkt. Damit zeigt sich, dass die Existenz des
Menschen in Raum und Zeit eine notwendige Bedingung für seine Entwicklung zur Freiheit hin ist. Offenbar ist die Welt so konstruiert, dass
sich in ihr Wesen zur Freiheit hin entwickeln können. Es gehört zum
Wesen der Freiheit, dass sie dem Menschen nicht von Natur aus gegeben sein kann; er muss sie sich selbst erwerben.
Wenn das Handeln in der Gegenwart geleitet wird durch eine Vorstellung in der Zukunft, die der Mensch durch sein Denkvermögen bildet, dann ist die Art und Weise der Entstehung dieser Vorstellung von
entscheidender Bedeutung. Eine freie Handlung entsteht nur auf der
Basis von intuitionsgetragenen Zukunftsentwürfen, die von Vergangenheitskräften frei sind, wie es die Umkehrung der Zeitperspektive
des Kausalgesetzes erfordert. Freiheit verwirklicht sich in schöpferischem Handeln. Nur eine aus der Intuition entspringende Willenshandlung kann individuell sein. Die Intuitionen, die ihm auf Grund der
Blickfähigkeit seines Denkens zuteilwerden, stammen aus dem geistigen Urgrund der Welt, der eigentlich nichts anderes ist als die philosophische Bezeichnung für ›Gott‹. Aber mit sich selbst identisch, individuell und somit einmalig ist der Mensch nur zu einem Teil.
Dies bringt Friedrich Nietzsche zum Ausdruck, wenn er sagt: »Der
Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Mensch und Übermensch – ein
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Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
Seil über dem Abgrunde. Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches
Auf-dem-Wege, ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben.« Nur
Taten, Weltanschauungen und Lebensweisen, die auf Grund der Blickfähigkeit des Denkens aus dem geistigen Urgrund der Welt hervorgehen, führen zur Ausbildung der personalen Identität des Menschen.
Der blinde Trieb, der zum Verbrechen treibt, stammt nicht aus dem
Intuitiven, und gehört nicht zum Individuellen des Menschen, sondern
zum Allgemeinsten in ihm, zu dem, was bei allen Individuen in gleichem Maße geltend ist und aus dem sich der Mensch durch sein Individuelles herausarbeitet. Meine Triebe, Instinkte, Leidenschaften begründen nichts weiter in mir, als dass ich zur allgemeinen Gattung
Mensch gehöre.
Das ›Ich‹ des Menschen
Natürlich kann nur schwer in Worte gefasst werden, was das menschliche Ich eigentlich ist. Man bemerkt eine ›Eigenfarbe‹ der Lebensstimmung und des Selbsterlebens. Diese Eigenfarbe besitzt die Charakteristik von etwas Kontinuierlichem: Stimmungen, Eindrücke und Erlebnisse wechseln, während ein Grundton des seelischen Erlebens bleibt.
Und diese Kontinuität entsteht durch gedankliche Tätigkeit und Urteilsbildung, die die Erlebnisstimmungen betrachten und verbinden.
Das Ich erlebt sich in der geistigen Tätigkeit des Denkens.
Jacques Lusseyran schreibt dazu: »Das Ich hat gewisse Wachstumsbedingungen. Es ernährt sich ausschließlich nur von den Bewegungen,
die es selbst macht.« Nur in dem Maße, wie der Mensch seine seelischen Erlebnisse durch die Ich-Tätigkeit des Denkens durchdringt, ist
er ganz individuell. Dass der Mensch sich seiner selbst bewusst wird,
setzt die Begegnung und den Dialog mit anderen Menschen, die sich
ebenfalls ihrer selbst bewusst geworden sind, voraus.
In der Begegnung mit dem Anderen vergewissert sich der Mensch
seiner Identität; denn das Anderssein des Anderen wirkt identitätsbildend. Wir sind, wer wir sind, so wie wir sind, auf Grund dessen, was
wir nicht sind und wie wir nicht sind. 3 In der Wahrnehmung des Ich
im Anderen und in der Kommunikation mit dem Anderen, indem er
mit diesem in einen Gedankenaustausch eintritt, erfährt der Mensch
die Grenzen seines Ich, indem er wahrnimmt, worin er sich von seinem
3
Vgl. Benoist, Alain de: Wir und die anderen, 2008.
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Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle
Gegenüber unterscheidet. Durch die Wahrnehmung des Ich im Anderen erfährt er den Anderen als Geschöpf Gottes, dem er seine Achtung
und Wertschätzung zu Teil werden lässt.
Die Wahrnehmung des Ich im Anderen setzt voraus, dass der
Mensch selber ein Ich-Bewusstsein entwickelt hat; Gleiches kann immer nur von Gleichem erkannt werden. Im Gedankenaustausch mit
dem Anderen erfährt der Mensch von Lebensweisen, Weltanschauungen und Taten seines Gegenübers und spiegelt diese in seinen eigenen
Anschauungen mit dem Ergebnis, dass er sie entweder ablehnt oder
gutheißt. Aber die Wahrnehmung des Ich im Anderen führt den Menschen dazu, dass er sein Gegenüber als Geschöpf Gottes erkennt und
anerkennt.
Von der personalen zur kollektiven Identität
Bei der Beantwortung der Frage ›Wer bin ich?‹ spielt es nun eine große
Rolle, ob der Antwort eine Außen- oder eine Innenwahrnehmung zugrunde liegt.4 Geht es um die Außenwahrnehmung, so wird die Frage,
wer eine bestimmte Person ist, in der Regel durch die Zuordnung zu
bestimmten Gruppen beantwortet. So bezieht sich die Gruppenzuordnung beispielsweise auf Kultur, Sprache, Nation, Beruf. Allerdings verweisen diese Zuordnungen genau auf die Bereiche, in denen eine Person gerade nicht nur mit sich selbst identisch ist.
Die Bestimmung der personalen Identität ist offenbar nur möglich
über die Innenwahrnehmung der betreffenden Person. Damit taucht
ein neuer Begriff auf: die ›Kollektive Identität‹. Ein Sonderfall ist zum
Beispiel ›Kulturelle Identität‹. Man versteht darunter das Zugehörigkeitsgefühl eines Individuums zu einem bestimmten kulturellen Kollektiv. Dies kann eine Gesellschaft, ein bestimmtes kulturelles Milieu
oder auch eine Subkultur sein. Identität stiftend ist dabei die Vorstellung, sich von anderen Individuen kulturell zu unterscheiden, das
heißt, in einer bestimmten Anzahl gesellschaftlich oder geschichtlich
erworbener Aspekte wie Sprache, Religion, Nation, Wertvorstellungen,
Sitten und Gebräuchen oder in sonstigen Aspekten der Lebenswelt.
Mit diesem neuen Begriff entsteht eine Reihe von Fragen. Wie hängen
personale und kollektive Identität miteinander zusammen? Gibt es eine
4
24
Vgl. Braun, Ina und Hermann-Josef Scheidgen (Hrsg.): Interkulturalität
wozu? 2008.
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
Wechselwirkung zwischen diesen beiden Identitäten? Ist die kollektive
Identität einer Person ohne eine personale Identität möglich?
Entstehung der kollektiven Identität
Wenn die Bestimmung des Menschen in seiner Entwicklung zur Freiheit liegt, dann bedeutet dies, dass der Mensch sein eigenes Wesen in
seiner Umgebung zum Ausdruck bringen will; denn Freiheit verwirklicht sich im schöpferischen Handeln, das aus von Vergangenheitskräften freien Gegenwartsintuitionen entsteht. So ist das Bestreben des
Menschen, sein Wesen zum Ausdruck zu bringen, die Ursache dafür,
dass beispielsweise Naturlandschaften durch den Menschen in Kulturlandschaften umgestaltet werden. Aber diese Umgestaltung kann nur
gelingen, wenn sich Menschen mit kreativen Ideen zusammentun, die
harmonisch ineinandergreifen.
Wann aber ist dieses harmonische Ineinandergreifen gegeben? Naturgemäß bei den Angehörigen einer Sprachgemeinschaft, welche üblicherweise Volk genannt wird. Zwischen ›Sprechen‹ und ›Denken‹
existiert ein enger Zusammenhang. Eine bestimmte Sprache hat eine
ganz bestimmte, individuelle Sichtweise der Welt zum Inhalt. Das kreative Handeln freier Individualitäten einer Sprachgemeinschaft greift
harmonisch ineinander; denn die diesem Handeln zugrunde liegenden
Intuitionen entstammen dem gleichen geistigen Urgrund der Welt.
Fragt nun eine Person ›Wer bin ich?‹, dann kann sie in die Umwelt blicken und sagen ›Das bin ich!‹; denn sie hat ihr Wesen in dieser Umgebung zum Ausdruck gebracht.
Alle die Menschen mit kreativen Ideen, die harmonisch ineinandergreifen, sind einerseits Individualitäten mit einer personalen Identität;
andererseits bildet sich aber auch eine kollektive Identität, weil die gestaltete Kulturlandschaft eine Gemeinschaftsleistung darstellt. Die personale Identität kennzeichnet den Menschen als einmalige und einzigartige Individualität, die in dieser Hinsicht nur mit sich selbst identisch
ist. Kollektive Identität entsteht dadurch, dass die kreativen Ideen der
vielen Einzelnen ein harmonisches Ganzes bilden.
Dies ist deswegen so, weil die kreativen Ideen, sofern sie diese Bezeichnung verdienen, alle dem geistigen Urgrund der Welt entstammen. So kennzeichnet die kollektive Identität einer Person die Seiten
ihres Wesens, in denen sie nicht nur mit sich selbst, sondern mit vielen
anderen identisch ist. Damit wird auch deutlich, dass jede kollektive
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Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle
Identität getragen wird von der personalen Identität der Mitglieder des
Kollektivs.
Wechselwirkung zwischen personaler und kollektiver Identität
Die Bestimmung des Menschen ist die Entwicklung zur Freiheit. Dabei
ist diese Entwicklung gleichzeitig ein Prozess zunehmender Individualisierung, bei dem der Mensch immer mehr nur mit sich selbst identisch wird und somit an personaler Identität zunimmt. Aber das Wachsen der personalen Identität setzt die Verwirklichung der Freiheit in
kreativem Handeln voraus.
Dieses ist jedoch nur möglich, wenn dieses Handeln sich in sinnvoller
Weise einfügen lässt in das bereits Vorhandene. Voraussetzung dafür
ist zum einen, dass dieses Vorhandene bereits geschaffen wurde von
freien Individualitäten, zum anderen, dass diese freien Individualitäten
ihre Handlungsintuitionen aus dem gleichen Bereich des geistigen Urgrundes der Welt holten. Und das ist dann der Fall, wenn die Individualitäten einer Sprachgemeinschaft angehören. Wenn dieses nun nicht
der Fall ist, dann lässt sich das kreative Handeln nicht sinnvoll in das
bereits Vorhandene einfügen.
Damit wird das Wachsen der personalen Identität behindert. So zeigt
sich, dass zwischen der personalen und kollektiven Identität eine
Wechselwirkung besteht. Die Entwicklung der personalen Identität des
Menschen ist ein Prozess, der einen zweifachen Dialogcharakter hat,
und zwar in Bezug auf die ›Umgebung des Menschen‹, indem der
Mensch als freie Individualität gestaltend auf seine Umgebung einwirkt, und in Bezug auf die ›Mitmenschen‹, indem er in der Wahrnehmung und Anerkennung ihres Andersseins sich seiner selbst vergewissert.
Kollektive Pseudo-Identität
Was geschieht, wenn kein von Vergangenheitskräften freies intuitives
Denken vorhanden ist? Dann gibt es keine Kreativität. Alles Denken ist
logische Schlussfolgerung aus bereits Vorhandenem. Somit sind die
aus solchem Denken sich ergebenden Handlungen keine freien Handlungen; denn sie sind determiniert durch die Vergangenheit. Bei diesen
Gegebenheiten verfehlt der Mensch seine eigentliche Bestimmung.
Denn es gibt keine Entwicklung zu einer freien Individualität und somit auch nur eine schwache personale Identität. Wie wird der Mensch
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Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
unter solchen Gegebenheiten die Frage ›Wer bin ich‹ beantworten? Natürlich durch den Verweis auf kollektive Identitätsgemeinschaften und
damit durch den Verweis auf die Seiten seines Wesens, wo er mit vielen
anderen identisch ist.
Die Seiten seines Wesens, wo er nur mit sich selbst identisch ist, gibt
es nicht. Kollektive, deren Mitglieder über eine nur schwache personale
Identität verfügen und die sich gegenseitig durch ihre Zugehörigkeit
zu dem Kollektiv definieren, bilden eine Pseudo-Identität; denn jede
Form kollektiver Identität wird getragen durch personale Identitäten.
Menschen, die unter einer Schwäche ihrer personalen Identität, ihres
eigenen Selbst leiden, behelfen sich aus ihrer Not, indem sie sich in die
Lage eines anderen hineinversetzen, sich die Identität eines als stabil
phantasierten anderen borgen, sich mit ihm identifizieren. Alle, die sich
so mit einer von ihnen bewunderten Persönlichkeit identifizieren, bilden eine ›Fan‹-Gemeinschaft mit einer kollektiven Pseudo-Identität.5
Identität in der europäischen Aufklärung
Die Bewusstseinsverfassung des mittelalterlichen Menschen erlebte im
14. und 15. Jahrhundert zu Beginn der europäischen Neuzeit einen tiefgreifenden Wandel.6 Charakteristisch für diesen bewusstseinsgeschichtlichen Aufbruch war ein mächtiger Freiheitsimpuls, der die Seelen der Menschen durchwehte, aber auch ein neues Verhältnis zur Natur, das die modernen Naturwissenschaften entstehen ließ. Beide geistigen Strömungen wurden Bestandteil der sogenannten Aufklärungsbewegung, die das Geistesleben der westlichen Welt bis in die heutige
Zeit hinein maßgeblich prägt.
In diesem Zusammenhang soll ein Blick darauf geworfen werden,
welche Wirkungen die Aufklärungsbewegung mit ihrer Auffassung
von ›Freiheit‹ auch vom ›naturwissenschaftlichen Denken‹ hinsichtlich
der Identitätsproblematik entfaltete.
Freiheit
Die Konstruktion der Welt ist, wie gezeigt wurde, offenbar so erfolgt,
dass die Entwicklung der Menschen zur Freiheit hin möglich ist. Aber
5
6
Vgl. Winterhoff-Spurk, Peter: Kalte Herzen, 2005.
Vgl. Gerdsen, Peter: Blockiertes Deutschland, 2004.
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Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle
die Konstruktionsmerkmale sind eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Entscheidende Bedeutung für die Freiheit hat das
Denken. Gegenwartsintuitionen, die von keinen Vergangenheitseinflüssen getrübt sind, müssen das Handeln bestimmen. Dass Vergangenheitskräfte eine sich entwickelnde Freiheit behindern oder gar verhindern können, wurde in der Aufklärungsbewegung dumpf empfunden; die entscheidende Bedeutung des Denkens wurde nicht erkannt,
allerdings mit fatalen Folgen.
Alle organischen Gemeinschaften waren der Aufklärungsbewegung
verhasst als Strukturen, die mit dem Gewicht der Tradition und der
Vergangenheit angeblich die menschliche Freiheit behinderten. Aber
nicht auf die Abwertung der Vergangenheit kommt es an, sondern auf
die Befreiung des Denkens von Vergangenheitseinflüssen. Ein solches
Denken ist die Voraussetzung für wirkliche Freiheit und die Bildung
einer Individualität, die nur mit sich selbst identisch ist. Die bis in die
heutige Zeit hineinreichende Aufklärungsbewegung wirkt schwächend sowohl auf die kollektive Identität, indem sie die Menschen aus
den organischen Gemeinschaften herauslösten, als auch auf die personale Identität […], indem sie die Bedeutung des intuitiven, von Vergangenheitskräften freien Denkens nicht erkannte.
Naturwissenschaftliches Denken
Die zu Beginn der Neuzeit entstandenen Naturwissenschaften wurden
in der Aufklärungsbewegung umgedeutet. 7 Dies geschah auf zweifache Weise. Einmal wurde die für die Erforschung der unbelebten Natur
entwickelte Methode auf die Welt des Menschen angewandt, zum anderen wurde das für die neue Naturwissenschaft konstitutive induktive, auf Intuitionen beruhende Denken durch rationales Verstandesdenken ersetzt. Wenn der Mensch sich in ein naturwissenschaftliches
Verhältnis zur Welt bringt, wird dies zur Quelle von Gewalt, wenn er
die Naturwissenschaft verlässt und in die Welt des Menschen hineingeht. In seinem Bewusstsein vollzieht der Mensch dabei eine Spaltung
der Welt in Subjekt und Objekt.
Dabei wird der Mensch zum Subjekt eines ›reinen‹ Denkens. Alles
Seelische, also alle Emotionen, Sympathien und Antipathien, Freude
7
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Vgl. Gerdsen, Peter: Wie die Naturwissenschaften zum Fundament des
Materialismus und des Atheismus wurden, 2009.
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
und Trauer werden zum Schweigen gebracht. Damit findet eine Entpersönlichung statt; der Mensch denkt und handelt mit der seelischen
Kälte eines Roboters. Natürlich hat das weitreichende Folgen für die
personale Identität. Für einen Menschen in einer solchen Bewusstseinsverfassung verlieren die Objekte sämtliche Bedeutungen, Qualitäten,
Sinnhaftigkeiten, Stimmungen und Tönungen. Paart sich dieses Bewusstsein mit einem rationalen Verstandesdenken, so sind alle Voraussetzungen für gewalttätiges Handeln gegeben. Beginnen Staat und Gesellschaft sich diesem Denkschema entsprechend durchzustrukturieren, so entsteht strukturelle Gewalt; denn der Mensch gelangt unter die
Diktatur eines außermenschlichen Sachgesetzes.
Identität in der Moderne und Postmoderne
Für die Ausbildung der personalen Identität des Menschen ist, wie gezeigt wurde, ein von Vergangenheitskräften freies, intuitives Denken
wichtig. Korrumpiert werden kann das Denken durch Veränderung
der Begriffe und durch Erschütterung überhaupt in der Kraft des Denkens. Beide Vorgänge sind charakteristisch für die Moderne und die
Postmoderne, die Modifikationen der fortschreitenden Aufklärungsbewegung sind. Die Korrumpierungen werden in den Abschnitten ›Identitätsbegriff‹ und ›Identität und Vergangenheit‹ sowie ›Identität und
Globalisierung‹ dargestellt.
Identitätsbegriff
Worte sind Namen für Begriffe und diese stehen für bestimmte Gedankeninhalte. Dieser Sachverhalt ist ein breites Einfallstor für die Korrumpierung des Denkens, indem Begriffe umgedeutet werden, das heißt,
bei gleichem Namen für den Begriff wird der Gedankeninhalt verändert. Solche Umdeutungen von Begriffen haben in zahlreicher Weise
stattgefunden. Die Identitätsfrage wurde in umdeutender Weise einmal in der Form ›Ich bin, was ich tue und denke.‹ und zum anderen in
der Form ›Ich bin, was ich erlebe.‹ beantwortet.
Zunächst sei von der Definition ›Ich bin was ich tue und denke.‹ ausgegangen, in deren Gefolge sich eine Umdeutung des Toleranzbegriffs
ergibt, die weit ausstrahlt auf Begriffe wie Wahrheit, Gerechtigkeit,
Überzeugung. Bisher bedeutete Toleranz, andere Menschen als Geschöpfe Gottes zu akzeptieren, ungeachtet ihrer Rasse, ihrer Nationali-
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