PORTRAIT BY SIGRID ESTRADA (BERLIN / NEW YORK) MARIANNE WYDLER (*16.12.1939 -15.12.2016 t) DOKUMENTE ZUR GEDENKAUSSTELLUNG VOM 23.JANUAR 2017 BIS 12.FEBRUAR 2017 IM ART DOCK ZÜRICH / 8004 ZÜRICH BEGRÜSSUNG VERNISSAGE 22. JANUAR 2017 FÜR MARIANNE VON PETER KILLER Es wäre übertrieben, wenn ich sagen würde, ich hätte Marianne Wydler gut gekannt. Zum letzten Mal kamen wir vor fünf Jahren in Kontakt, als ich eine Reihe ihrer Werke in eine Ausstellung integrierte – vom «Essen und Trinken, vom Fressen und Saufen», in Winterthur, im Oxyd. Mit «Fressen und Saufen» hatten ihre sorgfältig, subtil gemalten Früchte-Stillleben natürlich nichts zu tun. Bei ihr war alles kultiviert, schön: sie selbst, ihre Wohnung, ihre Kunst. Zum ersten Mal, in den achtziger Jahren, sah ich ihre Bilder in der Galerie Esther Hufschmid und habe dieses Ereignis im Tages-Anzeiger mehr als nur gewürdigt. Es gibt verschiedene Gründe, weshalb mir diese Kunst lieb war, lieb ist. Eine Erklärung mit kurzem Umweg: 1873, im Alter von knapp 19 Jahren, schrieb Arthur Rimbaud, seinen letzten Gedicht-Zyklus, « Une Saison en Enfer ». Darin findet sich der verhängnisvolle Satz: Il faut être absolument moderne. Geschrieben wurde er ein Jahr vor der ersten ImpressionistenAusstellung, im Atelier des Pariser Photographen Nadar. Die meisten Übersichtsdarstellungen über moderne Kunst setzen diese Ausstellung dieses Datum an den Beginn der Moderne. Nein, es ist sicher nicht so, dass Rimbaud mit seinem Satz die Moderne ausgelöst hätte. Er sprach viel mehr etwas aus, das in der Luft lag. Schliesslich proklamiertet Edouard Manet schon als angehender Künstler, 15jährig, 1847: Il faut être de son temps. Wie auch immer: Mit dem Impressionismus beginnt sich das Karrusell der Ismen und der neuen Stilrichtungen immer schneller zu drehen. Postimpressionismus, Pointillismus, Jugendstil, Fauvismus, Kubismus, Konstruktivismus, Surrealismus usw. Heute sind wir soweit, dass die Novitäten in der Kunst sich fast so rasch jagen wie die immer neuen Handymodelle. Innovation geht heute über allles. Wobei der Begriff aufs Kunstschaffen der letzten Jahrzehnte eigentlich schlecht passt. Wir sehen Novitäten, man will gehauen oder gestochen etwas Anderes schaffen als die Andern zustande bringen. Die letzte wirkliche Innovation in der Malerei war die Pop Art. Michelangelo, Caravaggio, Rembrandt, Vermeer, Goya, Turner, Van Gogh, Klee u.a. – sie waren innovativ, aber nicht weil sie bildnerische Erfindungen machen wollten, sondern weil sie grosse Künstler waren, die sich intensivst mit der Kunst beschäftigten, das ihnen Gemässe schaffen wollten. Lerne zu werden, der du bist, und sei danach. schrieb der griechische Dichter und Philosoph Pindar. Werde die Person, die Du sein könntest, wenn Du Dir auf den Grund gehen würdest. Diesen Lernprozess schaffen nur wenige. Etwa die genannten Künstler. Die Innovation war das beiläufige Resultat ihrer persönlichen Selbstentdeckung. Sie hatten Tiefe. Heute, in der Zeit, die keine Zeit mehr hat, feiert die Oberflächlichkeit ihre globalen Triumphe. Marianne Wydler war in den sechziger und siebziger Jahren eine Pop Art-Künstlerin. Eine gute. – Im kommenden Sommer ist im Kunsthaus Aarau die Ausstellung «Swiss Pop Art » zu sehen. Uns überrascht es nicht, dass ihr Namen auf der Liste der Ausstellenden fehlt. Der Ausstellungsbetrieb ist heute meistens so oberflächlich wie neue Kunst. Die Pop Art war ein Feuerwerk. Feuerwerke haben es in sich, dass sie zeitlich begrenzt sind. Das vorher angeführte Manet-Zitat muss ich nun noch im vollen Wortlaut einfügen. "Il faut être de son temps, faire ce que l'on voit sans s'inquiéter de la mode !" Nach der Pop Art wollte sie sich nicht mehr durch die Moden beeinflussen lassen. Faire ce que l'on voit sans s'inquiéter de la mode. Marianne Wydler malte unbekümmert um Moden und Trends, was sie sah, was sie für sich arrangierte. In tagelanger, altmeisterlich anmutender Arbeit. Einen Bezug zum Fotorealismus der siebziger Jahre gibt es nicht. Fotos hat sie höchstens verwendet, wenn die Silllebenfrüchte rascher faulten als die Malerin fleissig sein konnte. Harald Szeemann sagte in der Zeit vor seinem Lebensende: « Es gibt keinen Fortschritt mehr, aber Bereicherungen aller Art.» Diese Erkenntnis spiegelt sich auch in den Bildern von Marianne Wydler, schon bevor sie von Szeemann formuliert worden ist. Ihre Kunst knüpfte an der Tradition an, die unter ihrem Pinsel ein neues Gesicht bekam. Sie liebte die alten Meister. Sie liebte schöne Bilder. Sie liebte die Schönheit. Warum in einer immer hässlicheren Welt Hässliches malen? Sie nahm eine Gegenposition zur Gegenwartskunst ein. Auch der Engländer Lucian Freud tat das. Um Unterschied zu ihr gab es eine Warteliste für fertige Werke, und die Sammler waren bereit, jeden Preis zu bezahlen. Eine Gegenposition einnehmen und gegen etwas protestieren – das liegt nah beieinander. Marianne Wydlers Bekenntnis zur Tradition der Kunst hat nichts mit Protest zu tun. Dazu war sie zu lustig, zu edel, zu fein, zu gescheit. Marianne Wydler die ihr gemässen Bilder gemalt. Schöne Bilder. Peter Killer Weitere Infos >>> http://art-dock-zh.ch/nachlaesse/wydler/
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