Brigham Young University BYU ScholarsArchive Essays Nonfiction 1924-11-29 "Z.R. III." in Newyork Ann Tizia Leitich Description This work is part of the Sophie Digital Library, an open-access, full-text-searchable source of literature written by German-speaking women from medieval times through the early 20th century. The collection, named after Sophie von La Roche, covers a broad spectrum of genres and is designed to showcase literary works that have been neglected for too long. These works are made available both in facsimiles of their original format, wherever possible, as well as in a PDF transcription that promotes ease of reading and is amenable to keyword searching. Follow this and additional works at: http://scholarsarchive.byu.edu/sophnf_essay Part of the German Literature Commons Digital Archive Source: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfp&datum=19241129&seite=10&zoom=33 BYU ScholarsArchive Citation Leitich, Ann Tizia, ""Z.R. III." in Newyork" (1924). Essays. 104. http://scholarsarchive.byu.edu/sophnf_essay/104 This Article is brought to you for free and open access by the Nonfiction at BYU ScholarsArchive. It has been accepted for inclusion in Essays by an authorized administrator of BYU ScholarsArchive. For more information, please contact [email protected]. Chronikbeilage der "Neuen Freien Presse" "Z R III" in Newyork. Von Ann Tizia Leitich. Wie vom Himmel gefallen sind diese Oktobertage in Newyork — unwahrscheinlich blau die Bläue, segantinigolden die Sonne, wolkenloser Himmel, silberner Altweibersommer über chromfarbenen Bäumen. Und dieser Morgen, dieser einzige Morgen. . . . In der unteren Stadt, in Downtown, steigen aus dem herrlichen Hafen die Wände von Manhattans brüstenden Giganten, weiß, turmbewehrt, flaggengeschmückt, hunderttausendäugig hinauf in die Bläue, mit einer Tollkühnheit sondergleichen und zugleich mit einer Ruhe, einer Selbstsicherheit, einer Selbstgenügsamkeit, wie sie sonst nur die vieltausendjährige Weisheit der Berge besitzt. Newyorks berühmte skyline, Newyorks Himmelslinie — Zacken, Grate, Dome, Schluchten — sie hat zwar viele Ausrufer, aber noch keinen Sänger gefunden. Wie sie aus dem Meer heraus gerade sich selbst emporträgt, ein Kyrieeleison! Und wie heute, an diesem unvergeßlichen Morgen, noch die Nebel in Streifen, noch nicht ganz frei von den Geheimnissen der Nacht darum weilen, wie um die Schultern superber Schönheiten zarte Spitzengewebe, zerspielt von der Hand des Geliebten. Und dann plötzlich ein Schreien, ein Stampfen, ein Wimpelwinken, ein Böllerschießen, ein Menschenwimmeln auf Straßen und Dächern, ein so namenloses Lebendigsein, und die Spannung und der Glanz auf den zur Höhe gewandten Gesichtern — und durch die Luft daher der schlanke, der mächtige Sieger! Niedrig fliegt er, niedriger als mancher der Riesen, jetzt verschwindend in einem Nebelschwaden, mystisch halb, dann ganz daraus, weiß leuchtend in das Gold des Tages tauchend; rund um die Türme, hin und her, stolz die Kraft seiner Eleganz paradierend. Zu Wirklichkeit geworden des Menschengeistes kühnster, ältester Traum — Tharus — Leonardo — aber diesmal "Set Ar 3" oder auf deutsch: "Z R III". Es ist natürlich vor allem das Fieber des Sports, des Rekordmachens, das die Masse ergriffen hat und von dem die Amerikaner mehr besessen sind als irgendein anderes Volk. Zu der selben Zeit beendete der amerikanische "Shenandoah", dem Zeppelin ähnlich in Gestalt, den Flug über den weiten amerikanischen Kontinent; der ganze ungeheure Stolz, den der Amerikaner in alle nationalen Dinge setzt, begleitete den Flug dieses Luftschiffes von Ort zu Ort. Aber heute ist es der Fremde, dem man entgegenjubelt, der das noch Größere siegend zu Ende geführt. In dreieinhalb Tagen über den Ozean. Den vielen emporgewandten Gesichtern, den Schreien der Spannung, der Freude, der Neugierde kam das erste Wort der Flieger entgegen aus dem Fenster der Gondel auf dem Flugplatz von Lakehurst: "Perfect!" Und der Amerikaner gab Bewunderung, denen Bewunderung gebührt, freigebig und großzügig, denn Knauserigkeit und Neid ist nicht in seinem Charakter. Wenn er auch nicht immer über die Grenzen seines ungeheuren Landes zu sehen vermag oder nicht sehen will, sein Gefühl bleibt nicht im Kleinen stecken. Der andere spielt den Trumpf aus: Nun gut, freuen wir uns darüber; die Hauptsache ist ja, daß es getan, daß es vollbracht werden konnte. Und diesmal ist's der Deutsche, der den Trumpf ausspielt. Der Verhaßte, der Gemiedene, der Barbar, der Zerschundene, der alle die Bitterheiten des Vae vietis durchkostet, er kommt als Sieger durch die Wolken, als Sieger im friedlichen, im erhebenden Kampf der Geister; nicht um aufzubegehren mit seinem Sieg, aber um ihn der Menschheit zu schenken, damit sie reicher werde. Friede, Kultur, Versöhnung, Zusammenarbeiten, Zusammensichfreuen; ein Licht fällt über die dunklen, schweigenden und schwindelhohen Brücken, die von Volk zu Volk, von Bruder zu Bruder führen und als Bote vom Drüben ins Herüber das Geisteswerk des Deutschen Zeppelin und seiner Disziplin. Dem Frieden soll es dienen, nur dem Frieden . . . und man vergaß; in Newyork, in Amerika. Noch nie war es so klar; so unumwunden frei heraus war noch nie seit dem Kriege in Amerika vergessen worden. Vergessen, was? Nun, was anderes als der Krieg? Die Lüge, das Hassen, das Töten, der Neid und wieder die Lüge und die vielen Fehler und die vielen Herz- und Taktlosigkeiten; das Wort "Barbar", das sogar manchmal noch so voll der knirschenden Betrachtung geworfen und das so tief getroffen — alles vergessen. Machen wir endlich reinen Tisch und fangen wir von vorn an und besser an! Auch dies ein Sieg des "Z R III", und kein geringer. Und die Flieger selbst, die gekommen waren, um ihr stolzes, ihr wunderbares Werk in die Hände dessen zu liefern, der mit dabei gewesen, ihnen den kläglichen Frieden zu diktieren? Sagte da einer von ihnen zu mir, ein einfacher, gescheiter Mensch, jahrelang erprobt im Dienst der deutschen Marine, als ich ihn fragte, ob es ihm denn nicht leid täte, das Schiff jetzt hier zu lassen: "Leid? Nun freilich, aber die Hauptsache ist doch, daß wir es vollbringen konnten. Die Hauptsache ist doch die Ehre, die wir Deutschland gebracht haben", und er spricht von der Ehre Deutschlands ohne Schwerterklirren, ohne Stiefelknarren, spricht ganz ruhig und simpel, fast bescheiden, und deshalb mit so viel tieferer Wirkung. Daß er bei einem Glas vormittägigen, mit Begeisterung gespendeten Champagners saß, der natürlich elend schlecht war wie jeder Champagner, der unöffentlich in einem Newyorker öffentlichen Lokal in Teeschalen maskiert getrunken wird, tat seinen Worten keinen Abbruch. Aber wehe, als die Pygmäen der Helden habhaft wurden! Da wurden die Schleusen bombastischer Rhetorik geöffnet, die sich an dem Klang endlos aufgewärmter Worte berauscht und den Inhalt sein Dasein fristen läßt, so gut es geht. Eines wurde da evident: diese Leute hatten nichts gelernt und nichts vergessen. Sie droschen noch dieselben Phrasen, die Millionen um ihr junges Leben gebracht haben, sie stelzten daher mit einem Deutsch, dessen klägliche Form man ihnen ja gern vergab, weil man wußte, daß die jahrelang schon im täglichen Leben eine andere Sprache sprachen, deren Inhalt aber nichts war, als die alten, unsäglich kleinen und dabei so großen Fehler wieder von neuem in den gewissen, von aller Welt verhaßten Schlagwörtern. Im Theater am Broadway erschienen die Flieger und man stimmte an "Deutschland über alles". Freilich, es ist die Hymne; aber man hört sie hier nicht gern; es ist noch immer zu früh. Und es wurde kritisiert. Man sah Lippen sich wieder verächtlich kräuseln und Augen sich wieder verschließen. Frost über aufkeimender Saat. Es ist dieses ewige Nur-immer-an-sich-denken und nicht daran, wie es den anderen berührt, das anstößt, und gerade das kostet so wenig. Ein andermal, 5000 Deutsche füllten den Riesensaal und sie alle waren gut angezogen, gut genährt, mit Mienen der Sorglosigkeit; zu dem allen hatte ihnen ein fremdes Land verholfen, dessen Sprache sie sprachen, weil sie sie sprechen mußten. Und vom Podium fiels wie Hagel. "Deutsche Größe muß wieder anerkannt werden — und sie wird anerkannt werden . . . ." Der Redner hieb mit der Faust von unten hinauf in die Luft und wartete — Applaus rauschte. "Der Schandfriede von Versailles." "Deutsch muß in den Schulen eingeführt werden, wir müssen darauf bestehen, darauf bestehen müssen wir", wieder die Faust von unten hinauf, die Pause — der Applaus. Wir wissen ja wohl: sie meinen es nicht so klirrend wie es hervorrollt und wir sagen mit jenem Großen am Kreuz, der die Menschen am besten gekannt und am besten geliebt hat : Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. — Die anderen jedoch, die wissen das nicht. Haben wir das nicht zur Genüge erfahren? Aber da trat einer unter sie und er rettete uns, brachte die Schreier zum Schweigen durch sein Schweigen. Da war Dr. Hugo Eckener am Podium, der Kommandant des "Z R III". Er wußte, er sollte sprechen, aber es fiel ihm schwer: dieser Mann der beispiellos kühnen Tat, mit den großen klar-ruhigen Augen, der die Luft und den Sturm bezwungen hat wie noch vor ihm keiner, er war nervös vor der Absurdität einer Menschenansammlung. Aber dann sprach er und seine Worte waren begleitet von einer Geste, mit der man wohl ein Geschenk zurückweist, dessen man sich nicht würdig findet: "Man feiert uns und sagt, wir hätten etwas Großes getan. Wir sind uns nicht bewußt, etwas Außerordentliches getan zu haben. Wir sind nur glücklich, daß wir die hohe Gesinnung unseres Volkes zeigen konnten durch ein Werk der Kultur und Aufopferung und daß wir die Gefühle der Wertschätzung der übrigen Welt entfesseln durften." Wir werden in ein paar Jahren als Passagiere über den Ozean fliegen. So wunderbar der Gedanke, in dieser Minute und in anderen dieses Weltereignisses war ein anderer ihm voran, und um ihn auszudrücken, fällt uns nichts Besseres ein als das Dichterwort: "Deines Geistes hab' ich einen Hauch gespürt."
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