Brigham Young University BYU ScholarsArchive Essays Nonfiction 1926-12-19 "Petting Party" Ann Tizia Leitich Description This work is part of the Sophie Digital Library, an open-access, full-text-searchable source of literature written by German-speaking women from medieval times through the early 20th century. The collection, named after Sophie von La Roche, covers a broad spectrum of genres and is designed to showcase literary works that have been neglected for too long. These works are made available both in facsimiles of their original format, wherever possible, as well as in a PDF transcription that promotes ease of reading and is amenable to keyword searching. Follow this and additional works at: http://scholarsarchive.byu.edu/sophnf_essay Part of the German Literature Commons Digital Archive Source: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfp&datum=19261219&seite=33&zoom=33 BYU ScholarsArchive Citation Leitich, Ann Tizia, ""Petting Party"" (1926). Essays. 105. http://scholarsarchive.byu.edu/sophnf_essay/105 This Article is brought to you for free and open access by the Nonfiction at BYU ScholarsArchive. It has been accepted for inclusion in Essays by an authorized administrator of BYU ScholarsArchive. For more information, please contact [email protected]. „Petting Party.“ Von Ann Tizia Leitich (Newyork). Sie bereiteten zu viert das Abendessen. Es wäre eigentlich korrekter, zu sagen, die Herren bereiteten es, denn Reggie, mit einer weißen Kochschürze über seiner hohen Schlankheit, wendete das Steak kunstgerecht; Frank, der in Ermangelung einer Kochschürze – deren in seiner Junggesellenwohnung nur eine vorhanden war – ein Leintuch über sein tadellos, in Anbetracht seiner dreißig Jahre etwas reichlich ausgefülltes Dinner-Jackett gebunden hatte, warf Spinatblätter in einen Kochtopf, fischte sie nach einer halben Stunde wieder heraus und schüttete zerlassene Butter darüber – was den Spinat erledigte. Dazwischen hatte er Zeit, das Eis zu zerkleinern und die Cocktails zu mischen. Der Suppe nahm sich Madge an, indem sie eine Konserve öffnete und den Inhalt erwärmte. Mit mehr Liebe widmete sie sich dem Salat, da Antoinette doch nicht Miene machte, ihr neues, mondscheinfarbenes Tüllkleid den Gefahren der Küche auszusetzen. Auf Antoinette konnte man sich dagegen verlassen, was das Arrangement des Dinners und das Decken des Tisches betraf. Die neunzehnjährige Antoinette besaß im höchsten Maße das ausgesprochen amerikanische Talent für das Dekorative und sie gehörte zu jenen Frauen, die es vermögen, mit ein paar Blumen und ein bißchen Silber ein Kartoffelessen in ein Göttermahl zu verwandeln – was sie übrigens nie notwendig gehabt hatte. Vorbereitung und Zubereitung machte den jungen Leuten großen Spaß, weshalb sie ja auch vorgezogen hatten, selbst Hand anzulegen, statt sich das Mahl fix und fertig vom Delikatessenhändler liefern zu lassen. Etwaige Unzulänglichkeiten kamen beim Essen zwischen Franks ausgezeichneten Cocktails, seinen weniger ausgezeichneten Spässen und der Begleitung des sehr guten Speisesaalorchesters im Plaza Hotel nicht nur Geltung. Nachdem aber dann Teller und Platten in wüster Unordnung zur morgendlichen Freude der Mistreß O’Hara, Franks Haushälterin, in die Küche geschoben waren, schaltete man das Radio aus und spielte fortan nur mehr Jazz auf dem Viktrola. Die Kronleuchter waren nun abgedreht und es blieben nur hier und dort kleine rot beschirmte, sanftleuchtende Lämpchen brennen, welche die drei luxuriös eingerichteten Zimmer – das vierte, Franks Schlafzimmer, blieb natürlich uneröffnet – in ein rosig durchschimmertes warmes Halbdunkel tauchten, das bald von leichten Wölkchen durchzogen wurde: den aufreizend-herben Gerüchen eines orientalischen Räucherwerkes, das Antoinette angezündet hatte. Antoinette, die erst kürzlich von einem eleganten College zurückgekommen war, verstand sich auf solche Dinge. Eine Zigarette im Munde, lag sie nun auf dem niedrigen Diwan, ausgestreckt mit der hinfließenden und zugleich hochmütigharten Grazie der Amerikanerin, und ließ Reggie mit ihren schönen Knöcheln spielen. Diese Liebkosung zerstörte keines von beiden mit unnützen Reden. Abwehrmaßnahmen waren seitens Antoinettes nicht nötig, denn Reggie wußte, daß es strenge Grenzen gab. Und Reggie überschritt diese Grenzen nicht. Frank und Madge tanzten indes abwechselnd Wange an Wange und Mund an Mund; unentwegt, vollständig der Berührung und dem Rhythmus hingegeben; aufgelöst in dieser Hingebung; ganz ruhig, ohne bachantische Note und ohne jegliche Leidenschaft – wie Kinder, oder wie Götter. Und doch, natürlich, keines von beiden. Zwei Liebespaare, die hier gemeinsam den Abend verbringen, um sich sozusagen gegenseitig zu chaperonieren? Durchhaus nicht. Reggie und Antoinette lernten sich erst eben diesen Abend kennen; und Madge hat Frank erst gestern am Tuxedoball gesagt, daß sie sich noch nicht entschlossen habe, ihn zu heiraten. Die Wahrheit war, daß sie zwischen ihm und Cecil Fuller schwankte. Wessen Wange, wessen Hand und Arm ist süßer? Nun, Madge ist ja dabei, auszuprobieren. Also keine Liebespaare. Vielleicht später einmal; oder nie. Jedenfalls beweist ihr Beisammensein einen solchen Abend lang nichts. Denn dies ist eine „petting party“. Oh, es bedeutet keinerlei Fleck auf der Ehre, bei derlei betroffen zu werden, von derlei zu reden. Petting parties sind, wenn auch nur stillschweigend, erlaubt. Mehrere hundert College-Girls hielten eine Versammlung ab, um zu beraten, ob „petting“ erlaubt sein solle. Das Resultat war: „Petting with temperance“ (Liebeln mit Grenzen) sei nichts Schlimmes. Percy Marks hat petting parties, allerdings berieselt mit Alkohol, der dabei nicht unbedingt eine Rolle spielen muß, in seinem Roman „Studentenjahre“ (bei Kurt Wolff erschienen, München, 1926) beschrieben. Petting ist also literaturfähig. Und eben, weil es nur stillschweigend geduldet wird, ist es die große Mode. Der Mode aber kann man sich nicht entziehen, denn sonst steht man beiseite; übersehen; ad acta gelegt; wird als unmöglich, als langweilig, wohl vielleicht gar, um Gotteswillen, als prüde bezeichnet. Das geht nicht. Es geht vor allem deswegen nicht, weil man sonst im Rennen um die zwei gesellschaftlichen Preise ganz zurückbleiben würde. Diese zwei Preise sind: Erstens: „populär“ sein, das heißt, bei den jungen Leuten beliebt sein. Je mehr Verehrer ein Mädchen hat, die ihr Bonbons und Blumen schicken, die im Sommer mit ihr auf ihrer Hausveranda schaukeln, sie zu Automobilfahrten abholen und sie zum Tanz begleiten, desto größer ist ihre „Popularität“. Jede Mutter ist stolz auf die Popularität ihrer Tochter, und jeder junge Mann fühlt sich als ein Cornelius Scipio Africanus am Tage seines römischen Triumphes, wenn er aus einer derartigen Konkurrenz als Sieger hervorgeht. Es gibt natürlich immer ein paar ganz Schlaue, die die Henne dem Fasan vorziehen – aber im Grunde ist die graziöse Ausnützung der männlichen Eitelkeit, heute wie immer und in Newyork so gut wie in Wien oder Afghanistan, das zielsicherste Geschäft der Weiblichkeit gewesen. So führt diese „Popularität“ geradewegs zum zweiten Preis: der Heirat. Diese Institution hat, wie bekannt, Feminismus, Suffragetten, Hosenkleider, alle diversen Schreie nach Gleichheit und Ausleben verschluckt wie ein indischer Fakir Glasscherben schlingt. Sie ist daraus zwar etwas angegriffen hervorgegangen, scheint aber nichts von ihrer Lebensfröhlichkeit und ihrem Daseinswillen verloren zu haben. Die Heirat erfreut sich noch immer großer Beliebtheit beim weiblichen Teil – – und auf den kommt es schließlich doch an, denn der männliche wird dann schon durch den Enthusiasmus des weiblichen irgendwie zu Paaren getrieben. Einen Ehegatten zu erlangen, das ist eine Angelegenheit allerersten Ranges auch im Leben der heutigen amerikanischen jungen Dame. Keine schönen modernen Schlagwörter haben daran etwas zu ändern vermocht. Wie stellt sich der Mann dazu? Der Amerikaner ist von Natur anständig. Der weiß, daß er, als guter Bürger, zu heiraten hat; daß es sozusagen von ihm erwartet wird. Daher setzt er dem ganzen Prozeß innerlich nicht den Widerstand entgegen, wie es zum Beispiel der Europäer tut, der fortgesetzt darauf bedacht ist, seine höchst fragwürdige Freiheit zu wahren und eine Individualität zu sein. Die Schwierigkeit liegt aber wo anders. Der Amerikaner ist der Pascha des Westens – er will, daß ihm die Sache anziehend gemacht werde. Sonst tut er nicht mit. Und da die Mädchen beim Geschäft der Liebe und Ehe ohne ihn schlechthin nicht auskommen können, so müssen sie sich eben dazu bequemen und sich seinen Wünschen adaptieren. Sie haben es ja seit Eva getan. Erstens ist der Amerikaner – was damit gemeint ist, ist der hundertprozentige, nicht ein Bindestrich-Amerikaner aus dem Babel Newyork – kühl, oder, besser gesagt, a-erotisch. Während der Europäer, zum Flirt – immer in Stimmung ist, muß der Amerikaner dazu gebracht werden. Ist „petting“ gut dazu, also dann „petting“. Zweitens haben ihm die Dichter und Romanschreiber, besonders die europäischen, gesagt, daß die Liebe auch eine romantische Seite hat. Dieses Romantische, Mystische erwartet er von der Frau. Zu Punkt eins: Die englisch-puritanische Repressionsmoral gebot, alle Gefühle zu verbergen. Gefühle zu haben und zu zeigen war nicht nur nicht salonfähig, sondern direkt verdächtig. Irgendwie brachte man es freilich doch zustande, hinter dieser Fassade von Erstarrtheit gewisse Gefühle zu haben. Auch petting parties hatte man, nur nannte man es damals „spooning“ und sprach nicht darüber; man tat es nur. Immerhin war der Code streng genug. Heute aber liegt er ist [sic] in der Abfallgrube; ist vollständig erledigt und wer daran zweifelt, der bekommt es mit der amerikanischen Jugend zu tun. Auch mit den Intelligenzlern, die nur etwas weniger stürmisch und eigenmächtig sind, denen es aber zu danken ist, wenn die Tore für eine menschlichere Behandlung menschlicher Dinge geöffnet worden sind. Und so ist in den letzten zehn Jahren etwas in das Leben des Amerikaners gekommen, das vorher nicht da war: Sex. Das Wort läßt sich, in dem Sinn wie es hier gebraucht ist, kaum übersetzen. Geschlecht, Beziehung der Geschlechter untereinander, Sexualität – stimmt alles nicht; nicht ganz. Weil es so vollständig neu für ihn ist, interessiert es ihn außerordentlich. Er schält es aus dem übrigen Leben heraus und betrachtet es gesondert unter einer Lupe wie ein Phänomen. Seine gewöhnlichsten Erscheinungen behandelt er wie Offenbarungen. Und dadurch erklärt sich zweierlei: Die große Menge von SexLiteratur, besonders in Magazinen, und die unsagbare Gewöhnlichkeit, Primitivität und Phantasielosigkeit dieser Literatur, wobei das Wort „Literatur“ natürlich im weitesten Sinn gemeint ist. Die Ausbeutung dieses Interesses durch das immer wache Geschäft ist dann eine weitere Folge. Fragen springen auf: hat Sex mit Liebe und Liebe mit Sex etwas zu tun? Darf es etwas zu tun haben? Ueber solches Tappen im Dunkeln und in Anfängen dürfen wir uns nicht wundern. Woher sollte man plötzlich, innerhalb von zehn Jahren, gelernt haben, über Liebe und Sex zu schreiben, darüber zu sprechen? Bloß, weil es einem jetzt erlaubt ist? Das ist nicht Grund genug. Wir in Europa haben das ganze Mittelalter, bis übers Rokoko und Empire hinaus Zeit gehabt, uns geruhsam darüber und damit zu unterhalten, uns emotionell auszubilden, so daß das Jahrhundert der Maschine und der Triumphzug des Materiellen uns sozusagen innerlich ausgebaut vorfand – wie wir ihm standgehalten haben, wird die Zukunft lehren. Amerika aber ist aus der Rodungsperiode seiner Pioniersteinzeit fast ohne Uebergang in den Wirbel des industriellen Hochschwanges gerissen worden, wo der Verstand auf Kosten der Emotionen lebt und schafft. Dies aber hat uns hier indes logisch zum zweiten Punkt geführt: Der Amerikaner, ein vollkommen moderner, hochzivilisierter Mensch, hat seine ganze Energie intellektuell-physisch gebunden, so daß sein Gemütsleben weit hinter seiner übrigen Entwicklung zurückbleiben mußte. Es fehlt diesem daher an Tiefe und Nuancierung. Es fehlt das, was dem ganzen amerikanischen Leben mangelt: Das Inkommensurable, das Metaphysische. Goethe hat gesagt, daß die Liebe etwas Metaphysisches an sich habe. Der gescheiteste Amerikaner würde vor solchem Ausspruch hilflos stehen, wenn er aufrichtig ist. Amerika kennt Eros nicht. Die Liebe, die ihm neu ist, fällt ihm auseinander in Sinnlichkeit und Kameraderie. Er hat das „und“ jener dritten Stufe der Erotik nicht gefunden, von der Emil Lucka spricht: Sinne und Seele zu vereinen. Die Menschen fühlen dunkel den Mangel und tappen nach dem Weg, der aus der kohlenlichtüberfluteten Welt der hundertprozentigen Tüchtigkeit in die Mystik des Halbdunkels der Seele führt: suchen ihn mit äußeren Mitteln: Räucherwerk, orientalischen Aufmachungen, raffinierter Kleidung der Frauen, Scheidungen, Liebeleien. Andere Arme, andere Launen, andere Augen: das leise Spiel der petting party, das die Brutalität der Erfüllung verschleiert und die Phantasie erregt. Petting party. Die Jugend schwärmt dafür. Und behält die Jugend nicht immer am Ende recht? Vielleicht weiß sie besser, was ihr nottut, als die Aelteren, die immer die Weiseren sein wollen seit Adams Zeiten.
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