OGH aktuell – Auf einen Blick! 2017/1 Nicht alle hier angeführte Entscheidungen sind bereits im ris veröffentlicht. Alle Sparten; Widerruf Kündigungserklärung während aufrechten Vertrags ABGB § 863, § 869: Eine frist-oder terminwidrige Kündigung ist grundsätzlich in eine ordnungsgemäße Kündigung umzudeuten, also rechtlich so zu behandeln, als ob sie unter Einhaltung der vorgeschriebenen Frist zum nächstzulässigen Termin ausgesprochen worden wäre, wenn dies dem mutmaßlichen, dem Erklärungsempfänger erkennbaren Willen des Kündigenden zum Zeitpunkt der Kündigung entspricht. Die Umdeutung eines fehlerhaften einseitigen Rechtsgeschäfts kann allerdings nie zu einer stärkeren Belastung des Erklärungsempfängers führen als es im ursprünglichen Geschäft angestrebt wurde. OGH VR 2004/628; VR 2006/708; 7 Ob 86/16x Ein einseitiger Widerruf einer rechtswirksamen Kündigung des VN während noch aufrechten Vertragsverhältnisses ist in ein Angebot zur Vertragsfortsetzung umzudeuten. Antwortet der Versicherer in einem solchen Fall dem VN nicht, nimmt er dieses Angebot schlüssig an. OGH 15.6.2016, 7 Ob 86/16x Alle Sparten; Kündigung Bündelversicherung; außerordentliche Kündigung wegen Vertrauensverlusts VersVG § 1a; ARB Z*** 2005 Art 15; ABS Z*** 1995 Art 10, Art 12: Versicherungsverträge können außerordentlich gekündigt werden, wenn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses dem Kündigenden nicht mehr zumutbar ist. Eine solche Kündigung ist „äußerstes Notventil“ und nur zulässig, wenn die wichtigen Gründe ein erhebliches Gewicht haben. Dabei ist eine auf den Kündigungszeitpunkt bezogene Gesamtbetrachtung unter umfassender Abwägung des Auslösungsinteresses der einen im Verhältnis zum Bestandinteresse der anderen Partei vorzunehmen. Ein die Sparten „Haushalt“ und „Rechtsschutz“ umfassendes, auf getrennten AVB für jede Sparte beruhendes „Versicherungspaket“ ist als Bündelversicherung einzustufen. Die Verträge zu den einzelnen Sparten haben daher ein rechtlich selbständiges Schicksal. ABGB § 879 Abs 3; VersVG §§ 158j ff: In der Rechtsschutzversicherung muss eine Vertragsklausel zur Schadensfallkündigung nicht paritätisch sein. Doch müssen die Voraussetzungen für das Kündigungsrecht des Versicherers genau präzisiert und objektivierbar sein, um zu beurteilen, ob die Kündigung iSd § 879 Abs 3 ABGB sachlich gerechtfertigt ist. OGH 6.7.2016, 7 Ob 208/15m EigenheimV; RohbauV; Bauhütte in Gestalt eines umgebauten Lkw-Anhängers kein „Nebengebäude“ ABGB § 914; Besondere Bedingungen zur Eigenheimversicherung Deckungsvariante Premium E2P Pkt 3, Pkt 9.7.lit a, Pkt 10.4. lit a; Rohbauversicherung für die Eigenheimversicherung Deckungsvariante Klassik und Premium RO1 Pkt 1: Ein zu einer „Bauhütte“ umgebauter Lkw-Anhänger, der durch mehrere Stützfüße gegen Be1 wegungen abgesichert ist und nach Abbau der Stützen jederzeit bewegt werden könnte, ist kein Nebengebäude im Sinn des Art 3.1 E2P. ABGB § 914, § 1380: Die Abgrenzung eines konstitutiven Anerkenntnisses als rechtsgestaltender Willenserklärung und eines deklarativen Anerkenntnisses als Wissenserklärung ist nach den Auslegungsmaßstäben des § 914 ABGB im Einzelfall vorzunehmen. OGH 15.6.2016, 7 Ob 104/16v PrivathaftpflichtV; Gefahren des täglichen Lebens ABH 2006 Art 12 1.: Das Verüben einer vorsätzlichen schweren Körperverletzung nach einem Streit zählt auch dann nicht zu den Gefahren des täglichen Lebens, wenn die Tat im Vollrausch begangen wurde. OGH 13.10.2016, 7 Ob 189/16v RechtsschutzV; Deckung arbeitnehmerähnlicher Personen in „Arbeits- und Dienstrechtssachen im Berufsbereich“; Ausschluss Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Handelsvertreterrecht ASGG § 51; ARB 2003 Art 23 Pkt 1.1, Art 1.2., Pkt 2.1: Der VN hat nach Art 23.1.1 ARB 2003 Versicherungsschutz „in (seiner) Eigenschaft als Arbeitnehmer im Sinne des § 51 ASGG für Versicherungsfälle, die mit der Berufsausübung unmittelbar zusammenhängen“. Das umfasst generell „Arbeitnehmer“ iSd § 51 ASGG, daher erstreckt sich der Versicherungsschutz auch auf arbeitnehmerähnliche Personen iSd § 51 Abs 3 Z 2 ASGG. ASGG § 51; ARB 2003 Art 7 Pkt 1, Pkt 1.5: Der Risikoausschluss nach Art 7.1.5. ARB der Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dem Bereich des Handelsvertreterrechts ist anhand der faktisch ausgeübten Tätigkeit des Versicherungsnehmers und der Qualität der von ihm verfolgten Ansprüche zu beurteilen. Eine arbeitnehmerähnliche Person, die im Rahmen eines Strukturvertriebs Kapitalanlagen, Bauspar- und Versicherungsverträge vertreibt, ihre Tätigkeit dabei weitgehend selbst bestimmt und gegen den Unternehmer Provisionsansprüche durchsetzen will, verfolgt aus der Deckung ausgeschlossene rechtliche Interessen aus dem Bereich des Handelsvertreterrechts. OGH 27.1.2016, 7 Ob 156/15i. So auch bei vergleichbarem Sachverhalt die Folgeentscheidungen: OGH 17.2.2016, 7 Ob 177/15b; OGH 17.2.2016, 7 Ob 213/15x; OGH 17.2.2016, 7 Ob 9/16y; OGH 17.2.2016, 7 Ob 20/16s; OGH 16.3.2016, 7 Ob 27/16w; OGH 16.3.2016, 7 Ob 28/16t RechtsschutzV; Ausschluss Verlassenschaftsverfahren; Deckung Erbrechtsstreit ABGB § 914; §§ 161ff AußStrG; ARB 2003 Art 26 3.2.: Der Risikoausschluss des Art 26 3.2. ARB 2003 („Verlassenschaftsverfahren“) erfasst nach Inkrafttreten des AußStrG 2005 nicht das Verfahren über das Erbrecht nach den §§ 161 ff AußStrG 2005. Für die Auslegung der Bedingungen und die Beurteilung des versicherten Risikos kann nur die zur Zeit der Aufstellung der maßgeblichen AVB geltende Gesetzeslage herangezogen werden. OGH 27.1.2016, 7 Ob 172/15t 2 LebensV; Klausel über unterjährige Beitragszahlungen in der gewählten Formulierung intransparent VersVG § 6 Abs 3, § 28 Abs 1; AVB Lebensversicherung mit Beitragsrückgewähr L556 § 4 Abs 2: Das Transparenzgebot soll sicherstellen, dass der Verbraucher seine Rechte erkennen kann und von deren Durchsetzung nicht abgehalten wird. Daraus kann sich auch eine Pflicht des Versicherers zur vollständigen Darstellung ergeben. Hier: Unklar, ob der VN die Höhe des Unterjährigkeitszuschlags kraft Vereinbarung beeinflussen kann oder ob sie ihm vom Versicherer einseitig vorgegeben wird. ABGB § 914; KSchG § 28: Im Verbandsprozess sind AVB-Klauseln im kundenunfreundlichsten Sinn auszulegen. Keine geltungserhaltende Reduktion im Verbrauchergeschäft. OGH 17.2.2016, 7 Ob 5/16k KrankenV/PflegegeldV; Unzulässige Vertragsanpassungsklausel VersVG § 178f Abs 3; AVBP 2004 § 19 Abs 1 - Abs 4 S 2; § 20 Abs 1 - Abs 4 S 3; EVBP 2004 § 5 Abs 1: Die Klausel „Im Falle eines Widerspruchs wird die Versicherung mit höchstens gleichbleibender Prämie und angemessen geänderten Leistungen (Ersatztarif) fortgeführt und der Versicherer späterhin nicht mehr verpflichtet, eine Anpassung der Versicherungsleistungen durchzuführen“ verstößt gegen die zugunsten des Versicherungsnehmers zwingende Bestimmung des § 178f Abs 3 VersVG. VersVG § 178f Abs 2; KSchG § 6 Abs 1 Z 5; AVBP 2004 § 19 Abs 1 - Abs 4 S 2; § 20 Abs 1 - Abs 4 S 3; EVBP 2004 § 5 Abs 1: In der Krankenversicherung bedarf es über § 178f Abs 2 VersVG hinaus keiner weiteren Konkretisierung der darin festgelegten Faktoren, um den Anforderungen des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG zu entsprechen. KSchG § 6 Abs 2 Z 3: Der Gesetzeswortlaut „dem Verbraucher zumutbar“ eröffnet einen breiten Wertungsspielraum, den der Gesetzgeber nur beispielhaft („besonders“) dahingehend präzisiert, dass eine geringfügige und sachlich gerechtfertigte Leistungsänderung zumutbar ist. Daraus ergibt sich, dass sachlich nicht gerechtfertigte Änderungen jedenfalls unzumutbar sind. OGH 16.12.2015, 7 Ob 206/15t UnfallV; Berechnung Invaliditätsentschädigung bei Mehrfachinvalidität; Invaliditätsgrad bei Teilschädigung paariger Organe; Invalidität getrennt nach Einzelschaden zu beurteilen Klipp und Klar-Bedingungen für die Unfallversicherung 2009 (U700) Art 7 Pkt 1, Pkt 2.2., Pkt 2.3. Pkt 3., Pkt 4, Pkt 7, Pkt 8: Führt ein Unfall zu einer (bloßen) Teilschädigung beider Augen, ist der daraus resultierende Invaliditätsgrad für jedes Auge getrennt zu ermitteln. Für die Berechnung des Invaliditätsgrades ist dabei für das geringer geschädigte Auge als Basis der anteilige Normalsatz für den Sehverlust eines Auges und für das andere Auge der anteilige erhöhte Satz für den Sehverlust eines Auges im Fall der Vorschädigung des anderen heranzuziehen. Die daraus resultierenden Prozentwerte sind zu addieren. In der Unfallversicherung hat die Beurteilung von Vorliegen und Grad dauernder Invalidität bezogen auf einzelne Körperteile, einzelne Sinnesorgane bzw einzelner spezifischer Funktionsbeeinträchtigung zu erfolgen. Es reicht daher die lebenslang dauernde teilweise Funktionsunfähigkeit eines Organs nicht aus, um eine damit nicht 3 zusammenhängende weitere Funktionsstörung aus einem anderen medizinischen Fachgebiet zu berücksichtigen, die erst nach Ablauf eines Jahres eintritt. OGH 15.6.2016, 7 Ob 191/15m UnfallV; Begriff „plötzlich“; Erfrieren als Unfall? Klipp & Klar Bedingungen für die Unfallversicherung 2010 Art 6.1.: Auch allmählich eintretende Ereignisse können dem Sinn nach unter „plötzlich“ fallen, wenn sie nur für den VN unerwartet, unvorhergesehen, überraschend waren. Dabei ist allerdings ein objektiver Maßstab anzulegen, um nicht den achtsamen, vorausblickenden VN gegenüber dem besonders sorglos handelnden VN zu benachteiligen. Ein Unfallereignis liegt also nur dann vor, wenn objektiv für den betroffenen VN kein Grund bestand, mit den eingetretenen Umständen zu rechnen, er davon überrascht wurde und ihnen nicht entgegentreten konnte. Hat ein konkreter VN das Ereignis subjektiv nicht erwartet, hätte es aber bei gebotener Sorgfalt objektiv erwarten müssen, fehlt es an der dem Unfallbegriff immanenten Plötzlichkeit. OGH 28.9.2016, 7 Ob 79/16t UnfallV; Ausschluss „Luftfahrzeugführer“ AVB Premium-Unfallschutz 2006 Abschnitt K 1.1.1., 1.8.: Die Funktion als „Luftfahrzeugführer“ ist erst dann beendet, wenn das Luftfahrzeug so verlassen wurde, dass die damit typischerweise verbundenen Gefahren enden. Weder eine Notlandung auf einem Baum noch das Zusammenlegen des Gleitschirms beenden die Tätigkeit als „Luftfahrzeugführer“, sondern erst das Erreichen „festen Bodens unter den Füßen“. OGH 31.8.2016, 7 Ob 120/16x BerufsunfähigkeitsV; vorvertragliche Anzeigeobliegenheit VersVG § 16, § 20, § 21; AVB Berufsunfähigkeitsversicherung und Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung § 11, § 12: Der Versicherer kann sich auch ohne Vertragsauflösung auf Leistungsfreiheit berufen, wenn er von der Verletzung der betreffenden vorvertraglichen Obliegenheit (Anzeigeobliegenheit) erst nach dem Versicherungsfall erfahren hat. Gibt der VN bei Vertragsabschluss sein Jahresnettoeinkommen deutlich zu nieder an, verstößt er gegen seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit. Die Information des Versicherers über das bisherige Einkommen des VN ist erheblich, weil sie der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von Eintritt und Dauer des Versicherungsfalls dient und damit auch über die Prämienhöhe mitbestimmt. Überdies spielt die Einkommenshöhe eine wesentliche Rolle in Bezug auf eine mögliche Vergleichstätigkeit. OGH 6.7.2016, 7 Ob 108/16g LebensV; vorvertragliche Anzeigeobliegenheit VersVG § 16, § 20, § 21; AVB Ablebens-Risikoversicherung VB 204 Anlage 204 § 2, § 3: Verstoß gegen vorvertragliche Anzeigeobliegenheit, wenn der VN zwar wahrheitsgetreu die Antragfrage nach „Depressionen“ und „Krankenhausaufenthalten“ 4 bejaht, dabei aber verschweigt, dass er mehrfach wegen schwerer Selbstmordgefährdung stationär aufgenommen worden war. OGH 27.4.2016, 7 Ob 50/16b 5
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