Städtetag Baden-Württemberg Dezernat II – Norbert Brugger 25.01.2017 Fachmesse Learntec 2017 auf der Messe Karlsruhe Fachtagung „Digitale Schule der Zukunft und neue Multimediaempfehlungen für Schulen“ am 25.01.2017 Redetext zu Städtetagsbeitrag von 10.10 Uhr bis 10.25 Uhr „Umsetzung der neuen Multimediaempfehlungen – Sachstand der Finanzverhandlungen“ Anrede, die neue grün-schwarze Landesregierung ist 2016 mit einem formidablen Vorsatz angetreten: Baden-Württemberg soll das Digitalisierungsland Nummer 1 in der Bundesrepublik werden. Nichts anderes lässt sich aus der 140-seitigen Vereinbarung der Koalitionäre GRÜNE und CDU lesen, in der das Wort „Digital“ weltrekordverdächtige 183 Mal vorkommt. Von der Steuerverwaltung bis zum Binnenmarkt und in „allen Branchen“: Der badenwürttembergische Weg in die Zukunft wird durch die Koalitionsvereinbarung digital gepflastert. Wenn etwas so gut, so segensreich, so unverzichtbar für unser Land, für unsere Wirtschaft, für unsere Gesellschaft ist: Warum dann das Zaudern dort, wo der Grund dafür gelegt wird - in unseren Schulen? Folgt dies einer gelegentlich festzustellenden Eigenheit unseres Landes, ganz entschieden zwei Schritte vor zu machen - und hernach einen zurück? Baden-Württemberg ist anderen Ländern in Vielem bei der Digitalisierung von Schulen voraus. Land und Kommunale Landesverbände haben sich nach hartem Ringen 2002 auf einen Ausbauplan zum Medieneinsatz in Gestalt erster gemeinsamer „Multimediaempfehlungen für Schulen“ verständigt. Deren Ausbauziele sind – wiewohl ehrgeizig – weit vor der Zeit erfüllt worden. Grund gelegt wurde dafür bereits ein Jahr zuvor, also 2001, durch Fusion der beiden Landesbildstellen zum neuen Landesmedienzentrum Baden-Württemberg, einer von Land und Kommunen gemeinschaftlich finanzierten und verwalteten Institution. Dieses Landesmedienzentrum wurde – einzigartig in der Republik – mit der Aufgabe versehen, sowohl multimediale Unterrichtsmaterialien für die Lehrkräfte bereitzustellen als auch in Kooperation mit den Schulen und Schulträgern die Betreuung der Schulnetze zu übernehmen. 90 Prozent der allgemein bildenden Schulen und 70 Prozent der Beruflichen Schulen nutzen dieses Supportangebot. Bei digitalem Schulunterricht geht es, ich zitiere, „nicht nur um die Frage der Anwendung von Multimedia als zusätzliches Instrument zum Erwerb und Umgang mit Wissen und Information. Vielmehr muss im Sinne einer integrierten Medienerziehung der verantwortliche Umgang mit den vernetzten Möglichkeiten von Multimedia den Bildungsauftrag der öffentlichen Erziehungseinrichtungen ergänzen.“ Dieses Zitat könnte der Koalitionsvereinbarung entstammen. Es findet sich tatsächlich aber im Abschlussbericht einer Multimedia-Enquetekommission des Landtags. Dieser 272-seitige Bericht trägt das Datum 20. Oktober 1995, stammt also aus der digitalen Urzeit. Baden-Württembergs Parlament war vor 22 Jahren weltweit das erste, welches sich derart grundlegend und umfassend mit modernen Medien befasste. „Multimedia“ war damals das Zauberwort für das, was heute mit „Digital“ gemeint ist. Der Multimedia-Kommissionsbericht aus dem Jahr 1995 ist unter dem vielen Guten für mich das Allerbeste, was der Landtag je hervorgebracht hat. Ein Science-Fiction, der in Teilen schon Wirklichkeit wurde und in Teilen erst noch werden wird – so weitblickend, visionär und reell zugleich ist dieses Werk. Andererseits: Baden-Württemberg hat erst 2016, also 21 Jahre (!) nach dem Abschlussbericht der Multimedia-Enquetekommission und 18 Jahre (!) nach dem Start der ersten Pilotversuche an Grundschulen im Jahre 1998 den Medieneinsatz in den Bildungsplan der Grundschule aufgenommen – und dies schließlich daher nicht als erstes, sondern als eines der letzten aller 16 Bundesländer. Und in Verhandlungen mit den Kommunalen Landesverbänden zur Finanzierung der Vollvernetzung der Schulen ist das Land bis heute nicht eingetreten. Leistungsfähige WLANs in den Klassen- und Fachräumen sind notwendig, um die seit diesem Schuljahr geltenden neuen Bildungspläne im Schulunterricht umsetzen zu können. Daher harren die innovativen und gleichwohl moderaten, im Juli 2016 finalisierten neuen Multimediaempfehlungen des Landes und der Kommunalen Landesverbände für die Schulen weiter der Veröffentlichung und Umsetzung. Sie können daher nachher nur als Entwurf vorgestellt werden. Woran liegt das, fragen wir uns angesichts des Anspruchs des Landes, der digitalen Zeit nicht hinterher, sondern voraus zu sein? Prägt der Geist der letzten 20 Jahre, Grundschüler möglichst lange möglichst fern von moderner Technik zu halten, am Ende doch weiterhin die Bildungspolitik des Landes? Ein kraftvoller digitaler Aufbruch à la Koalitionsvereinbarung ist das jedenfalls nicht, eher ein diametraler Widerspruch. Der Plan, Grundschüler vom digitalen Datenverkehr fernzuhalten ist heutzutage ungefähr so sinnvoll wie der Versuch, sie vom Straßenverkehr zu verschonen. Auch Straßenverkehr kann nicht nur sehr nützlich, sondern auch sehr gefährlich sein. Aber auch er gehört eben zum Leben eines Grundschülers. Kinder lernen deshalb möglichst früh, mit den Gefahren des Straßenverkehrs umzugehen, nicht möglichst spät. Warum sollte es beim Digitalverkehr anders sein? 2 „Wir wollen Kinder und Jugendliche optimal auf die Herausforderungen der digitalen Welt vorbereiten und läuten mit digitaler Bildung das Ende der Kreidezeit im Klassenzimmer ein.“ So steht es in der Koalitionsvereinbarung 2016. Zurecht: Die Schulen müssen bei der Nutzung digitaler Technik voranschreiten; sie dürfen nicht hinterherhinken. Nicht-Digital-Natives müssen der Versuchung widerstehen, die eigenen guten schulischen Erfahrungen aus einer analogen Welt zum Maßstab für den digitalen Unterricht der Zukunft zu machen, denn der muss anders gestaltet sein. Bedenken gegen die Technik der Zukunft dürfen nicht größeren Raum einnehmen als die Chancen durch ihre Nutzung. Bedenkenträgerei verunsichert und entmutigt nämlich die Schulen und deren Schüler. Nach der digitalen Ansage des Landes in der Koalitionsvereinbarung wäre Bedenkenträgerei auch höchst irritierend. Schule soll für das Leben lehren, beginnend in der Grundschule. Ein Leben in der digitalen Welt. Und die neue, mit dem Internet aufgewachsene Elterngeneration erwartet dies auch so. Wir fordern das Land daher auf, mit den Kommunalen Landesverbänden endlich in Verhandlungen zur Umsetzung der seit mehr als einem halben Jahr abgestimmten Multimediaempfehlungen einzutreten. Nichts wird schneller ranzig als Empfehlungen in diesem Bereich. Ein digitales Jahr ist mindestens so lang wie sieben analoge. Daran gemessen schon sehr lange, nämlich seit mehr als zwei Jahren fordert der Städtetag vom Land, sich mit ihm bzw. den Kommunalen Landesverbänden über ein Schulbaumodernisierungsprogramm zu verständigen, welches die Vollvernetzung der Schulgebäude sinnigerweise einschließt. Leider auch noch ohne zählbaren Erfolg. Nun nähern wir uns dem jedoch ausgerechnet dank des Bundes an, der das Land hier zwischenzeitlich überholt hat. Das sehen wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Schön ist, dass dadurch endlich Bewegung in die Fronten gekommen ist. Traurig ist, dass der Schwanz hier mit dem Hund wedeln musste, damit Letzterer in Bewegung geriet. Der Bund hat bei Schulen ja eigentlich keine Zuständigkeit und wir sind uns mit dem Land darin einig, dass diese Zuständigkeit bei den Ländern bleiben soll. Verantwortung kann das Land aber nur behalten, wenn es sie auch wahrnimmt. Mit ihrer Ankündigung eines 5-Milliarden-Programms zur Digitalisierung aller 40000 Schulen in der Bundesrepublik hat Bundesbildungsministerin Wanka Verantwortung wahrgenommen, die sie nicht hat. Dieses Geld kommt aber voraussichtlich erst 2018 und solange können wir mit dem Startschuss für die Umsetzung der Multimediaempfehlungen nicht warten. Weiteres Geld des Bundes kommt schon dieses Jahr über dessen Kommunalinvestitionsförderungsfonds: 3,5 Mrd. EUR für Sanierung, Umbau und Erweiterung von Schulgebäuden. Das ist ziemlich genau der Betrag, den man für die Schulbaumodernisierung benötigt – allerdings nicht bundesweit, sondern alleine in Baden3 Württemberg! Dieses Bundesprogramm ist also nicht ausreichend, aber immerhin viel mehr als nichts. Eine dritte Quelle eröffnet das Land nach zähen Finanzverhandlungen mit den Kommunalen Landesverbänden selbst, in dem es einen Sanierungsfonds schafft, der nach dem Willen des Städtetags für Schulbaumodernisierungsmaßnahmen verwendet werden soll. Etwa 40 Mio. EUR sind 2017 dafür zu erwarten. Ein vergleichsweise bescheidener Anfang also, aber ein sehr guter und nach unserer Überzeugung auch bahnbrechender. Chapeau! Mehr als zwei Jahre hat der Städtetag dafür – wie erwähnt – gearbeitet. Und er wird seine Arbeit fortsetzen, damit dieses zarte Pflänzchen zu einem veritablen Landesförderprogramm für die Schulbaumodernisierung heranwächst. Die Digitalisierung der Schulgebäude ist eine wesentliche Komponente der Modernisierung. „Mit unserer umfassenden Digitalisierungsstrategie setzen wir auf die Chancen, ohne die Risiken auszublenden.“ Bei diesem Satz aus der Koalitionsvereinbarung nehmen wir das Land beim Wort und geben daher nicht eher Ruhe, bis es die Finanzierung der Multimediaempfehlungen, die im Entwurf nun vorgestellt werden, mit uns geregelt hat! Norbert Brugger 4
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