Lassen wir Steckbecken Steckbecken sein

QUERGEDACHT
AUFBEREITUNG VON MEDIZINPRODUKTEN
„Lassen wir Steckbecken
Steckbecken sein“
Hat die Krankenhaushygiene keine drängenderen Probleme als die Aufbereitung von Steckbecken? Sicher sollen
Steckbecken nach jedem Gebrauch gereinigt und desinfiziert werden. Doch: Ist für diese Tätigkeit wirklich eine mehrtägige Zusatzausbildung notwendig? Und: Wer kam eigentlich auf die Idee, Steckbecken seien Medizinprodukte?
Die Aufbereitung von Steckbecken beschert Krankenhaushygienikern immer
wieder Diskussionen.
Dieser, von wem auch immer erdachte
„Geniestreich“, beschert Krankenhaushygienikern und -mitarbeitern immer wieder Diskussionen und Aufgaben, die weit
über das Ziel eines einwandfrei aufbereiteten Steckbeckens hinausschießen,
moniert Martin Scherrer. „Wir haben ja
schon Probleme, den Nutzern ‚echter‘
Medizinprodukte klarzumachen, was sie
bei der Aufbereitung von z.B. translumialen Ultraschallsonden alles zu beachten
haben. Wie sollen wir bei der angespannten Personalsituation nun noch plausibel rüberbringen, dass es mehrerer Tage
Schulung bedarf, ein Steckbecken zu reinigen und zu desinfizieren und dass außerdem jede Charge zu dokumentieren
ist. Angesichts solcher Forderungen wird
man zurecht an unserem Verstand zweifeln. Die Akzeptanz der Krankenhaushygiene wird durch solche Vorgaben sicher
nicht steigen“, legt Scherrer, der bei der
Fachvereinigung Krankenhaustechnik
e.V. (FKT) das Referat Umwelt und Hygiene leitet, noch einen oben drauf.
SIND STECKBECKEN SEMIKRITISCHE
MEDIZINPRODUKTE?
Magenschmerzen bereitet Scherrer, dass
derzeit immer mehr Stimmen laut werden,
die Steckbecken als semikritische Medizinprodukte der Stufe A klassifizieren möchten. Begründet wird diese Einschätzung
damit, dass Patienten unter Dekubitus leiden oder eine Operationswunde haben
könnten und die Perinalregion mit außergewöhnlich vielen Bakterien, darunter auch
multiresistente Erreger, besiedelt ist.
Kommt es tatsächlich zu einer Klassifizierung der Steckbecken als semikritisch, dann wären nach Empfehlungen,
die wiederum auf der gemeinsamen Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsverhütung
(KRINKO) beim Robert Koch-Institut
(RKI) und des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
zu den Anforderungen an die Aufbereitung von Medizinprodukten basieren,
Sachkundekurse für deren Aufbereitung
fällig. Und zwar für das gesamte Perso-
nal: Mit medizinischer Vorbildung 40 und
ohne 120 Unterrichtseinheiten. Außerdem müsste für die Aufbereitung von
Steckbecken eine Standardarbeitsanweisung verfasst werden. Damit nicht genug: Der abgeschlossene
Aufbereitungsprozess
semikritischer Medizinprodukte muss beurteilt werden. Dazu
müssen Chargenkontrollsysteme eingeführt und das Ganze selbstverständlich dokumentiert werden. Scherrer fragt: Wo bleibt da das Augenmaß? Eine Toilette im Krankenhaus
werde im Vergleich dazu nicht mal nach
jeder Benutzung gereinigt, obwohl sie
sogar von unterschiedlichen Patienten
genutzt wird.
SIND STECKBECKEN ÜBERHAUPT
MEDIZINPRODUKTE?
Für ihn ist nicht nachvollziehbar, warum
viele Hersteller, Experten und Überwachungsbehörden Steckbecken – und damit
auch Steckbeckenspülen als Zubehör –
überhaupt als Medizinprodukte einstufen.
Denn: Steckbecken dienen weder der
Empfängnisregelung, noch sind sie zur Diagnostik bestimmt. Auch wenn die Benutzung eines Steckbeckens durchaus erhebliche Erleichterung verschaffen kann, lindern oder kompensieren diese ferner
keine Krankheiten, Verletzungen oder
Behinderungen und entsprechen damit in
keinem Punkt der im § 3 (1) des Medizinproduktegesetzes (Infokasten, rechte Seite unten) verankerten Definition eines
Medizinprodukts. Mehr gibt in dieser
Hinsicht auch die europäische Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG nicht her.
HCM 8. Jg. Ausgabe 1-2/2017
Fotos: J.M., Yael Weiss (beide Fotolia.com)
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QUERGEDACHT
Scherrer betont: „Nach dem Studium
der entsprechenden Regelwerke könnte
man durchaus zu der Auffassung gelangen, dass Steckbecken und die Geräte zu
ihrer Aufbereitung keine Medizinprodukte seien. Lediglich wenn man das Steckbecken als Kompensation für die vorübergehende Behinderung (Immobilität)
des Patienten betrachtet, könne man mit
viel gutem Willen die Brücke zum Medizinprodukt schlagen. Scherrer fordert
deshalb: „Lassen wir Steckbecken doch
einfach Steckbecken sein. Sicher sollen
diese nach jedem Gebrauch gründlich
gereinigt und desinfiziert werden – aber
INFOKASTEN
Medizinprodukte
sind ...
Nach § 3 (1) MPG sind Medizinprodukte „alle … Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände … die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer
Funktion zum Zwecke
a) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung
von Krankheiten,
b) d
er Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen,
Foto: privat
c) der Untersuchung, der Ersetzung
oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs oder
d) d
er Empfängnisregelung zu dienen
bestimmt sind. (...)‘‘ INFOKASTEN
Der A0-Wert sollte frei wählbar sein
Unabhängig davon, ob Steckbecken Medizinprodukte sind oder nicht, und ob
sie bei der Aufbereitung als unkritisch oder semikritisch betrachtet werden sollten,
gibt es bei der Aufbereitung von Steckbecken unterschiedliche Ansichten über den
einzuhaltenden A0-Wert. Die für die Herstellung von Steckbeckenreinigern maßgebliche Norm DIN EN ISO 15883 führt dazu aus: „Die thermische Desinfektion muss als
vollendet betrachtet werden, wenn alle zu desinfizierenden Oberflächen einen Prozess durchlaufen haben, der einen A0-Wert von mindestens 60 bietet.“ Damit ist der
Standard gesetzt. Die meisten Hersteller liefern ihre Steckbeckenspüler deshalb mit
einem fest eingestellten A0-Wert von 60 aus. Will man daran etwas ändern, so müssen bei den meisten Produkten erst Servicetechniker angefordert werden. Scherrer fordert hier mehr Flexibilität. Denn: Beim Auftreten eines Norovirus, einem
echten Sorgenkind der Krankenhaushygieniker im Bereich der fäkal-oral übertragbaren Krankheitserreger, wäre ein vorübergehend einstellbarer A0-Wert von 600 hilfreich und wirksam, um die Ausbruchsituation schnell zu unterbrechen. Die Betonung
liegt dabei jedoch auf „vorübergehend“. Steckbeckenspülen dauerhaft mit einem
A0-Wert von 600 zu betreiben, sei wenig sinnvoll, ergänzt Scherrer und erklärt sehr
plausibel warum: Der A0-Wert beschreibt den Zusammenhang zwischen Einwirkzeit
und Temperatur. Ein höherer A0-Wert kann also nur durch eine längere Einwirkzeit
und/oder eine höhere Temperatur erreicht werden. Beides geht mit einer höheren
Materialbeanspruchung, unter Umständen also einer höheren Reparaturanfälligkeit
und einer kürzeren Lebensdauer des Gerätes sowie einem höheren Energieverbrauch
einher. Die beste Lösung wäre es daher, in einer Norovirus-Ausbruchsituation den
A0-Wert auf 600 zu erhöhen, diesen dann aber nach Ende der Krankheitswelle wieder
zu reduzieren. Steckbeckenspülgeräte sollten diese Wahlfreiheit bieten, ohne dass
man dazu einen Servicetechniker braucht, fordert Scherrer.
Die Inaktivierung von Clostridium difficile Sporen – ein weiteres fäkal-oral übertragbares Sorgenkind der Krankenhaushygiene – sei übrigens immun gegen höhere A0Werte, so Scherrer. Hier wirke nur der Abspüleffekt bei der Reinigung.
mit Augenmaß. So können wir uns wieder um die wirklich drängenden Probleme der Hygiene kümmern.“
Hersteller, Überwachungsbehörden
und andere Experten sollten sich bei der
Definition und Klassifizierung von Produkten im Vorfeld viel mehr Gedanken
darüber machen, welchen Rattenschwanz
an Maßnahmen diese grundlegenden
Entscheidungen nachsichziehen. Mit
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Maß und Ziel sollten sie dann darüber
nachdenken, was tatsächlich erforderlich
ist und Sinn macht, fordert Scherrer.
MARIA THALMAYR
Freie Journalistin,
Treffende Texte,
Türkenfeld, Kontakt:
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