Manuskript Beitrag: Die magere Bilanz des Agrarministers – Es geht um die Wurst Sendung vom 24. Januar 2017 von Jörg Göbel und Markus Reichert Anmoderation: Was und wie wollen wir essen? Klar doch: am liebsten Produkte aus der Region, umweltverträglich angebaut und Fleisch aus artgerechter Tierhaltung. Ergebnis einer Umfrage des Bundesministeriums für Landwirtschaft. Zur Agrar-Mega-Schau, der Grünen Woche in Berlin, wollte Minister Schmidt mit einem staatlichen Tierwohl-Siegel punkten. Was er aber präsentierte, ist wenig konkret, lediglich ein Plan. Seit drei Jahren geht das so. Sein Kampf gegen Missstände in der Agrarindustrie schrumpft in der Regel auf Ankündigungen und Appelle. Mit magerem Ergebnis, wie Jörg Göbel und Markus Reichert zeigen. Text: Die Grüne Woche in Berlin, die größte Ernährungsmesse der Welt. Hier zeigen sich die Lebensmittelindustrie und die deutsche Landwirtschaft von ihrer besten Seite. Und die Gäste kommen: Die Veranstalter rechnen mit 400.000 Besuchern. Die sind inzwischen anspruchsvoller als früher. Lecker und viel ist längst nicht mehr alles. O-Ton Besucherin Grüne Woche: Wie wir mit den Tieren umgehen, das geht einfach nicht. Also, das sind Lebewesen und wir müssen die respektvoll behandeln. O-Ton Besucher Grüne Woche: Massentierhaltung und so möchte ich halt nicht unterstützen. O-Ton Besucherin Grüne Woche: Ich würde lieber gerne noch einen Groschen mehr oder einen Euro mehr ausgeben, wenn ich weiß, dass die Tiere gut gehalten werden. Dafür könnte dieser Mann sorgen: Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt. Auch er weiß, das Wohl der Tiere interessiert die Leute. Er selbst hat Umfrageergebnisse veröffentlicht, nach denen sich mehr als 87 Prozent der Verbraucher eine bessere Tierhaltung wünschen. O-Ton Frontal 21: Was sind denn die größte Errungenschaften Ihrer Amtszeit aus Ihrer Sicht? O-Ton, Christian Schmidt, CSU, Bundeslandwirtschaftsminister: Das stehen sie zum Beispiel - oder Sie sehen auf eine hin. Fast drei Jahre im Amt und die größte Errungenschaft: ein neues staatliches Tierwohllabel. Das soll mehr Tierschutz bringen. Problem dabei: Es gibt bislang nur ein schickes Logo, aber noch keine Teilnahmebedingungen, keinen Starttermin, keine Details. O-Ton Christian Schmidt, CSU, Bundeslandwirtschaftsminister: Ich geh mal davon aus, dass das im nächsten, übernächsten Jahr dann in der Ladentheke sein können wird. Alles andere wäre für die Seriosität des Projekts nicht realistisch. O-Ton Christian Meyer, B‘90/DIE GRÜNEN, Landwirtschaftsminister Niedersachsen und Vorsitzender Agrarministerkonferenz: Also, es ist wieder mal eine seiner vielen Ankündigungen. Er hat schon sehr viel gesagt, den Tieren soll es real besser gehen in seiner Amtszeit. Seine Legislaturperiode ist in wenigen Monaten um. Wir merken nicht, dass er wirklich real was in den Ställen verändert hat. Auch dieses Tierwohllabel führt nicht unbedingt dazu, dass es den Tieren wirklich besser geht. Ja, es ist völlig unklar welche Standards. Es soll erst nächstes Jahr kommen, dann ist er möglicherweise schon gar nicht mehr im Amt. Freiwillig soll das Tierwohllabel sein. Kein Landwirt, kein Unternehmen muss mitmachen. Das kritisieren nicht nur Tierschützer, sondern auch Tierärzte: O-Ton Prof. Thomas Blaha, Vorsitzender Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz: Es werden bei einem freiwilligen Label die Landwirte mitmachen, die ohnehin schon eine ganz gute Tierhaltung haben, weil die das dann können. Es adressiert überhaupt nicht den unteren Sektor. Das heißt also, ein Label akzeptiert, dass die Ungleichbehandlung von Tieren noch größer wird, als sie ohnehin schon ist. Ein freiwilliges Tierwohllabel erreicht maximal einen Marktanteil in Höhe von 20 Prozent. Das schätzt der wissenschaftliche Agrarbeirat, der den Landwirtschaftsminister berät. Nachfrage bei Christian Schmidt: O-Ton Frontal 21: Reichen Ihnen 20 Prozent Tierwohl? O-Ton Christian Schmidt, CSU, Bundeslandwirtschaftsminister: Der Vorteil von Beiräten ist, dass die gute kluge Gutachten schreiben. Ich habe mich an der Realität, wie es denn aussieht, zu orientieren. Kein Mensch kann bisher genaue Zahlen sagen. Ich habe eine hohe Erwartung. Auf seiner Homepage erweckt Schmidt den Eindruck, er habe den Missstand jetzt schon beseitigt: „Geschafft – mehr Tierwohl“, heißt es dort. Keine Lösung – aber gute PR. So geht Schmidt auch bei anderen Themen vor, Beispiel Lebensmittelverschwendung: Etwa drei Millionen Euro hat das Ministerium für Informationskampagnen ausgegeben. Öffentlichkeitwirksam hat der Minister Preise verliehen. Viel Wirbel, kein Ertrag – urteilt der Bundesrechnungshof: „Informationskampagne „Zu gut für die Tonne“ – unzureichend vorbereitet, Erfolg nicht nachweisbar.“ O-Ton Frontal 21: Wie reagieren Sie da drauf? O-Ton Christian Schmidt, CSU, Bundeslandwirtschaftsminister: Hatte ich vergessen zu sagen, dass ich hohen Respekt vor dem Bundesrechnungshof habe? Den habe ich natürlich, aber der Bundesrechnungshof macht nicht Politik. Schmidts Politik geht so: Der Minister hält die Kampagne für einen Erfolg, wenn seine Gratis-App oft heruntergeladen und die Website häufig besucht wird. Ob tatsächlich weniger Lebensmittel im Müll landen, spielt überhaupt keine Rolle. O-Ton Martin Rücker, foodwatch: Das ist eine reine PR-Kampagne. Der Minister steht damit gut da. Niemand kann etwas dagegen haben, wenn man Lebensmittelabfälle vermeidet. Wenn er sich aber alleine darauf konzentriert und seine Kampagne alleine auf Aufklärung der Verbraucher ausrichtet, dann grenzt das schon an Politikverweigerung. Man kann sehr viel tun, beispielweise Vorgaben für die Müllvermeidung im Handel, in der Industrie, in der Landwirtschaft. Da gibt es sehr, sehr viele Ansätze, auch über die Müllgebühren etwas zu regeln. Das alles lässt er außen vor. Kurz vor Silvester, Minister Schmidt hat seinen großen Auftritt in der BILD-Zeitung. Er fordert, ganz im Sinne des Deutschen Bauernverbandes: mehr Schweinefleisch in Schulen. Schmidt ist schließlich auch Ernährungsminister. Und so hat er auch kürzlich sein Grünbuch vorgestellt, das die Leitlinien seiner Politik für die nächsten Jahre skizzieren soll. Darin heißt es: „Wir wollen zusammen mit der Lebensmittelbranche und der Wissenschaft konkrete Schritte gehen, um vor allem den Gehalt an Salz, gesättigten Fetten und Zucker zu verringern.“ Und wie er das erreichen will, stellt er im Bundestag klar: O-Ton Christian Schmidt, CSU, Bundesernährungsminister, am 16.12.2016: Hier brauche ich die Unterstützungsbereitschaft der Nahrungsmittelwirtschaft. Ich will dadurch mit nachverfolgbaren und transparenten Verhaltensweisen ohne Regelungen auskommen, die immer schwer umzusetzen sind, weil ich nicht jedes Kochrezept als Gesetz beschließen kann. O-Ton Martin Rücker, foodwatch: Der Ansatz der Schmidt-schen Politik ist es hier, mit den Unternehmen gemeinsam freiwillige Lösungen zu finden, die den Verbrauchern helfen sollen. In vielen Fällen sind die Interessen der Wirtschaft andere Interessen, als die Verbraucher sie haben. Und hier muss ein Minister Entscheidungen treffen. Und darauf zu setzen, dass die Unternehmen schon freiwillig das machen, was sich die Verbraucher wünschen, das kann nicht funktionieren. Inzwischen ist auch der Koalitionspartner SPD ernüchtert von drei Jahren Landwirtschaftsminister Christian Schmidt. O-Ton Elvira Dobrinski-Weiß, SPD, MdB, Verbraucherpolitische Sprecherin: Ich bin über die Bilanz enttäuscht. Ich bin auch streckenweise verärgert darüber, dass wir hier nichts auf den Weg gebracht haben. Und ich möchte den Minister in seiner Arbeit fast auch als einen Ankündigungsminister bezeichnen. Viele Ankündigungen, kaum Lösungen. Das treibt Menschen auf die Straße. Mehr als 10.000 demonstrieren während der Grünen Woche unter dem Motto: „Wir haben es satt!“ Die Demonstranten fordern eine klare Politik für mehr Tier- und Umweltschutz. Weniger Agrarkonzerne, mehr bäuerliche Landwirtschaft. O-Ton Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft: Minister Schmidt ist ein Granat dafür, dass er immer wieder sehr nah an der Agrarindustrie und an der Spitze des Bauernverbandes hängt. Das sind aber Krisenverursacher. Es gibt genügend Bauern, konventionell und biologisch wirtschaftend, die wollen mehr Naturschutz, Umweltschutz und Tierschutz. Aber sie wollen auch, dass die Politik einen Rahmen vorgibt, wo die wirtschaftliche Absicherung dafür da ist. Zwei Kilometer weiter - noch eine Demo. Vor allem konventionelle Landwirte gehen auf die Straße, ihr Motto: „Wir machen Euch satt!“ Die offenen Probleme bereiten auch ihnen Sorgen. O-Ton Martin Geißendörfer, Landwirt: Ihr müsst mehr Tierschutz anbieten, die Gesellschaft will das. Aber was die Gesellschaft nicht will, und das merken wir Landwirte, es will keiner mehr Geld dafür ausgeben. Der Minister hat für die Probleme der Bauern keine Lösung. O-Ton Dorit Nyenhuis, Landwirtin: Es ist wieder so typisch politisch, wenn ich dann sage, ja, ich bringe jetzt ein neues Tierwohllabel oder so heraus. Klare Aussagen werden noch zurückgehalten und vielleicht in einigen Jahren, dann sage ich, ja, Herr Schmidt, sind Sie in einigen Jahren überhaupt noch in Ihrem Amt? Landwirtschaftsminister Christian Schmidt – die Bilanz nach drei Jahren: der Streit um mehr Tierschutz ungelöst, Ernährungsfragen aufgeschoben - kein klares Konzept für die Zukunft der Landwirtschaft. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. 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