Rede Peter Feldmann zum Holocaust Gedenktag

Sehr geehrte Damen und Herren
Heute am 27. Januar dem Tag des Gedenkens an die Opfer des
Nationalsozialismus erinnern wir an die Befreiung von Auschwitz durch
Soldaten der „Roten Armee“ vor 72 Jahren.
An die Schoa, als deren Synonym der Name „Auschwitz“ weltweit steht.
Von den sechs Millionen jüdischen Opfern des Nationalsozialismus
wurde über 1 Million Menschen in Auschwitz ermordet.
900.000 der Verschleppten wurden direkt nach ihrer Ankunft in die
Gaskammern gezwungen.
Dort erstickten sie qualvoll.
Die anderen kamen durch Krankheit, Unterernährung, Misshandlungen
und medizinische Experimente zu Tode. Sie wurden infolge körperlicher
Entkräftung als „arbeitsuntauglich“ erklärt und ermordet.
Tausende der Überlebenden starben in den Jahren nach der Befreiung
an irreversiblen Schädigungen ihrer Gesundheit – den körperlichen wie
den seelischen.
Die Züge mit dem Ziel Auschwitz kamen aus ganz Europa:
Belgien / Deutschland / Frankreich / Griechenland / Italien / Jugoslawien
/ Luxemburg / Österreich / Polen / Rumänien / Ungarn /
aus den Niederlanden / der Sowjetunion / der Tschechoslowakei.
Während der mehrtägigen Transporte herrschte für die in den Zügen
eingepferchten Menschen drangvolle und entwürdigende Enge; es gab
weder Essen noch Wasser, weder Licht- noch Wärmequellen,
provisorisch aufgestellte Eimer dienten der Verrichtung der Notdurft.
In den Waggons wurden Kinder geboren und Menschen starben.
Noch vor der Ankunft in Auschwitz war der Tod allgegenwärtig.
Die Züge kamen auch aus unserer Stadt.
Erforschung des Holocaust weist etwa 2.000 Personen aus Frankfurt
aus, die in Auschwitz ermordet wurden.
Ihre Namen lesen wir an der Gedenkstätte Neuer Börneplatz.
Zumeist waren es ältere Frauen und Männer - auch Kinder - die bereits
in den Massendeportationen des August und September 1942 von der
Großmarkthalle aus gewaltsam in das Ghetto Theresienstadt, dann nach
Wochen und Monaten weiter in die Vernichtungslager verschleppt
worden sind – Ziel Auschwitz-Birkenau.
Sehr geehrte Damen und Herren
Heute möchte ich an zwei Persönlichkeiten erinnern, deren
gegensätzliche Biografien sich irgendwann kreuzten; die Mitte der
1990er-Jahre dafür stritten dauerhaft ein Datum zum Gedenken an die
Opfer des Nationalsozialismus zu schaffen.
Ignatz Bubis war es, der als Überlebender der Schoa und seinerzeit
Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland 1994 gefordert
hatte, ein solches Gedenkdatum von europäischer Dimension zu
etablieren.
Auf Ignatz Bubis selbst ging dann auch der Vorschlag zurück, anlässlich
des 50. Jahrestags der Befreiung des Konzentrations- und
Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Soldaten den 27.
Januar als Gedenktag zu bestimmen.
1996 proklamierte schließlich Bundespräsident Roman Herzog mit
Zustimmung des Deutschen Bundestags diesen „nationalen Gedenktag“.
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1996 in seiner ersten Rede hatte Roman Herzog ausgeführt – ich zitiere:
„Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss künftige Generationen zur
Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des
Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid
und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und
jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 10. Januar dieses Jahres verlieh die Stadt Frankfurt am Main in der
Paulskirche den „Ignatz-Bubis-Preis für Verständigung“ an
Bundesaußenminister Walter Steinmeier.
Mit dem Preis würdigt die Stadt Frankfurt seit 2001 die Persönlichkeit
von Ignatz Bubis.
Die Verleihung des Preises drückt unsere Verpflichtung aus für die von
Ignatz Bubis verkörperten Werte einzutreten.
Am gleichen Tag dem 10. Januar erreichte uns die Nachricht vom Tod
Roman Herzogs.
Eine zeitliche Koinzidenz, die nachdenklich stimmt.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
würdigte das Engagement Herzogs für das friedliche Zusammenleben
unterschiedlicher Kulturen und Religionen.
Mahner und Versöhner sei er gewesen.
Dafür erhielt Roman Herzog 1998 den Leo-Baeck-Preis des Zentralrats
der Juden – seinerzeit noch aus der Hand des Vorsitzenden Ignatz
Bubis.
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Herzog habe – ich zitiere Schuster – „mit seiner klaren Haltung und
seinem Engagement viel zur Versöhnung zwischen der deutschen
Mehrheitsgesellschaft und der jüdischen Gemeinschaft sowie zwischen
Deutschland und Israel beigetragen“.
D+H
Roman Herzog setzte sich bereits während seiner Amtszeit als Präsident
des Bundesverfassungsgerichts dafür ein das Leugnen der Schoa als
Straftatbestand zu bewerten.
Denn wer sich seiner Vergangenheit nicht stellte, der sei in Gefahr die
Vergangenheit zu wiederholen.
Darum können die Konsequenzen, die wir aus dem Erinnern an das
Menschheitsverbrechen der Schoa für unser Land, für unsere Stadt
ziehen, doch nur unser Gefühl für die Würde eines jeden Einzelnen
Menschen stärken.
Darum zielen Jene, die uns von unserer Geschichte abschneiden - einen
Schlussstrich ziehen, wollen - nicht auf unsere Geschichte, sondern sie
wollen eine andere Zukunft.
Sie wollen nicht, dass wir lernen und verstehen, aus den 12 Jahren der
Nazidiktatur Folgen für unser Tun und unsere Verantwortung ziehen.
Dabei ist doch die geistige, menschliche, politische, gesellschaftliche
Überwindung schrecklicher deutscher Irrwege das größte Glück unseres
Landes.
Das Fundament auf dem wir zurück in die Gemeinschaft der Völker und
der Tradition europäischer Aufklärung finden konnten.
Erinnerung meine Damen und Herren, ist kein Ballast für die gute
Zukunft unseres Landes, sondern Voraussetzung.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
Darum werden wir uns auch an Ignatz Bubis und Roman Herzog immer
dankbar erinnern – besonders am Tag des Gedenkens an die Opfer des
Nationalsozialismus.
Sie haben sich beide um unser Land verdient gemacht!
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