24.01.2017, Streit um Einheitsdenkmal in Berlin - Wie Politiker

Manuskript
Beitrag: Streit um Einheitsdenkmal in Berlin –
Wie Politiker den Bau gefährden
Sendung vom 24. Januar 2017
von Joachim Bartz
Anmoderation:
Das kennen wir vom ewig unvollendeten Hauptstadtflughafen
BER oder auch von der Hamburger Elbphilharmonie. Die Kosten
für staatliche Bauten explodieren so gut wie immer. Da klang es
ungewohnt sparsam und vernünftig, was der Haushaltsausschuss
des Deutschen Bundestages zum geplanten Freiheits- und
Einheitsdenkmal von sich gab. Das Projekt werde gekippt wegen einer Kostensteigerung um Millionen. Doch dann fassten
die Haushälter einen zweiten Beschluss. Und der klingt so gar
nicht nach Sparsamkeit, sondern nach Größenwahn, meint
Joachim Bartz.
Text:
Die Westseite des Berliner Stadtschlosses. Bis 1950 stand hier
ein Kaiser-Wilhelm-Monument. Die DDR errichtete später an
dieser Stelle den Palast der Republik. Nach dem Willen des
Deutschen Bundestages soll hier der Wiedervereinigung ein
Denkmal gesetzt werden.
O-Ton Wolfgang Thierse, SPD, ehemaliger
Bundestagspräsident:
Die deutsche Geschichte kennt nicht sehr viele glückliche
Momente, nicht sehr viel Gelungenes, aber die friedliche
Revolution, das ist ein Ereignis, vielleicht das glücklichste
Ereignis der deutschen Geschichte in den letzten 100 Jahren.
Das Ende des SED-Regimes - 7. Oktober 1989. Erich und Margot
Honecker im Palast der Republik. Draußen protestiert das Volk.
O-Ton Erich Honecker, ehemaliger DDR-Staats- und
Parteichef, am 7. Oktober 1989:
Ich bitte Sie, mit mir das Glas zu erheben und zu trinken auf
den 40. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik.
Die Demonstranten pfeifen auf den Jahrestag, sie wollen Freiheit
und Demokratie. Während die SED drinnen feiert, wird draußen
die Opposition niedergeknüppelt. Doch sie kommt wieder, am 4.
November 1989.
O-Ton Wolfgang Thierse, SPD, ehemaliger
Bundestagspräsident:
Ich erinnere mich genau an den 4. November, als wir dort
vorbeizogen und auf der Balustrade des Palastes der
Republik Künstler standen und das Politbüro der SED durch
den Kakao zogen.
Für die Erinnerung an die friedliche Revolution gibt es einen
preisgekrönten Entwurf - hier als sogenanntes Erdmodell in
der künftigen Größe. 50 Meter lang. Die Besucher sollen es
begehen können. Und wenn es realisiert ist, soll es dann so
aussehen: eine metallverkleidete, bewegliche Waage. „Bürger in
Bewegung“ - das Freiheits- und Einheitsdenkmal.
O-Ton Johannes Milla, Architekt:
Das Denkmal bewegt sich dann, wenn mehr als 30 Menschen
auf der einen Seite stehen als auf der anderen. Wenn also
mindestens 30 Menschen beginnen, sich gemeinsam in eine
Richtung zu bewegen, dann beginnt das Denkmal, sich ganz
langsam zu senken.
Der Entwurf von Milla & Partner gemeinsam mit der Choreografin
Sasha Waltz war Sieger in zwei Wettbewerben mit 900
Vorschlägen.
O-Ton Bernd Neumann, CDU, ehemaliger
Kulturstaatsminister:
Die Idee halte ich für prima, also diese Waage. Darüber
hinaus hat dieses Denkmal eine Magie: Man kann es
begehen, man kann mitmachen, das finde ich einfach ein
hervorragendes Beispiel, modernes Denkmal entstehen zu
lassen.
Die Waage soll auch an die historischen Freiheitsbewegungen
der Deutschen erinnern. Das Berliner Schloss war immer ein
Schauplatz dafür:
1848 - Märzrevolution. Bei Barrikadenkämpfen sterben Hunderte.
Vor dem Schloss werden die „Märzgefallenen“ aufgebahrt. Der
preußische König wird gezwungen, den Toten die Ehre zu
erweisen.
1918 - Novemberrevolution. Vor dem Schloss proklamiert Karl
Liebknecht die „freie sozialistische Republik“.
Genau an diesem Ort soll die Waage, das Freiheits- und
Einheitsdenkmal stehen.
Seit sechs Jahren liegt der Entwurf dafür vor. Doch gebaut wird
nicht. Der Haushaltsausschuss des Bundestages stoppte den
Bau des Denkmals im April 2016, einstimmig. Die Haushälter der
Regierungsmehrheit von SPD und CDU legen das Projekt auf Eis.
Ihnen ist es zu teuer - statt zehn kostet es angeblich 15 Millionen
Euro.
O-Ton Johannes Kahrs, SPD, MdB, Sprecher im
Haushaltsausschuss:
Die Kosten sind ein bisschen über Bord gegangen. Und da
wir gebrannte Kinder sind, was Bauprojekte angeht mit
ungewissem Ausgang, haben wir gesagt: Hier ist es vielleicht
rechtzeitig gut, die Notbremse zu ziehen.
Eine Notbremse aus Kostengründen? Das ist offensichtlich nur
vorgeschoben: Denn für ein anderes Projekt am selben Ort haben
die Haushälter Geld - für den Wiederaufbau der ehemaligen
Kolonnaden des Kaiser-Wilhelm-Denkmals. Vollkommen absurd:
Das Denkmal selbst soll gar nicht wieder aufgebaut werden, allein
sein Zierwerk. Kitsch statt Erinnerungskultur.
Für die kaiserlichen Kolonnaden bewilligten die Haushälter im
November 18, 5 Millionen Euro, 15 Millionen für die Waage der
Demokratie sind ihnen zu viel.
O-Ton Frontal 21:
Wieso wollen Sie die Kaiserzeit feiern und nicht Freiheit und
Einheit?
O-Ton Johannes Kahrs, SPD, MdB, Sprecher im
Haushaltsausschuss:
Also, wir gehen alle davon aus, dass es ein Freiheits- und
Einheitsdenkmal geben wird, da sind wir übrigens alle für.
Das andere, mit den Kolonnaden, geht am Ende darum, dass
wenn Sie sich das Stadtschloss angucken, architektonisch,
dann haben Sie die Straße Unter den Linden, da ist viel
saniert und restauriert worden, Sie haben die Museumsinsel,
da ist viel gemacht worden, und wenn Sie nur das
Humboldtforum auf der einen Seite haben, dann sieht das ein
bisschen uneingebunden aus.
Uneingebunden! Der Geschmack einzelner Haushaltspolitikern wichtiger als Beschlüsse des Deutschen Bundestages.
Sonderbar.
O-Ton Günter Nooke, CDU, Initiator Einheits- und
Freiheitsdenkmal:
Es ist insgesamt eine unheilige Allianz von verschiedenen
Kleingeistern, die sich da eigentlich nicht richtig mit
anfreunden wollten.
Die Baugenehmigung für die Waage liegt seit 2015 vor. Es hätte
längst losgehen können. Der Bundestag muss nur seine eigenen
Beschlüsse ernst nehmen.
Abmoderation:
Morgen beschäftigt sich der Kulturausschuss des Deutschen
Bundestages mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal - unter
Ausschluss der Öffentlichkeit. Dabei hatte die
Kulturstaatsministerin Monika Grütters noch gestern erklärt, wir
sollten, Zitat, in Deutschland „offen und öffentlich" diskutieren,
welches Denkmal wir wollen. So offen und öffentlich dann wohl
doch wieder nicht.
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