Prof. Dr. Veronika Albrecht-Birkner (Ev. Theologie): „Poptheologie? Die Moderne und die Konjunktur protestantischer Laientheologie“ (Ringvorlesung „Popmoderne“, Universität Siegen, WS 2016/17, 25. Jan. 2017) 1. Einstieg: Das Reformationsjubiläum 2017 2. Mündigkeit von ‚Laien‘ in Glaubenssachen als reformatorisches Grundanliegen des 16. Jahrhunderts 3. Laienaffinität und die Idee einer „Reformation des Lebens“ nach der Reformation 4. Theologie protestantischer ‚Laien‘: Schlüsselgestalten, Bewegungen, Gemeinschaftsbildungen 4.1 Schlüsselgestalten 4.2 Laienbewegungen und alternative Gemeinschaftsbildungen 5. Kernpunkte der Auseinandersetzung zwischen akademischer und Laientheologie 5.1 Erfahrungswissen 5.2 Jenseitsmanagement 5.3 Endzeitmanagement 6. Transformationen des Populären im Protestantismus seit dem 19. Jahrhundert = verschiedene Formen der Etablierung von bottom-up-Impulsen Landeskirchliche Gemeinschaften - ‚Hauskreise‘ zusätzlich zum Gottesdienst - traditionell keine Lösung von der Landeskirche - 3-Ringe-Modell: Kirche – Gemeinden – Gemeinschaften - Laien = Elite in der Kirche, „Kirchlein in der Kirche“ ! ! Brüderbewegung - aus Irland - vollständiger Verzicht auf Organisation und Ämter - freie Versammlungen Freie ev. Gemeinden - einzelne Gemeinden = theologisch und organisatorisch selbstständige ‚Kirchen‘ Freikirchen - Ablehnung Staat-KircheBindung und Amtsbetonung Baptisten (in Deutschland seit Hamburg 1834) Methodisten: gegründet 1784 in Baltimore; Betonung der „Methodik“ des Lebens = unmittelbare Bibelorientierung in Lebensführung " ab letztem Viertel 19. Jahrhundert: deutliche Intensivierung transatlantischer Transfers von bottom-up-Impulsen im Protestantismus • Heiligungsbewegung • Evangelikalismus • Pfingstbewegung (Pentecostal Churches) " globale Entwicklungen: Weg vom historischen Monopol der klassischen christlichen Kirchen der Nordhalbkugel hin zu Laienkirchen der Südhalbkugel = größte Frömmigkeitsbewegung oder ‚Reformation‘ seit der Reformation 1 7. Fazit a) Die Aufhebung des im traditionell fundamentalen Unterschieds zwischen Klerikern und Laien in der abendländischen Kirche und dessen Ersetzung durch die theologische Denkfigur des „Priestertums aller Gläubigen“ bildet ein zentrales Element protestantischer Theologie, das als das Populäre des Protestantismus verstanden werden kann. Der damit gegebene bottom-up(low-church-) Impuls löste eine in den folgenden Jahrhunderten sich pluralisierende Konjunktur und Verselbstständigung von ‚Laien‘- bzw. Populartheologie aus, die mit ihren Erfahrungs- und Bibelwissensdiskursen in Konkurrenz zu akademischen theologischen Wissensdiskursen trat und dabei dauerhaft auf das reformatorische „Priestertum aller Gläubigen“ als big picture rekurrierte. Die Geschichte des Protestantismus lässt sich bis in die Gegenwart daher auch als Geschichte von Transformationen des Populären lesen. b) Bis zum 18. Jahrhundert gelang es in Kontinentaleuropa – in Deutschland begünstigt durch das Reichsrecht –, diese Transformationen des Populären im institutionellen Rahmen protestantischer Staats- bzw. Landeskirchen zu halten. Im Zuge dessen fungierten die nördlichen Niederlande und zunehmend auch Nordamerika als Zufluchts-orte für religiöse Nonkonformisten. Die reformierte Tradition integrierte in Gestalt der Presbyterialverfassung von Anfang stärker low-church-Impulse als die lutherische und die anglikanische und bildete in England den Hintergrund für die Ausbildung weitergehender, kongregationalistischer (gemeindeautonomer) Bestrebungen. Ab dem 19. Jahrhundert entstanden auf dem Kontinent zunehmend eigenständige Laienkirchen und -gemeinschaften, die außer (kontinentaleuropäischen) pietistischen Traditionen v.a. angloamerikanische Impulse aufnahmen. Letztere berühren seit dem 20. Jahrhundert teils auch den Katholizismus (Pfingstbewegung), wo der Entfaltung des Populären aber enge institutionelle Grenzen gesetzt sind. c) Hinsichtlich seines individualisierenden und letztlich autonomisierenden Potentials kann man das Populäre des Protestantismus als Aspekt von Modernisierung verstehen. Insofern es dabei seit dem 19. Jahrhundert um die Ausbildung von Alternativkirchen zu den als hochkirchlich empfundenen etablierten Kirchen und der hier im Hintergrund stehenden europäischen akademischen Theologie ging und geht, die ihren Schwerpunkt zunehmend in Afrika, Asien und Südamerika haben, ist von nachhaltigen postmodernen und postkolonialen Aspekten zu sprechen. Die Bezeichnung ‚Popmoderne‘ in dem von Klaus Vondung beschriebenen Sinn trifft hier eher nicht zu. Anders verhält sich dies mit dem eingangs erwähnten diesjährigen Luther-Pop-Jubiläum, insofern hier teils dezidiert z.B. auf Effektorientierung und Oberflächlichkeit statt Tiefenschärfe gesetzt wird. Allerdings darf man nicht übersehen, dass es sich dabei nicht um Popkultur an sich, sondern um den Versuch einer Instrumentalisierung von Popkultur durch die Evangelische Kirche als einer höchst etablierten Institution handelt, die mit dem Populären des Protestantismus im eben beschriebenen Sinn kaum zu tun haben möchte. Und man darf ebenfalls nicht übersehen, dass mit diesem Luther-Pop-Jubiläum ein die eigene (hoch-) kirchliche Identität untermauerndes historisches Masternarrativ revitalisiert werden soll, das weit hinter post- und popmoderne Diskurse zurückgreift. © Prof. Dr. Veronika Albrecht-Birkner, Universität Siegen 2
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