Tanzen wie Michael Jackson Feine Unterschiede: Zadie Smith’ neuer Roman, „Swing Time“, erzählt von den signifikanten Bindungen des Körpers an Herkunft und Familie Seite 12 AUSGABE BERLIN | NR. 11225 | 2. WOCHE | 39. JAHRGANG SONNABEND/SONNTAG, 14./15. JANUAR 2017 | WWW.TAZ.DE € 3,50 AUSLAND | € 3,20 DEUTSCHLAND FANATISMUS Die Abenteuer von Cem und Toni Freund oder Feind? Ob Veganismus oder Fitnesswahn: Das Sich hineinsteigern ist kein Privileg der Rechten. Aber führt das irgendwohin? Das fragt sich auch der Sozialpsychologe Ernst-Dieter Lantermann Gesellschaft SEITE 20–22 SATI R E Aus Schmerz wird Witz Wenn der „Nafri“ mit der Petry: Die Truppe von RebellComedy hat großen Erfolg, zuletzt mit ihrem Video „Du bist mein Visum“. Wir haben einen von ihnen, Benaissa Lamroubal, getroffen Flimmern + Rauschen SEITE 33 DER STÄ R KSTE SATZ GRÜN E Wenn es nach dem Lehrkörper gegangen wäre, würde Anton Hofreiter heute auf dem Bau arbeiten, und Cem Özdemir hätte ein Gymnasium niemals von innen gesehen. Doch nun konkurrieren die Kinder aus einfachen Verhältnissen um den wichtigsten Job in Deutschlands bürgerlichster Partei SEITE 8, 9 „Eine Antiflüchtlingspolitik ist unannehmbar. Aber eine kontrollierte Flüchtlingspolitik ist nicht unmoralisch“ SAUL FRIEDLÄNDER hat den Holocaust dank Flucht überlebt. Wurzeln schlagen konnte der Historiker seitdem nicht mehr SEITE 26, 27 taz.berlin Cem Özdemir (links) und Anton Hofreiter (rechts) als Dreikäsehochs Fotos: privat; Anja Bäcker/plainpicture, getty images (oben) 60602 4 190254 803208 TAZ MUSS SEIN Die tageszeitung wird ermöglicht durch 16.653 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. Infos unter [email protected] oder 030 | 25 90 22 13 Aboservice: 030 | 25 90 25 90 fax 030 | 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: 030 | 25 90 22 38 | 90 fax 030 | 251 06 94 [email protected] Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22 tazShop: 030 | 25 90 21 38 Redaktion: 030 | 259 02-0 | [email protected] | [email protected] taz.die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet: www.taz.de | twitter.com/tazgezwitscher facebook.com/taz.kommune „Wir schaffen das“ – wie sich Baupolitiker und Investoren an Berlin-Mitte versucht haben ▶ SEITE 41,44,45 02 TAZ.AM WOCH EN EN DE Kompass SON NABEN D/SON NTAG, 14./15. JAN UAR 2017 Aus dem Inhalt Politik Verbot Das Bundesverfassungsgericht entscheidet am Dienstag, ob es die NPD verbietet Seite 5 Türkei Der Tourismus ist eingebrochen. Eine Reise durch leere Hotels Seite 7 Titel Portrait Die Arbeiterkinder Cem Özdemir und Anton Hofreiter haben es bei den Grünen weit gebracht Seite 8, 9 Argumente Kommentar Die Diskussion um Sexualassistenz wird abgeblockt. Zu Unrecht Seite 10 Kultur Gesellschaft These Sexualscham und Leistungsdruck: Pubertierende sollten getrennt lernen Seite 19 Hass Fanatiker spalten die Gesellschaft. Das gilt sowohl für Fremdenfeinde als auch für extreme Sportler und militante Veganer Seite 20–22 Sachkunde Früher war mehr Lametta – und mehr Schnee! Stimmt das denn? Seite 24, 25 Erinnerung Der israelische Historiker Saul Friedländer rückte stets die Stimmen der NSOpfer in den Mittelpunkt seiner Werke. Ein Gespräch Seite 26, 27 Medien Witz Michael Jackson war Nordafrikaner! Post colognialer Humor von RebellComedy Seite 33 Reise Urzeit Die Bilderhöhle im Tal der Vézère wurde aufwändig reproduziert. Einst inspirierte sie Martin Walker zu seinem ersten Roman Seite 34, 35 Leibesübungen Fußball In Gabun wird der Afrika-Cup eröffnet. Ausgerechnet durch den umstrittenen Staatspräsidenten Ali Bongo Seite 39 TAZ.MEINLAND SEITE 30 AUS DER TAZ SEITE 31 TV-PROGRAMM SEITE 32 LESERBRIEFE SEITE 37 Griechenland, -8°, Schnee LEKTIONEN 5 Dinge, die wir diese Woche gelernt haben 1. Trump is back In einer Woche geht die Welt unter. Spaß. Aber sie wird trüber, trauriger, gefährlicher. Dann nämlich ist Donald Trump USPräsident. Das vergisst man manchmal kurz. Diese Woche kam er ins Bewusstsein zurück. Erst zitierte CNN aus vermeintlichen Geheimdienstpapieren, denen zufolge Russland Schmutziges gegen ihn in der Hand habe – Finanzielles wie Sexuelles. Ob’s stimmt? Unklar. Dann seine zum Zirkus mutierende Pressekonferenz. Zum emotionalen Ausgleich seien die Videos der letzten Auftritte Was tut man, wenn 20 Zentimeter Schnee fallen? Genau. Im Geflüchteten-Camp in Thessaloniki bauten junge Leute am Mittwoch einen Schneemann. Der Kollege links versucht sich an einem Schneeball. Dass sie das Beste daraus machen, kann nicht davon ablenken, dass die Zustände bei solchem Wetter katastrophal sind. Viele Zelte haben keine Heizung, Wasserleitungen waren eingefroren. Foto: Nicolas Economou/NurPhoto/afp und Reden der Obamas empfohlen. Wühlen auf und rühren zu Tränen. 2. Eis ist gefährlich Traurige Geschichte: die des Eisfuchses aus Fridingen in Baden-Württemberg. Das Tier war in die vereiste Donau eingebrochen, ertrunken und schließlich gefroren. Schuld war wohl eine warme Quelle in der Nähe des Fundorts, die das Eis brüchig machte. Ein Jäger fand den schockgefrosteten Fuchs und sägte ihn heraus. Als Warnung vor gefährlich dünnen Eisflächen stellte er das Tier jetzt aus. Das Bild vom Eisfuchs wurde weltweit zum Social-Media-Hit. 3. Deutsche mögen’s süß Große Sause diese Woche: die Eröffnung der Elbphilharmonie in Hamburg. Nach zehn Jahren Bauzeit, in denen sich die Kosten verzehnfacht hatten, end- lich der erlösende Festakt. Mit Merkel, Gauck und vielen Promis, die überschwänglich lobten („Hammer“, „globales Ereignis“, „gigantisch“). Der Sound war auch gut, verzieh aber nichts: kein Rascheln, kein Vibrieren, keine noch so kleine Tonabweichung. So weit, so schön. Einzig der Name: Elphi. Der Hang der Deutschen zur Verniedlichung macht nicht einmal vor eindrucksvollen Bauten halt. 4. Hunde heißen Buddy Apropos niedliche Namen. Die Tierschutzorganisation Tasso hat erneut die beliebtesten Namen für Hunde und Katzen ermittelt. Bei den Hündinnen führen demnach Luna, Emma und Bella die Liste an. Rüden heißen Balu, Buddy oder Sam. Kater heißen Sam, Felix und Leo und Katzen Lilly, Luna und Mia. Seit 2008 hat sich in den Namenslisten übrigens kaum etwas be- wegt, was auf eine gewisse Beständigkeit der Deutschen hindeutet. 5. Homos sind beliebt – nur bitte nicht zu nah Flexibler sind Deutsche in Sachen Toleranz. Laut Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes stimmt eine große Mehrheit von 83 Prozent erstmals der Aussage zu: „Ehen zwischen zwei Frauen bzw. zwei Männern sollten erlaubt sein.“ Oha, sind wir beliebt, mögen Schwule und Lesben nun jubeln. Doch die Details trüben die Freude: 38 Prozent finden es unangenehm, wenn sich zwei Männer öffentlich küssen oder umarmen. 40 Prozent sagen, es wäre ihnen unangenehm, wenn die eigene Tochter lesbisch oder der eigene Sohn schwul wäre. Erinnert irgendwie an Windkrafträder. Voll wichtig, but not in my backyard. PAUL WRUSCH Das Zitat „Sahra Wagenknecht und Frauke Petry sind das doppelte Lottchen des Populismus in Deutschland“ DER CDU-GENERALSEKRETÄR PETER TAUBER ÜBER MÖGLICHE VERWANDTSCHAFTEN ZWISCHEN LINKS- UND RECHTSPOPULISMUS Foto: dpa Literatur In der ersten Reihe tanzen trotz schwieriger Herkunft: „Swing State“ ist der neue Roman von Zadie Smith Seite 12 Kino Christlich, russisch, radikal: „Der die Zeichen liest“ beschreibt den Rachefeldzug des Schülers Benjamin Seite 13 DI E EI N E FRAGE I mmer muss ich an das Kasperle im Kasperletheater denken, wenn Anton Hofreiter sich aufregt. Oder so tut, als rege er sich auf. Dann wackelt sein Kopf kantig vor und zurück, und der Körper zuckt mit, und zwar im Takt, den seine durch die Luft hämmernde Faust vorgibt. So lange, bis er mit einem donnernden „Liebe Freundinnen und Freunde“ abbindet. Danach lächelt der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion und wird wieder weich. Genauso zu sehen beim Berliner Forum der Grünen-Urwahl, mit der die Mitglieder ihre beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl bestimmen. Es war aber auch eine zu schöne Erregungschance, die ihm Robert Habeck gegeben hatte, stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und Mitbewerber. „Welchen Posten wird denn Jürgen Trittin in der kommenden Bundesregierung haben?“, hatte Habeck ihn lächelnd gefragt. Da lederte Hofreiter aber so was von los, dass „Perso- Habeck oder Trittin? VI ELLEICHT GI BT ES SCHÖN ERE ZEITEN, ABER DI ESE IST DI E UNSERE, HAT JEAN-PAUL SARTRE GESAGT. WAS H EISST DAS FÜR DI E GRÜN EN? nalfragen“ jetzt überhaupt nicht zur Debatte stünden. Möglicherweise waren beide Kandidaten befeuert von einer Spiegel-Story über den Göttinger Bundestagsabgeordneten, mit der das Magazin die Partei ein weiteres Mal vor sich her treiben wollte. Habecks Frage nach Trittin hielten einige für eher nicht smart. Weniger, weil es in Hofreiters Zuständigkeit fiele, den linken Flügelkollegen und Vorgänger ruhigzustellen. Mehr in der Richtung: Wozu bringt man auch hier noch den krachend gescheiterten Spitzenkandidaten von 2013 ins Spiel, der längst seinen Ehrenplatz in der politischen Geschichte der Bundesrepublik hat? Das Frappante ist, dass gerade Spitzengrüne immer noch Angst vor Trittin zu haben scheinen. Vielleicht, weil er einfach gut ist, in dem, PETER UNFRIED IST TAZ-CHEFREPORTER was er macht. Die Frage ist, ob es auch gut für die Grünen ist. Ich bin nicht allein mit meinem Gefühl, dass 2017 für die Welt und Europa entscheidende Bedeutung haben wird. Dass es auch für die Grünen hopp oder top heißen kann. Vor allem für die sozialökologische Zukunft. Gerade, weil sie noch weniger als sonst im Vordergrund steht, braucht es in der EU Machtprojekte, deren Teil sie ist. Robert Habeck hat seine Kandidatur als Spitzenkandidat mit einer pathetischen Formel begründet, deren Tragweite vielen zunächst nicht auffiel. Manchen bis heute nicht. „Es ist unsere Zeit“, sagte er erstmals bei seiner Bewerbungsrede vor seiner Landespartei. Und dann so oft, dass es jetzt der Titel des Programms ist, mit dem die Grünen ins Wahljahr gehen. Es heißt eben nicht, dass die grüne Zeit da wäre. Der Pariser Existenzialist Jean-Paul Sartre hat am besten auf den Punkt gebracht, was Habeck meint, als er sagte: „Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber dies ist die unsere.“ Das ist nicht trivial, sondern fundamental. Es ist keine theo retische Frage von links oder rechts, sondern von Physik und Biologie. Wir haben keine andere Zeit. Und wir kriegen keine andere, wenn wir uns nicht darum kümmern. Robert Habecks Ansatz ist das Gegenteil der alten Grünen-Kultur, die Jürgen Trittin bis in Jahr 2017 getragen hat. Nicht jetzt, nicht so, nicht mit denen. Am besten ist es, wenn ein AKW explodiert und es allen schlecht geht. Dann sehen sie mal, dass die Grünen es besser wissen. Der – die Grünen überschätzende – Habeck-Ansatz ist, dass keiner eine gute Zukunft hat, wenn die Grünen es nicht gemeinsam angehen. Also flügelübergreifend. Im politischen Interessenausgleich mit Andersdenkenden. Für die ganze Gesellschaft. Ohne Moralhierarchie. Jetzt. Cem Özdemir, Anton Hofreiter oder Robert Habeck – wer immer in der nächsten Woche die Urwahl bei den Grünen gewinnen mag: Die entscheidende Frage lautet, ob künftig das Prinzip Habeck das Prinzip Trittin ersetzt. Die Drei SON NABEN D/ SON NTAG, 14. /15. JAN UAR 2017 TAZ.AM WOCH EN EN DE 03 Ausflippen! Jetzt! AUS NEW YORK MARK GREIF E s ist nicht unwahrscheinlich, dass Donald Trump als amtierender Präsident polizeistaatliche Maßnahmen ergreifen wird: demokratische Institutionen und Rechtsstaatlichkeit aushöhlen, Vetternwirtschaft und Selbstbereicherung betreiben, Rache an politischen Gegnern nehmen und Minderheiten zu Sündenböcken machen. Selbst wenn man annimmt, dass die Wahrscheinlichkeit dafür relativ gering ist, ist sie hoch genug, um jeden vernünftigen Bürger ausflippen zu lassen. Ja, ausflippen! Überreagieren! Angesichts dessen, was Donald Trump bislang angestellt hat, ist es besonnen und angemessen, jetzt überzureagieren. „Ich hoffe, wir werden angenehm überrascht sein“ ist eine fatale Haltung. Darauf können wir nicht mehr bauen. Im Gegenteil. Wir müssen alles versuchen, um Trumps Weg in den administrativen Terror zu verhindern. Selbst wenn man annimmt, dass Trumps Amtszeit nicht außergewöhnlich katastrophal wird, sondern nur eine weitere zerstörerische Legislaturperiode der Republikanischen Partei, die ihre Seele an den Nihilismus verkauft hat: Selbst dann gilt es, alle davon zu überzeugen, dass man handeln muss. Präsident Obama sollte nicht weiter von einem „reibungslosen Übergang“ sprechen, sondern den Übergang zu Trump so holprig wie möglich und so rau wie Sandpapier gestalten. Die Clintons sollten ihre Zusage, an der Inauguration teilzunehmen, zurückziehen. Das Capitol sollte die Bühne für die Inauguration nicht bauen. Der Partyservice sollte kein Essen liefern. Der Das Gefühl, dass verantwortliche Erwachsene und politische Bürger wissen, was zu tun ist, ist verpufft Oberste Richter sollte nicht auftauchen, um den Amtseid abzunehmen. Keine Bibel sollte bereitgestellt werden. Soll Trump doch auf das schwören, was er gerade zur Hand hat: eine Ausgabe von „Trump. Die Kunst des Erfolges“. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Hollywoodschauspielern und Comedians, die sich in Twitter-Schlachten mit Trump stürzen. Nehmen wir uns ein Beispiel an dem Instagram-Künstler Richard Prince, der Ivanka Trump für 36.000 Dollar ein Bild verkauft hatte – und am Donnerstag das Geld zurückgegeben hat. Er sagte, das Bild sei doch nicht von ihm, sie besitze also eine Fälschung. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Demonstranten, die im Kongress „No Trump! No KKK! No fascist USA“ rufen und abgeführt werden. Polizeistaatliche Bedrohung Abgeführt zu werden droht nicht nur den Demonstranten. Es droht uns allen. Jeder Bürger wird potenzielles Opfer der Polizei, der Verleumdung, der Isolierung, der Ungerechtigkeit. Denn Donald Trump hat bald Zugriff auf die Staatsgewalt. Bisher waren wir vor der Willkür der Präsidenten geschützt, Könnte auch der Böse aus einem James-Bond-Film sein: der kommende US-Präsident Donald Trump Foto: Chris Keulen/laif da die meisten sich an politische und rechtliche Normen hielten und sich in ihrer Gewaltausübung durch Parteiräson, Verfassung und wahltaktische Überlegungen beschränken ließen. Mit Donald Trump übertragen wir jemandem, der diese Gepflogenheiten offen verspottet, die Führung von Behörden, die in Sachen tödlicher Gewalt und brutaler Unterdrückung äußerst gut sind: FBI, Geheimdienste, Einwanderungsund Steuerbehörden. Eine polizeistaatliche Bedrohung Amerikas ist ein wenig ungewohnt. Bislang verursachten US-amerikanische Präsidenten das allergrößte Unheil im Ausland. Rassistische Diskriminierung von Schwarzen und Mi granten wurde bislang nicht vom Präsidenten initiiert. Das erledigten die lokalen Polizeikräfte und die weiße Vorherrschaft in Gemeinden und auf bundesstaatlicher Ebene. Trump jedoch hat seine Wahlkampagne so offen rassistisch geführt, dass er schon jetzt in einer Reihe mit Ronald Reagan und Richard Nixon steht, den Ausnahmepräsidenten, die polizeiliche Gewalt und Rassismus tatsächlich selber veranlasst und befeuert haben. Eine weitere ungewohnte Bedrohung ist die, dass fast jedes zukünftige Ministerium einen Vorgesetzten haben wird, der die Aufgabe seines Amtes komplett infrage stellt: Der kommende Justizminister, der für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung sorgen soll, ist ein Rassist. Der Außenminister, der amerikanische Interessen im Ausland vertreten soll, wird künftig der Boss eines Ölkonzerns sein, der damit Karriere machte, private Interessen vor die der USA zu stellen. Erziehungsminister wird ein Gegner staatlich geförderter Bildung. Arbeitsminister wird der Leiter einer Fast-Food-Kette, der gegen Mindestlohn und Arbeitsschutzgesetze ist. Der PentagonChef wird ein ehemaliger General, was möglicherweise illegal ist, weil es gegen das Prinzip zi- Jeder Bürger sollte sich verpflichtet fühlen, Donald Trumps Weg in den administrativen Terror zu bekämpfen. Und sei es, indem man sich krankschreiben lässt USA viler Kontrolle des Militärs verstößt. Die absurdeste aller Nominierungen jedoch ist die Ernennung eines Impfgegners zum Leiter der Impfkommission der Regierung. Der größte Wahnsinn aber besteht darin, dass sich die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Autorität von einer fremden Macht haben stehlen lassen. Nicht weil Russland Wahlmaschinen gehackt hätte. Sondern weil Russland in die private Korrespondenz der Demokraten eingedrungen ist und sie zur Veröffentlichung gebracht hat. Die Wahl 2016 muss wegen dieses Vorgehens als unrechtmäßig angesehen werden. Das heißt nicht, dass man Hillary Clinton als Siegerin ansehen muss. Es heißt nur, dass wir einen Präsidenten haben werden, dessen Wahl zweifelhaft ist. Obama tat nichts, als ihn seine Geheimdienste über das russische Vorgehen informierten. Dabei war eigentlich klar, was er hätte tun müssen: die Wahl für manipuliert erklären und von vorne anfangen. Aber darauf war niemand vorbereitet. So etwas überhaupt zu denken ist zu beängstigend. Trump tut das. Er bestreitet, dass die Wahl unabhängig war. Er erklärt die Stimmen für Hillary Clinton, die in absoluten Zahlen gewonnen hat, für illegal. Schon vor der Wahl hatte er erklärt, dass er das Wahlergebnis nicht anerkennen werde, sollte er verlieren. Und niemand ist aufgestanden und hat gesagt: „Das war’s. Das ist disqualifizierend. Es reicht.“ Ein Kind unter Kindsköpfen Ich fühle mich in diesen Tagen wie ein Kind unter Kindsköpfen. Die politische Landschaft der USA, die jegliche Würde verloren hat, ist jugendlich und senil zugleich. Auf Politiker, Juristen, Autoritäten guckend, warte ich auf eine Mutter oder einen Vater, auf irgendjemanden, der endlich sagt: „Schluss jetzt.“ Aber das sagt niemand. Das Gefühl, dass verantwortliche Erwachsene und politische Bür- ger wissen, was zu tun ist, ist verpufft. Können wir noch irgendwas tun? Ja. Neben den wenigen Leuten, die offizielle oder legale Gegenmittel in Reichweite haben, sind es einzig und allein die Bürger, die die tägliche Praxis des Zurückweisens schaffen müssen, so schnell wie möglich und so konsequent wie möglich. Wie das gehen soll? Einfach nicht da sein, sich krankmelden, dem Chef-Pussy-Grabber keine Packung Kaugummi verkaufen. Das interessiert Donald Trump nicht? Das ist egal. Es geht um das Signal. Um das Signal, dass es immer noch möglich ist, Nein zu sagen. Es geht darum, dass sich die Bürger gegenseitig versichern, dass es möglich ist, rebellisch zu sein. Im Namen meines Landes möchte ich mich bei den Bürgern Deutschlands entschuldigen, auch wenn ihnen das nichts bedeutet. Eine große Bürde wird ihnen auferlegt werden, da die USA gerade in einen unglaublichen Strudel von Dummheit und Zeitverschwendung gera- ten sind. Ich hoffe, es wird nur das sein. Ich hoffe, es wird nur die gewöhnliche Misere einer schlechten Regierung sein: die Bereicherung der Reichen, die Verelendung der Armen, die Zerstörung der Umwelt. Das könnten wir weitere vier Jahre überleben. Aber es kann auch schlimmer kommen. Mit der Aufnahme der syrischen Flüchtlinge hat sich Deutschland als würdevollste unter den modernen Nationen erwiesen. Ich hoffe, es ist darauf vorbereitet, auch Flüchtlinge aus den USA aufzunehmen. Aus dem Englischen von Doris Akrap ■■Mark Greif, Literaturwissenschaftler, ist Gründer und Herausgeber des kulturpolitischen Magazins n+1 in New York. Er veröffentlichte das von Guardian bis New York Times zu den besten Büchern 2016 gezählte „Against Everything“. Von ihm erschien „Hipster. Eine transatlantische Diskussion“ (Suhrkamp 2012) ANZEIGE DIE GRÜNE BUNDESTAGSFRAKTION LÄDT EIN: MÄCHTIG GUT? Essen braucht Vielfalt statt Konzernmacht Konferenz am 21. Januar 2017, 15-18 Uhr im Deutschen Bundestag Info & Anmeldung: » gruene-bundestag.de/agrarkonf 17
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