7 Seiten Dossier zu Trumps Amtseinführung Wie sich Trump, seine Fans und seine Gegner auf die nächsten vier Jahre vorbereiten AUSGABE BERLIN | NR. 11230 | 3. WOCHE | 39. JAHRGANG FREITAG, 20. JANUAR 2017 | WWW.TAZ.DE € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND T-Day H EUTE I N DER TAZ SCHWEIGEN Was Ex- VW-Chef Winterkorn (nicht) aussagte ▶ SEITE 8 SCHWITZEN So warm wie noch nie: Die Welt im Jahr 2016 ▶ SEITE 9 SPITZEN Die derzeit eißesten Favoriten auf h den CSU-Vorsitz ▶ SEITE 10 SCHIKANIEREN Racial Profiling bei Kontrollen im Zug: Ein ziemlich klarer Fall ▶ SEITE 17 SKRSINT Leben im Paralleluniversum des Dub ▶ SEITE 19 BERLIN „Holm geht, wir bleiben“: Besetzte Humboldt-Uni ▶ SEITE 25 VERBOTEN Guten Tag, Deutsche! TRUMP Er wird doch nicht … Erwartungen an den Großes Rätselraten in unserem „lieben“ (Bernd Höcke) Deutschland: Wie soll man diesen Nazi denn jetzt nennen? Die bisherigen Vorschläge: „Nazi“ (Thomas Oppermann, SPD) „Querdenker“ (Uwe Junge, AfD) „eine Belastung“ (Frauke Petry, AfD) „ein echter Rechtsradikaler“ (Jürgen Falter, Politologe) „Katze aus einem Sack“ (Sascha Lobo, Internet) Alles interessant, aber weiter auf Platz 1 die von Anfang an konsequente heute-show mit: „Bernd Höcke“ TAZ MUSS SEI N Die tageszeitung wird ermöglicht durch 16.653 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. Infos unter [email protected] oder 030 | 25 90 22 13 Aboservice: 030 | 25 90 25 90 fax 030 | 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: 030 | 25 90 22 38 | 90 fax 030 | 251 06 94 [email protected] Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22 tazShop: 030 | 25 90 21 38 Redaktion: 030 | 259 02-0 fax 030 | 251 51 30, [email protected] taz.die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet: www.taz.de twitter.com/tazgezwitscher facebook.com/taz.kommune 50603 4 190254 801600 neuen US-Präsidenten, der ab heute regiert ▶ SEITE 2–7 „You’re all fired. I do solemnly swear“: letzte Proben vor der Amtseinführung Abbildung [Montage]: Leemage/Fotofinder, reuters KOMMENTAR VON SILKE BURMESTER J Die Unmöglichkeit, sich abzuwenden eder bekommt den Präsidenten, den er verdient. So viel steht fest. Dumm nur, dass noch keine Mauer um die Vereinigten Staaten steht, die den Rest der Welt vor ihrem Staatsoberhaupt schützt. Deren Unheil wird auch unser Unheil, das scheint sicher. Wollen wir also auf das Positive gucken, das die kommende Präsidentschaft von Donald Trump schon im Vorfeld mit sich gebracht hat und das uns wie ein LSD-Rausch durch den Alltag tragen wird: der Unterhaltungswert. Natürlich kann das basse Staunen, die Faszination am Grusel, das Sichergötzen am Gefühl der Ungläubigkeit den Schrecken und die Abscheu nicht ausgleichen, die Worten und Taten dieses Mannes folgen werden. Aber ein wenig gespannte Erwartung dessen, was kommt, darf schon sein. Denn immerhin liefern dieser 70-Jährige, seine Familie und das politische Kabinett des Schreckens, das er formiert hat, genau das, was Millionen von Menschen zum Assi-TV von RTL treibt: die Möglichkeit, Menschen zuzuschauen, wenn niemand sie vor sich selbst schützt. Donald Trump und seine Familie sind „Dschungelcamp“ und „Die Geissens“ in einem. Sie sind „Frauentausch“ und „Schwiegertochter gesucht“ und „Berlin Tag und Nacht“. Was sonst mühsam von Leuten, die sich den Kopf am Grenzzaun von Köln-Deutz verletzt haben und nun mit auslaufender Hirnflüssigkeit „Reality-Formate“ scripten, ausgedacht wird, schüttelt der Meister der Entgleisung aus dem maßgeschneiderten Ärmel. Müssen im „Reality TV“ F-Promis erst durch Nahrungsentzug und Krabbeltier dahin gebracht werden, ihre tiefe innere Verwahrlosung den Zuschauern zu offenbaren, reicht bei Trump ein Mikro. Ein Mikrofon auf einem Podest oder eingebettet in ein kleines Gerät, und der Mann lässt vom Stapel, was die Schlüpferscripter von RTL sich nicht auszudenken trauen. Trump – das ist der faszinierende Grusel eines schlimmen Unfalls. Es ist das er- schrockene, aber doch anregende Staunen über einen zivilisatorischen Totalschaden. Es ist die Unmöglichkeit, sich abzuwenden von etwas, das zu sehen einem nicht guttut. Weil es schmerzt – schlimmer noch: weil es das eigene Empfinden in die Empfindungslosigkeit überführt. Und doch ist das Phänomen Donald Trump wirklich einmalig. Es fühlt sich an, als würden die Geissens aus dem Fernseher steigen und wirklich eine Bedeutung in dieser Welt bekommen. Als wäre ihre Inszenierung von Reichtum nicht bedeutungslos, sondern als wären diese Leute wirklich „reich“. Reich an irgendetwas jenseits von Geld, das ihnen ermöglicht, so zu tun, als seien sie wer. Trump und seine Familie sind „Dschungelcamp“ und „Die Geissens“ in einem In gewisser Weise ist Donald Trump, diese real gewordene Trash-Fantasie einer Unterhaltungsindustrie, eine rettende Figur: Man muss nicht länger das „Dschungelcamp“ anschauen, man muss nicht darauf warten, dass bei „Bauer sucht Frau“ Menschen in ihrer Einfalt vorgeführt werden. Nein, dafür gibt es jetzt den 45. US-amerikanischen Präsidenten. Aber dieser Präsident kann noch mehr: Er kommt zum Frühstück. Müssen die Amerikaner den Tag über einen Burger nach dem anderen verzehren und darauf hoffen, dass irgendwann eine Entgleisung stattfindet, schlagen wir, die wir in Old Europe zu Hause sind, die Augen auf und schauen auf dem Computer, was es Neues gibt. Pünktlich zum Frühstück wird uns First-Class-Entertainment à la Trump vor Augen und Ohren gespült, mitsamt dem entsprechenden Reaktionskanon. Das ist kein Start in den Tag, wie man ihn sich wünscht. Aber auch keiner, den man von der Bettkante stößt, wenn er schon mal da ist. H EUTE AUF DEN SON DERSEITEN ZUR I NAUGURATION DES 45. US-PRÄSI DENTEN DONALD TRUMP GEGNER Manche kommen KUMPELS Vorfreude auf AKTIVISTEN Jetzt erst KOLLEGEN Warum Trump VORGÄNGER Wie Obama heute gar nicht, manche wollen stören ▶ SEITE 2 Trump im Kohlerevier von West Virginia ▶ SEITE 3 recht: Bürgerrechtler und Klimaschützer ▶ SEITE 4, 5 nur ein „Big Man“ von vielen auf der Welt ist ▶ SEITE 6 bis zum Schluss die Würde des Amtes wahrte ▶ SEITE 7 02 TAZ.DI E TAGESZEITU NG T-Day Protest unter rosa Mützen Vor allem Frauen gehen gegen Präsident Trump auf die Straße DEMONSTRATIONEN WASHINGTON taz | Das andere Amerika macht am Tag nach der Inauguration die Generalprobe für die nun beginnende permanente Demonstration: Hunderte von Gruppen – von Hillary Clinton UnterstützerInnen über religiöse Gemeinschaften bis hin zu Black Lifes Matter und der Occupy-Wall-Street-Bewegung und anderen linken Organisationen – haben sich für die Proteste gegen Trump angekündigt. Der größte Women’s March wird in der Hauptstadt Washington stattfinden. Doch gleichzeitig werden Menschen an mehreren hundert anderen Orten quer durch die Vereinigten Staaten auf die Straße gehen. Die Initiatorinnen und zugleich die Stars der Großdemonstration gegen den neuen Präsidenten sind junge Frauen. Mehrere von ihnen, darunter Tamika Mallory, die bislang für Schusswaffenkontrolle aktiv ist, die arabisch-amerikanische Aktivistin Linda Sarsour, die junge Mutter und Designerin Bob Bland und die Latino-Aktivistin Carmen Perez haben schon in den ersten Stunden nach Trumps Wahl im November entschieden, dass sie seinem Amtsantritt nicht stumm zuschauen wollen. Alle vier sind in den Obama-Jahren erwachsen geworden. Es dürfte kein Zufall sein, dass sie alle aus New York kommen, der Stadt, die den neuen Präsidenten am besten kennt und ihm am tiefsten misstraut. Die jungen Frauen wussten, dass sie nicht allein demonstrieren würden. Doch die Resonanz auf ihren Aufruf hat sämtliche Erwartungen übertroffen. Der sexistischste Präsident der US-amerikanischen Neuzeit, der über Frauen solche Dinge sagt, wie „wenn du berühmt bist, kannst du sie haben“, „grabsch sie zwischen den Beinen“ und „unappetitliche Tiere“, hat bereits jetzt eine nie dagewesene feministische Gegenreaktion ausgelöst. All jene, die unter Trump befürchten müssen, dass die Reformen der Obama-Jahre zunichte gemacht werden und dass jede Hoffnung auf weitere Fortschritte vorläufig auf Eis gelegt wird, haben sich dem Aufruf angeschlossen. Unter anderem werden in den Demonstrationen Mütter gegen Polizeigewalt demonstrieren, EinwandererInnen gegen Deportationen, MenschenrechtlerInnen gegen Folter und gegen Internierungen ohne Gerichtsprozesse, KriegsgegnerInnen gegen Drohnen und andere Bomben und Muslime gegen Listen, auf denen sie erfasst werden sollen. Für den Empfang der vielen, die gegen den einen Mann nach Washington kommen werden, stricken und häkeln Hunderte von Frauen schon seit Langem rosa Mützen. Nachdem in den ersten Wochen nach der Präsidentenwahl eine Sicher heitsnadel am Revers die Opposition gegen Trump signalisierte, soll als nächstes und deutlicheres Zeichen die rosa Mütze für Mobilisieren und Organisieren gegen Trump stehen. DORA Dossier FREITAG, 20. JAN UAR 2017 Anlässlich der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten mobilisieren Anhänger und Gegner Donald Trumps im ganzen Land So viel Boykott war noch nie VEREIDIGUNG Während sich das offizielle Washington auf den Amtsantritt des neuen Präsidenten vorbereitet, sagen immer mehr Prominente ihre Teilnahme ab. Die „Biker for Trump“ dagegen wollen Proteste verhindern AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN Wenn Donald Trump heute Mittag an der Westseite des Kapitols als 45. US-Präsident vereidigt wird, werden wohl weniger als halb so viele Menschen zu seinen Füßen stehen und jubeln als beim Amtsantritt seines Vorgängers Barack Obama am 20. Januar 2008. Die Polizei erwartet zwischen 750.000 und 900.000 Trump-Fans auf der Mall und längs der ParadeRoute Pennsylvania Avenue, auf der die Trumps anschließend vom Kongress zum Weißen Haus ziehen werden. Neben einer langen Liste von Hollywood-Größen wollen auch an die 60 demokratische Kongressabgeordnete der Zeremonie fernbleiben. So viel Boykott war noch nie. Wenige Tage vor seiner Zeremonie hat Trump eine Ansprache aus seinem New Yorker Turm in die sozialen Netze gestellt, um nicht allzu verloren im großen öffentlichen Raum zu wirken. „Kommt alle in die Mall“, so der angehende Präsident, „es wird aufregend und wir werden Amerika wieder groß machen.“ Neben der Polizei, für die jede Inauguration eine Großveranstaltung ist, haben dieses Mal auch mehrere tausend Biker aus dem ganzen Land ihre Anwesenheit angekündigt. „Wir werden eine Mauer aus Fleisch bilden“, so Chris Cox, der in Leder gekleidete Präsident von Biker for Trump im Interview mit FoxNews. Er verstehe seine Gruppe nicht als Bürgerwehr und er vertraue der Polizei – doch zugleich würden seine harten Jungs und Mädchen nicht zulassen, dass linke DemonstrantInnen den neuen Präsidenten stören. Anders als sonst verzichten auch zahlreiche kleine und große Stars darauf, bei Trumps Zeremonie aufzutreten. Manche – darunter Paul Anka, der ursprünglich Sinatras’ „My Way“ Eine Ehrenwache aus Angehörigen der US-Streitkräfte bereitet sich vor dem Weißen Haus auf die Amtsübergabe vor Foto: Manuel Balce Ceneta/ap FOTOS GUCKEN Lassen wir Trump sprechen. Die scheußlichsten Zitate zeigt die Fotostrecke taz.de/WorstOfTrump. Wer bald in den USA sonst noch was zu sagen hat: taz.de/KabinettdesSchreckens Knarren, Muschis, kleine Hände www.taz.de für das künftige First Couple singen wollte – schoben „Terminkonflikte“ vor. Andere, darunter Expräsident George H. W. Bush, machten ihre Gesundheit für ihr Fernbleiben verantwortlich. Sowohl der 92-Jährige als auch seine Frau Barbara sind gegenwärtig im Krankenhaus. Doch Dutzende von Entertainern haben ihre Teilnahme rundweg abgelehnt. Unter anderem sagte Elton John, den Trumps Sprecher als Beleg für die angebliche LGBTQ-Toleranz des künftigen Präsidenten angekündigte hatte, „no“. Andere Stars machten Rückzieher, nachdem Fans mit Konsequenzen gedroht hatten. Zu letzteren gehört die US-Ameri- kanerin Jennifer Hollidy, die bei früheren Anlässen sowohl für Demokraten als auch für Republikaner gesungen hat. Sie erklärte ihren Rückzieher mit den Worten: „Ich höre euch und ich spüre euren Kummer.“ Bei anderen Stars wie dem italienischen Tenor Andrea Bocelli verwischte das Trump-Team die Spuren so geschickt, dass heute unklar ist, ob sie eingeladen waren. Die 16-jährige Jackie Evancho von „America’s got Talent“, die die Nationalhymne singen wird, wurde im Web als „Verräterin“ bezeichnet: Ihre Schwester, eine 18-jährige Transgender-Frau, will ihrem Auftritt fernbleiben. In Trumps Ansprache, die er nach eigener Auskunft vor Wo- chen in Florida geschrieben hat und vom Teleprompter ablesen will, wird es voraussichtlich um die nationale Einheit gehen, von der fast alle US-Präsidenten bei ihrer ersten Ansprache sprechen. Aber Trump, der in seinem Wahlkampf und bei der Auswahl seines Kabinetts so polarisiert hat, wie nur wenige der 44 Männer vor ihm, und der schon vor seinem Amtsantritt weite Teile der Medien, der Öffentlichkeit und der Geheimdienste gegen sich aufgebracht hat, wird es sich voraussichtlich nicht nehmen lassen, auch seine Slogans zu zitieren – darunter den, von dem die Welt in der nächsten Zeit mehr hören wird: „Amerika zuerst“. „Eine Sphäre, in der sie Luft zum Atmen haben“ taz: Herr Fischer, Sie sind einer der New Yorker Organisatoren des „J20 Art Strike“, zu dem berühmte Künstlerinnen wie Cindy Sherman aufgerufen haben. Was ist der Art Strike? Noah Fisher: Es ist ein loses Bündnis aus Schriftstellern, Künstlern, Kuratoren und Aktivisten. Es gibt sehr verschiedene Antworten auf den Aufruf. Klassischer Streik: Viele Galerien und einige Museen werden schließen. Andere, in Minneapolis, Boston oder Los Angeles, werden freien Eintritt gewähren oder Aromatherapien gegen Trump-Stress anbieten wie das Baltimore Museum of Art. Das klingt nicht danach, als würde es den künftigen Präsidenten Donald Trump sonderlich stören. Wir sind froh, dass es überhaupt solche Reaktionen gibt. Die großen New Yorker Museen wie das MoMA oder das Guggenheim Museum machen gar nichts. Wir, von Occupy Museums haben es geschafft, dass sich das Whitney Museum solidarisch zeigt. Wir werden dort Künstler und Kulturschaffende rufen zu Streik und Protest auf. Noah Fischer ist einer der Initiatoren und Gründer von „Occupy Museums“ APPELL eine große Versammlung abhalten, wo wir über unsere Aufgaben in der Kunstwelt diskutieren wollen. Was werden die sein? Der Kulturkrieg hat bereits begonnen. Rechte, weiße Populisten sehen Kunst nur als elitäre Veranstaltung. Wir dagegen wollen Kulturorganisationen und Museen in den Kampf für ökonomische und soziale Gleichheit einbinden. Wir nehmen uns ein Beispiel am Queens Museum. Das wird am Freitag eine Diskussionsveranstaltung über seine Zukunft organisieren. Der größte Teil seiner Mitarbeiter wird zu den ersten Opfern von Trump zählen. Die meisten von ihnen kamen als Kinder illegal in die USA und haben dank Obama eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung, die Trump aber zurücknehmen will. Streiks in Galerien und Museen haben einen ähnlichen Effekt wie Studentenstreiks, oder? Ja. Aber es geht um Symbole. Es gibt auch Trump-Unterstützer unter Kunstsammlern und Museumsmachern. Wenn Museen ihre Türen öffnen, um über ihre eigene Rolle unter der Regierung Trump und Widerstand von Künstlern zu diskutieren, hat das starke Symbolkraft. Wie leisten Sie als Künstler Widerstand? Unsere Gruppe ist beeinflusst von Bewegungen wie Black Lives Matter. Wir kritisieren die Überpräsenz weißer Künstler in Sammlungen, Museen, Öffentlichkeit. Die Kunstwelt kann Eigeninitiative übernehmen und egalitärer werden, Räume für Minderheiten öffnen. Radikalisiert und politisiert sich die Kunstwelt mit Trump? Schwer zu sagen. Wir wissen ja nicht, in welchem Amerika wir zukünftig leben werden. Aber die Kunstwelt hat sich seit 2011 stark politisiert. Nicht nur in den USA. Die Occupy-Bewegung war der Auslöser für diese Entwicklung. Sie war ein Moment, der eine Generation geprägt hat. Mit J20 verpflichten wir uns, weiter zu machen. Was erhoffen Sie sich davon? Dass Leute, die bisher glaubten, sich raushalten zu können, sich einmischen. Jedes Land, das Demokratie und Bürgerrechte einschränkt, zwingt die Leute dazu, eine autonome Sphäre zu schaffen, in der sie Luft zum Atmen haben. Sprechen Sie auch darüber, ob und wie man mit Trump-Wählern sprechen kann? Die amerikanische Gesellschaft ist gespalten. Es ist Zeit, die Grenzen zu überqueren. Die Veranstaltung mit dem Whitney Museum ist ein Schritt Richtung Mainstreampublikum. J20 und der Women’s March am Samstag könnten die Samen einer größeren Bewegung sein. Sie werden aber nicht teilnehmen, weil Sie im Freien Theater Düsseldorf sein werden. Genau. Ich werde dort – im Anschluss an das Stück „Not my revolution if … Die Geschichte der Angi O“ vom Performancekollektiv andcompany&Co. – auf einem Podium über Trump sprechen. Ich habe das Bühnenbild dafür entworfen. Wir werden über Erfahrungen reden, die europäische Künstler mit rechten Regierungen gemacht haben und wie eine internationale Solidarität zwischen Kunstkollektiven aussehen kann. Ich bin auf diplomatischer Mission. INTERVIEW DORIS AKRAP Noah Fischer ■■Künstler und Gründer der Gruppe Occupy Museums, die im KonFoto: Archiv text von Occupy Wallstreet 2011 von Künstlern entstanden ist. 2012 war sie Teil der Berlin Biennale. Dossier FREITAG, 20. JAN UAR 2017 T-Day TAZ.DI E TAGESZEITU NG 03 Nichts schrumpft so wie die Bedeutung der US-Kohleindustrie. Das ist gut für den neuen Präsidenten: nirgends siegte er klarer Im Kohleland AUS WELCH DOROTHEA HAHN Wenn ein Laster vorbeifährt, von dessen Ladefläche schwarzer Staub herunterweht, dann frohlocken die Menschen in den engen Tälern von McDowell County im südlichsten Zipfel von West Virginia. Auch das Donnern der Lokomotiven, die mehr als 100 offene Kohlewaggons hinter sich herziehen, klingt in ihren Ohren wie Musik. „Es werden wieder mehr“, wollen sie glauben. Dann reden sie über die 14 Bergwerke in der Region, die jahrelang geschlossen waren, und sich jetzt darauf vorbereiten, wieder aufzumachen. Und von der Jobbörse Anfang Januar in dem Städtchen Welch, bei der 75 Bergarbeiter für den Untertage- und den Übertagebau gesucht wurden. „Die Kohle kommt zurück“, sagt Lacy Workman. Er ist überzeugt, dass sein County, das einst mehr Kohle als jedes andere der USA produziert hat und heute eines derjenigen mit der höchsten Arbeitslosigkeit des Landes ist, sich dank des alten Rohstoffs wieder erholen kann. Er glaubt, dass Donald Trump das möglich macht. Lacy Workman nennt ihn „klug“ und ist überzeugt, dass er den Geschäftssinn hat, den McDowell County braucht. Im Wahlkampf hat Trump bei einem Auftritt hier erklärt: „Ich liebe Kohle“, hat sich einen Bergarbeiterhelm aufgesetzt und hat neben seinem Rednerpult gestikuliert, als wolle er losschippen. Vor allen Dingen aber bot er sich als Antithese zu Hillary Clinton an. Die hatte angekündigt, dass es mit ihr mehr grüne Energie geben und viele Bergarbeiter ihre Arbeit verlieren würden. Anschließend erklärte sie das zu einem Schnitzer. Aber da war es zu spät, und die Wähler hatten sich auf Trump eingeschworen. Ihm nehmen sie ab, dass er die Auflagen für Schadstoffabgaben in Wasser und Luft lockern und dass er die Steuern senken wird. Auch wenn der Gaspreis in den letzten Jahren durch das Fracking so niedrig geworden ist, dass viele Kraftwerke ihre Turbinen auf Gas umgestellt haben. ORTSTERMIN In McDowell County leben die Abgehängten. Die Bergwerke sind zu. Hier entstand Trump-Land. „Ich liebe Kohle“, sagte der, setzte sich einen Bergarbeiter helm auf und wurde prompt gewählt öffnet und 200 neue Arbeitsplätze geschaffen. Lacy Workman hat im Bergbau gearbeitet, ist Lkw gefahren und war die meiste Zeit seines Lebens ein Demokrat. Jetzt konzentriert er sich auf seine neue Partei, die Republikanische, in der er es binnen weniger Jahre zum örtlichen Chef gebracht hat. Es waren die Barack-Obama-Jahre, in denen die Repu blikanische Partei die Menschen im County überzeugt hat, dass der demokratische Präsident der Ursprung aller Probleme ist. In McDowell County sind die meisten Siedlungen als „Camps“ am Rande von Bergwerken entstanden, deren Arbeiter weiterziehen sollten, so bald die Kohle abgebaut war. Welch, die größte davon, war in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine boomende Stadt, die das „kleine New York“ genannt wurde. Sie hatte drei Theater, in der Innenstadt herrschte dichter Autoverkehr. Berühmtheiten aus Showbusiness und Politik gaben sich die Klinke in die Hand. In Raymond’s Restaurant an der McDowell Street haben mehrere Präsidenten gefrühstückt, darunter Harry Truman und John F. Kennedy. Anschließend hielten beide Reden von den Stufen des Parkhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite, von dem heute die Fassaden abplatzen. Es ist eines von mehr als 5.000 Gebäuden, die entweder renoviert oder abgerissen werden müssten. Kennedy kam nach seinem Besuch auf die Idee, Lebensmittelmarken einzuführen, um die Armut, die damals im Rhythmus der Weltkohlemärkte auch immer wieder Bergarbeiter in McDowell County traf, auszugleichen. Es sollte eine Übergangslösung sein. Doch mehr als ein halbes Jahrhundert später sind 45 Millionen Menschen im Land immer noch auf die Marken angewiesen. In McDowell County beziehen mehr als ein Drittel der Menschen die Marken, deren Fortbestand bei den Republikanern in Washington umstritten ist. Restaurantbesitzer Raymond Bean, inzwischen 90, arbeitet weiterhin in seinem Lokal, in das sich nur noch selten Kunden verirren. Seine Leuchtre klame ist längst von der Fassade abgestürzt, und die Ladenlokale rechts, links und gegenüber von Trumps Traumland Der Kontrast zwischen den Menschen in McDowell County, wo mehr als ein Drittel unter der Armutsgrenze leben, und dem New Yorker Multimilliardär könnte kaum größer sein. Aber bei den Wahlen im November bekam Trump in McDowell County mehr als dreimal so viele Stimmen wie Clinton. 75 Prozent gegen 23. Es war eines der besten Ergebnisse für Trump im Land. Er war nicht der einzige Multimilliardär, der in dem County gewann. Der zweite war der reichste Mann von West Virginia, Jim Justice, der an dem Tag zum neuen Gouverneur des Bundesstaats gewählt wurde. Partei politisch ist Justice den umgekehrten Weg gegangen. Während Trump sich in den Jahren vor seiner Wahl allmählich vom Demokraten zum Republikaner veränderte, wechselte Justice vom republikanischen Lager in das demokratische über. Aber im Stil ähneln sich die beiden. Justice hatte kurz vor den Wahlen mehrere Minen in McDowell County und der Umgebung wieder er- Szenen aus McDowell County Fotos: Holger Iburg (3), laif ihm stehen leer. Ein paar Häuser weiter hat ein Vermieter einen handgeschriebenen Zettel ans Schaufenster geheftet, auf dem er anbietet, das Lokal nach den Wünschen eines Mieters umzubauen. Auch Raymond Bean hat nach Jahrzehnten als demokratischer Wähler für Trump gestimmt. Er hofft, dass er den neuen Kohleboom bringt, der die Stadt rettet und der ihm zu jemandem verhilft, der sein Restaurant übernehmen will. Die Köchin hört von der anderen Seite des Tresens zu. Als Raymond Bean den Raum Welch war in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine b oomende Stadt, die das „kleine New York“ genannt wurde verlässt, wischt Helen Althazer die Träumereien ihres Chefs beiseite. „Trump wird nichts für uns tun“, sagt die 84-Jährige kategorisch, „denn er ist umgeben von Leuten, die kein Interesse daran haben.“ Sie hat ihr ganzes Leben in Welch verbracht, mit einem Vater, mit Onkeln und mit Brüdern, die im Kohlebergbau gearbeitet haben. Aber sie glaubt nicht mehr an eine Zukunft: „Dies ist bald eine Geisterstadt.“ Die Stadt und das County haben nie etwas anderes als Kohle erwogen. Die einzige Diversifizierung ist der Ausbau der Trassen für Geländefahrzeuge in dem umliegenden bergigen Gelände und in den drei Gefängnissen – das eine gehört dem County, das zweite dem Bundesstaat West Virginia, das dritte der Bundesregierung. Letzteres steht auf einer Bergspitze am Rand von Welch, die zuvor zum Zweck der Kohlegewinnung weggesprengt und abgeräumt worden ist. Als das Bundesgefängnis 2010 eröffnete, galt es als potenzieller neuer Arbeitgeber. Doch heute reisen die meisten Beschäftigten aus anderen Counties an. Der für die Entwicklung des Countys zuständige Kommissar hat einen weiteren Plan für die regionale Entwicklung im Sinn. Cecil Patterson, auch ein Demokrat, der bei den Wahlen Trump gewählt hat und ihm eine Chance geben will, hofft, dass es endlich mit der seit mehr als 15 Jahren geplante Schnellstraße ins County vorangeht. Auch dieser „Coalfield Expressway“ hat mit Kohle zu tun. Er ist als eine öffentlich-private Partnerschaft geplant, bei der die Bergwerkbesitzer Bergspitzen wegsprengen, ein paar Meter Kohle abbauen und das solcherart begradigte Gelände anschließend an die öffentlichen Bauleute übergeben sollen. Zurzeit kann man sich in Welch seine Nachbarn aussuchen, denn mindestens jedes zweite Haus steht leer. Das County ist in den letzten Jahrzehnten von mehr als 100.000 auf weniger als 20.000 Einwohner geschrumpft. Nach jeder neuen Katastrophe – nach den Fluten von 2001 und 2002 und den Schließungen der Bergwerke und zuletzt nachdem im vergangenen Jahr auch Walmart seinen großen Supermarkt geschlossen hat – sind Menschen abgewandert. Unter jenen, die zurückblieben, nahmen Depressionen und Drogenmissbrauch zu. In der Hochburg der Kohle ist die Zahl der Drogentoten mehr als achtmal so hoch, wie im nationalen Durchschnitt. Jim Sly, dem eines der beiden Bestattungsunternehmen des Countys gehört, hat es nicht selten mit trauernden Familien zu tun, die von „Herzversagen“ sprechen, wenn im Totenschein etwas von Überdosen von Fentanyl, Oxycotin oder Heroin steht. Der Bestatter war Zeit seines Lebens ein Demokrat, aber dieses Mal hat auch er Trump gewählt, weil er sich von einem Geschäftsmann Besseres erhofft. Du nimmst keine Drogen? Jackie Ratliff, Superintendent in einer Kohlewaschanlage am Südrand von Welch, hat im November Trump gewählt hat. In seinem beruflichen Alltag, in dem schwarzen Staub am Berghang, erlebt er jetzt, wie sich die Stimmung langsam ändert. Nichts funktioniert richtig, aber jetzt ist er „vorsichtig optimistisch“. Wenn die Umweltbehörde EPA sich künftig stärker zurückhält und nur noch „vernünftige Auflagen“ macht und wenn Bedingungen, wie die Einrichtung von „unterirdischen Schutzräumen für 80.000 Dollar das Stück“ kippen, könnte er sich vorstellen, dass es mit der Kohle im County wieder aufwärts geht. Lashawn Winfree hat dieses Vertrauen nicht. Sie glaubt nicht an den Präsidenten. Sie hat im November für Hillary Clinton gestimmt – so wie fast alle anderen Afroamerikaner und ein paar wenige weiße Frauen in dem County. Ihr Großvater war Bergarbeiter. Von ihren Klassenkameraden sind viele an Überdosen gestorben. Wenn die 35-Jährige Gleichaltrige trifft, die von der Drogenepidemie betroffen sind, fragen die manchmal erstaunt: „Wie? Du nimmst gar nichts?“ McDowell County hat La shawn Winfree bislang nicht entkommen lassen. Nach der High School ist sie nach Atlanta in Georgia gezogen. Aber dann erkrankte ihre Großmutter, und sie kam zurück. Heute arbeitet sie in einem Videospielsalon, schräg gegenüber des County-Gefängnisses, das in den Gebäuden eines früheren Krankenhauses untergekommen ist. Erfrischungsgetränke gibt es im Spielsalon gratis. Im Hinterraum sitzen zwei Frauen und ein Mann, die nicht miteinander reden, vor bunt leuchten den Bildschirmen und hoffen auf Gewinne, die sie im echten Leben schon lange nicht mehr machen. Als gelernte Krankenschwester könnte Lashawn Winfree außerhalb des Countys Arbeit finden. Stattdessen bleibt sie, beobachtet sie wie andere auf Verbesserungen hoffen, an die sie nicht glaubt, und macht sich selbst Vorwürfe, weil sie trotzdem in dem engen Tal ohne Zukunft bleibt.
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