Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Musik: „Impulsion“ Atmo A 40 Sprecher: Der Sozialäquator ist aus Asphalt. Ihn zu überqueren, fast unmöglich. Sprecher: A40 heißt die Grenze. Die Stadtautobahn durchfräßt das Revier. Duisburg, Essen, Dortmund. Einmal quer durch. Mitten durch die Städte. Mitten durch die Gesellschaft. Nirgends sonst in Deutschland ist ein Ballungsraum mit fünf Millionen Menschen so gespalten wie hier. Reicher Süden. Armer Norden. Auf welcher Seite du geboren bist, entscheidet, was du wirst. O-Ton Janine Also, wir leben vom Amt, wir beziehen Hartz4. Und also mit Hartz4 kann man nicht große Sprünge machen. O-Ton Heike Derichs-Weiss Was Rang und Namen hat, die wohnen schon ganz gerne hier. In Bredeney. Weil es ist ein schönes, weit gezogenes Villenviertel, wo man eben genau weiss, dass der Nachbar nicht zu Krethi und Plethi gehört. Sprecher: A 40. Grenze zwischen Arm und Reich. Besonders scharf durchtrennt sie Essen. Eine Stadt als Sinnbild für das Land. Die Kluft wächst - zwischen Garnichts und immer mehr, warnen Sozialexperten. Armut wird in Deutschland immer schwerer zu überwinden, alarmiert der jährliche Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbands: Danach sind über 15 Prozent der Deutschen arm. Die zehn Prozent der Reichsten besitzen immer mehr. Schon jetzt sind es zwei Drittel des Vermögens. O-Ton Und im Endeffekt bleibt man da, wo man 10 Euro am Tag ausgeben kann. Mehr nicht. O-Ton Dass es sicherlich eine Grenze gibt: unsere A40, wo auf der einen Seite Leute mit mehr und auf der anderen die mit weniger Geld wohnen. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 1 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? O-Ton Mann am Kiosk Die dicken Bonzen werden immer fetter und die große Masse wird immer ärmer. Sprecher: Alarm! rufen Politiker und Sozialverbände. Aber: Wächst die Armutsschere tatsächlich? Wird Deutschland immer ungleicher? Aussagen, die auf den Prüfstand gehören. Panikmache bringt niemanden weiter. Statistiken helfen nur bedingt. Es zeigt sich bei genauem Hinsehen, wie schwierig Vieles zu vergleichen ist. Was heißt es eigentlich, arm zu sein – in einem der reichsten Länder der Welt? Und wohin geht die Fahrt, wenn sich nichts ändert? Deutschland unterm Brennglas. Die A40 in Essen. ANSAGE: Ärmer geht's nicht - Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Ein Feature von Antje Passenheim. Musik aus A40 leise/Vogelgezwitscher Sprecher: So klingt die Stadtautobahn auf der Sonnenseite. Der Süden von Essen. Die Welt der Albrechts, Thyssens, Deichmanns zählt zu den reichsten Gegenden der Republik. 50 der bundesweit umsatzstärksten Unternehmen kommen von hier. In der Liga der profitabelsten Giganten zieht Essen mit Hamburg und München gleich. Rund 120 Einkommensmillionäre leben in Essen. Alle im Süden. Keiner von ihnen im Norden. Und so Musik: „Unleashed du Lac“ Sprecher: So klingt die A40 dort. Die Schattenseite. Einer der ärmsten Flecken Westdeutschlands. Was sich anhört wie ein Klischee, ist Realität. Auf dem Sozialatlas der Essener Stadtverwaltung ist der Süden hell. Der Norden ist rot. Es gibt so viele Arbeitslose, dass die Kinder in manchen Vierteln keinen mehr kennen, der regelmäßig zum Job geht. Dort sind 80 von Hundert aller jungen Menschen abhängig von staatlicher Hilfe. Jedes 4. Kind lebt in Armut, © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 2 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? ermittelte die Bundesagentur für Arbeit. Keine Region im Westen Deutschlands ist so schlimm dran wie das Ruhrgebiet. Kaum eine Stadt hier so arm wie Essen. Sprecher: Aber viele hier sind so arm wie Janine. Sie und andere Menschen, die hier über ihre Einkommensverhältnisse reden, nennen wir auf deren Wunsch nur beim Vornamen, der teilweise geändert wurde. Musik aus Sprecher: Janine weiß: Nach unten geht es schnell. O-Ton Janine: Dann wurd' ich halt schwanger und, weil ich halt gearbeitet hab, war ich verpflichtet, das auch anzugeben. Und da hieß es: Wir rufen Dich an. Kam nichts. Ja und dadurch bin ich dann in Hartz 4 gerutscht… Sprecher: Drei Kinder hat die 29-Jährige. Erzieht sie über weite Strecken allein. Eins, vier und fünf sind sie. An einen Job ist nicht zu denken. O-Ton Janine Also mit Hartz 4 kann man nicht große Sprünge machen. Sprecher: Auch kleine nicht - mit rund elfhundert Euro im Monat ist es nicht leicht, drei kleine Kinder zu versorgen. O-Ton Janine Die Anziehsachen werden ja auch immer teurer. Die Lebensmittel werden ja auch immer teurer. Sprecher: Zweimal die Woche nimmt der Familientisch der Caritas in der Gemeinde St. Gertrud Janine zumindest diese Sorge: Sattwerden. Atmo Familientisch: Klappernde Teller/Gemurmel Atmo beim Essen © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 3 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Sprecher: Die rund 50 Tische sind voll besetzt. Kinder drängen nach vorn. Eine Schlange bildet sich um einen großen Topf mit dampfender Gemüsesuppe. Ausgewogene Mahlzeiten aus Spenden. Ehrenamtliche Helfer wollen diesen Familien Lust aufs gesunde Essen machen. Für manche Kinder ist schon ein Stück Blumenkohl eine neue Welt. O-Ton Janine Die Kinder kennen das teilweise gar nicht mehr. Dass sieht man hier in der Gruppe sehr. Hier wird ja gesund gekocht mit Obst und Gemüse. Dass dann wirklich auch die Kinder kommen und fragen: Was ist denn das da in der Suppe? Was eigentlich ganz normal ist. Aber sie kennen das nicht, weil es das nicht Zuhause gibt. Sprecher: Gut Essen, das ist Luxus. Gemeinsam Essen auch, meint Janine. O-Ton Janine: … weil sie es sich einfach nicht mehr leisten können, mal eben mit der Familie essen zu gehen. Aber kochen könnten sie doch? Ja, das stimmt. Aber die nehmen sich die Zeit halt nicht mehr. Sprecher: Einkaufen, Rechnen, Kochen – Es sei halt einfacher, schnell mal was Billiges von Mc Donalds zu holen. Wenn man hetzt vom einen Mini-Job zum andern. O-Ton Janine: Zwei Jobs, jeder von denen hat zwei Jobs. Damit die sich über Wasser halten können. Musik: „Unleashed du Lac“ Sprecher: Gut bezahlte Arbeit ist rar, seit die Zechen und Fabriken aus Essens Norden verschwunden sind. Sprecher: Die Fördertürme ziehen nur noch Kulturtouristen von Außerhalb an. Produziert wurde © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 4 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? seit ihrer Stilllegung Arbeitslosigkeit. Was den Meisten bleibt, sind Mini-Jobs und Mindestlohn. 8 Euro 84 für die Stunde Arbeit in Discountern, Fitnessclubs oder Sonnenstudios. Future Sun bietet Urlaubsbräune für 3 Euro 99. Musik aus Atmo Restaurant Mintrops Stadthotel Margaretenhöhe Sprecher: In einem Gourmet-Restaurant im Essener Süden gibt's für diesen Preis noch nicht einmal eine Karaffe Tafelwasser zum Mittagsmenue. O-Ton Kellner …Hier ist gehobener Service angesagt. Sprecher: An den meisten Tischen des Restaurants "M" lassen die Gäste soviel Geld, wie Hartz4-Bezieherin Janine für eine ganze Woche hat. O-Ton Kellner wieder hoch … dann auch gerne fürn Tigerfish auf Trüffelrisotto dann auch gerne mal 27 Euro 50 pro Person. Musik: „Hypnos“ Sprecher: Das Publikum im Stadtteil Bredeney ist Gutes gewöhnt, meint Heike Derichs-Weiss. Hier im Süden ist die Kunsthistorikern und Taxi-Unternehmerin aufgewachsen. Am Baldeneysee, dem Herzen der Wohlstandsoase, lebt es sich entspannt. O-Ton Heike Derichs: Es gibt natürlich im Freizeitbereich sehr viele Sachen, weil Golf, Tennis, Yachten haben... ist natürlich im Essener Süden das Ding Sprecher: Der schnöde Alltag nicht so sehr. Zumindest in der Innenstadt. Einen Supermarkt gibt es erst gar nicht. Atmo Glocke Feinkostladen Sprecher: Dafür herrscht Hochbetrieb im Feinkostladen. Bredeney kaufe mit Tradition, schwärmt der Inhaber. Seine Waren sind hier gefragt. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 5 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? O-Ton Verkäufer Ja, ich denke, das ist also Lachsfilet und das ist Kaviar. Und das ist Gänseleber in frischer Ware und nicht in konservierter Ware. Atmo Vogelgezwitzscher Musik aus Sprecher: Wie konserviert wirkt dagegen das Brucker Holt-Viertel im Bredeneyer Westerwald. O-Ton Heike Derichs-Weiss Das ist ja irre. Das ist ja ganz irre! Sprecher: Immer wieder ist Taxiunternehmerin Derichs-Weiss begeistert, wenn sie Kunden in dieses Nobelviertel fährt. Auf den Baumbestandenen Straßen begegnet ihr nur selten ein anderes Auto. Im Schleichgang kann sie dann die Pracht der großen Villen an sich vorbeiziehen lassen. Hinter hohen Hecken glänzen ihre Dächer mit Erkern und aufgesetzten Pavillons. Es sind die teuersten Häuser von Essen. Viele von ihnen so viel Wert wie ein Niedriglohnarbeiter in seinem ganzen Leben nicht verdient. O-Ton Heike Derichs-Weiss Was Rang und Namen hat, die wohnen schon ganz gerne hier. Weil es ist ein schönes, weit gezogenes Villenviertel, wo man auch genau weiß, dass der Nachbar nicht zu Krethi und Plethi gehört. Sprecher: Essens Einkommensmillionäre zieht es Ins Bermudadreieck zwischen den südlichen Stadtteilen Kettwig, Werden und Bredeney. Und besonders viele hierher. Oberhalb des Baldeneysees, neben Wald und Wiesen - ein paar Fahrminuten zur Düsseldorfer Kö. Eifelhang, Zeißbogen - Schon die Straßennamen klingen nach Ruhe und Entspannung. Die Stauders, Albrechts und auch den verstorbenen KruppPatriarchen Berthold Beitz - sie alle zog es hierher. O-Ton Heike Derichs-Weiss Wir müssen mal sehen, wo wir das überhaupt sehen können... Sprecher: Doch gerade das wollen diese Bewohner nicht. Wer hier lebt, will seine Ruhe. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 6 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Während Kameras und Sprechanlagen alles sehen und hören, was sich draußen tut, versperren Mauern und Stahltore den Blick hinein. Atmo Hundegebell Sprecher: Ab und zu bellt ein Hund dahinter. Doch bleibt er genauso unsichtbar wie sein Halter. O-Ton Heike Derichs-Weiß/Albrecht: Also, hier ist es ziemlich zu. Du siehst eine hohe Hecke, ein riesengroßes Tor. Weil, die Albrechts, die wollen auf jeden Fall für sich sein. Sprecher: Wie alle andern hier. O-Ton Schöne und Reiche Die Schönen und Reichen wollen ja Privatsphäre. Deshalb haben die sich ja auch mit Sicherheit in eine idyllische Straße zurückgezogen. Und du hast hier zu manchen Villen ein großes schmiedeeisernes Tor und einen langen Anfahrtsweg. Atmo Vogelgezwitscher Sprecher: Weit weg von hier der Norden mit seiner Armut. Weit weg der Familientisch der Caritas. Musik: „Unleashed du Lac“ Atmo Familientisch O-Ton Silke Michel Es ist hier so, dass wir einen Raum schaffen, der Begegnung möglich macht unter den Familien, die sich ja häufig selber in Problemlagen befinden und da einen Austausch miteinander finden können. Musik aus Sprecher: Silke Michel vom Sozialdienst Katholischer Frauen in Essen sieht mit Sorge: Die Armut wird immer weiblicher. Nur wenige Männer löffeln ihre Suppe an den Vierertischen zwischen all den Frauen und Kindern. Kein Zufall: Die Hälfte aller in © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 7 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Armut lebender Kinder wächst in Deutschland bei Alleinerziehenden auf. Meist bei den Müttern. Michel und ihr Team hören ihnen zu und reagieren. O-Ton Silke Michel Aktuell beispielsweise bieten wir zum Thema Schulden etwas an. Auffällig geworden ist, das Ganze dadurch, dass leider einige Frauen hier mit demselben Problem zu kämpfen hatten, dass sie in die JVA mussten, weil da eben ganz viele Schwierigkeiten zusammengekommen sind. Musik: „Unleashed du Lac“ Sprecher: 40 Prozent der Deutschen haben kein Vermögen, um schlechte Zeiten auszubügeln. Sie sind zu lange arbeitslos. Oder arbeiten für zu geringe Löhne. Im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten sind die heute weit weniger wert als noch vor 15 Jahren. Nach durchgesickerten Zahlen aus dem im Januar 2017 noch nicht veröffentlichten Armuts- und Reichtums-Bericht der Bundesregierung waren im Vorjahr über zwei Millionen Haushalte überschuldet. Größtenteils unverschuldet: Es kommt zu wenig Geld rein, um ein Mindestmaß an Leben zu finanzieren. Schon eine kaputte Waschmaschine oder eine Krankheit kann in so einem Haushalt alles zum Kippen bringen. Auch das Selbstbewusstsein, weiß Silke Michel: Musik aus O-Ton Silke Michel Es ist auch das Management mit dem Geld. Es sind persönliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es manchmal zu stärken gilt. Man befindet sich dann schnell in einer Spirale. Musik: Schneider Blues Rockband Dude Song „Jetset“ Sprecher: Jährlich singt Ulrich Schneider den Blues - nicht nur in seiner Band „Dude“. Der Chef des Paritätischen Gesamtverbands warnt: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer. Ungleichheit bedroht den Sozialfrieden in Deutschland. Dabei blüht die Wirtschaft - ungeachtet weltweiter Unsicherheiten. Um 1,8 Prozent wuchs sie 2016. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 8 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Und auch für die absehbare Zukunft sagen die Experten unterschiedlichster Institute Wachstum voraus. Doch Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin mahnen: Das Wirtschaftswachstum könnte bedeutend größer sein. Die zunehmende Ungleichheit schmälert es um mehrere Milliarden Euro. Eine Studie im Auftrag der Friedrich Ebert Stiftung ergab: Weil die Schere bei den Einkommen seit einem Vierteljahrhundert immer weiter aufgegangen ist, lag das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2015 um knapp 50 Milliarden Euro niedriger als es bei gleichbleibender Verteilung der Fall gewesen wäre. Der Grund: Die Einkommensschere bremst den privaten Konsum. Außerdem investieren die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen weniger in Aus- und Weiterbildung. Das, so die Studie, bremst auf lange Sicht Produktivität und Bruttoinlandsprodukt aus. Der Arbeitsmarkt sei einfach zu zerrüttet, kritisiert der Chef des Paritätischen Gesamtverbands, Schneider: Musik aus O-Ton Schneider Wir haben insbesondere durch die Agenda-Reformen einen starken Anstieg im Niedriglohnsektor-Bereich geschaffen. Wir haben dafür gesorgt, dass man leichter befristete Arbeitsverträge vergeben kann. Wir haben dafür gesorgt, dass die Leiharbeit in Deutschland geradezu explosionsartig zugenommen hat. Und damit ist das, was wir heute in Deutschland an Spaltung und Armut erleben natürlich auch ein Produkt politischer Entscheidungen. Das Positive daran ist: Weil es so ist, haben wir die Möglichkeit, es auch wieder zu korrigieren. Sprecher: Erste Korrektur, so das Parteimitglied der Linken: Eine Reform von Hartz4. Und zwar so, dass jeder eine Chance hat, mit seinem Geld über den Monat zu kommen. O-Ton Schneider: Nach unseren Berechnungen wären das im Moment 520 Euro plus Wohnkosten. Sprecher: Momentan bekämen gerade mal ein Drittel aller Arbeitslosen auch tatsächlich noch Arbeitslosengeld 1. Der Rest bezieht Hartz4 oder muss damit aufstocken, weil es © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 9 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? hinten und vorne nicht reicht. Und auch dieses Geld gibt es nur mit bestimmten Auflagen. O-Ton Schneider Man muss darüber hinaus die Sanktionen abschaffen, diese sind glaube ich nicht mehr in irgendeiner Form legitimiert bei der heutigen Arbeitsmarktsituation. Sprecher: Fast ein Drittel der offenen Stellen, die die Bundesagentur für Arbeit vermittelt, sind Niedriglohnjobs im Leiharbeitsbereich. Auch die jahrelange Kritik von Armutsexperten hat daran bis heute nichts geändert. In solchen Billigjobs kann keiner von der Stelle kommen, ärgert sich Schneider. O-Ton Schneider Wir brauchen viel bessere öffentlich geförderte Beschäftigung, viel mehr Anstrengungen für Bildungsmaßnahmen – gerade für Alleinerziehende in Hartz4 – um Menschen sanktionsfreie Hilfen anzubieten. Sprecher: Der Sozialstaat habe sich arm gespart, um zu überleben. Auf Kosten eines Großteils der Bevölkerung. Allen voran Arbeitslose, Rentner und ganz oben: Alleinerziehende: O-Ton Schneider: … und der allergrößte Teil von ihnen ist in Hartz4. Man muss sich das mal vorstellen: Von den 1,9 Mio Kindern in Hartz4 sind eine Mio Kinder von Alleinerziehenden. Und das ist ne Gruppe, bei der in den letzten Jahren nochmals richtig reingekürzt wurde: Es wurde das Kindergeld voll angerechnet, es wurde das Erziehungsgeld gestrichen für Alleinerziehenden Hartz4, indem man auch hier den Sockel voll anrechnet. Das heißt: Ihnen wurde das Leben eigentlich immer schwerer gemacht. Sprecher: Und noch eine Statistik vom Jahreswechsel 2016/2017. Eine EU-Untersuchung spricht davon, dass in Deutschland 1, 7 Millionen Kinder unter 16 Jahren von Armut betroffen waren. Noch im Sommer war gar von knapp 2,3 Millionen armer Kinder die Rede - nach einer anderen Methodik damals. Viele Studien gibt es, oft auch schnelle © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 10 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Interpretationen. Dabei ist vieles nicht oder nur schwer vergleichbar, international muss vielen Besonderheiten Rechnung getragen werden. Musik: „Unleashed du Lac“ Sprecher: Jenseits aller Methoden und Statistiken bleiben die Geschichten einzigartig und doch oft gleich. Wie die von Janine. Das Viertel, in dem sie lebt, ist voll von Alleinerziehenden. Der Norden ist der Teil von Essen mit dem größten Kinderreichtum und gleichzeitig der mit der größten Kinderarmut der Region. Reichtum und Armut, diese Begriffe haben mit vielen Statistiken eines gemein: sie beschreiben die Wirklichkeit nur ungefähr. Und je nach Gebrauch, können sie mehr verwirren als erklären. Musik aus Atmo Küche Sprecher: Was ist schon Armut, wenn man Kinder hat. Kinder sind Reichtum, sagt die Mutter, die gerade in der Küche des Caritas-Familientischs beim Spülen hilft. Doch sie weiß auch: Kinder können arm machen. Denn in unserer Gesellschaft gibt es Zwänge. Zum Beispiel die, die Armut nicht zu zeigen. O-Ton Janine Man hat einen gewissen Druck dann auch als Eltern. Weil man will ja auch nicht, dass die Kinder im Kindergarten untergehen, man will auch nicht, dass die da Außenseiter werden. Und aus dem Grund gibt's dann viele, die wie ich auch den Zwang verspüren, dann den Kindern Sachen zu kaufen, die in der Mode sind aber wir müssen dann auf andere Sachen halt verzichten. Sprecher: Das Schlimmste, findet sie: Wenn Gleichaltrige ihren Kindern ansehen, dass sie von Hartz4 leben. Sichtbare Armut sei ein Nachteil. Das geht vielen Kindern in ihrer Nachbarschaft so, erzählt Janine: O-Ton Janine: Die werden gemobbt. Also die werden beleidigt. Das fängt ja klein an. Dann wollen sie nicht mehr in die Schule gehen, weil die Eltern können denen das © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 11 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? einfach nicht leisten, wie Schuhe oder Pullover oder wat auch immer jetzt momentan halt in ist. Oder ob dat dat Handy is. Und aus dem Grund werden sie dann gemobt, wollen dann nicht in die Schule, haben dann die Fehlstunden und irgendwann auch n schlechteren Abschluss. Was jetzt gar nichts damit zu tun haben muss, dass das Kind nicht gerade schlau ist. Musik: „Unleashed du Lac“ Sprecher: Janine spricht genau das aus, was Ökonomen und Soziologen im Fachjargon nicht besser ausdrücken: Armut produziert Chancen-Ungleichheit. Und Janine stimmt ihnen zu, wenn sie sagen: Armut macht krank. O-Ton Janine Die Markenschuhe von den Kindern. Weil ich selber immer drauf achte, dass die Kinder ein gesundes Schuhwerk haben und ich der Meinung bin: Egal, ob man jetzt Hartz4-Empfänger ist oder sonstiges - Viele gibt es ja dann auch, die dann Rückenschmerzen haben. Oder Kinder, die dann halt krumm gehen. Und das kommt alles von Armut. Musik aus Sprecher: Wieviel Paar Schuhe ihre zwei Jungs haben? Öznur könnte es aus dem Kopf gar nicht sagen. O-Ton Nee, weiß ich nicht. So viele haben wir nicht immer gleichzeitig, weil die werden immer so schnell abgelaufen. Die spielen viel Fußball. … ich sag mal mit Fußballschuhen 5, 6 Paar und dann, wenn die kaputt gehen, bekommt man halt neue. Musik: „Nimmerland Waltz 2“ Sprecher: Über Geld muss die Mittvierzigerin dabei nicht nachdenken, davon spricht ihr elegantes Wohnzimmer, in das Öznur zum Espresso einlädt. Stilvolle Möbel italienischer Designer, freier Blick in den gepflegten Garten durchs große Fenster. Kein Autolärm dringt von der Straße ins Haus. Das Wohnviertel in Bredeney zählt zu © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 12 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? den besten in Essen. Kinder radeln auf den verkehrsberuhigten Straßen zwischen gepflegten Vorgärten der Ein- bis Zweifamilien- Häuser. Direkt vor der Tür ein Wäldchen - ein Katzensprung zur Villa Hügel des Industriemagnaten Krupp. Und gleich daneben der Baldeneysee. Öznur und ihre Familie fühlen sich wohl. Der ältere Sohn steht kurz vor dem Abitur und macht gerade seinen Führerschein. Der jüngere feiert bald seinen zwölften Geburtstag. Fußballschuhe und ein iPhone - Wünsche, die für Öznurs Familie völlig im Rahmen sind. Im Alltag muss nicht viel gerechnet werden. Urlaub gehört mehrmals im Jahr dazu: Musik aus O-Ton Wenn's geht, alle Ferien. Also bis auf die Weihnachtsferien 2-3mal im Jahr. Sprecher: Manchmal denkt Öznur schon darüber nach, dass dieser Luxus für ihre Söhne völlig normal ist. O-Ton Weil sie das von Anfang an kennen. O-Ton …die sagen jetzt aber nicht, dass sie sich finanziell reich fühlen, das nicht. Das kommt denen normal vor. Sprecher: Öznurs Mann ist selbstständig. Die gelernte Chemielaborantin und Chemotechnikerin hat vor ein paar Jahren auch wieder angefangen zu arbeiten. Nicht, weil sie das Geld brauchten. Sondern weil sie Lust dazu hatte. Teilzeit - das war für sie ganz klar. O-Ton Weil ich halt mehr Zeit für die Kinder haben möchte. Nachmittags mit Hausaufgaben und Nachhilfe, was auch immer ansteht. Atmo Öznur über Freisprechanlage im Auto/Gespräch mit ihrem Sohn Sprecher: Öznur ist viel im Auto unterwegs, Fahrten zum Fußball-Training. Fahrten zur Nachhilfe … © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 13 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Atmo: Mutter und Sohn unterhalten sich über den bevorstehenden Elternabend. Musik: „Nimmerland Waltz 2“ Sprecher: Vielleicht werden Öznurs Söhne mal studieren, gern auch im Ausland. Möglich ist alles. Musik: „Time Log Part 1“ Sprecher: Auf der anderen Seite der A40 haben die wenigsten Eltern Geld für Nachhilfestunden. Atmo Straße Sprecher: Altenessen. Der Stadtteil hat es in sich. Jedes dritte Kind wächst mit staatlicher Unterstützung auf. Viele mit nur einem Elternteil. Der günstige Wohnraum zieht alle an, die wenig haben. Hartz4-Empfänger, Migranten aus dem Libanon oder aus Osteuropa. Sie leben in graubraunen Arbeiterblocks aus den 1960ern. Zerbrochenes Glas und dicker Staub – Viele dunkle Fensterfronten zeugen davon, dass hier viel frei ist. Und weg wollen die meisten. Sprecher: Bierbuden, Dönerläden und der Dreiklang der großen Lebensmittel-Discounter locken Kunden mit schmalem Budget. Sogar zur letzten Ruhe geht es in Altenessen günstig. Ein Bestatter wirbt mit „Sale“. Ausverkauf auch auf dem allerletzten Weg. Sprecher: In einem Hinterhof sticht ein weißer Neubau aus der trüben Hausmasse heraus: "Lernhaus" steht in bunten Lettern drauf. Ein kleines Sprungbrett für den Weg aus der Armut. Wer in der Einrichtung des Essener Kinderschutzbunds einen Platz bekommt, lernt, dass es sinnvoll ist, zu lernen. Musik aus Atmo Lernhaus Essen: Geschirrklappern, Tische verrücken Sprecher: Franziska Engels weiß: Sie muss eingreifen, bevor der Lärmpegel ein gewisses Maß © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 14 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? überschreitet. Sonst wird es chaotisch. Die Pädagogin und ihr Team müssen 20 Kinder in Schach halten, die nach der Grundschule hierher kommen. Gerade haben sie ihr Mittagessen beendet. Jetzt machen sie Hausaufgaben. Die Tische werden zu Viererblöcken zusammengeschoben. Der Speiseraum verwandelt sich binnen Minuten in mehrere abgeteilte Klassenzimmer. Auch Computer stehen bereit. Tafeln oder Trennwände mit angepinnten Wort- oder Rechen-Kärtchen schaffen Raum für Lerngruppen von maximal acht Schülern. Jede wird von einem Helfer betreut. Atmo Lernhaus: Hausaufgaben, Kinderstimmen Sprecher: Die Rechnung im Lernhaus geht so: Lernen sozial abgehängte Kinder wieder, mit Spaß zu lernen, kann es ihnen besser gelingen, den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen, erklärt der Leiter des Essener Kinderschutzbunds, Martin Hollinger. Das kostenlose Konzept reicht vom freien warmen Essen über Hausaufgabenhilfe bis zur Freizeitbetreuung. Die Mitarbeiter sind konstante Partner der Kinder. Ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Ghettoisierung dieser Viertel, weiß Hollinger. Diejenigen, die es sich leisten können, ziehen weg: O-Ton Hollinger Ziehen in den Essener Süden und letztendlich bleiben dann die Ärmsten der Armen über. Wir haben keine Durchmischung mehr. Sprecher: Jedes vierte Kind in Altenessen wächst mit nur einem Elternteil auf. Oft müssen ältere Geschwister Aufgaben der Eltern übernehmen. O-Ton Hollinger In ganz harten Fällen kommt es vor, dass sie die Eltern sogar wecken - für die kleinen Geschwister das Frühstück machen. Zur Schule bringen, abholen, also die komplette Erziehungsarbeit… Sprecher: Viele Eltern sind so beschäftigt mit ihren eigenen Problemen - Sie sehen keine Möglichkeit ihre Kinder zu fördern. Haupterzieher ist oft der Fernseher oder das Internet. Die Mehrheit der Kinder aus den ärmsten Haushalten sei einfach sich selbst überlassen, klagt Pädagogin Engels: © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 15 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Atmo Lernhaus/Hausaufgabenbetreuung O-Ton Engels Also das fängt schon damit an, dass es ihnen an Arbeitsmaterialien fehlt - also bei den grundlegenden Sachen. An Schreibmaterial, an Heften für die Schule. Aber auch natürlich daran, dass sie nicht die neusten Sportschuhe haben, die alle andern haben in der Klasse. Oder dass die in den Ferien nicht die großen Ausflüge machen können, die andere Kinder jetzt zum Beispiel mit ihren Eltern machen. Sprecher: Die einen reagieren mit Aggression. Andere spornt es an, beobachtet Engels. O-Ton Engels Und da haben wir jetzt auch schon einige, die Abitur machen und die Abitur gemacht haben. Und die studieren möchten und die haben auch ganz konkrete Ziele. O-Ton Engels Die sagen: ich möchte hier auch aus Altenessen raus und ich möchte studieren und Arzt werden - oder solche Berufe ergreifen. Sprecher: Franziska Engels kennt das. Sie selbst ist unter schwierigen Bedingungen gestartet Daher weiß sie auch: Würde sie die Kinder fragen, fühlst du dich arm, würde erstmal keiner sagen ja. Den Blick auf den Süden kennen sie nicht. Armut schmort im Norden im eigenen Saft. Atmo A 40 Musik: “Time Log Part 1“ Sprecher: Der Sozialäquator trennt auch die Wahrnehmung. O-Ton Engels Weil, die sind einfach härter im Nehmen. Das, was wir von außen als arm empfinden, empfinden die selber gar nicht so, weil die nur davon umgeben sind. Die wohnen in Altenessen, dem Nachbarn geht's genauso oder den Nachbarskindern. Allen, die hierhin kommen, die in die Schule gehen. Meistens © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 16 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? haben die alle das Gleiche mitbekommen von Zuhause. Sprecher: Pädagogin Engels sieht jetzt schon Probleme für viele, die irgendwann aus dem Viertel rausmüssen. O-Ton Engels Wenn die auf die weiterführenden Schulen kommen. Da kommen so viele Kinder aus verschiedenen Stadtbezirken zusammen. Das ist einfach ein himmelweiter Unterschied. Ob man mit Kindern arbeitet, die hier aus Kettwig oder Werden oder Burgaltendorf kommen oder ob man hier in Altenessen, Karnap die Kinder betreut. Atmo A 40 Sprecher: Je weiter nördlich, desto niedriger das Selbstwertgefühl. Franziska Engels kennt das aus ihrer eigenen Studienzeit. O-Ton Engels Die meisten, die Lehramt studieren, haben auch Lehrereltern und ich nicht. Und oft zweifelt man dann doch an sich selbst. Mehr als vielleicht andere. Also im Nachhinein hat mir das mehr geholfen, das zu werden, was ich heute bin, als daran zu verzweifeln. Und das möchte ich den Kindern auch mitgeben: Du hast nicht die besten Bedingungen. Aber mach das Beste draus. Musik aus Sprecher: Damit es den Kindern mal besser geht als ihren Eltern. Dieser Wunsch ist längst nicht mehr realistisch, kritisiert der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, Marcel Fratzscher. Den wenigsten Deutschen gelinge es heute, sich einen höheren Lebensstandard zu erarbeiten als, den, in den sie hineingeboren wurden. Konnten in den 1990ern noch mehr als die Hälfte der einkommensarmen Menschen ihr Gehalt so stark verbessern, dass sie der Armut entflohen, schafft das heute nur noch weniger als die Hälfte, schreibt Fratzscher in seinem Buch "Verteilungskampf". © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 17 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? O-Ton Fratzscher: Die Ungleichheit in Deutschland steigt - nämlich bei Einkommen, bei Vermögen aber vor allem die Chancenungleichheit - nämlich für Kinder aus sozialschwachen Familien wird es schwieriger einen guten Bildungsabschluss zu bekommen, ne gute Ausbildung, n guten Job und letztlich auch ein gutes Einkommen. Sprecher: Die reichsten zehn Prozent besitzen zwei Drittel des Vermögens, die ärmere Hälfte hat dagegen praktisch nichts oder ist hochverschuldet. Die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommen klafft nach Analyse von Fratzschers Institut immer weiter auseinander. Als eine Folge schrumpft die Mittelschicht. Konnten zu Beginn der1980er Jahre noch 65 Prozent der Einkommen zur Mitte gezählt werden, sind es heute fast zehn Prozent weniger. Auf der einen Seite wachsen die Gehälter der Besserverdiener. Auf der anderen boomt die Zahl der Arbeitsplätze mit Mindestlohn oder Teilzeitstellen. Laut Bundesarbeitsministerium verdiente noch im Herbst 2016 jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland weniger als zehn Euro die Stunde. Die Löhne dieser Niedrigverdiener werden seit 16 Jahren immer weniger wert, klagt Fratzscher. Das Schlimmste aber sei: Es gibt keine Chancengleichheit. In kaum einem europäischen Land beeinflusse die soziale Herkunft die Aufstiegschancen so sehr wie in Deutschland, meint der DIW-Chef: O-Ton Fratzscher: All das, was wir heute wissen - aus vielen Studien ist, dass die ersten sechs Lebensjahre eines Menschen entscheidend sind, was aus diesem Menschen wird. Was er für ne Bildung, Ausbildung bekommt. Was er für' n Job hat, die Gesundheit - also das zieht sich durch das ganze Leben durch. Musik: „Nimmerland Waltz 2“ Sprecher: Hans hat einfach Glück gehabt. Er ist auf der richtigen Seite der A40 geboren. O-Ton Hans gibt Kommando: Alexa spielt Beatles © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 18 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Musik: Octopus’s Garden“ Sprecher: Ein sprachgesteuerter Roboter bespaßt die dreiköpfige Familie in ihrem mit Gemälden drapierten und feinsten italienischen Beleuchtungskörpern illuminierten Hightech-Bungalow. Von der Straße ist er nicht einsehbar. Hinter der hohen Hecke liegt ein kleines Paradies. Ein Garten mit Teich und vielen Skulpturen. Selbst die Hecken sind wie Designersessel geformt. In der schmalen Zufahrt parken ein Porsche, ein BMW und ein Motorrad. Ein Stellplatz des Dreifach-Carports ist gerade leer. O-Ton Alexa Mach lauter! Sprecher: Hans hat es sich verdient, sagt er. Der Mediziner und seine Frau, die PsychologieProfessorin ist. Aus eigener Kraft haben sie sich Wohlstand geschaffen. Hans‘ Vater war Schreiner. Hat sich hochgearbeitet. Hat Innenarchitektur in der Essener Folkwang-Schule dazu gelernt. Neugierde und Bildungshunger – das habe Hans von seinem Vater geerbt. O-Ton Hans Homer Der hat mit mir Latein gesprochen, obwohl er nie Abitur gemacht hat. Das war für mich immer sehr faszinierend. Und Homer konnte er auch zitieren. Sprecher: Weiterkommen. Mit den eigenen Händen. Dem eigenen Kopf. Das habe ihm der Vater beigebracht, sagt Hans. Als er selber Medizin studierte, wollte er das daher ohne seine Eltern schaffen. Sein Studium finanzierte er mit einem leistungsorientierten Stipendium. Musik aus O-Ton Hans Meine Eltern haben das Geld, was sie für die Ausbildung hätten zahlen müssen, in eine Art Konto eingezahlt. In eine Art Fonds. Das konnte ich dann nutzen, um am Ende des Studiums das Geld für bestimmte Investitionen zu nutzen. Erst in Aktien. Und dann in Immobilien. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 19 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Sprecher: Sein erstes Haus hat Hans von ihnen geerbt. O-Ton Und aus diesem einen Haus ist dann, weil ich Erziehungsurlaub gemacht hab, mit Zeit im Erziehungsurlaub mit der Zeit noch ein etwas größeres geworden. Sprecher: Und noch eins und noch eins. Zwölf Häuser besitzt der Arzt inzwischen. Teils stehen sie in der Toscana. In seinem Job gehört er zu den Spitzenverdienern. Doch seine Sprechstunde macht Hans nur noch, weil er Lust darauf hat. Das Honorar ist ein Klacks im Vergleich zum siebenstelligen Vermögen, das Hans am Finanz- und Immobilienmarkt vermehrt. Zusammen mit dem Professoren-Gehalt seiner Frau. Aber reich, lacht Hans… O-Ton Hans …Reich sind immer die anderen. O-Ton Hans Ich lebe hier im Verhältnis zum Essener Norden wie in einem andern Kosmos. Es gibt hier solche prekären Verhältnisse nicht. Das hängt aber auch damit zusammen, dass auch hier die Menschen sich daran orientieren, was der nächste ist. Was der Nachbar macht. Und wie die Gemeinschaft hier in dieser Wohngegend aufgestellt ist. Musik: „Impulsion“ Sprecher: Hans‘ Sohn Benedikt studiert Wirtschaft. Der Vater sieht es als seine Aufgabe, ihm beizubringen, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen. Eines Tages wird Benedikt dann trotzdem das Vermögen seiner Eltern erben. Mit mehrstelligen Millionenbeträgen im Rücken und guter Bildung wird er ins Berufsleben starten. Der heute 21-jährige wird einer der Glücklichen sein, in der Dekade der Erbengesellschaft. Sie wird Deutschlands Vermögensverhältnisse noch einmal mehr verändern, warnen Experten. Die Vermögensabteilungen der deutschen Banken rechnen damit, dass in den kommenden Jahren bis zu viertausend Milliarden Euro weitergereicht werden an die Erbengeneration. Denn, so das Deutsche Institut für © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 20 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Wirtschaftsforschung: Noch nie in der Geschichte des Landes waren die Privatvermögen so groß wie heute. Noch nie wurde durch die lange Zeit ohne Krieg so viel an die nächste Generation weitergegeben. Das wiederum gefährdet den sozialen Frieden. Denn während wenige immer mehr erben, schauen Kinder wie die der Alleinerziehenden Hartz4-Empfängerin Janine im Norden der A40 in die Röhre. Auch sie werden erben: die Armut. Laut Statistik wird sie größer, diese Generation der Armen in Deutschland. Doch das Paradoxe: Laut Statistik gehört auch Hans‘ Sohn und der künftige Millionenerbe Benedikt dazu. Denn wenn der Student in wenigen Wochen in eine Wohngemeinschaft zieht, wird er für eine Weile in den Armutsbericht der Bundesregierung eingehen: als armutsgefährdet. Mit einem offiziellen Budget von 900 Euro im Monat. Musik aus O-Ton Hans kommandiert Sprachcomputer Alexa Alexa: Erzähl einen Witz…. Atmo A 40 Sprecher: Das, was die Statistik der Bundesregierung misst, hat nichts mit Menschen zu tun, die hungern und sich ihr Geld mit Flaschensammeln verdienen, meint Judith Niehues, Verteilungsexpertin am Arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Da solche – sogenannte absolute - Armut im Wohlfahrtsstaat praktisch überwunden ist, wird der Armutsbegriff bei uns relativiert, erklärt sie: O-Ton Relative Armut, also das sind die, die von Armut bedroht sind. Das wird immer bemessen an dem mittleren Einkommen der Gesellschaft. Also an dem Einkommen, was die Gesellschaft in zwei Hälften teilt. Sprecher: Wer lediglich 60 Prozent dieses Einkommens der Mitte hat oder gar weniger, der gilt demnach als armutsgefährdet. Ein Single ist das mit 979 Euro im Monat. Bei zwei Erwachsenen mit zwei Kindern unter 14 Jahren liegt der Schwellenwert bei rund 2000 Euro. In Deutschland betrifft das rund zwölfeinhalb Millionen Menschen. Die Crux an diesem Maß: Die Statistik zählt jeden, der einen Haushalt hat. Den © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 21 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Studenten in Duisburg, der von 8-900 Euro lebt und trotzdem viel Reichtum im Rücken hat. Genauso wie die Rentnerin, die sich ihre Rente von knapp 600 Euro mit 83 Jahren noch immer mit drei Putzstellen aufbessern muss. Weil sie ihr Leben lang niedrige Sozialbeiträge eingezahlt hat. Solch eine Statistik verzerrt das Bild, warnt der Generalsekretär des Caritas-Verbands, Georg Cremer: O-Ton Cremer: Ich finde es richtig, ein Maß zu haben, was die Menschen mit geringem Einkommen misst an der Mitte der Gesellschaft. Und das ist in einem reichen Land eben was anderes als in Afrika. Und dann sind 15% so definiert im Armutsrisiko. Nur, was das Problem ist: Der relative Begriff und die absolute Armut werden munter durcheinander geworfen. Jeder Zeitungsartikel, der über diese Zahl berichtet, hat ein Bild von Wohnungslosen oder von Flaschensammlern. Sprecher: Armutspolemik bringt uns nicht weiter, sagt Cremer, der sich hauptberuflich für die Armen einsetzt. Im Gegenteil: Panische Überzeichnungen befördern die Angst in der Mittelschicht. Sie sorgen für Scheuklappen und Abschottung. Bis hin zur Politikverdrossenheit. Ein Vorwurf, den der Chef des Paritätischen Gesamtverbands, Schneider, nicht gelten lässt: O-Ton Schneider Dafür - und darauf weisen wir immer hin - sind in den Statistiken z. Bsp. keine Obdachlosen enthalten. Keine Sozialhilfebezieher in Pflege- oder Behindertenheimen. Und nicht mal Flüchtlinge in Aufnahmeeinrichtungen sind in dieser Statistik enthalten. Das heißt: Wenn man all die raus rechnen würde, die vielleicht zu Unrecht in diese Statistik fallen, würde aber alle reinnehmen, die dringend rein gehörten, dann wäre die Zahl der Armen wahrscheinlich noch höher. Sprecher: Und der Streit von Ökonomen und Sozialforschern unterschiedlichster politischer Farbe noch größer: Denn selbst, wenn dieses Land nur aus BugattiFahrern und Milliardären bestehen würde: Nach der EU-weit gängigen 60-Prozent© Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 22 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Rechnung fiele immer ein Teil unter die Grenze des Armutsrisikos. Kommen reiche Leute dazu, so schaffen sie damit in der Statistik automatisch mehr Armut. Die Quote sinkt dagegen, wenn alle ärmer werden. Andere Statistiken rechnen wieder anders. Danach ist der Anteil der Bevölkerung, der unter Bedingungen „erheblicher materieller Deprivation“ lebt, so kann man Armut auch beschreiben, zuletzt sogar geringer geworden. Die Armut in Deutschland geht danach zurück. Sozialwissenschaftliche Spitzfindigkeiten und Methodenstreitereien verzerren die Wirklichkeit – so wie auch die Wahrnehmung von Armut sehr unterschiedlich sein kann. Atmo Diskussion mit Judith Niehues Sprecher: Verteilungsexpertin Niehues erlebt das regelmäßig, wenn sie Sprecher: – landauf, landab - mit Menschen über alle Aspekte von Arm und Reich diskutiert: Sprecher: Zu ihren Lieblingsstellen gehört dann die, an der die promovierte Volkswirtin ihrem Publikum erklärt, dass viele darunter zu den Reichen gehören: O-Ton Judith Niehues Da gehört man zu als Single, wenn man 3200 Euro netto zur Verfügung hat. Das klingt natürlich für die meisten schwer erreichbar, aber wenn man jetzt zum Beispiel in einem Paarhaushalt ohne Kinder lebt, dann muss man nicht das Doppelte zur Verfügung haben, um diesen Lebensstandard zu erreichen also man braucht ja keine zwei Wohnzimmer, nicht unbedingt zwei Bäder usw. - und als Paar ohne Kinder gehört man mit 4800 Euro netto zu den reichsten zehn Prozent. Sprecher: Jedes mal blickt Niehues dann auf schüttelnde Köpfe. O-Ton Judith Niehues Wenn ich erkläre, ab wann man eben zu den obersten 10 Prozent gehört oder auch zur oberen Mittelschicht - also einfach zum besserverdienenden Teil der Gesellschaft - dann hab ich ganz häufig die Erfahrung, dass die Leute das © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 23 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? einfach gar nicht glauben können. Sprecher: Die Verteilungsexpertin erklärt sich das so: O-Ton Judith Niehues Weil sie sich eher mit Leuten vergleichen, mit denen sie auch etwas zu tun haben - also mit ihrem Umfeld. Die meisten bewegen sich immer in sehr homogenen Umfeldern - also Akademiker haben viel mit anderen Akademikern zu tun. Und deswegen ist ihre Referenz - also woran sie sich bemessen, nicht der Durchschnitt der Gesamtgesellschaft, sondern der Durchschnitt ihres Umfelds. Und der liegt bei Akademikern natürlich deutlich höher und somit nehmen sie quasi das Durchschnittseinkommen ihres Umfelds als Durchschnitt der Gesellschaft an. Und dadurch unterschätzen sie einfach ihre Position in der Gesellschaft. Sprecher: Schmoren im eigenen Saft. Auch andersrum sei das der Fall: Wer arm ist, sieht sich nicht immer als arm. O-Ton Judith Niehues Sie wohnen ja auch oft in Gebieten, wo eher ebenfalls ärmere Menschen wohnen. Und deswegen haben sie wieder eine andere Referenz und fühlen sich gar nicht so arm. Und man sieht auch, wenn man jetzt die armen Menschen befragt, wo sie glauben, wo Reichtum beginnt - dann ist das natürlich viel niedriger als wenn man reiche Menschen fragt. Sprecher: Doch über ihr eigenes Geld sprechen die Deutschen nicht gern – Über Ungerechtigkeit hingegen schon. In fast allen Befragungen beklagen viele Deutsche durch die Bank: In unserem Land geht es einfach ungerecht zu. In einer repräsentativen Umfrage der Friedrich Ebert Stiftung gaben sogar 82 Prozent der Befragten an, dass der Wohlstand in Deutschland ihrer Meinung nach zu ungleich verteilt ist. O-Ton Judith Niehues Wenn es um Verteilung geht. Da kann natürlich jeder was mit anfangen. Jeder © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 24 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? hat da ne Meinung zu und das gibt dann schon Situationen, wo Leute ein deutlich sechsstelliges Gehalt haben und dann sagen sie: Ach die Reichen, die müssen auch wirklich mal stärker besteuert werden. Sonst kommt es hier bald zu sozialen Unruhen. Dann denk ich hmmm…. Atmo A 40 Musik: PA Sports: „100 Bars Legacy“ Sprecher: Zurück zur A 40. Dorthin, wo Nord und Süd zusammenfließen: Beim Essener Rapper PA Sports. Er kennt beide Seiten des Sozialäquators. Erlebte das behütete Zuhause im Süden, die Straße im Norden, den Knast, den Erfolg und den Reichtum. Nur eins kennt er nicht: Musik aus O-Ton PA Sports Ich bin gar kein Typ für Mitleid. Ich bin überhaupt keiner, der sagt: Ja, das sind jetzt die schlechten Gegenden und die ham keinen guten Job… Nein, nein, nein. Jeder Mensch ist seines eigenen Glückes Schmied. Es gibt Menschen, die wollen nicht. Die besitzen nicht den Horizont, um in ihrem Leben etwas zu bewegen. Sprecher: Über mangelnde Bewegung kann der erfolgreiche Musiker nicht klagen. Er hat so ziemlich alles erlebt auf der Skala zwischen arm und reich. Atmo Shisha-Bar Sprecher: Stolz wie ein König überblickt er sein neu errichtetes Imperium: Auf einem schwarzgoldenen Sofa auf einer Empore thront der Besitzer über seiner Shisha-Bar. O-Ton PA Sports Ja, also, dass ich mal so'n Laden eröffne oder es mal dahin bringe, hab ich mir eigentlich schon gedacht. Mein Ziel ist es natürlich, irgendwann mal 10 oder 20 so Läden zu haben. Wenn einem eine Sache im Leben klappt, dann zählt nur noch Disziplin und Ehrgeiz. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 25 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Sprecher: Die Phoenix Lounge ist eine Hochglanz-Shishabar. Vom Cocktail bis zur Wasserpfeife gibt es alles - im schicken Ambiente. Ungewöhnlich für diese Gegend am dunklen Rand von Oberhausen. O-Ton PA Sports Wir sind eigentlich in dieser Gegend in einem der schlimmsten Brennpunkte von NRW, vom Ruhrgebiet. Und ich bin immer noch hier und ich bin für die Menschen in dieser Gegend sowas wie ein Hoffnungsträger. Musik: PA Sports „100 Bars Legacy“ Sprecher: Der rappende Messias von Oberhausen. Er zeigt allen, wie man aufsteigt. Auch, wenn man ganz unten war. Welt verkehrt. Er hat den Sozialäquator umgedreht. Eine Geschichte, die in den vielen Sozialstatistiken nur schwer abgebildet werden kann. Aber eine Geschichte, die viel davon erzählt, wie sich Armut und Reichtum anfühlen. Auf beiden Seiten der A 40. Sprecher: Als Kind iranischer Einwanderer wuchs PA Sports im Essener Süden auf. Sprecher: Die Eltern sind Akademiker. Doch weil das iranische Diplom in Deutschland nichts galt, eröffneten sie einen Lebensmittelladen. Sie legten Wert auf die Bildung ihres Sohnes. Doch Rap ist die Musik des Ghettos. PA Sports zieht die Straße vor. O-Ton PA Sports Dann fängt' s an mit den ersten harmlosen Drogen, die man konsumiert. Dann wird's irgendwann mal verkauft, damit man sich ein paar Dinge leisten kann, die man sich von Zuhause aus nicht einfach so leisten kann. Und aus diesen Sachen heraus entstehen dann die echten Dinge. Sprecher: Drogen, Raub, Gewalt und unerlaubter Besitz von Waffen. Trotz des Starts im guten Süden geht es nach unten - ganz schnell. O-Ton PA Sports Dann bin ich irgendwann mit 20,21 im Gefängnis gelandet. Und dann hab ich © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 26 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? halt danach angefangen zu sagen, dass ich mich nur noch um meine Karriere und meine Musik kümmern möchte und damit abschließen will. Musik aus Sprecher: Man kann mich aus dem Ghetto nehmen, zitiert PA gern einen Kollegen. Aber nicht das Ghetto aus mir. Der 26-Jährige verschreibt sich der Vorbild-Rolle. Er weiß, was viele junge Menschen in den armen Vierteln seiner Stadt fühlen. Und er weiß, wie er sie motivieren kann. O-Ton PA Sports Dadurch, dass ich einen Laden hab und dadurch, dass ich ein schönes Auto vor der Tür stehen hab und dadurch, dass ich ne Firma mittlerweile hab - ich hab meine eigene Plattenfirma - da geb ich den Leuten die Hoffnung - auch vielen Jugendlichen, die immer noch damit beschäftigt sind, Scheiße zu bauen: Dicker hör doch mal auf! Zeig mal, dass Du Disziplin hast. Sprecher: Das schöne Auto vor der Tür ist ein getunter Mercedes der obersten Luxusklasse. O-Ton PA Sports Sowas wie ein Auto, Materialismus, eine Rolex-Uhr, ne dicke Goldkette für 10,15.000 Euro sind halt die Dinge, die Kids aus meiner Generation auf der Straße sehen und auch haben wollen. O-Ton PA Sports Vom Tellerwäscher zum Millionär - das ist kein Spruch, der auf Deutschland angewendet werden kann. Gibt's nicht. Es gibt nicht einen Tellerwäscher, der hier zum Millionär wurde, außer, wenn er mal im Lotto gewonnen hat, vielleicht. Musik „Impulsion“ Sprecher: Ein Lottogewinn, das wäre es nach Ansicht von Armutsexperten, wenn sie und die Politik endlich einen gemeinsamen Nenner finden würden. Um der wachsenden Ungleichheit zu begegnen. Und die existierende Armut realistisch beim Namen zu nennen. Denn die zwei Seiten der Medaille widersprechen sich nicht: Es gibt sie, die tiefe Armut - auch im reichsten Land Europas. Doch es gibt kein Indiz dafür, dass © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 27 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? finanzielle Armut bei uns wächst. Wohl aber soziale Armut. Wohl aber die immer ungleichere Verteilung des Reichtums. Im jährlichen Index der Bertelsmann Stiftung zur sozialen Gerechtigkeit belegt das reiche Deutschland lediglich Platz sieben – hinter den skandinavischen Ländern, den Niederlanden und Österreich. Deutschland hat europaweit mit 7,2 Prozent die niedrigste Jugendarbeitslosenquote. Und doch steigt bei uns das Risiko junger Menschen, arm zu werden. Und damit ihre Stimme zu verlieren, weiß der Kölner Soziologe Jürgen Friedrichs, Musik aus O-Ton Friedrichs Es ist geradezu verblüffend zu sehen: Je höher der Anteil der Sozialhilfeempfänger ist, desto höher ist der Anteil der Wahlverweigerung. Also der Nichtwähler. Und das ist natürlich ein großes Problem: Wenn diese Personen jetzt resigniert sind, weil sie meinen, keiner von denen, die sich da zur Wahl stellen, kann mir helfen. Sprecher: Natürlich handeln Politiker lieber im Sinne der Menschen, von denen sie sich ihre Stimme erhoffen. Im Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung für 2017 war dies auch zunächst ein Thema. Politische Veränderungen sind wahrscheinlicher, wenn sie von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt werden – hieß es mal in dem Bericht. Doch genau diesen Passus ließ die Regierung nach Medienberichten streichen. Bevor der Bericht in die letzte Ressort-Abstimmung gehen konnte. Dabei sagt er nur, was längst bekannt ist: Armut hat keine Stimme. Musik: “Unleashed du Lac” Sprecher: Die A 40 ist überall. Essens Sozialäquator in fast allen deutschen Großstädten präsent, sagt Soziologe Friedrichs, dessen Team die Spaltung unserer Metropolen intensiv untersucht hat. O-Ton Friedrichs Wenn sie eine Gesellschaft haben mit starken Einkommens- und - wie gerade in Deutschland - mit starken Vermögensunterschieden, also eine sozial © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 28 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? ungleiche Gesellschaft, werden sich die Haushalte auch ihrem Einkommen entsprechend mit Wohnraum versorgen. Das heißt, sobald Sie soziale Ungleichheit haben, haben Sie auch räumliche Ungleichheit. Sprecher: Sie führt dazu, dass in einem Stadtteil 80 Prozent die Oberstufe absolvieren und im anderen 20 Prozent. Atmo A 40 Sprecher: Führt dazu, dass in letzterem viele Hauptschulabsolventen leben – die das sechsfache Armutsrisiko von Abiturienten haben. Experten wie Friedrichs mahnen: Gerade Viertel mit vielen wirtschaftlich Benachteiligten brauchen daher auch bessere Schulen. Und: Mehr Menschen aus Armutsvierteln brauchen Zugang zu besseren Wohngebieten. Damit sich die Armut nicht weiter vererbt: Musik aus O-Ton Friedrichs9: Weil in den Gebieten mit hoher Armut - also hoher Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe-Empfängern - positive Rollenvorbilder fehlen. Ich sehe nicht genügend Leute, die morgens um halb sieben mit der Aktentasche auf der Straße sind und zur Arbeit streben. Ich sehe aber Klassenkameraden, die es in Ordnung finden, die Schule zu schwänzen und sich lieber auf der Straße rumzutreiben. Sprecher: Das Zementieren der Armutsviertel ist nicht nur ein wirtschaftliches Risiko für unser Land, warnen Ökonomen und Soziologen wie Friedrichs. Gespaltene Städte wie Essen sind eine Gefahr für die Demokratie, sagt DIW-Chef Fratzscher. Staatlich gelenkte Umverteilung der falsche Weg. Fratzscher : Viele sagen: Wir haben doch ne ganz tolle Marktwirtschaft. Die funktioniert. Der Staat verteilt viel um. Das ist sicherlich richtig, dass der Sozialstaat in Deutschland groß ist, aber es geht nicht darum, umzuverteilen und soziale Leistungen zu verteilen, sondern es geht auch darum, den Menschen Chancen © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 29 Dok 5 – Das Feature; 15.01.2017 Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? in ihrem Leben zu geben, mit der eigenen Hände Arbeit für sich sorgen zu können. Musik: „Impulsion“ Atmo A 40 Sprecher: Es ist mehr als nur eine Frage der Moral. Ungleichheit ist nicht nur ungerecht. Sie ist - emotionslos betrachtet - auch wirtschaftlich schlicht unvernünftig. Denn Ungleichheit bremst unser Wirtschaftswachstum. Das sagt nicht nur die zitierte Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sprecher: Der Sozialäquator spaltet. Im Ruhrgebiet heißt er A40. Doch nicht nur dort trennt er zwei Wirklichkeiten voneinander. Zwei Welten, die kaum noch Berührung miteinander haben. Eine Leistungsgesellschaft auf dem Weg zurück zum Ständestaat. Wer sich an die Ungleichheit gewöhnt wie an den Lärm einer Autobahn, stellt dem Sozialstaat ein Armutszeugnis aus. So wenig wie Lärmschutzwände das Rauschen einer Autobahn verhindern. So wenig hilft Polemik allerdings auch im Kampf gegen Armut weiter. Nicht die Schere zwischen Arm und Reich ist die Gefahr: Es ist die verzerrte Darstellung zweier Welten, die sich selber anders wahrnehmen als sie es gegenseitig tun. Zwei Welten, die wieder eine durchlässige Verbindungsstraße brauchen. Damit die Route am Schluss nicht wirklich das wird: Armut ohne Ende. ABSAGE Ärmer geht’s nicht. Reicher kaum. Wie scharf ist die Armutsschere wirklich? Ein Feature von Antje Passenheim Es sprach: Claudia Matschulla Technische Realisation: Matthias Fischenich und Barbara Göbel Regieassistenz: Katarina Schnell Regie: Thomas Leutzbach Redaktion: Frank Christian Starke Musik aus Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2017 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. 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