Gülle, Tiere, Grüne Woche Griechische Tragödie Die Kritiker der Agrarindustrie laufen sich in Berlin warm. Seite 5 Der Regisseur Costa-Gavras spricht über Merkel und Fiktionen. Seite 15 nd-Sportlerin des Jahres Die Leser haben gewählt: Radsprinterin Kristina Vogel war die Beste 2016. Die weiteren Preisträger kommen vom Turnen, Handball und Blindenfußball. Seiten 18 und 19 Foto: dpa/Guillaume Horcajuelo Freitag, 20. Januar 2017 72. Jahrgang/Nr. 17 Bundesausgabe 1,70 € www.neues-deutschland.de STANDPUNKT Bundeswehr bricht nach Litauen auf Wieder keine Revolution Gefahr im Anzug Steffen Schmidt sieht den Gesetzgeber bei Cannabis nur den Gerichten hinterherlaufen Donald Trump tritt als unbeliebtester US-Präsident seit Jahrzehnten sein Amt an Viele Schwerkranke, die bisher Cannabispräparate nur nehmen konnten, wenn sie einen Arzt fanden, der die wenigen zugelassenen Mittel verschreibt, und wenn sie die Kosten dafür selbst tragen, dürften aufatmen. Denn mit dem nun beschlossenen Gesetz können neben den existierenden Fertigarzneien mit Cannabiswirkstoffen auch die getrockneten Pflanzenteile und Extrakte daraus verordnet und von den Krankenkassen bezahlt werden. Eine grundlegende Neubewertung der Droge – wie etwa seit langem in den Niederlanden – ist mit der Entscheidung allerdings nicht verbunden. Im Gegenteil: Der Selbstanbau bleibt für Kranke verboten. Mit der Erstattung durch die Krankenkassen sind vermutlich Einzelentscheidungen von Gerichten hinfällig, die einkommensschwachen Patienten mit Multipler Sklerose den Anbau erlaubten. Ohnehin folgt der Bundestag nach jahrelanger Diskussion letztlich nur der veränderten Urteilspraxis der Gerichte, die schon viel früher in Einzelfällen zugunsten der Kranken urteilten, dass die medizinische Forschung Cannabis bei Multipler Sklerose, Krebs und chronischen Schmerzen längst als hilfreiches Medikament sieht. Cannabis ist nicht die erste und gewiss nicht die letzte Droge, die mal als gefährliches Rauschgift, mal als Medikament gesehen wurde: Einst in Hustenmitteln, wurde es von Heroin abgelöst, das nun wieder verboten ist. UNTEN LINKS Das komischste aller Medien ist ja die Webseite »Spiegel Online«, die ihren Leserinnen und Lesern täglich eine wirre Collage aus schrillen Fakenews, Boulevardzeitungsabfällen und liebevoll gemachtem Unterhosenjournalismus vorsetzt. Und das seit Jahren! Ohne dass es die Nutzer auch nur einen Cent kostet! Am Mittwoch konnte man dort beispielsweise den lustigsten Satz der Woche lesen: »Die Grünen haben eine linke und eine RealoStrömung, die sich inhaltlich oft nicht einig sind.« Aber nicht etwa, dass sich die »SpOn«-Humorkanonen mit diesem Spitzengag zufrieden gaben! Über Katrin Göring-Eckardt war zu erfahren: »Die zweifache Mutter wirkt eher leise und zurückhaltend.« Ein Satz, der sich liest wie: »Baustellenlärm wirkt eher leise und zurückhaltend«. Demnächst vermutlich dann exklusiv auf »Spiegel Online«: »Cola enthält keinen Zucker!«, »Evolutionstheorie widerlegt: Erde vom lieben Gott geschaffen!«, »SPD setzt sich für soziale Gerechtigkeit ein«. tbl ISSN 0323-3375 Foto: dpa/Dean Lewins Linkspartei kritisiert »aggressives Verhalten« der NATO in Osteuropa Oberviechtach. Die Bundeswehr verlegt eine Panzertruppe nach Litauen, um Russland militärisch abzuschrecken. Im Auftrag der NATO sollen bis Ende Februar bis zu 600 Soldaten, 26 Panzer und 170 weitere militärische Fahrzeuge nur 100 Kilometer von der russischen Exklave Kaliningrad entfernt stationiert werden. Die Kerntruppe sollte noch am Donnerstag im bayerischen Oberviechtach verabschiedet werden. Die LINKE warf der NATO aggressives Verhalten und eine Eskalation im Verhältnis zu Russland« vor. Vertreter von Union, SPD und Grünen verteidigten die Stationierung von NATO-Truppen im östlichen Bündnisgebiet dagegen in einer Bundestagsdebatte. Die NATO hatte bei ihrem Gipfel im vergangenen Sommer die Entsendung von je etwa 1000 Soldaten nach Polen, Lettland, Estland und Litauen beschlossen. Damit reagierte sie auf das gestiegene Sicherheitsbedürfnis der Bündnispartner, die sich seit Beginn des Ukraine-Konflikts massiv von Russland bedroht fühlen. dpa/nd Kommentar Seite 4 Winterkorn: Wusste von gar nichts Ex-VW-Chef sagte zum Abgasskandal vor Untersuchungsausschuss aus Foto: AFP/Mandel Ngan Washington. Countdown in Washington: Anhänger und Gegner des künftigen US-Präsidenten Donald Trump strömten am Donnerstag zu Hunderttausenden in die US-Hauptstadt, um der Vereidigung des Milliardärs beizuwohnen. Trump will auf dem nahe gelegenen Nationalfriedhof in Arlington einen Kranz niederlegen, bevor er an diesem Freitag den Amtseid als 45. US-Präsident ablegt. Der scheidende Amtsinhaber Barack Obama richtete Warnungen an seinen Nachfolger. Die Vereidigungszeremonie vor der Westfassade des Kapitols beginnt um 15.30 Uhr MEZ. Trump und sein Vizepräsident Mike Pence sollen um 18 Uhr MEZ ihren Eid ablegen. Es gilt die höchste Sicherheitsstufe; 28 000 Polizisten und andere Sicherheitskräfte sind bei der Veranstaltung im Einsatz. Mehr als drei Dutzend Abgeordnete aus den Reihen der Demokratischen Partei werden die Zeremonie aus Protest gegen Trump boykottieren. Die meisten Mitglieder von Senat und Repräsentantenhaus, die obersten Richter und das diplomatische Korps nehmen jedoch teil. Auch Obama, Hillary Clinton, deren Ehemann Ex-Präsident Bill Clinton sowie die ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush und Jimmy Carter haben ihr Kommen zugesagt. Am Samstag werden Hunderttausende zu einem Anti-Trump-Marsch in Washington erwartet. Während Obama mit hohen Sympathiewerten in der Bevölkerung das Weiße Haus verlässt, tritt Trump Umfragen zufolge als unbeliebtester US-Präsident seit Jahrzehnten sein Amt an. Bei seiner letzten Pressekonferenz mahnte Obama, »systematische Diskriminierung« gesellschaftlicher Gruppen oder Einschränkung der Pressefreiheit würden die demokratischen Grundwerte beschädigen. Auch warnte er vor »plötzlichen« und »einseitigen« Manövern in der Nahostpolitik. Agenturen/nd Seiten 2, 3 und 16 Legal – nur auf Rezept und für Schwerkranke Bundestag beschließt Freigabe von Cannabis als Medikament für wenige Patienten Mit einem Bundestagsbeschluss wurde am Donnerstag Medizinalhanf zum verschreibungsfähigen Medikament, das bald von den Gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden muss. Von Ulrike Henning Viele Substanzen sind zugleich Arznei- und Rauschmittel, einige wurden von der pharmazeutischen Industrie und Forschung entwickelt. Nun ist eine Droge hierzulande endlich offiziell als Medizin zugelassen worden: Cannabis. Die Politik tat sich mit diesem Schritt sehr schwer, hin und hergerissen vom Doppelcharakter der Hanfpflanze. Denn einerseits gelten die THC-haltigen Pflanzenteile als Einstiegsdroge, so dass der Handel damit weiter illegal ist. Andererseits gibt es medizinische Indikationen, bei denen sich Hanf als hilfreich erweisen kann. Der Zugang zu den CannabisMedikamenten ist Schwerkranken vorbehalten – in standardisierter Apothekenqualität, oder in Form von Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon. Ärzte können aber nicht einfach jedem ein Rezept in die Hand drücken, sie müssen belegen, dass andere Medikamente nicht helfen. Auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen muss zustimmen. Immerhin wurde eine erschwerende Vorbedingung aus dem Regierungsentwurf gestrichen: Patienten müssen nicht zuerst »erfolglos austherapiert« sein, bevor ihnen sozusagen als letzte Gnade Cannabis verordnet werden darf. Zufrieden mit der neuen Regelung sind die Schmerzmediziner. Ein typischer Einsatzbereich eröffnet sich für Tumorpatienten, von denen einzelne schon in jahrelangen Auseinandersetzungen und Prozessen für Cannabis stritten. Denn bei denen, die aus Krankheitsgründen stark abgenommen haben und keinen Hunger verspüren, steigert Hanf den Appetit. Auch gegen Übelkeit und Erbrechen durch die Chemotherapie könnten Blüten oder Extrakte der Pflanze eine weitere Therapieoption sein. Zwar können die Kassen in Ausnahmefällen Verordnungen ablehnen, aber im Rahmen einer speziellen ambulanten Palliativbehandlung – wenn bei schwersten Erkrankungen nur noch Schmerzen gelindert werden können – müssen sie innerhalb von drei Tagen über die Verschreibung entscheiden. Möglicherweise kommen mit der Freigabe weitere Anwendungsgebiete hinzu, wenn jetzt einfacher Studien zu dem Thema möglich werden. Denn an wissenschaftlichen Untersuchungen mangelt es bisher. Wohl auch deshalb sind Patienten, die Cannabis verschrieben bekommen, verpflichtet, an einer anonymisierten Studie teilzunehmen. Für sie entfällt andererseits der Zwang, bei der Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen. Das war bis Ende 2016 in 1000 Fällen erfolgreich, wobei die Patienten die Kosten – mindestens 540 Euro monatlich – selbst tragen mussten. Das Betäubungsmittelgesetz wird dahingehend geändert, dass bisher zugelassene Fertigarzneimittel auf Cannabisbasis ihren Status behalten und die Pflanzenteile verkehrs- und verschreibungsfähig werden. } Lesen Sie morgen im wochen-nd Trans und queer: Mexikos neue Diven Treffen des Grauens: Petry, Le Pen, Wilders Die wollen nur fressen: Braunbären in Europa Berlin. Ex-VW-Chef Martin Winterkorn will bis zum Bekanntwerden des Diesel-Skandals nichts über illegale Abgasmanipulationen bei dem Autobauer gewusst haben. »Es ist nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt worden bin«, sagte der ehemalige Topmanager am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags in Berlin. Dieser soll klären, ob die Regierung für die späte Aufdeckung mitverantwortlich ist. Er habe Bundesregierung und Behörden rasch informiert, sagte Winterkorn. Drei Tage, nachdem die US-Umweltbehörden verletzte Grenzwerte gemeldet hätten, habe er sich mit Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) getroffen. Am folgenden Tag sei die Kanzlerin telefonisch informiert worden. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses zeigten sich nach der Befragung nicht überzeugt. »Ich glaube, in weiten Teilen ist er hinter dem zurückgeblieben, was er wirklich weiß«, sagte der Vorsitzende Herbert Behrens (LINKE). dpa/nd Seiten 4 und 9 Studierende besetzen Institut Rücknahme der Entlassung Andrej Holms durch Humboldt-Uni gefordert Berlin. Trotz der anhaltenden Studentenproteste bleibt die Berliner Humboldt-Universität (HU) bei ihrem Entschluss, den Stadtsoziologen Andrej Holm zu entlassen. »Die Entscheidung der Präsidentin steht. Wir erwarten nun die Stellungnahme des Personalrates«, teilte ein HU-Sprecher am Donnerstag mit. Der will sich in den kommenden zwei Wochen äußern. Gremiumssprecher Rainer Hansel erklärte, man werde auch Holm ein Gespräch anbieten. Rund 100 Studenten und Unterstützer halten das Institut für Sozialwissenschaften seit Mittwochnachmittag und für unbestimmte Zeit besetzt. Sie fordern, die Kündigung rückgängig zu machen. Die Landesastenkonferenz kritisierte unterdessen die geplante Entlassung Holms als politisch motiviert. Holm hatte 2005 in einem Personalbogen verneint, hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi gewesen zu sein. Die Uni sah sich arglistig getäuscht. Am Montag war Holm nach nur fünf Wochen im Amt als Wohn-Staatssekretär zurückgetreten. dpa/nd Seite 11
© Copyright 2024 ExpyDoc