Wandle ich mich oder werde ich gewandelt? - Maria Färber

LIEBEN UND LEBEN
„Wandle ich mich
oder werde ich gewandelt?“
Impuls-Coachin Maria Färber-Singer und Künstlerin
Andrea Haneder über persönliches Wachstum und die Freiheit,
die eigene Komfortzone immer wieder zu verlassen.
TEXT: Laya Kirsten Commenda // FOTOS : Marco Prenninger
W
Andrea Haneder
(links) und Maria
Färber-Singer
begleiten mit
Freude beim
Entwickeln von
Potenzialen.
achstum finde außerhalb der
Komfortzone statt, heißt es. Müssen
wir unsere Wohlfühlzone verlassen,
um uns zu entwickeln?
Maria Färber-Singer: Der Begriff „Komfortzone“ ist irreführend. Wir fühlen uns dort nur
wohl, weil wir zutiefst gewohnt sind, dass das
Leben sich anstrengend oder langweilig anfühlt oder dass ihm der Sinn fehlt. Erst in dem
Moment, in dem wir die Komfortzone verlassen, wird uns bewusst, welche Mühsamzone
das eigentlich war. Im Grunde ist die Kom-
fortzone eine Betäubungszone. Wir betäuben
unsere Schmerzen, damit wir sie nicht wahrnehmen müssen, und das halten wir dann für
Wohlgefühl.
Beim Verlassen der sogenannten Komfortzone
tauchen oft uralte Schmerzen auf. Mir ging es
bei meiner ersten Wüstenreise so – ich habe
schon zu heulen begonnen, wenn ich in der
Früh die Augen aufgemacht habe, während sich
gleichzeitig tiefer Frieden in mir breitmachte.
Andrea Haneder: Diese „Schmerzmonster“
sind in den Körperzellen gespeichert. Ändern
wir unsere Gedanken, reagiert der Körper zum
Beispiel, indem die Tränen zu fließen beginnen. Das Interessante daran ist, dass wir nichts
tun müssen – wenn der Körper seinen Job
macht, verschwinden diese Monster aus unserem System.
Bedeutet das, dass wir nur
durch Schmerzen lernen und wachsen?
Maria Färber-Singer: Natürlich erfahren manche Menschen tiefen Wandel durch einen Unfall oder eine schwere Krankheit. Aber dass
wir für Veränderung leiden müssen, ist nichts
weiter als ein kollektiver Glaubenssatz, auf
den wir trainiert sind. Deshalb folgen
wir ihm unbewusst nach dem Motto
„Schwer ist leicht was“. Dabei können wir durchaus auch durch Freude und Staunen lernen!
Andrea Haneder: Wenn mir
früher etwas Unangenehmes
passiert ist, dachte ich: „Das
hat mir das Leben geschickt
oder der Venus-Transzendent
im siebten Haus oder was auch
immer.“ Heute weiß ich, dass ich mir
meine Erfahrungen selbst kreiere. Daher frage ich mich jeden Tag:
LIEBEN UND LEBEN
Wie wach und präsent gehe ich durchs Leben?
Wie bewusst treffe ich meine Entscheidungen?
Wandle ich mich – oder lasse ich zu, dass „es
mich wandelt“?
Was genau ist denn nun eigentlich die
sogenannte Komfortzone, und was bedeutet es, in
ihr zu bleiben?
Andrea Haneder: Jede Komfortzone ist so individuell wie jeder Mensch. Ich sehe sie als jenes Feld, das wir von Beginn unseres menschlichen Lebens an aufbauen und pflegen. Als
junger Mensch dient das Verhalten, das wir
darin trainieren, dem Überleben. Später setzen
wir aus Gewohnheit das trainierte Verhalten
fort, weil wir uns damit auskennen und sicher
fühlen.
Maria Färber-Singer: Die Komfortzone ist
jene Realität, die aufgrund unserer persönlichen Erfahrungen im Laufe eines Lebens entsteht und die wir mithilfe entsprechender Gedanken und Gefühle aufrechterhalten. Sie fühlt
sich erarbeitet, wohlverdient und gewohnt an.
Blicken wir in dem Bewusstsein aus dem Fenster, dass wir diese „Wohnzimmer-Welt“ nicht
verlassen können oder dürfen, erscheint uns
die Welt da draußen fremd und macht uns
Angst. Da die gesamte Aufmerksamkeit in das
Aufrechterhalten und Verteidigen dieser Realität fließt, bemerken wir gar nicht, wie anstrengend das ist. Wir halten es für „normal“.
Wenn wir die Komfortzone verlassen
und etwas Neues ausprobieren,
erhöht sich das Risiko zu scheitern.
Andrea Haneder: Was ich früher als Scheitern
verstanden habe, erlebe ich heute einfach als
Teil des Weges. Statt „Da ist mir etwas passiert“
denke ich: „Aha, spannend! Hier geht’s nicht
weiter. Wo dann?“ Ich bleibe nicht mehr hängen in der Analyse der Vergangenheit, sondern
versuche, einverstanden zu sein und von hier
aus weiterzugehen.
Maria Färber-Singer: Die Frage ist nicht
mehr: „Bin ich gescheitert?“, sondern: „Wie
sehr bin ich im Fluss mit meiner Kreativität,
meinem Potenzial und meinen Wünschen?“
Ich habe lange Clown gespielt. Fehler zu machen ist für ihn wunderbar – wichtig ist nur,
dass er die Energie hochhält, auch wenn er auf
die Nase gefallen ist. Natürlich werden wir die
eine oder andere Überraschung erleben, wenn
wir neue Dinge ausprobieren, aber so lernt unser konditionierter Verstand.
Immer nur Neues auszuprobieren klingt ziemlich
anstrengend. Gibt es auch Phasen, in denen es
Sinn macht, in der Komfortzone zu bleiben?
Andrea Haneder: Meine Erfahrung ist, dass
unser Körper als Festplatte, auf der wir unsere menschlichen Erfahrungen speichern, sehr
wohl auf seinen Ruhephasen besteht. Und dort,
wo wir selbst blinde Flecken haben, organisieren sich ohnehin im Außen Situationen, die
helfen, zu erkennen, worum es gehen könnte.
Maria Färber-Singer: Die ideale Mischung
für ein zufriedenstellendes Leben aus systemischer Sicht ist: ein Drittel Altes (Bekanntes), ein
Drittel Verwirrung (Raum für wünschenswerte Veränderungen), ein Drittel Neues. Dankbarkeit für das, was gut ist, ist fester Boden
für jede Weiterentwicklung in die erwünschte Richtung. Feiern, was wir erreicht haben,
und es genießen bringt die Wohlgefühle, die
wir uns alle wünschen. Ein Wohnzimmer zu
haben ist an sich nichts Schlechtes. Es ist ein
herrliches Gefühl, nach einem abenteuerlichen Tag in den weichen Polstern zu versinken und die Ruhe zu genießen. Das, was den
Genuss ausmacht, ist die Freiheit der Wahl.
Kann ich wählen, zu kommen und zu gehen
und meinen Lebensraum so zu gestalten, wie
ich es will? Ich weiß dann auch, dass ich die
Komfortzone immer wieder verlassen kann
und muss, um mich weiterzuentwickeln und
zufrieden zu bleiben.
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Maria
Färber-Singer:
Mein Weg
zu mir selbst.
Ich-Erfahrungen.
Verlag Via Nova,
19,50 Euro
Maria Färber-Singer (links) veränderte nach intensiven Jahren als Psychotherapeutin,
Supervisorin, Beraterin und Ausbilderin ihr Leben von Grund auf. Sie begann zu malen,
zu schreiben und als Clown aufzutreten. Als „impulsCOACH“ begleitet sie heute Personen,
Firmen und Organisationen bei der Entfaltung ihres Potenzials.
www.impulsmomente.at
Andrea Haneder liebt es, zu malen und zu gestalten. Seit über 25 Jahren initiiert, organisiert
und begleitet sie Projekte, derzeit unter anderem in einem Linzer Gesundheitszentrum.
Besonders am Herzen liegen ihr Themen rund um Kommunikation, Entwicklung und Kreativität.
www.andreahaneder.at
Gemeinsam gestalten Maria Färber-Singer und Andrea Haneder das Coaching-Format
„Andrea fragt“ sowie kurze Videos – die „drehMomente“.
01|2017
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