Manuskript Beitrag: Abgasbetrug mit Lastkraftwagen – Dicke Dreckschleudern Sendung vom 17. Januar 2017 von Christian Bock Anmoderation: Früher waren Lastwagen als Stinker verschrien. Das sind sie schon lange nicht mehr. Denn moderne Lkw werden zusätzlich zum Diesel mit AdBlue betankt. Und AdBlue, das ist flüssiger Harnstoff, verwandelt etwa 90 Prozent der giftigen Stickoxide in harmloses Wasser und Stickstoff. Soweit die Theorie. Doch in der Praxis manipulieren Kriminelle, vor allem aus Osteuropa, Abgasanlagen und machen aus an sich sauberen Lkw dann eben doch: Dreckschleudern. Unser Reporter Christian Bock folgte der schmutzigen Spur bis nach Rumänien. Angst vor Strafe haben die Betrüger nicht. Die deutschen Kontrolleure, so spotten sie, seien ahnungslos. Text: Lkw auf deutschen Autobahnen. 30 Milliarden Kilometer fahren sie jährlich. Angetrieben von großen Motoren, die auf hundert Kilometer im Schnitt 30 Liter Diesel verbrauchen. Moderne Lkw müssen zusätzlich sogenanntes AdBlue tanken. 50 Cent pro Liter kostet der Stoff für die Abgasreinigung. AdBlue ist der Handelsname für ein Gemisch aus Wasser und Harnstoff. Damit wird die Umwelt geschont. Denn AdBlue verwandelt giftige Stickoxide in Wasser und harmlosen Stickstoff. Doch halten sich alle an die Tankvorschriften? O-Ton Frontal 21: Wie oft wurden Sie schon kontrolliert und wie oft wurde Ihre Abgasanlage kontrolliert? O-Ton Ricardo Felske, Fernfahrer: Also, die Abgasanlage wurde bei mir noch gar nicht kontrolliert. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich fahr jetzt knappe zehn Jahre Lkw und wurde vielleicht vier bis fünf Mal kontrolliert. – So, das war's schon. 26 Liter haben wir jetzt im Tank. Wir bekommen einen Tipp aus der Branche: Offenbar ist es ganz einfach, die Lkw zu manipulieren, sie so umzurüsten, dass sie auch ohne AdBlue fahren. Emulatoren nennen sich die Bauteile, problemlos im Internet zu bestellen – für gerade mal 70 Euro. Andreas Mossyrsch ist Vorsitzender eines Verbandes deutscher Speditionen. Er hat einen schweren Verdacht: O-Ton Andreas Mossyrsch, Berufsverband für Unternehmen der Transportbranche „Camion Pro“: In Osteuropa kann man offensichtlich ganze Flotten mit illegaler Abgasmanipulation betreiben. Das wäre in Deutschland unmöglich, ja. Aber in Osteuropa geht das. Um das zu prüfen, reisen wir mit ihm nach Rumänien, geben uns als deutsche Spediteure aus, die 30 Lkw umbauen lassen wollen. Wir finden schnell eine Werkstatt, die den Auftrag gern hätte. Bereitwillig demonstrieren sie uns an diesem Lkw, wie der Einbau eines Emulators funktioniert. Zu jedem Emulator gibt es eine einfache Bauanleitung. Dieses Fahrzeug ist im Nu umgerüstet. Eigentlich ist die Abgasreinigung durch eine Sperre elektronisch gesichert. Die Elektronik erkennt normalerweise, wenn AdBlue nicht eingespritzt wird. Erst warnt ein Signallämpchen, dann wird die Motorleistung schrittweise gedrosselt. Doch der Emulator umgeht diese Sicherungen. Der Lkw fährt problemlos - ohne AdBlue. O-Ton, Gedächtnisprotokoll: Wie viele Kilometer ich im Jahr fahre? So ungefähr 100.000. Dabei habe ich noch nicht ein einziges Mal AdBlue getankt. Der Fahrer scheint stolz darauf zu sein, einen abgasmanipulierten Lkw quer durch Europa zu fahren. O-Ton Andreas Mossyrsch, Berufsverband für Unternehmen der Transportbranche „Camion Pro“: Das scheint kein Hexenwerk zu sein. Und wenn man sich hier umschaut, in welchem Milieu teilweise hier das Know-how der europäischen Lkw-Industrie ausknockt wird, dann ist man eigentlich erschreckt, auf welch einfachem Niveau das Ganze läuft. Doch wie viele manipulierte Lkw fahren tatsächlich auf deutschen Straßen? Im Auftrag von ZDF und Camion Pro misst Denis Pöhler von der Uni Heidelberg Lkw-Abgase im realen Betrieb auf der Autobahn. Der Wissenschaftler prüft gezielt Lkw mit Euro 5- oder Euro 6- Motoren, die AdBlue tanken müssen. In den Euro-Normen ist festgelegt, wie viel Stickoxide ein Fahrzeug im Verhältnis zur Motorleistung ausstoßen darf. Für alte Lkw erlaubt die Euro 1-Norm bis zu acht Gramm Stickoxide pro Kilowattstunde. Die heute am weitesten verbreitete Euro 5-Norm erlaubt nur noch zwei Gramm. Die für Neufahrzeuge verpflichtende Euro 6-Norm sogar nur 0,4 Gramm. O-Ton Denis Pöhler, Institut für Umweltphysik, Universität Heidelberg: Also, jetzt hinter dem Lastwagen sind wir gerade ein bisschen in die Fahne hineingefahren, sofort sind auch die Stickoxidwerte nach oben gesprungen. Das würde eigentlich einem Euro 3-Fahrzeug entsprechen. Doch das Fahrzeug ist eigentlich ein moderner Euro 5-Lkw. Überraschend viele Messwerte lassen kaum einen anderen Schluss zu: Lkw-Abgasanlagen werden häufiger als bisher bekannt manipuliert. O-Ton Denis Pöhler, Institut für Umweltphysik, Universität Heidelberg: Also, mich überrascht jetzt schon so ein bisschen, dass wir eigentlich so viele Fahrzeuge finden, die das haben. Mir war's jetzt auch nicht so bekannt, dass es so einfach ist, das zu manipulieren. Im Pkw-Segment ist es ja doch eher so, dass vom Hersteller die Abgaswerte nicht stimmen, aber dass der Nutzer selbst es so einfach manipulieren kann, ist auch für mich neu. Mehrere hundert Lkw umfasst die Studie. Das Ergebnis: Unter den auffällig gemessenen Fahrzeugen ist kein einziges aus Deutschland. Bei jedem fünften aus Osteuropa liegen die Messwerte dagegen so weit über der Norm, dass eine Manipulation der Abgasanlage nahe liegt. Experten gehen davon aus: Durch manipulierte Fahrzeuge liegt die Mehrbelastung durch giftige Stickoxide rechnerisch bei bis zu 14.000 Tonnen pro Jahr. Warum verhindern deutsche Behörden das nicht? Für LkwKontrollen ist das Bundesamt für Güterverkehr zuständig. Dessen Beamte überprüfen systematisch Ladung, Papiere und Fahrtenschreiber der Sicherheit wegen, Umweltschutz ist Nebensache. O-Ton Frontal 21: Kontrollieren Sie die AdBlue-Anlagen auf Emulatoren? O-Ton Hans-Jürgen Kaiser, Leiter Kontrolleinheit Straße, Bundesamt für Güterverkehr: Also weniger. Aber da ist auch sehr vieles im Argen, da wird auch sehr viel manipuliert bei AdBlue-Anlagen. O-Ton Frontal 21: Aber Sie haben keine Handhabe im Moment, oder? O-Ton Hans-Jürgen Kaiser, Leiter Kontrolleinheit Straße, Bundesamt für Güterverkehr: Ja, also, wir kontrollieren das momentan nicht schwerpunktmäßig. Auf deutschen Straßen gilt: Wer mehr Abgase in die Luft bläst, muss auch mehr Maut zahlen. Mit manipulierten Lkw umgehen Spediteure das. Professor Kay Mitusch erstellt die amtliche Mautstatistik. Er rechnet für uns aus, was dem Staat an Einnahmen entgeht. Im Augenblick zahlen die osteuropäischen Lkw-Spediteure rund 1,28 Milliarden Euro Maut im Jahr. Angenommen 20 Prozent von ihnen betrügen – ergäbe das einen Verlust von 113 Millionen Euro pro Jahr. O-Ton Frontal 21: Mautbetrug? O-Ton Prof. Kay Mitusch, Karlsruher Institut für Technologie: Ja, die kriegen einen Rabatt, weil sie so tun, als wären sie sehr umweltfreundliche Fahrzeuge, und sind es in Wirklichkeit überhaupt nicht. Das ist schon schlecht. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Kirsten Lühmann war lange Polizistin und hat Hunderte Fahrzeuge selbst kontrolliert. Den Betrügern müsse das Handwerk gelegt werden. O-Ton Kirsten Lühmann, SPD, MdB, Mitglied Verkehrsausschuss: Es ist immer so, wenn wir eine neue Technik einführen, die dann natürlich auch etwas Geld kostet, in unserem Fall also das Geld für diese AdBlue-Flüssigkeit, dass es dann kriminelle Elemente gibt, die versuchen das zu umgehen. Im Moment ist es ja so: Die Fahrzeuge fahren über unsere Straßen und haben ein Entdeckungsrisiko, das gegen Null geht. Vom Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur hätten wir gerne gewusst, was es gegen die AdBlue-Betrüger unternimmt. Doch dort weiß man von den Vorwürfen offenbar nichts. Der rumänische Firmenchef, der uns den Umbau eines Lkw demonstriert hat, macht sich jedenfalls wenig Sorgen. O-Ton, Gedächtnisprotokoll: Ich habe insgesamt 30 Lkw. Die sind alle umgebaut. Das machen hier viele. Spart je nachdem bis zu 2.000 Euro im Jahr. Bei 30 Lkw in seiner Flotte spart er so im Jahr 60.000 Euro – zu Lasten der Umwelt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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