FORELLE EISBLAU Frierender Fritz fischt gefrorene Fische. Jedes Jahr treffen sich die coolsten und kaltblütigsten Eisangler am HINTERSTOCKENSEE. Wer fängt die längste Forelle? Ein Wettkampfbericht aus der Kühltruhe. BEI BEISSENDER KÄLTE WARTEN, BIS SIE BEISSEN Eisfischer Rolf Wyssmüller mit Angel und Bier auf dem zugefrorenen Hinterstockensee im Berner Oberland. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 43 Verwunschene Landschaft, absolute Stille, nur ab und zu der Jauchzer eines erfolgreichen Fischers ART ON ICE – IN SCHÖNHEIT ERSTARRT Das Eis ist 30 Zentimeter dick, darauf ein halber Meter Neuschnee. 50 Fischer versuchen ihr Glück auf dem gefrorenen See. SCHNEEMÄNNER Links: Altmeister Erwin Süsstrunk hat bereits zwei Forellen gefangen. Ob diese für den Sieg heute reichen? Mitte: Beat Schmied mit seinen Söhnen Simon, 7, und David, 10, (r.) drehen mit dem Riesenbohrer ein Loch ins Eis. Rechts: Eisfischer Charles, der «Wolfsmann» mit seiner berühmten Faserpelzjacke, höckelt stundenlang und wartet. 44 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 45 N DIE BEUTE DER EHELEUTE TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS KURT REICHENBACH Jasmin und Pascal Kummer aus Niederbipp BE im Teamwork. Er trägt eine heizbare Jacke, sie wärmt sich mit ihrer Bettflasche auf. och bevor unsere Fischjagd begonnen hat, schlägt die Tierwelt zurück. Urplötzlich, aus dem Nichts, aus einer Nebelschwade, taucht er auf, starrt uns an. Ein Wolf. Es ist Samstagmorgen im Simmental, in 1595 Meter Höhe, auf dem zugefrorenen Hinterstockensee. Minus 15 Grad, Nasenhaare gefroren, Nackenhaare gesträubt – denn der Wolf regt sich, fixiert uns, bäumt sich auf. Und spricht. Mit Berner Dialekt. Seine Faserpelzjacke mit dem Wolfskopfsujet wärme herrlich, sagt Charles, ein 44-jähriger Fischer aus dem Gantrisch-Gebiet. Und genüge die Jacke nicht, helfe das hier: Der Wolfsmann schüttelt eine Flasche, FISCH & KIFF Der paffende BernJurassier Olivier gewinnt mit seiner 37,5 Zentimeter langen Forelle. IGLU-DORF Wer hungrig ist, stärkt sich im riesigen Schneehaus. Tipp: mit Fondue gefüllter Hotdog. Jeder hat so seine Köder-Tricks: Lachskaviar, Maiskörner, Poulet oder Bienenmaden «Haselnuss-Schnaps, selbst gebrannt! Wotsch?» Nicht der letzte, auch nicht der stärkste Brand an diesem Eistag. 50 Fischer sind heute gekommen. Wortkarge Petrijünger, Ehepaare, Fami lien, Göttis mit Göttibuben (EisfischenGutscheine sind beliebte Weihnachtsgeschenke), Altmeister, Jungspunde, Festbrüder und Naturgeniesser. Wer fängt die längste Forelle? Im Tal unten hängt ein «Fischbarometer» mit der Anzahl Fische, die im Seeli überwintert: 2427 Stück. Die Szenerie ist wunderschön verwunschen: Von glasierten Felswänden umgeben (ab und zu stakst eine Gämse herum), liegt der Hinterstockensee da und gibt knarrende und murrende Geräusche von sich. Das Eis misst 30 Zentimeter, darüber ruht ein halber Meter Schnee. Auf Schneeschuhen stapfen die Wettfischer über die Seefläche, schlep46 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE pen Rucksäcke, Klappstühlchen, Kühlboxen (hier?) und übergrosse Zapfen zieher – die Eisbohrer. Mit denen drehen sie Löcher ins Eis, suppentellergross. Eine kurze Angelrute genügt, viel wichtiger ist der Köder: Maiskörner, Pouletstücke, Crevetten, Lachskaviar und Maden. Vater und Söhne Schmied aus Niedermuhlern BE schwören auf Bienen maden. In einer mit Holzspänen gepolsterten Dose horten sich ihre Mädli: 30 Stück kosten einen Fünfliber. Vater Beat Schmied schwärmt vom «einmaligen Erlebnis hier in der Natur», seine Buben David und Simon meinen dasselbe, wenn sie von «uhuere geil» sprechen. Einen Fisch haben sie bereits, 33 Zentimeter lang. Ob dieser für den Sieg reicht? Das Ehepaar Kummer fischt mit Lachseiern. Pascal, 32, starrt ins Eisloch, seine Frau, Jasmin, 33, hat ein paar Meter DIE DETAILS DER PROFIS Oben: Erwin Süsstrunks Angel mit Weinkorken-Griff. Unten: Prima Köder sind Bienenmaden und diese Fleischmaden. daneben ein zweites gebohrt. Sie isst keinen Fisch, hat aber als Coop-ProntoAngestellte täglich damit zu tun: «Ich verkaufe Sushi.» Pascal trägt eine heiz bare Jacke (der Akku reicht für sechs Stunden), Jasmin wärmt sich mit einer grünen Bettflasche. Vielleicht bringt so viel Unverfrorenheit ja den Tagessieg. Ist das der Duft der Freiheit? Würzig, beissend, süsslich mottet es. Dicker Nebel reicht Olivier, 30, Bern-Jurassier, offenbar nicht: Er benebelt sich zusätzlich mit einem Fischstäbchen-grossen Joint. Lässig ruckelt er an der Angel, lockt so die Forellen, grinst, pafft, murmelt «bon, bon» und «bien, bien». Ob ihn das Kiffen so locker macht, dass er den Siegerfisch erhascht? Wandern wir hinüber zu den EisfischChampions der Vorjahre. Rolf W yssmüller, 36, aus Latterbach BE gewann 2013 mit einer 43-Zentimeter-Forelle. Doch Ehrgeiz sieht anders aus: Er fläzt sich in seinen Campingstuhl und schlürft ein «Quöllfrisch». Wird es selbst ihm zu frisch, heizt er sich mit seinem Flachmann ein, in dem 55-prozentiger Walliser Absinth gluckert. Wyssmüller geniesst die Stille, 2013 sei er viel nervöser gewesen, seine Frau war damals hochschwanger, jede Minute konnte es losgehen. Wyssmüller wurde dann erst Eisfisch-Gewinner, d anach Vater. Letztes Jahr gewann Erwin Süsstrunk. Auch diesmal läufts dem 81-jährigen Thuner prima: Eben hievt er die zweite Forelle aus dem Eisloch. Ein Tatsch mit dem Totschläger betäubt, dann folgt der Kiemenschnitt. Keine Minute nach dem Fangen ist der Fisch naturtiefgefroren. Süsstrunk hat zwei Glücksbringer: den Wollpullover, der ihm seine Schwieger- mutter einst lismete, und den Griff seiner Angel. Der besteht aus lauter Korkzapfen von Weinflaschen (meist Rioja). Sieben Stunden haben die Fischer am Eisloch ausgeharrt. Es dämmert bereits, jetzt wird abgerechnet, nach gemessen. Die Siegerforelle misst 37,5 Zentimeter, gewonnen hat … Olivier, der Bern-Jurassier. Dieser ist überrascht, total baff – und pafft erst mal eine zur Feier des Tages. Und während sich seine süsslichen Schwaden mit dem Nebel vermischen, der jetzt wieder dicker über den See wabert, zieht die Fischerschaft talwärts. Wie Sardinen in der Dose stehen die müden, auftauenden Wettangler in der Seilbahnkabine. Und da! Da ist er wieder, inmitten der dampfenden Leiber, lauert, starrt. Doch jetzt wirkt selbst er müde, harmlos, liebenswert zottelig gar – der einsame Faserpelzwolf. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 47
© Copyright 2024 ExpyDoc