Frierender Fritz fischt gefrorene Fische. Jedes Jahr treffen sich die

FORELLE
EISBLAU
Frierender Fritz fischt gefrorene Fische. Jedes Jahr
treffen sich die coolsten und kaltblütigsten Eisangler
am HINTERSTOCKENSEE. Wer fängt die längste
Forelle? Ein Wettkampfbericht aus der Kühltruhe.
BEI BEISSENDER
KÄLTE WARTEN,
BIS SIE BEISSEN
Eisfischer Rolf
Wyssmüller mit Angel
und Bier auf dem
zugefrorenen Hinterstockensee im
Berner Oberland.
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Verwunschene
Landschaft, absolute
Stille, nur ab und zu
der Jauchzer eines
erfolgreichen Fischers
ART ON ICE – IN SCHÖNHEIT ERSTARRT
Das Eis ist 30 Zentimeter dick, darauf ein
­halber Meter Neuschnee. 50 Fischer versuchen
ihr Glück auf dem gefrorenen See.
SCHNEEMÄNNER
Links: Altmeister
­Erwin Süsstrunk hat
bereits zwei Forellen
gefangen. Ob diese
für den Sieg heute
reichen?
Mitte: Beat Schmied
mit seinen Söhnen
Simon, 7, und
David, 10, (r.) drehen
mit dem Riesenbohrer
ein Loch ins Eis.
Rechts: Eisfischer
Charles, der «Wolfsmann» mit seiner
berühmten Faserpelzjacke, höckelt stundenlang und wartet.
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N
DIE BEUTE
DER EHELEUTE
TEXT MARCEL HUWYLER
FOTOS KURT REICHENBACH
Jasmin und Pascal
Kummer aus
Niederbipp BE im
Teamwork. Er trägt
eine heizbare
Jacke, sie wärmt
sich mit ihrer
Bettflasche auf.
och bevor unsere Fischjagd begonnen hat,
schlägt die Tierwelt zurück. Urplötzlich, aus
dem Nichts, aus einer
Nebelschwade, taucht er auf, starrt uns
an. Ein Wolf. Es ist Samstagmorgen im
Simmental, in 1595 Meter Höhe, auf dem
zugefrorenen Hinterstockensee. Minus
15 Grad, Nasenhaare gefroren, Nackenhaare gesträubt – denn der Wolf regt
sich, fixiert uns, bäumt sich auf. Und
spricht. Mit Berner Dialekt. Seine Faserpelzjacke mit dem Wolfskopfsujet wärme herrlich, sagt Charles, ein 44-jähriger
Fischer aus dem Gantrisch-Gebiet. Und
genüge die Jacke nicht, helfe das hier:
Der Wolfsmann schüttelt eine Flasche,
FISCH & KIFF
Der paffende BernJurassier Olivier
gewinnt mit seiner
37,5 Zentimeter
langen Forelle.
IGLU-DORF
Wer hungrig ist,
stärkt sich im riesigen Schneehaus.
Tipp: mit Fondue
gefüllter Hotdog.
Jeder hat so
seine Köder-Tricks:
Lachskaviar, Maiskörner, Poulet oder
Bienenmaden
«Haselnuss-Schnaps, selbst gebrannt!
Wotsch?» Nicht der letzte, auch nicht
der stärkste Brand an diesem Eistag.
50 Fischer sind heute gekommen.
Wortkarge Petrijünger, Ehepaare, Fami­
lien, Göttis mit Göttibuben (EisfischenGutscheine sind beliebte Weihnachts­geschenke), Altmeister, Jungspunde, Festbrüder und Naturgeniesser. Wer fängt die
längste Forelle? Im Tal unten hängt ein
«Fischbarometer» mit der Anzahl Fische,
die im Seeli überwintert: 2427 Stück.
Die Szenerie ist wunderschön verwunschen: Von glasierten Felswänden
umgeben (ab und zu stakst eine Gämse
herum), liegt der Hinterstockensee da
und gibt knarrende und murrende Geräusche von sich. Das Eis misst 30 Zentimeter, darüber ruht ein halber Meter
Schnee. Auf Schneeschuhen stapfen die
Wettfischer über die Seefläche, schlep46 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
pen Rucksäcke, Klappstühlchen, Kühlboxen (hier?) und übergrosse Zapfen­
zieher – die Eisbohrer. Mit denen drehen
sie Löcher ins Eis, suppentellergross.
Eine kurze Angelrute genügt, viel wichtiger ist der Köder: Maiskörner, Pouletstücke, Crevetten, Lachskaviar und Maden.
Vater und Söhne Schmied aus Niedermuhlern BE schwören auf Bienen­
maden. In einer mit Holzspänen gepolsterten Dose horten sich ihre Mädli: 30
Stück kosten einen Fünfliber. Vater Beat
Schmied schwärmt vom «einmaligen Erlebnis hier in der Natur», seine Buben
David und Simon meinen dasselbe, wenn
sie von «uhuere geil» sprechen. Einen
Fisch haben sie bereits, 33 Zentimeter
lang. Ob dieser für den Sieg reicht?
Das Ehepaar Kummer fischt mit
Lachs­eiern. Pascal, 32, starrt ins Eisloch,
seine Frau, Jasmin, 33, hat ein paar ­Meter
DIE DETAILS DER PROFIS
Oben: Erwin Süsstrunks Angel mit Weinkorken-Griff. Unten: Prima Köder sind
Bienenmaden und diese Fleischmaden.
daneben ein zweites gebohrt. Sie isst
keinen Fisch, hat aber als Coop-ProntoAngestellte täglich damit zu tun: «Ich
verkaufe Sushi.» Pascal trägt eine heiz­
bare Jacke (der Akku reicht für sechs
Stunden), Jasmin wärmt sich mit einer
grünen Bettflasche. Vielleicht bringt so
viel Unver­frorenheit ja den ­Tagessieg.
Ist das der Duft der Freiheit? Würzig, beissend, süsslich mottet es. Dicker
Nebel reicht Olivier, 30, Bern-Jurassier,
offenbar nicht: Er benebelt sich zusätzlich mit einem Fischstäbchen-grossen
Joint. Lässig ruckelt er an der Angel,
lockt so die Forellen, grinst, pafft, murmelt «bon, bon» und «bien, bien». Ob
ihn das Kiffen so locker macht, dass er
den Siegerfisch erhascht?
Wandern wir hinüber zu den EisfischChampions der Vorjahre. Rolf W
­ yssmüller, 36, aus Latterbach BE gewann
2013 mit einer 43-Zentimeter-­Forelle.
Doch Ehrgeiz sieht anders aus: Er fläzt
sich in seinen Campingstuhl und schlürft
ein «Quöllfrisch». Wird es selbst ihm zu
frisch, heizt er sich mit seinem Flachmann ein, in dem 55-prozentiger Walliser Absinth gluckert. Wyssmüller geniesst die Stille, 2013 sei er viel nervöser
gewesen, seine Frau war damals hochschwanger, jede Minute konnte es losgehen. Wyssmüller wurde dann erst Eisfisch-Gewinner, d
­ anach Vater.
Letztes Jahr gewann Erwin Süsstrunk. Auch diesmal läufts dem 81-jährigen Thuner prima: Eben hievt er die zweite Forelle aus dem Eisloch. Ein Tatsch mit
dem Totschläger betäubt, dann folgt der
Kiemenschnitt. Keine Minute nach dem
Fangen ist der Fisch naturtiefgefroren.
Süsstrunk hat zwei Glücksbringer: den
Wollpullover, der ihm seine Schwieger-
mutter einst lismete, und den Griff seiner
Angel. Der besteht aus lauter Korkzapfen
von Weinflaschen (meist ­Rioja).
Sieben Stunden haben die Fischer
am Eisloch ausgeharrt. Es dämmert
bereits, jetzt wird abgerechnet, nach­
gemessen. Die Siegerforelle misst 37,5
Zentimeter, gewonnen hat … Olivier, der
Bern-Jurassier. Dieser ist überrascht,
­total baff – und pafft erst mal eine zur
Feier des Tages. Und während sich seine
süsslichen Schwaden mit dem Nebel
vermischen, der jetzt wieder dicker über
den See wabert, zieht die Fischerschaft
talwärts. Wie Sardinen in der Dose stehen die müden, auftauenden Wettangler
in der Seilbahnkabine. Und da! Da ist
er wieder, inmitten der dampfenden Leiber, lauert, starrt. Doch jetzt wirkt selbst
er müde, harmlos, liebenswert zottelig
gar – der einsame Faserpelzwolf. 
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