Manuskript Januar 2017 herunterladen

„Islam in Deutschland“
SWRinfo – Freitag, 13. Januar 2017
Von Hakan Turan
Kommunikation mit muslimischen Schülern
Ich bin seit einigen Jahren in der Lehrerausbildung tätig. Hierbei werde
ich immer wieder mit Fragen zum Verhalten von muslimischen Schülern
konfrontiert. Viele Situationen, die mir geschildert werden, ähneln sich
dabei und weisen verwandte Schwierigkeiten auf. Ein Beispiel, an dem
man gut Grundsätzliches erklären kann, war die Frage, warum manche
muslimische Schüler in Deutschland die Schweigeminute für die Opfer
der IS-Anschläge in Paris vom November 2015 boykottierten. Einige
Lehrerkollegen
befürchteten
sogar
schon
extremistische
Weltanschauungen bei ihren Schülern.
Auch wenn dies in wenigen Einzelfällen vielleicht hätte zutreffen können:
In den meisten Fällen ging es hierbei um etwas Anderes, nämlich um
eine Verunsicherung der Schüler hinsichtlich ihrer muslimischen
Identität. Denn über das wichtige Zeichen der Solidarität mit den Opfern
hinaus stellten sie sich die Frage, wer in dieser sensiblen Situation, die
auf das Konto muslimischer Terroristen geht, indirekt mit verurteilt wird.
Dies sollte vorweg ausgesprochen werden, um die muslimischen
Jugendlichen im Klassenzimmer ausdrücklich davon auszunehmen.
Leider erfahren viele junge Muslime schon früh, dass Viele in
Deutschland nicht nur die Extremisten im Islam als Problem sehen,
sondern die Muslime oder den Islam generell. Und dies belastet die
Identifikation muslimischer Jugendlicher mit Deutschland. Viel zu selten
bekommen sie die Zuversicht zugesprochen, dass es sehr wohl eine
legitime islamische Identität auch innerhalb der deutschen Gesellschaft
geben kann, und dass sie Kulturen kombinieren und ihre eigenen
Synthesen schaffen dürfen. Aber genau diese Zuversicht sollte ihnen die
Schule geben.
Doch was könnte man dazu in einer Situation wie nach Paris oder
kürzlich nach Berlin konkret anders machen? Vor dem gemeinsamen
Gedenken der Opfer von Paris hätte man etwa erwähnen können, dass
dieselbe Terrorsekte, die in Paris gemordet hat, noch am Vortrag in
Beirut und einen Monat davor in Ankara ähnlich brutale Anschläge
verübte, und zwar beide Mal auf Muslime. Damit wird verdeutlicht, dass
sich die Solidarität der Idee nach ebenso auf muslimische Kontexte
bezieht, auch wenn offiziell leider nur an Paris gedacht war. Die Lehrkraft
kann so auch verhindern, dass sich Muslime in der Klasse indirekt mit
beschuldigt fühlen. Die Botschaft lautet dann: „Heute müssen wir alle,
Deutsche, Araber, Türken, Christen, Muslime, Säkulare uns
zusammenschließen gegen den Terror der Irrsinnigen gegen uns alle,
gleichgültig ob die Terroristen heute IS, NSU oder sonst wie heißen!“
Nicht Tabuisieren, sondern Kontextualisieren lautet also die Devise.
Nicht Verschweigen, sondern pädagogisch inkludierend Kommunizieren.
Auch der ausdrückliche Hinweis durch die Lehrkraft, dass muslimische
Stimmen aller Couleur sich in aller Deutlichkeit gegen den Terror im
Namen des Islam ausgesprochen haben und aussprechen, kann in der
aktuellen Stimmung für alle nur heilsam sein.