Münchner Feuilleton I KULTUR · KRITIK · KONTROVERSEN I JANUAR · NR. 59 · 14.1.–10.2.2017 · www.muenchner-feuilleton.de AUSZEIT Der Populismus erreicht die Kultur. Er könnte zur existenziellen Bedrohung werden. Ein Warnruf. RALF DOMBROWSKI Ein Modell macht Schule. Es geht um Populismus, nicht als Schreckgespenst, sondern als Struktur. Er ist ein Produkt des demokratischen Diskurses, konsequent gedacht in der Zuspitzung des Allgemeinen. Grundlage ist das Denken in Oppositionspaaren. Auf der einen Seite steht, pauschalisiert, das Volk, ein indigener, undifferenzierter Gesellschaftsorganismus, dem ein schwarmartiges und identischen Werten folgendes Urteilsvermögen zugestanden wird. Die andere Seite ist, ebenso verallgemeinert, das Elitäre, dem eine vermeintlich der Gesundheit des Ganzen entgegenstehende Interessenlage unterstellt wird. Also viele gegenüber wenigen, Spontane gegenüber Reflektierten, Natürliche gegenüber Kulturellen. Es sind schiefe, semantisierte und nicht komplementäre Oppositionen, deren inhaltliche Unschärfe durch Moralisierung ausgeglichen wird. Wahr, echt, brav, legitim trifft somit auf falsch, verlogen, verdorben und unberechtigt, was wiederum so lange behauptet wird, bis aus dem Hypothetischen etwas Tatsächliches geworden zu sein scheint. Populismus setzt damit nicht auf die normative Kraft des Faktischen, sondern auf das impulsive Korrektiv des Imaginären, dem oft mit Hilfe apokalyptischer Denkbeschleuniger die rückwärtsgewandte Utopie vergangener, aber wiederzuerlangender Größe eingeimpft wird. So weit die Theorie, deren Praxis auf politischer Ebene gerade die internationalen Gesellschaftsordnungen der Nachkriegs- und Postkolonialära durcheinanderzuwirbeln beginnt. Erstaunlich ist dabei die strukturelle Hilflosigkeit, mit der die Kulturwelt auf diese ebenso schleichende wie fundamentale Erosion der eigenen Grundlage reagiert. Das populistische Modell erscheint vielen als Zwickmühle, dem mit inhaltlicher Kritik schwer beizukommen ist, weil es die an sich hehre Demokratieidee als raffiniert instrumentalisiertes Werteraster mittransportiert. Wer die Masse Volk als kompetenten Entscheider übergreifender Themen in Frage stellt und womöglich ein gewisses Spezialistentum als Basis für Verstand einfordert, bekommt schnell das Etikett eben des Elitären aufgeklebt und wird so zum damit Feindbild, dem nach populistischer Logik und in perfider Umkehrung der behaupteten Opferrolle nun in Täterschaft nur mit entsprechendem Shitstorm beizukommen ist. Das verunsichert, macht Angst und führt zum Verlust einer reflektierten Entschiedenheit, die im kulturellen Diskurs aber mehr denn je nötig ist. Schlimmer noch: Es ermutigt die Populisten des Kulturgeschäfts, die offenbar im Politischen so gut funktionierenden Mechanismen nun auch auf ihr Wirkungsfeld anzuwenden. Einer der Vorreiter dieses bislang noch verhaltenen Trends ist beispielsweise der Komiker Mario Barth, der unlängst für seine Fernsehshow ein Opernhaus besuchte und feststellte, was alle wissen, nämlich dass das Repertoire stellenweise historisch ist, das Publikum mehr graue als blonde Haare hat und das Genre auf beträchtliche Subventionen angewiesen ist, um zu überleben. Das ist nicht weiter tragisch, weil Allgemeingut und in einigen Punkten durchaus zur inhaltlichen Diskussion gestellt. Die fand aber nicht statt. Denn Barth inszenierte sich als Aufdecker von etwas Verborgenem und installierte eine populistische Struktur in eine kulturelle Auseinandersetzung. Oper, so seine These, sei überflüssig, weil nichts fürs Volk, man solle doch lieber Kindergärten bauen. Da war sie wieder, die schiefe Opposition, formuliert mit partiellem Hintergrundwissen, aber provokativ polarisierender, auf vermeintliche Eliten zielender Ausrichtung, zweckorientiert auf applaudierende Bestätigung durch den Schwarm. Der allerdings reagierte lauwarm mit schlechten Einschaltquoten, wohingegen Interessenverbände wie der Deutsche Musikrat sich auf die Struktur einließen und mit polemischer Verachtung konterten. Es war ein Versuchsballon, der wenig Höhe erreichte, weil das populistische Interesse sich bislang leichter zu emotionalisierenden Themen widmet. Aber die Warnlampen leuchten. Denn das Modell des Populismus ist so konstruiert, Komplexes in eine Verteidigungshaltung zu steuern und unter einen diffusen, oktroyierten Rechtfertigungsdruck zu stellen. Die umfassende, vielschichtige und kreative Kultur Europas aber ist ein über Jahrhunderte erkämpfter grundlegender Wert unserer Welt, die sich jeder inhaltlichen, aber keiner legitimistischen Diskussion stellen darf. Fällt sie auf diese Falle des Populismus rein, dann wird es wirklich finster. || IMPRESSUM SEITE 31 MUSIK SEITE 4–8 MÜNCHNER KÖPFE SEITE 14 BILDENDE KUNST SEITE 22–27 Der Mensch als Narr! Daniel Harding dirigiert, Bryn Terfel singt Verdis »Falstaff« – ganz ohne Opernhaus. Der Kunst Beine machen Der »Europäische Kulturmanager des Jahres 2016« ist Mitarbeiter bei BMW: Thomas Girst im Porträt. Die Landschaft des Industriezeitalters Albert Renger-Patzsch demonstrierte um 1930 die Ordnung der Dinge und ihre Schönheit: in einer Fotoserie zum Ruhrgebiet. BÜHNE SEITE 10–13 FILM SEITE 17–21 LITERATUR SEITE 28–31 Machtkämpfe … verschiedenster Art spielen sich derzeit in manchen Aufführungen ab. Was andere Theatermacher zu Reflexionen über Liebe und Tod führt. Magisches Erbe Lenbachhaus und Filmmuseum widmen F.W. Murnau eine Hommage. Wir sprachen mit Alexander Kluge über den Meister der Stummfilmzeit. TAK, TAK, TAK, TAK, TAK Zwei Redakteure von Charlie Hebdo erzählen in Comicform von ihrem Leben nach dem Anschlag. MÜNCHNER FEUILLETON Breisacher Str. 4 81667 München T.: 089 48920971 Schon abonniert? www.muenchner-feuilleton.de
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