Neujahrspredigt

Neujahspredigt von Stadtdekan Søren Schwesig
in der Leonhards- und Rosenbergkirche
„Gott spricht:
Ich schenke euch ein neues Herz
und lege einen neuen Geist in euch.“
(Hesekiel 36,26)
Liebe Brüder und Schwestern,
der Jahreswechsel liegt hinter uns. Der Lärm ist verstummt, die Stadt zur Ruhe gekommen.
Der Pulverdampf von Böller und Raketen verzieht sich langsam, die Sicht wird wieder klar.
Das Jahr 2017 liegt vor uns noch ganz jung und frisch. Was ist eigentlich das Spannende an
einem Jahreswechsel? Doch wohl dieses: Es ist, als ob wir eine Schwelle überschreiten und
einen neuen Raum betreten. Wir wissen, dass Neues uns erwartet, wissen aber nicht, wie
dieses Neue sein wird. Wird es ein freundliches Gesicht haben? Wird das Jahr es gut mit uns
meinen? Wir spüren Erwartung und Hoffnung, aber auch Unsicherheit und Angst. Darum
gut, wenn wir uns an der Schwelle vom alten zum Neuen neu orientieren.
Unsere Kirche gibt uns auch für dieses Jahr eine Jahreslosung mit. Diesmal vom Propheten
Hesekiel. Die Jahreslosung 2017 lautet: „Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und
lege einen neuen Geist in euch.“
Ich schenke euch ein neues Herz. Bleiben wir beim Bild des Herzens. Dieses Organ, das ruhig
und fest schlägt. Zwischen 60 und 80 Mal in der Minute, jeden Tag 100.00 Mal. Tag für Tag,
Jahr für Jahr, ein Leben lang - unvorstellbar! Pumpt täglich mehr als zwei Tonnen Blut durch
den Körper.
Aber unser Herz ist mehr als nur ein lebenswichtiges Organ. Das zeigen die Redewendungen:
Das Herz kann uns bluten, wir können von Herzen lieben. Das Herz sitzt am rechten Fleck
oder rutscht uns aus Angst in die Hose. Wir können unser Herz vor Menschen verschließen
oder wieder öffnen.
Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz. Das Herz, von dem Gott hier redet, steht symbolisch für das gesamte Leben des Menschen, für das, was uns im Innersten ausmacht.
Wenn das Herz eines Menschen verändert wird, verändert sich der ganze Mensch: Wer ein
fröhliches Herz hat, kann auch von Herzen lachen. Wer ein gebrochenes Herz hat, dem wird
alles schwer. Ein Herz aus Stein macht seinen Träger unbarmherzig und blind für Gottes Güte.
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Und nun kommt der Prophet Hesekiel ins Spiel. Seine Geschichte ist schnell erzählt. Hesekiel
erlebt den Untergang Israels. Sein Land hatte sich gegen die Weltmacht Babylon erhoben. Es
kommt, wie es kommen muss. Der Krieg geht verloren, Jerusalem und der Tempel werden
zerstört. Gemeinsam mit der israelitischen Oberschicht wird Hesekiel ins Exil ins ferne Babylon gebracht. Dort lebt er mit den Verschleppten in der Verbannung.
Zuvor aber, noch in Israel, ist Hesekiel ein aufmerksamer Beobachter. Er schaut sich um und
sieht, was er als soziale und wirtschaftliche Gottlosigkeit bezeichnen würde: Menschen, die
ein steinernes Herz in sich tragen. Menschen, die sich aneignen, was ihnen nicht gehört. Die
stehlen, hab- und profitgierig sind. Hesekiel sieht Betrug und Bestechung, Schadenfreude,
Rachsucht. Er entdeckt zerbrechende Partnerschaften, Kindesmissbrauch; Attacken gegen
Schutzlose und Fremde, Gewalt und Armut; Flucht und Vertreibung.
Lange hat Hesekiel gewarnt: Wir werden alle untergehen, wenn wir so weitermachen. Aber
die Menschen haben nicht auf ihn gehört. Jetzt sitzen sie in Babylon, heimatlos, rechtlos,
und weinen.
Gut, dass die Geschichte hier nicht zu Ende ist. Gut, dass Gott nun die Dinge in die Hand
nimmt. In diese trostlose Situation hinein sagt Gott: „Ich weiß, wie ihr gelebt habt. Ich weiß,
dass ihr nicht mehr nach mir gefragt habt. Dennoch mache ich euch ein Angebot: Ich schenke
euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“
Am wichtigsten erscheinen mir die ersten drei Worte: „Ich schenke euch…“. Gott spricht so,
weil er weiß, dass wir Menschen im Grunde nichts beitragen können zu einer grundsätzlichen Erneuerung unseres Lebens. Wir denken zwar, wir hätten alles im Griff und könnten
unser Leben auch ändern, wenn es denn überhaupt notwendig sein sollte - aber unser Leben
tatsächlich grundsätzlich zu verändern, das schaffen wir nicht.
Martin Luther hat das vor 500 Jahren neu entdeckt. Jahrelang hat er verzweifelt gesucht
nach dem „richtigen“ Leben. Einem Leben, das Gott genügt und dass deshalb auch Gottes
Liebe erwarten kann. Aber schließlich hat er das erkannt, was ihn befreite: Dass ich Gottes
Liebe niemals durch meine eigene Leistung erwerben kann. Das schaffe ich nicht. Ich muss
das aber auch nicht. Gott schenkt mir seine Liebe. Er allein. Einfach so. Weil er das will.
„Ich schenke euch ein neues Herz, damit ihr Menschen sein könnt, die nach meinen Geboten
leben“ lässt Gott Hesekiel ausrichten. 1517 wird Luther diese Botschaft an die Tür der
Schlosskirche zu Wittenberg schlagen: Dass allein Gott die Umkehr des Menschen bewirken
kann und es auch tut.
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Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz. Das Angebot eines neuen Herzens sagt zweierlei über Gott aus. Zunächst: Gott hat ein Herz für uns. Er sieht das Treiben der Menschen. Er
sieht Herzen, verhärtet im Bemühen, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen; Herzen, verfettet vom Wohlstand; Herzen, von Gleichgültigkeit getrieben. Aber vor allem nimmt
Gott wahr, dass der Mensch so gefangen ist in seinem Tun, dass er von sich aus unfähig ist zu
einer echten Lebensumkehr. So beschließt Gott, dass er die Voraussetzungen schaffen wird
für eine Umkehr. Darum sagt er: „Ich schenke euch ein neues Herz.“ Er sagt das, weil er ein
Herz für uns hat. Das ist so eine staunenswerte Aussage: Gott hat ein Herz für uns. Er hat
dich und mich fest in sein Herz geschlossen. Das ist das eine.
Das andere: Gott zeigt im Angebot, dem Menschen ein neues Herz zu schenken, dass er ein
Gott des Anfangs ist.
Dass Gott ein Gott des Anfangs ist, erzählt auch die Geschichte von Adam und Eva. Oft wird
behauptet, Adam und Eva sei die Geschichte vom Sündenfall. Ich glaube, hier geht es gar
nicht um Sünde. Es geht darum, dass Adam und Eva Kinder Gottes sind, die flügge werden
und eigene Entscheidungen treffen wollen. So beschließen sie, trotz Gottes Gebot, von der
verbotenen Frucht zu essen. Und jetzt, da sie dies getan haben, müssen sie fortan selbst
verantwortlich sein für ihr Leben. Jetzt müssen sie zwischen Gut und Böse unterscheiden.
Jetzt müssen sie Verantwortung tragen für sich und ihr Tun im täglichen Kampf um den
rechten Weg.
Aber sind Adam und Eva dieser Freiheit eines selbstbestimmten Lebens und der
Verantwortung fürs eigene Tun gewachsen? Werden sie sich nicht immer wieder für einen
falschen Weg entscheiden? So entdecken Adam und Eva noch im Paradies, dass sie dieser
großen Freiheit nicht gewachsen sind. Im Bild der Geschichte gesprochen: Sie erkennen, dass
sie im Grunde schutzlos sind, hilflos, nackt. Wie wird Gott damit umgehen?
Die Antwort darauf gibt ein kleiner Satz aus unserer Geschichte. So klein, dass wir ihn oft
überlesen, aber er enthält das ganze Evangelium: "Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und zog sie ihnen an." Als Adam und Eva eigene Wege gehen,
wendet Gott sich nicht ab und sagt wie ein bockiger Vater: „...dann sieh auch zu, wie du ohne
mich zurechtkommst.“ Er sieht nicht zu, wie sie schutzlos sind, hilflos, nackt. Gott bedeckt
ihre Blöße und kleidet sie. Und zeigt damit: `Ich bin auch dann noch euer Gott, wenn ihr euch
für einen eigenen Weg entscheidet. Ich will immer wieder neu mit euch anfangen.´
…………….
Was heißt das für uns Menschen? Weil Gott ein Gott des Anfangs ist, sind wir Menschen des
Anfangs. Die Philosophin Hannah Arendt bezeichnet unsere Fähigkeit, neu anfangen zu können, als das spezifisch Menschliche, was uns auszeichnet. Wir Menschen können aussteigen
aus unseren lähmenden Gewohnheiten. Wir können den Strom des Gegebenen unterbrechen. Wir können vor allem hoffen, dass das Leben noch viel mehr sein kann als das, woran
wir uns gewöhnt haben. So sind wir von Gott gedacht und gemacht. Neu anfangen zu können - das ist unsere Bestimmung.
Deswegen verbieten sich für uns Sätze wie „Hat doch alles keinen Zweck!“ oder „Haben wir
alles schon probiert“ oder auch rückwärtsgewandte Aussagen wie „Früher war alles besser“.
Weil ich weiß, dass es meine Bestimmung ist, immer wieder neu anfangen zu können, vergrabe ich mich nicht in meinen Sorgen, bezweifle ich nicht die Macht der Liebe und lebe ich
nicht ohne Hoffnung - weil Gott mich dazu bestimmt hat, immer wieder neu anfangen zu
können.
…………….
Darum gehen wir in dieses Jahr alles andere als fatalistisch. Ja, wir wissen um die Sorgen
angesichts der Ungewissheiten um Europas Zukunft angesichts des Brexit und des zunehmenden Populismus und Nationalismus in den europäischen Ländern. Und wir wissen um die
Sorgen um den Weltfrieden und den Zustand des Weltklimas angesichts eines Präsidenten
Trumps. Und auch von anderen Sorgen, die Menschen sich angesichts 2017 machen.
Aber wir haben ein neues Herz bekommen. Und mit diesem Herzen werden wir diesem neuen Jahr unseren Stempel aufdrücken, werden wir dieses Jahr prägen. Als Menschen, die ein
Herz haben für die, die krank sind oder dement, die sich nach Besuch sehnen. Als Menschen,
die ein Herz haben für die, die aus ihrer Heimat fliehen und Schutz suchen bei uns. Als Menschen, die auf einen fairen Handel achten und auf eine Weltwirtschaft, die nicht allein den
Vorteil unserer Hemisphäre im Auge hat, sondern dass alle ihr Auskommen haben. Und als
Menschen, die den großen Menschheitstraum in sich tragen, dass diese Welt anders sein
kann. Dass eine Welt möglich ist, in der es gerecht zugeht. In der es kein Oben und Unten
gibt und kein Groß oder Klein.
Wir können diese Welt prägen, weil wir geprägt sind. Geprägt davon, dass Gott uns dazu
bestimmt hat, immer wieder neu anfangen zu können. Gott, der ein Herz für uns hat und ein
Gott des Anfangs ist.
Amen.