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ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
We could be heroes
David Bowie wäre in diesem Januar 70 geworden
Von Christiane Rebmann
Sendung: 06.01.2017 um 19.20 Uhr
Redaktion: Bettina Stender
Sprecher: Peter Binder
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O-Ton
Very tall rocksinger, six foot four, at least, blond head and red head, early thirties,
yes, it's me, David Bowie.
Heroes / Heroes
Der britische Musiker David Bowie prägte über fünf Dekaden die Popmusik. Rund
150 Millionen Mal sollen sich seine Tonträger weltweit verkauft haben. Er war eine
schillernde Persönlichkeit. Das kam gut in dem Alter Ego Ziggy Stardust heraus, das
er 1972 in der Glamrock Ära schuf. Er hatte Kunst, Musik und Design und später
Tanz bei Lindsay Kemp studiert. Er präsentierte sich mal als Folksänger, mal als
Punkmusiker, mal als dekadenter Soulsänger, er mimte den Androgynen oder den
Außerirdischen. Und er arbeitete nicht nur als Musiker, sondern auch als
Schauspieler und Maler und war dazu ein versierter Kunstsammler. 2013 machte
eine vielbeachtete Bowie-Ausstellung in London klar, wie groß sein Einfluss auf
Mode, Musik und Kunst gewesen war.
We could be heroes – David Bowie wäre diesen Januar 70 geworden.
Eine Sendung von und mit Christiane Rebmann.
O-Ton
Die Egoprobleme haben sich im Laufe der Jahre abgenutzt. Wenn du ganz jung bist,
dann brauchst du diese Reaktion des Publikums. Dann ist es toll, wenn all diese
Menschen vor dir schreien und tanzen, dann ist es dir fast auch egal, was du spielst.
Inzwischen brauche ich diesen Kitzel nicht mehr so. Mir geht es jetzt vor allem
darum, dass ich es genießen kann, Musik zu machen. Wenn man die Musik, die man
spielt, nicht mag, kann es ziemlich langweilig und ermüdend sein, auf der Bühne zu
stehen. Dann fragst du dich, warum du das machst. Durch diese Phase bin ich in den
80er Jahren gegangen. Und dann hab ich mich entschlossen, nur noch das zu
spielen, was ich mag. Und das Publikum muss da eben mitgehen.
Heroes / Heroes
Zwar war David Bowie nicht mehr 30, sondern schon knapp 50, als ich ihn zum
ersten Mal traf. Aber der Künstler, der sich sehr entspannt zu seiner Eitelkeit
bekannte, hätte auch als zehn Jahre jünger durchgehen können, wie er mir da so in
seiner Interviewsuite gegenüber saß und sich die Cremereste aus dem Gesicht
strich.
O-Ton
Oh, ich habe noch Feuchtigkeitscreme im Gesicht, aus der Kosmetikserie meiner
Frau Iman. Die Creme ist wirklich exzellent. Seh ich nicht wunderbar aus? Das Zeug
ist richtig gut. Ich bin nicht nur ihr Ehemann, ich bin auch ihr Kunde.
Ich bin schrecklich teuer, deshalb mache ich diese Werbung für ihre Produkte lieber
gleich umsonst, mein Enthusiasmus für Iman Products kennt keine Grenzen. Ich
benutze auch ihren Augen Make-up Entferner und ihre Reinigungsmilch. Aber nur
wenn ich arbeite, auf Tournee, nach den Konzerten. Sonst nicht.
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Ein Interview mit David Bowie zu bekommen, brauchte immer lange Vorbereitung,
und das Ganze glich dem Antrag auf eine Papstaudienz. Aber wenn man ihn dann
mal zu fassen hatte, war er charmant, geistreich und dankbar, wenn im Gespräch
eine eher unterhaltsame Atmosphäre entstand. Er mochte es, wenn ihm sein
Gegenüber nicht bewundernd, sondern auf Augenhöhe begegnete und er sich selbst
nicht allzu ernst nehmen musste. Selbst im Telefoninterview antwortete er entspannt.
Nur einmal habe ich ihn als arrogant erlebt. Das war während einer Roundtable
genannten Mini-Pressekonferenz mit mehreren Journalisten. Vielleicht brauchte er
die leichte Überheblichkeit als Schutzwall, um seine Unsicherheit zu verstecken.
Love you till Tuesday / The World of David Bowie
David Robert Jones kam am 8. Januar 1947 im Londoner Stadtteil Brixton zur Welt.
Nachdem sein Halbbruder ihn in die Musik von John Coltrane und Charlie Mingus
eingeführt hatte, begann er, Saxophonunterricht zu nehmen. Als Teenager spielte er
in diversen Bands. Seine erste Single „Liza Jones“ brachte er unter dem Namen
Davey Jones and the King Bees heraus. Weil er immer wieder mit Davey Jones von
den Monkees verwechselt wurde, benannte er sich in David Bowie um – nach dem
US Pionier Jim Bowie, der 1836 in der Schlacht um Alamo gefallen war. Mit 20
veröffentlichte der charismatische Musiker sein erstes Album "David Bowie“, ein
folkiges Werk, das nicht sehr erfolgreich war. Das sollte sich mit dem zweiten Album
ändern. „Space Oddity“ mit der gleichnamigen Hitsingle traf den Zeitgeist. Kurz nach
Erscheinen fand die Apollo 11 Mission statt. Und die Hauptfigur des Titelsongs, der
Astronaut Major Tom, hätte gut in Stanley Kubricks Film „2001 Odyssee im
Weltraum“ gepasst.
Space Oddity / Space Oddity
Bowie nahm mit „Space Oddity“ auch Bezug auf seine ersten Erfahrungen mit
Heroin.
Und er nutzte nicht nur die Aufbruchstimmung, die durch die
Erforschungsmöglichkeiten des Alls entstanden, sondern auch die zunehmende
Befreiung der Geschlechterrollen. Er baute sein androgynes Image weiter aus,
spielte mit Gender-Klischees, trat in Frauenkleidern auf und entwickelte die in
schrillen Farben geschminkte und gekleidete rothaarige Kunstfigur Ziggy Stardust.
Mit der Single „Starman“ aus dem Album „The Rise And Fall Of Ziggy Stardust and
the Spiders from Mars” empfahl er sich den Fans des Glamrock.
Starman / Ziggy Stardust
Später erzählte mir der Musiker, dass ihm die Verkleidungen aus dieser Zeit den
Spott seines Sohnes Duncan eingebracht hatten, der 1971 aus der Ehe mit Angela
Barnett hervorgegangen war.
O-Ton
Mein Sohn findet das sehr komisch. Er kann gar nicht glauben, was ich alles getan
habe. Er findet das zum Totlachen. Aber er ist ja auch sehr klug. Und im Gegensatz
zu mir studiert er zu Ende. Philosphie. Er macht gerade seinen Doktor.
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Wahrscheinlich wird er beim Fernsehen enden. Als Drehbuchautor oder sowas. Wie
alle anderen Philosophiedoktoren auch. Die die ich kenne, leiten alle eine Fernsehoder Radiostation.
Bowie sollte fast recht behalten. Duncan, der den bemerkenswerten Zusatznamen
Zowie Haywood Jones trägt, ist mittlerweile ein erfolgreicher Science-FictionRegisseur.
Nicht nur auf den Sohn übten Bowies All-Fantasien einen nachhaltigen Einfluss aus.
Wie sehr seine Ideen vor allem aus den 70er und 80er Jahren Bereiche wie Kunst,
Design und Mode beeinflusst haben, wurde mir Anfang 2013 noch einmal so richtig
klar, als ich im Londoner Victoria and Albert Museum die hoch gelobte und sehr gut
besuchte Ausstellung „David Bowie Is“ ansah, die ganz offensichtlich nicht nur seine
Anhänger aus jener Zeit faszinierte. Die Kunst des vielseitigen Talentes zog auch
viele junge Besucher an.
Rebel Rebel / Diamond Dogs
Mitte der 70er Jahre zog Bowie in die USA, nahm das Album „Diamond Dogs“ mit
Hits wie „Rebel Rebel“ auf und schwenkte zu einem Stil über, den er Plastic Soul
nannte. Der Song „Fame“ aus dem Album „Young Americans“ brachte ihm seinen
ersten Nummer Eins Hit in den Vereinigten Staaten ein.
Fame / Young Americans
Als Bowie Ende der 70er Jahre von den USA nach Berlin umzog, war er hochgradig
heroinabhängig und abgemagert. Damals entstanden die drei Alben „Low“, „Heroes“
und „Logder“, die als „Berlin Trilogy“ bekannt wurden, obwohl sie, wie Bowies
Produzent und Freund Tony Visconti mir vor einigen Jahren erzählte, zum Teil an
anderen Orten geschrieben beziehungsweise aufgenommen worden waren.
Visconti O-Ton
Die sogenannte „Berlin Trilogy“ hieß so, obwohl wir nur ein Album in Berlin
aufgenommen haben. „Heroes” spielten wir komplett in Berlin ein. “Low“ entstand
teilweise in Frankreich, und dann stellten wir das Album in Berlin fertig. Als wir
„Lodger“ aufnahmen, arbeiteten wir überhaupt nicht in Berlin. Es kann höchstens
sein, dass David einen Teil der Songs in Berlin geschrieben hat.
Bowie lebte damals in einer WG mit dem US Kollegen Iggy Pop, für den er diverse
Alben produzierte. Er sog die gespannte, aber auch kreativitätsfördernde Stimmung
in der geteilten Stadt auf und beschäftigte sich mit der Kultur der Weimarer Republik.
In jener Zeit nahm er im Hansa Tonstudio 2 mit Blick auf den Wachtturm der DDR
Grenztruppen den Song „Heroes“ auf, der bis heute immer wieder von anderen
Musikern gecovert wird. Zuletzt spielte auch die deutsche Acapella Formation Slixs
eine eigene Version ein. Bandgründer Michael Eimann ist auch heute noch fasziniert
von dem Lied.
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O-Ton
Für mich hatte der Text immer etwas sehr Zerbrechliches, sehr Fragiles. Und das
fand ich eben interessant, weil die Musik sehr kraftvoll ist. Es ist tatsächlich so ein
trauriges Bild, so ein Blick auf die Mauer.
Die Geschichte des Liebespaares, das sich unter Bowies Augen regelmäßig direkt an
der Mauer traf, berührte auch Eimann.
O-Ton
Es ist halt nur so ein kleiner Ausschnitt aus diesem Riesenkomplex Mauer, was da
noch dranhängt - einfach nur diese Geschichte, die schon beeindruckend ist, weil sie
so klein ist.
Slixs Heroes
1992 heiratete David Bowie in zweiter Ehe in einer Kirche in Florenz das Fotomodell
Iman Abdulmajid, das zuvor in Michael Jacksons Video "Remember The Time"
aufgetreten war. Iman stammt aus Somalia. Und das fand David besonders reizvoll.
O-Ton
Der Teil von Somalia, in dem sie zur Welt kam, wurde von den Italienern
kolonialisiert. Es gibt dort also viele Einflüsse, die eindeutig italienischen Ursprungs
sind. Und die haben sich dort immer weitervererbt. Eine merkwürdige italienisch
arabische Mischung, die ich einfach faszinierend finde. Sehr anregend, sehr sexy.
Sie macht tolle Sachen mit ihren Händen.
Gesten, meine ich. Sie spricht sehr viel mit den Händen, wie das Italiener eben so
tun. Ich liebe das.
Die Gegensätze zwischen Schwarz und Weiß faszinierten Bowie. Und noch einige
andere Elemente hielt er für unerlässlich für eine gute Beziehung.
O-Ton
Ich weiß, es ist ein Klischee. Aber Intelligenz und Humor sind wichtig für eine richtig
sexy Beziehung. Sie sind der Schlüssel. Und man muss bereit sein, die Unterschiede
zwischen beiden Partnern zu akzeptieren und sie zu schätzen. Man sollte nicht nur
die Ähnlichkeiten suchen, sondern sich bewusst machen, wie interessant und
wunderbar die Unterschiede sind. Das macht das Ganze spannend. Das hält uns
glücklich.
China Girl
“China Girl” aus Bowies Album “Let’s Dance”. Ursprünglich hatte er das Stück
gemeinsam mit Iggy Pop für dessen Album „The Idiot“ geschrieben. Doch erst in
Bowies Fassung wurde er bekannt.
Der britische Musiker war auch ein begnadeter Live Entertainer. Das Leben auf
Tournee gestaltete er sich so angenehm wie möglich.
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O-Ton
Ich bin zum Glück ein Frühaufsteher. Deshalb lasse ich nie die Gelegenheit aus, mir
tagsüber die Orte anzusehen, die ich noch nicht kenne. In den Städten, in denen ich
schon häufig war, habe ich meistens Freunde. Ich ziehe oft mit meinem Gitarristen
durch die Museen und Kunstgalerien und guck, was sich tut.
Und er verhielt so umsichtig, dass er nicht von aufdringlichen Fans belagert wurde.
O-Ton
Damit hab ich nie Probleme. Ich reise ja nicht mit einer kompletten Entourage. Damit
zieht man Aufmerksamkeit auf sich. Es ist viel einfacher, in einer kleinen mobilen
Einheit zu reisen.
Zur Not hätte vielleicht eine Andy Warhol Perücke geholfen.
O-Ton ((lacht))
Das wäre das Letzte, eine Warhol Perücke, Tolle Idee! Ich setz eine Ziggy Stardust
Perücke auf. Knallrot. Damit kann man mich nicht verfehlen.
Allerdings ging Bowie lange Zeit nicht besonders sorgsam mit seinem Körper um.
Auf die Frage, ob er sich auf Tournee wie Mick Jagger mit Joggen fithalte, antwortete
er belustigt.
O-Ton
Joggen? Ich? Ich hasse diesen Kram. Den soll meine Frau Iman machen. Die ist in
dieser Hinsicht bewundernswert diszipliniert. Ich telefoniere viel und lese Zeitung.
Das hält meine Muskeln fit.
Er hielt sich auch ungern an Regeln. So interessierte es ihn nicht, dass in der
Hotelsuite, in der wir uns zum Interview trafen, nicht geraucht werden durfte.
O-Ton ohne Synch
Well if you don’t mind , I smoke. It helps my voice. It gives my voice that Janis Joplin
sound. I can't do the whiskey, this is all I got left. It's so sad. Oh it's such a pathetic
existence.
Rauchen meiner Stimme den Janis Joplin Sound. Außerdem gönne ich mir
ansonsten ja nicht mal mehr Whiskey. Ein erbärmliches Leben, sagte er und strahlte.
Station to Station / Station to Station
David Bowie war nicht nur als Musiker erfolgreich. Er war auch als Schauspieler
gefragt. So traute er sich mit "The Elephant Man" an den Broadway und spielte in 27
Filmen mit, etwa 1977 neben Marlene Dietrich und Kim Novak in „Schöner Gigolo,
Armer Gigolo“. Er trat in „Der Mann, der vom Himmel fiel“ auf sowie im Anti-KriegsFilm „Merry Christmas, Mr. Lawrence” und in „Begierde”.
Er machte 1982 beim Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ mit und half beim
Soundtrack. Eine seiner wichtigsten Rollen war die der New Yorker Legende Andy
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Warhol in Julian Schnabels Portrait des Malers Jean Michel Basquiat. Dabei hatte
Warhol gar nicht zu Bowies Vorbildern gehört, als er mit den Dreharbeiten anfing.
O-Ton
Ich habe ihn schätzen gelernt, weil mich der Maler Julian Schnabel, der bei diesem
Film auch Regie geführt hat, mit seiner Begeisterung angesteckt hat. Ich hatte
Warhol nie in einem besonders menschlichen Licht gesehen. Für mich war er immer
ein kalter Fisch gewesen. Aber Julian hat mir klargemacht, dass die Menschen
Warhol wirklich etwas bedeutet haben. Und ich habe versucht, das in meiner Rolle
herauszustellen. Warhol hatte einfach als Künstler sehr viel Macht. Ich bin kein
besonders großer Warhol Fan. Aber ich finde es gut, was er für die
Wiederentdeckung der Idee getan hat, dass man intellektuelle Neugier mit
ästhetischem Empfinden verbinden kann. Allerdings glaube ich, dass ihm selbst gar
nicht klar war, was er damit in der Kunstwelt ausgelöst hat. Ihn hat eigentlich nur sein
sozialer Status interessiert. Und den hat er ja erreicht. Weltberühmt, gesellschaftlich
anerkannt. Er hat alles erreicht, was er wollte.
A small plot of land / Outside
„A small plot of land“ aus dem Soundtrack zum Film „Basquiat“. Der Song war zuvor
auf dem Album „Outside“ erschienen. Bowie hatte ihn gemeinsam mit seinem
langjährigen musikalischen Weggefährten Brian Eno aufgenommen. Dieser gehörte
neben Marc Bolan, Iggy Pop, Peter Frampton, Mick Jagger und John Lennon zu den
Musikern, die Bowies Karriere am nachhaltigsten beeinflusst hatten. Nach einer
Interimsphase mit der wenig erfolgreichen Punk Revival Band Tin Machine Anfang
der 90er Jahre war Bowie froh, wieder mit Eno arbeiten zu können. Das Album trug
den Untertitel „The Nathan Adler Diaries“, auch in Anlehnung an das Tagebuch, das
Eno kurz zuvor veröffentlicht und mit einem exzentrischen Titel versehen hatte.
O-Ton
Schon der Titel "My Year With Swollen Appendices" klingt doch vielversprechend.
Das ist das Jahr 1995 in Tagebuchform. Und am Ende hat er auf rosa Seiten all
seine Gedanken und Theorien des Jahres gesammelt. In der ersten Hälfte erzählt er
von seinen Kindern und von der Arbeit mit mir und Bono. Ein sehr kluges Buch.
Vielleicht lese ich das mal laut und lege einen Backbeat drunter.
Die Songs auf „Outside“ beschäftigten sich allerdings nicht mit Brian Enos Alltag.
Vor den Aufnahmen hatten Bowie und Eno in einer österreichischen Psychiatrie die
Patienten interviewt und sich mit ihren in der Therapie entstandenen Bildern
auseinandergesetzt.
O-Ton
Es geht um den Kampf zwischen Gut und Böse. Und dass die Kirche von den
Künsten und vom Fußball verdrängt wird. Dass die Kunst zur Religion wird. Ich hab
mich ja eingehend mit moderner Architektur beschäftigt. Ist Ihnen aufgefallen, dass
die Leute inzwischen sonntags ins Museum gehen, nur um im Museum zu sein?
Hauptsache, man ist dabei. Das hat mit dem Guggenheim Museum angefangen. Das
Museum an sich steht für etwas Gutes. Die Leute hoffen, dass die Reinheit, Ästhetik
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und intellektuelle Schwere auf sie abfärbt und dass sie nach dem Besuch bessere
Menschen sind. Das ist schon bald so wie bei der Kirche.
Hallo Spaceboy / Outside
David Bowie hatte sich schon früh mit den Weltreligionen auseinandergesetzt. Am
ehesten sagte ihm der Buddhismus zu.
O-Ton
Ich habe die Nase voll von organisierten Religionen. Mir geht es bei diesen Dingen
gar nicht so sehr um die Rituale an sich, sondern darum, dass man etwas lernt. Im
Christentum finde ich die Gnostiker interessanter als die reformierte Kirche. Bei den
Gnostikern ist der Gedanke ähnlich wie bei den Buddhisten. Sie meinen, dass der
Mensch selbst seinen Standort finden sollte. Dass er keine Hierarchie braucht und
auch keinen Priester, um in das spirituelle Leben eingeführt zu werden. Deshalb
tauchen die Gnostiker wohl auch nicht in der Bibel auf. Sie haben die Kirche und
ihre Machtstruktur ja nicht gerade unterstützt. Sie haben eher subversiv gewirkt. Die
Ideen der Gnostiker und der Buddhismus, das wäre doch eine interessante
Mischung. Ich mag allerdings nur einzelne Teile von beiden. Ich baue mir in dieser
Hinsicht wie immer gern etwas aus dem zusammen, was so auf dem Teppich
rumliegt.
Let’s Dance / Let’s Dance
Ende der 70er Jahre war David Bowie aus Steuergründen in die Schweiz gezogen,
zuerst nach Bloney oberhalb vom Genfer See. Später siedelte er in das größere
Anwesen Chateau du Signal in der Nähe von Lausanne um. 1995 verkaufte er es,
obwohl ihm der Blick auf den Genfer See gefallen hatte. Er habe sich dort ein wenig
wie vor der Kulisse eines Kunstkalenders gefühlt, sagte er.
O-Ton
Wunderschön. Nur leider ist es jeden Monat dasselbe Kalenderblatt.
Bowie war nicht die einzige Eminenz aus der Popszene, die es in die Schweiz
gezogen hatte. Allerdings, sagte er, sei er seinen prominenten Kollegen Tina Turner
oder Phil Collins dort nie begegnet.
O-Ton
Nein. Aber ich habe gehört, dass dort viele Künstler wohnen. Ich habe allerdings nie
jemanden getroffen. Erst als der österreichische Expressionist Oskar Kokoschka
gestorben war und sein Beerdigungszug an meinem Haus vorbeizog, habe ich
erfahren, dass er im selben Dorf gelebt hatte wie ich. Ich war ziemlich fertig. Der
Mann ist einer meiner Lieblingsmaler.
Haben Sie gewusst, dass er sein ganzes Werk der Stadt Montreux vermacht hat?
Und die Stadt hat das Erbe abgelehnt, weil sie keinen Platz für die Bilder hatte. Das
ist doch purer Wahnsinn! Was für ein verrücktes Land! Wenn ich das gewusst hätte,
hätte ich mich angeboten. Ich hätte Räume gekauft.
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I Have Not Been To Oxford Town / Outside
Vor allem Bowies Frau Iman war es zu ruhig und langweilig bei den Eidgenossen.
Deshalb zog die Familie nach London und New York um. Das Leben in der US
Metropole bot unter anderem den Vorteil, dass sich Bowie dort regelmäßig mit
Freunden wie dem Ex Talking Heads Musiker David Byrne austauschen konnte. Die
zwei Künstler lagen auf einer Wellenlänge, schon weil sie beide auch im visuellen
Bereich arbeiteten. Bowie malte und bewunderte Byrne wegen seines Talents als
Fotograf. Einerseits. Andererseits war er oft auch genervt von seinem Kollegen.
O-Ton
David Byrne ist eher jemand, der sich dauernd auf der Straße rumtreibt. Bei ihm
muss man immer aufpassen, dass er einen nicht mit seiner Kamera überrascht. Er
hat mich mal besucht, und da hat er mir davon vorgeschwärmt, wie sehr er New York
liebt. Ich habe ihn gefragt: „Was magst du so an New York“? Und er hat geantwortet:
„Immer wenn du dort aus dem Fenster guckst, siehst du, wie gerade jemand auf der
Straße umkippt“. Das ist wahrscheinlich eine ziemlich akkurate Beschreibung von
New York.
Dass David Bowie auch ein versierter Kunstsammler war, wurde der Öffentlichkeit
erst nach seinem Tod klar, als seine Sammlung mit rund 300 Werken von Künstlern
wie Damien Hirst oder Marcel Duchamp vor ihrer Versteigerung bei Sothebys
ausgestellt wurde.
David Bowies guter Freund, der Produzent Tony Visconti, erzählte mir 2013 von
einem kulturellen Austausch der besonderen Art.
Visconti O-Ton
Wir wohnen nicht weit von einander in New York. Ich wohne im West Village und er
in Soho. Wir treffen uns einmal im Monat zum Lunch. Dann reden wir über britische
Comedyserien. Das ist unser großes Thema. Das hat schon früh angefangen, mit
Peter Cooke und Dudley Moore, und dann kam „Little Britain“, und so gings weiter.
Wir versuchen, uns an jede einzelne Zeile zu erinnern und sprechen sie nach.
Es gab da mal diese Show namens „The Fast Show“. Als wir das Album „Heathen“
aufnahmen, ließen wir uns immer Videocassetten mit den neuesten Folgen aus
London schicken. Diese Sendung lief ja erst viel später in den USA. Wir machten
dann jeden Tag gemeinsam Mittagspause und sahen uns eine halbe Stunde lang so
eine Folge an. Wir haben beide immer die britischen Comedy Serien geliebt. Wir
haben es auch wirklich geschafft, alles, was Cooke und Moore gemacht haben,
aufzutreiben. Die beiden sind ja so witzig. Ansonsten lieben wir beide Sushi.
Damals behauptete Visconti noch, Bowie ginge es blendend, obwohl es da schon
Gerüchte über seinen miserablen Gesundheitszustand gab. Visconti berichtete auch,
dass Bowie sehr engagiert das künstlerische Schaffen der jüngeren Generation
verfolgte.
Visconti O-Ton
Er hat einen Song für Scarlet Johanssen geschrieben. Und er liebt Arcade Fire. Er ist
mit ihnen auch live aufgetreten. David Bowie ist auch meine Hauptquelle, was neue
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Musik betrifft. Er ist dauernd im Internet und sucht nach neuen Bands. Und er spielt
mir immer wieder welche vor. Wir haben also viel gemeinsam. Wir kennen uns ja seit
über 40 Jahren. Er ist einer meiner ältesten Freunde.
Slow Burn / Heathen
Visconti O-Ton
Wir sind ja für „Heathen“ wieder zusammen gekommen. Und dann haben wir
„Reality“ aufgenommen. Und wie man von den „Berlin“ Alben weiß, machen wir
immer alles im Dreierpack.“
2013 nahm Visconti deshalb an, dass er noch ein weiteres Album mit David Bowie
aufnehmen würde. Und tatsächlich bat Bowie Visconti einige Zeit später ins Studio,
um die Platte „Blackstar“ aufzunehmen. Sie erschien nur wenige Tage vor Bowies
Tod, an seinem 69. Geburtstag.
Nicht nur die Songs, auch die dazugehörigen Videos mit dem schon sehr krank
wirkenden Protagonisten stecken so voller Hinweise auf seinen bevorstehenden Tod
und seine Angst davor, dass ich es kaum ertragen konnte, sie anzusehen.
Lazarus / Blackstar
Am 8. Januar 2017 wäre David Bowie 70 geworden.
O-Ton
Ich halte mich an die chinesische Auffassung, dass das Alter nicht vor 80 anfängt.
Und dass die mittleren Jahre mit 60 losgehen.
Am 10. Januar 2016 starb David Bowie. Die mittleren Jahre hat er also nur in
verkürzter Form erlebt.
Das war SWR2 Tandem - We could be heroes – Ein Portrait des britischen Künstlers
David Bowie. Eine Sendung von und mit Christiane Rebmann.
Unser Podcast-und Newsletter-Angebot und die Liste der gespielten Musiktitel finden
sie im Internet unter SWR2.de/ Tandem.
Lazarus / Blackstar
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