Streit um „bisherige Lebensstellung“ So urteilt der BGH zum Nachprüfungsverfahren in der BU Ein Versicherer stellt die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) ein, weil er der Ansicht ist, dass die neu aufgenommene Tätigkeit des Versicherten seiner „bisherigen Lebensstellung“ entspricht: Nachprüfungsverfahren im Rahmen der BU bergen regelmäßig Konfliktstoff. Welche Folgen ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Thematik hat, erläutert Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 7. Dezember 2016 über die Nachprüfung im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung geurteilt (Az. IV ZR 434/15). Dabei befasste sich der BGH mit der Argumentation eines höheren Freizeitanteils und Arbeitserleichterungen des Versicherten. Der Sachverhalt vor dem BGH: Die Versicherte ist ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin. Sie war von September 2006 bis November 2008 als Krankenschwester bei einem ambulanten Pflegedienst tätig und betreute dort pflegebedürftige Personen in der stationären und ambulanten Pflege. Ihre regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrug 40 Stunden bei einem monatlichen Bruttolohn von zuletzt durchschnittlich 1.359,31 Euro. Nachdem die Versicherte mehrere Bandscheibenvorfälle erlitten hatte, erkannte die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit Schreiben vom 14. April 2009 ihre Leistungspflicht rückwirkend zum 1. Dezember 2008 an und erbrachte die vereinbarten Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ). Seit November 2009 arbeitet die Versicherte als Krankenschwester mit ausschließlich administrativen und unterstützenden Tätigkeiten ohne körperliche Belastungen bei einem Pflegedienst. Bei einer 30-Stunden-Woche erhält sie einen Bruttolohn von 1.050 Euro monatlich. Daraufhin stellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten entsprechend einer Ankündigung vom 21. Mai 2010 die Leistungen zum 1. November 2010 ein. Die Klägerin macht ihre Ansprüche aus der BUZ nun klagweise geltend. Die Parteien streiten folglich darüber, ob die Versicherte auf die von ihr ausgeübte Tätigkeit als Krankenschwester mit ausschließlich administrativen Tätigkeiten verwiesen werden kann. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis www.pfefferminzia.de zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die rechtliche Würdigung des BGH: Zwar ist die Beklagte zur erneuten Prüfung der Berufsunfähigkeit im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens der Berufsunfähigkeit berechtigt, nämlich ob eine andere Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird, die aufgrund der Ausbildung und der Erfahrung ausgeübt werden kann und der bisherigen Lebensstellung entspricht. Jedoch stellt der BGH fest, dass die Voraussetzungen für die Leistungseinstellung nach den – jedenfalls - bisherigen Feststellungen nicht erfüllt sind: Das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit setzt voraus, dass eben diese bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat. Ein Wegfall der Berufsunfähigkeit wegen einer Ver-weisung auf eine vergleichbare Tätigkeit setzt im Nachprüfungsverfahren voraus, dass der Versicherte diese tatsächlich ausübt. Diese andere Tätigkeit muss der bisherigen Lebensstellung der versicherten Person entsprechen. Diese wird vor allem durch die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit geprägt. Ihre Berücksichtigung sondert Tätigkeiten aus, deren Ausübung deutlich geringere Fähigkeiten und Erfahrung erfordert als der bisherige Beruf. Die Lebensstellung des Versicherten wird also von der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit bestimmt, die sich – ebenso wie die Vergütung dieser Tätigkeit – wiederum daran orientiert, welche Kenntnisse und Erfahrungen die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit voraussetzt. Eine Vergleichstätigkeit ist dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinkt. Der Versicherte muss die konkreten Umstände darlegen Die vom Versicherer zu treffende Entscheidung, ob die Leistungen wegen Wegfalls der Berufsunfähigkeit eingestellt werden können, erfordert einen Vergleich des Zustandes, der dem Leistungsanerkenntnis zugrunde liegt, mit dem Zustand zu einem späteren Zeitpunkt. Zwar ist es Sache des Versicherers im Nachprüfungsverfahren darzulegen und zu beweisen, dass der Versicherte nicht mehr berufsunfähig ist. Will der Versicherte jedoch geltend machen, dass die neu ausgeübte Tätigkeit nicht der bisherigen Lebensstellung entspricht, so obliegt es dem Versicherten die konkreten Umstände Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis www.pfefferminzia.de darzulegen, aus denen sich die fehlende Vergleichbarkeit ergeben soll. Eine generelle Quote der hinzunehmenden Einkommenseinbuße lässt sich angesichts der Bandbreite individueller Einkommen nicht festlegen. Vielmehr ist stets eine einzelfallbezogene Betrachtung unerlässlich und geboten. Bei dem bedingungsgemäß vorzunehmenden Einkommensvergleich kommt es entscheidend auf die Sicherstellung der individuellen bisherigen Lebensumstände an. Dabei wirken sich prozentuale Einkommens- und Gehaltsminderungen – je nach Höhe des bisherigen Verdienstes – unterschiedlich belastend aus. Auch die hier gegebene Einkommenseinbuße von 22,77 Prozent wirkt sich bei einem niedrigen Bruttoeinkommen von 1.359,31 Euro wesentlich stärker aus als bei einem Bruttoeinkommen im mittleren oder höheren Bereich. Worauf es beim Einkommensvergleich ankommt Das Berufungsgericht hat die Lebensstellung der Versicherten nur deshalb als „noch“ gesichert angesehen, weil sie nun durch einen wesentlich höheren Freizeitanteil geprägt werde und besondere Belastungen, wie Nachtarbeit, entfielen. Eine solche Verrechnung von Freizeit und Arbeitserleichterungen mit der Einkommensdifferenz ist aber mit dem Zweck der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht vereinbar. Durch das Fehlen von Erschwernissen, wie etwa Nachtarbeit oder Überstunden, wird die Lebensstellung in diesem Sinne aber ebenso wenig geprägt wie durch zusätzliche Freizeit. Beim Einkommensvergleich kommt es entscheidend auf die Sicherstellung der individuellen bisherigen Lebensumstände an. Die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung soll den individuellen und sozialen Abstieg im Berufsleben und in der Gesellschaft verhindern. Ein solcher Abstieg wird nicht durch mehr Freizeit und das Fehlen von Erschwernissen am Arbeitsplatz vermieden, sondern dadurch, dass dem Versicherten weiterhin die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, die die Aufrechterhaltung des in gesunden Tagen durch den früheren Beruf erreichten Lebensstandards ermöglichen. Demnach ist der Vorteil größerer Freizeit angesichts des Zwecks der Berufsunfähigkeitsversicherung, den Unterhalt des Versicherten und gegebenenfalls seiner Familie auch in Zeiten der Krankheit sicherzustellen, nicht zu berücksichtigen. Von der zusätzlich gewonnenen Freizeit kann der Unterhalt nicht bestritten werden. Könnte man Einkommenseinbußen durch Zeitgewinn kompensieren, bedeutete das letzten Endes, dass der gänzliche Verlust des Einkommens durch den völligen Wegfall beruflicher Tätigkeit aufgewogen würde. Das wiederspricht dem Sinn und Zweck einer Berufsunfähigkeits(zusatz)versicherung. Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis www.pfefferminzia.de Auswirkungen für die Praxis: Das Urteil des BGH ist zu begrüßen, denn es stellt einmal mehr den Ablauf des Nachprüfungsverfahrens in der Berufsunfähigkeitsversicherung klar und zeigt deutlich auf, dass die Argumentation, der Versicherte habe „mehr Freizeit“, nicht durchgreift. Vielmehr wird deutlich, was der Sinn und Zweck der Absicherung der Arbeitskraft ist. Vor diesem Hintergrund sollte – auch im Nachprüfungsverfahren – die Argumentation des Versicherers gegenüber dem Versicherten stets juristisch überprüft werden, damit nicht eine ungerechtfertigte Leistungsablehnung oder/und Leistungseinstellung erfolgt. Die Kanzlei Jöhnke & Reichow wird zu dem Bereich Berufsunfähigkeit auf dem Vermittlerkongress am 22. Februar 2017 in Hamburg informieren. Informationen zur Agenda finden Sie hier. Dieser Artikel erschien am 06.01.2017 unter folgendem Link: http://www.pfefferminzia.de/streit-um-bisherige-lebensstellung-so-urteilt-der-bgh-zum-nachpruefungsverfahren-in-der-bu-1483697000/ Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis www.pfefferminzia.de Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)
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