Wer sind die Vereinsmitglieder von morgen – Die Gesellschaft verändert sich. Der Sportverein auch? Referent: Thomas Baus, Programm „Integration durch Sport“ Unsere Gesellschaft befindet sich in permanenter Veränderung. Unmittelbar zu spüren ist das allerdings selten. Viele Prozesse laufen sehr langsam ab und über einen langen Zeitraum. Oft bemerkt man erst viele Jahre später, wie sich Ansichten, Trends, Vorlieben oder Gewohnheiten verändert haben. Deutlich wird das dann in oft gehörten Sätzen wie „Früher war das noch ganz anders“ oder „In meiner Jugendzeit gab es das noch nicht.“ Veränderungen in der Gesellschaft setzen neue Impulse. Wissenschaft und Forschung versorgen uns mit Informationen z.B. über Gesundheit, Leistungsfähigkeit, Lebenserwartung und Risiken. Die Politik inszeniert daraufhin Programme und passt Gesetze an, um diesen neuen Erkenntnissen gerecht zu werden. Vieles davon hat auch schon Sportvereine ganz unmittelbar betroffen wie z.B. die Kampagnen zur Gesunderhaltung durch Bewegung. Ebenso ist im Steuerrecht der Begriff „Übungsleiterpauschale“ etabliert, der einen direkten Bezug zur Vereinspraxis hat. Sportvereine sind also ein wichtiger Bestandteil im gesellschaftlichen Leben. Und somit vollziehen sie gesellschaftliche Veränderungen auch in den eigenen Reihen. Besonders häufig diskutiert ist in unserer Gesellschaft aktuell der demografische Wandel. Das heißt nichts anderes, als das sich die Zusammensetzung unserer Bevölkerung in Deutschland nachhaltig verändert. Und das auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig. Zum einen in der Alterstruktur. Bis zum Ende der sechziger Jahre wurden in Deutschland mehr Kindern geboren, als Menschen starben. Die Anti-Baby-Pille drehte diese Tendenz dann radikal um. Aktuell kommen jährlich ca. 600.000 Kinder zur Welt, gerade einmal halb so viele wie 1964, dem geburtenreichsten Jahrgang nach dem zweiten Weltkrieg. Die Auswirkungen kennen wir. Es gibt weniger Kinder und Jugendliche. Eine Reaktion darauf ist z.B. die Zusammenlegung von Schulen bzw. deren Schließung. Welche Konsequenz zieht der Sport daraus? Wie muss sich der Sportverein auf diese Situation einstellen? Der Sportverein sieht sich aber nicht nur mit der zurück gehenden Zahl von Kindern und Jugendlichen konfrontiert. Ganztagsangebote in Schulen und ein hoher Leistungsanspruch unseres Bildungssystems beanspruchen heute viel Zeit von Kindern und Jugendlichen. Der organisierte Sport wird hier teilweise zu einem Faktor, der in den Terminplan zu integrieren ist. Zudem steht der Sport als eine Möglichkeit der Freizeitgestaltung neben einer wachsenden Vielzahl anderer Angebote vom Computer bis zum Klavierunterricht. Der Verein steht also beinahe schon in Konkurrenz und muss für sich werben, um weiterhin Kinder und Jugendliche zu erreichen. Wie kann das wirkungsvoll und leistbar umgesetzt werden? Weniger Kinder und Jugendliche auf der einen Seite dürfen uns die älter werdenden Generationen auf der anderen Seite nicht vergessen lassen. Und damit sind keineswegs in erster Linie die Senioren gemeint. Der Personenkreis ab etwa 35 Jahren steht hier weit mehr im Fokus. In dieser Altersgruppe verlieren viele Vereine aktive Mitglieder. Männer verlassen die Altherrenmannschaften der Fußballvereine. Frauen gehen häufig an kommerzielle Anbieter von Fitnesskursen oder Sportstudios verloren. Generell sind Frauen in jeder Altergruppe der Sportvereinsmitglieder (abgesehen von Mädchen unter 10 Jahren) in deutlich geringeren Zahlen vertreten als Männer. Welche Angebote fehlen hier? Stimmen die Strukturen im Sportverein? Wie motiviert man Männer und Frauen zum Wiedereintritt in den aktiven Sport? Die genannte Altersgruppe spielt zudem eine immens große Rolle, wenn es um das Ehrenamt im Sportverein geht. Kaum ein Sportverein klagt aktuell nicht über einen Mangel an ehrenamtlichen Helfern und über Schwierigkeiten, eben diese zu finden und vor allem auch zu halten. Natürlich spielen hier auch wieder viele gesellschaftliche Faktoren gleichzeitig hinein. Die Männer und Frauen in dieser Altersspanne sind zumeist berufstätig und damit bereits täglich „eingespannt“. Der berufliche Alltag in Deutschland darf durchaus als anspruchsvoll und stark leistungsorientiert bezeichnet werden. Die Bereitschaft, darüber hinaus noch ein größeres Ehrenamt zu übernehmen bedarf somit einer starken Motivation. Damit nicht genug. Viele andere Bereiche unserer Gesellschaft werben gleichzeitig um ehrenamtliche Unterstützer. Elternbeiräte, Rettungsdienste, Feuerwehr, Kirchen, Gesangvereine und unzählige andere Gruppen sind ebenso wie die Sportvereine auf Ehrenamtliche angewiesen. Nicht selten erleben wir schon jetzt, dass einzelne Personen mehrfach Ehrenämter ausüben und nicht selten ihre Leistungsgrenzen dabei erreichen oder gar überschreiten. Wie muss das Ehrenamt im Sportverein beschaffen sein, um Personen nach ihren Fähigkeiten und Ressourcen dafür motivieren zu können? Was kann der Sportverein seinen Ehrenamtlichen bieten? Wo muss der Sportverein seine Ehrenamtlichen suchen? Welche Erwartungen sind angemessen? Zumeist passive Mitglieder sind die Senioren in den Sportvereinen. Diese Mitglieder sind durchaus auch wichtig. Zum einen sind sie Beitragszahler, selbst wenn sie nicht aktiv an Angeboten des Vereins teilnehmen. Außerdem gehören viele von Ihnen zur Generation, die das moderne Vereinswesen, wie wir es heute kennen, mit aufgebaut haben. Sie sind also wichtige Personen im ideellen Sinne und nicht zuletzt auch jene, die häufig an den geselligen Angeboten der Sportvereine teilnehmen und auch gern gesehene Gäste der Sportgastronomie sind. Möglicherweise bilden sie eine der letzten Generationen, die die Vereinsmitgliedschaft selbstverständlich als lebenslange Bindung versteht. Die aktuelle Bevölkerungsentwicklung in Deutschland garantiert uns in den nächsten Jahrzehnten wachsende Zahlen von Senioren. Und sie bilden nicht nur eine immer größere Gruppe in der Bevölkerung, sondern sie bleiben auch länger fit und werden insgesamt älter. Was kann der Sportverein heute tun, um sich die künftigen Senioren in den eigenen Reihen zu sichern? Welche Angebote sind heute und in Zukunft notwendig, um auf die wachsenden Zahlen älterer Menschen auch im Sport eine passende Antwort zu finden? Welche Qualifizierungen von Übungsleitern sind in Zukunft stärker gefragt als heute? Es liegt auf der Hand, dass Sportvereine ein generationsübergreifendes Angebot haben. Ebenso klar ist die Bedeutung von Sportvereinen als Anbieter von Freizeitmöglichkeiten in Städten und Dörfern. Sportvereine haben in Deutschland eine lange Tradition und über Jahrzehnte hinweg gewachsene Strukturen. Sportvereine und das Vereinswesen als solches sind aus unserem Land überhaupt nicht wegzudenken. Das ist keineswegs überall so. Im Gegenteil stellt das deutsche Vereinswesen mit seinen Strukturen und Zielsetzungen weltweit etwas nahezu einzigartiges dar. Und das ist ebenfalls in die Überlegungen zu Auswirkungen des demografischen Wandels mit einzubeziehen. In Deutschland leben mittlerweile Menschen aus der ganzen Welt. Nicht alle tun das dauerhaft. Aber jene, die sich entschieden haben, in der Bundesrepublik eine neue Heimat zu finden, sind auch für Sportvereine potenzielle neue Mitglieder. Dass der Sport eine ausgezeichnete Ebene zur Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Sprache und Herkunft ist, muss eigentlich nicht gesondert erwähnt werden. Sport ist international und dank weltweiter Wettbewerbe in fast allen Sportarten ist selbst das Regelwerk allgemein bekannt. In den meisten Kulturen dieser Welt spielt der Sport eine wichtige Rolle. Oft finden sich auch gleiche Motive unter den Sporttreibenden wie Teamgeist, Bewegung, Wettstreit, Leistungssteigerung. Jeder fünfte Einwohner in Deutschland und auch in Bayern ist zugewandert oder direkter Nachkomme von Einwanderern. In bayerischen Sportvereinen gehört hingegen nicht einmal jedes zehnte Vereinsmitglied zu diesem Personenkreis. Offensichtlich finden Zuwanderer nicht in dem Maße den Weg in den Sportverein wie Einheimische. Ursachen dafür sind zum Teil in der Zuwanderungsgeschichte zu sehen. Als in den sechziger Jahren Gastarbeiter vor allem aus der Türkei, aus Griechenland und Italien in die Bundesrepublik kamen, war man lediglich an ihrer Arbeitskraft interessiert. An eine gesellschaftliche Integration unter anderem auch in Sportvereine dachte niemand. Heute sehen wir uns mit der Tatsache konfrontiert, dass die Gastarbeiter nicht alle nur Gäste waren sondern heute mit ihren Nachkommen einen bedeutenden Anteil in unserer Bevölkerung darstellen. Zum Vereinssport hat diese Gruppe nur bedingt Zugang. Die Kinder der dritten Generation der Gastarbeiter sind zwar häufiger in Sportvereinen anzutreffen. Ihre Elterngeneration hingegen kann eher selten eine Mitgliedschaft im Sportverein vorweisen. Zudem ist diese Gruppe auch im Ehrenamt deutlich geringer vertreten im Vergleich zu Einheimischen. Hier besteht großes Potenzial zum einen aber auch immenser Bedarf, die Integrationsversäumnisse der letzten 40 Jahre aufzuarbeiten andererseits. Besonders die Thematik von Sportangeboten im Einklang mit kulturellen Bedürfnissen von Muslimen steht hier noch ziemlich weit am Anfang. Besonders Mädchen und Frauen nehmen längst nicht im erwünschten Maße am Vereinssport teil. Welchen Beitrag vermag der Sportverein hier zu leisten? Welche Gewinnmöglichkeiten offenbaren sich hier für den Vereinssport? Wie weit kann der Sport hier den besonderen Bedürfnissen entgegen kommen? Eine andere große Gruppe von Zuwanderern stellen die Aussiedler dar. Sie kamen vor allem zu Beginn der neunziger Jahre in großen Gruppen nach Deutschland und sorgten auch dafür, dass die Bevölkerungszahlen wieder anstiegen vor allem auch bei Kindern und Jugendlichen. Zudem brachten sie eine grundsätzlich positive Einstellung zum Sport mit, die in ihrem Herkunftsland stark ausgeprägt war. Allerdings wurde der Sport dort auch stark durch den Staat organisiert. Somit kommen diese Zuwanderer nicht automatisch von allein hier in den Sportverein. Interessant sind sie allemal für den Vereinssport, da viele Aussiedler teilweise professionelle sportliche Qualifikationen mitbringen, die auch hier sehr gefragt sind. Welche Strategien brauchen Sportvereine, um sich neuen Zielgruppen zu öffnen und dies auch an die Zielgruppen heranzutragen? Die Gesellschaft verändert sich. Sportvereine sind Teile der Gesellschaft und somit werden sie mit den veränderten Bedingungen konfrontiert. Welche Veränderungen sind notwendig, um auch künftig ein leistungsfähiger Sportverein zu sein? Was muss behalten und bewahrt werden, um den Fortbestand zu sichern? Anhand von Zahlen und Beobachtungen soll ebendies diskutiert werden im Sinne einer zukunftsfähigen Sportvereinslandschaft in Bayern.
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