MEDIZIN ORIGINALARBEIT Entwicklung extrem unreifer Frühgeborener Ergebnisse des Niedersächsischen Frühgeborenen-Nachuntersuchungsprojekts Wolfgang Voss, Elke Hobbiebrunken, Uta Ungermann, Michael Wagner, Gabriele Damm ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: In Deutschland liegen keine flächendeckenden Langzeitergebnisse zur Entwicklung extrem unreifer Frühgeborener bis ins Schulalter vor. Methode: In Niedersachsen wurden zwischen 10/2004 und 09/2008 insgesamt 437 frühgeborene Kinder (Gestationsalter< 28 Schwangerschaftswochen [SSW]) im Alter von 2 und 5 Jahren und teilweise im Alter von 10 Jahren nachuntersucht. Die 5-Jahres-Untersuchungsdaten wurden mit peri- und neonatologischen Parametern zusammengeführt und mit Daten der Zweiund Zehnjährigen verglichen. Ergebnisse: Die Mortalität extrem unreifer Frühgeborener betrug 25,1 %. Von den untersuchten Fünfjährigen waren 14,1 % geistig und 17,4 % körperlich behindert. 40,4 % zeigten sprachliche Auffälligkeiten, bei 33,1 % wurden Verhaltensauffälligkeiten beobachtet und 72,5 % erhielten therapeutische Interventionen. Bei einer sonographisch festgestellten schweren Hirnschädigung nach der Geburt erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit für die spätere Manifestation einer Zerebralparese (Odds Ratio [OR]: 38,28; 99-%-Konfidenzintervall: [12,55; 116,80]) und für eine eingeschränkte kognitive Entwicklung (OR: 7,36 [2,52; 21,51]). Die Wahrscheinlichkeit für kognitive Einschränkungen stieg außerdem durch einen niedrigeren Bildungsstand der Mutter (OR: 3,83 [1,68; 8,77]). Bei 73,1 % (242 von 331) der Zweijährigen verblieb das kognitive Niveau auch im Alter von 5 Jahren in der gleichen Kategorie. Bei den Fünfjährigen traf dies auf 82,4 % (65 von 79) auch im Alter von 10 Jahren zu. Schlussfolgerung: Das Untersuchungskollektiv weist ein erhebliches Risiko für Entwicklungsstörungen auf und hat in der Folge einen großen Bedarf an therapeutischer Versorgung. Die hier ermittelten Einflussfaktoren können dazu dienen, besonders förderungsbedürftige Patienten zu identifizieren und frühzeitig gezielte Maßnahmen einzuleiten, um kognitive und motorische Fähigkeiten zu verbessern. Eine bundesweite standardisierte Nachuntersuchung im Alter von 5 Jahren wäre wünschenswert. ►Zitierweise Voss W, Hobbiebrunken E, Ungermann U, Wagner M, Damm G: The development of extremely premature infants—results from the Lower Saxony Longitudinal Study of Prematurity (Niedersächsisches Frühgeborenen-Nachuntersuchungsprojekt). Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 871–8. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0871 Sozialpädiatrisches Zentrum Auf der Bult, Hannover: Dr. med. Voss Sozialpädiatrisches Zentrum, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Göttingen: Dr. med. Hobbiebrunken Sozialpädiatrisches Zentrum, Kinderhospital Osnabrück: Dr. Ungermann, Ph.D. (University of Oregon) Sozialpädiatrisches Zentrum, Diakonisches Werk Oldenburg: Dr. med. Wagner Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen (ZQ), Einrichtung der Ärztekammer Niedersachsen, Hannover: Gabriele Damm Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 C irca 0,6 % aller Kinder in Deutschland werden mit einem Gestationsalter unter 28 Schwangerschaftswochen (SSW) geboren (1). Bei diesen extrem unreifen Frühgeborenen handelt es sich um ein Risikokollektiv, dessen Überlebenschancen sich durch den medizinischen Fortschritt in der Geburtshilfe und Neonatologie deutlich verbessert haben (2, 3). Heutzutage überleben etwa 80 % dieser Kinder (4) gegenüber 30 % in den späten 1970er Jahren (5). Mit zunehmender Überlebensrate stellt sich die Frage nach der Langzeitentwicklung. Große internationale Studien wie die EPICure-Studie (United Kingdom [UK] und Irland) (6), die EPIPAGE-Studie (Frankreich) (7) und die Studie der Victorian Infant Collaborative Study Group (Australien) (8) lassen einen hohen Anteil an Behinderungen beziehungsweise Entwicklungsstörungen erkennen. Der Anteil der Kinder mit Zerebralparese (CP) – einer Störung der Haltung und Bewegung, die durch eine Schädigung des sich entwickelnden Gehirns hervorgerufen wird – liegt danach zwischen 10 und 15 %, der Anteil der geistig Behinderten (Intelligenzquotient [IQ] < 70) zwischen 15 und 20 %, bei vor der 26. SSW Geborenen sogar bei 40 %. In Deutschland sind prospektive Langzeituntersuchungen bis in das Schulalter selten (9, 10). Multizentrische flächendeckende Nachuntersuchungsergebnisse liegen bisher nicht vor. Nach dem Modell der Nachuntersuchungen der Hannoverschen Frühgeborenen-Langzeitstudie (11) ist im Bundesland Niedersachsen 2004 das Niedersächsische Frühgeborenen-Nachuntersuchungsprojekt, eine landesweite Nachuntersuchung extrem unreifer Frühgeborener, initiiert worden. Ziel dieser Arbeit ist es, Aussagen zum Überleben und zum neurologischen und kognitiven Langzeitergebnis zu treffen. Es soll vor allem den folgenden praktisch relevanten Fragen nachgegangen werden: ● Zu welchem Zeitpunkt kann die Entwicklung dieser Frühgeborenen ausreichend sicher prognostiziert werden? ● Welche peri- und neonatologischen Risikofaktoren belasten das Langzeitergebnis so, dass eine besondere Beobachtung und Förderung der Kinder notwendig werden? Methode Ehemalige extrem unreife Frühgeborene aus dem Geburtszeitraum 10/2004 bis 09/2008 wurden zu definierten Zeitpunkten (2, 5 und 10 Jahre) nachuntersucht. Die 5-Jahres-Untersuchungsdaten wurden mit den relevanten peri- und neonatologischen Daten zusammengeführt und mit den Ergebnissen im Alter von 2 und 10 Jahren 871 MEDIZIN GRAFIK Frühgeborene < 28 SSW Niedersachsen (4 Jahrgänge) n = 926 Überlebende n = 694 2-Jahres-Nachuntersuchung untersucht n = 514 auswertbar n = 510 Verstorbene n = 232 5-Jahres-Nachuntersuchung nicht untersucht n = 180 untersucht nicht auswertbar*2 n=4 auswertbar n = 437 n = 433 auswertbar für Vergleich 2–5 Jahre n = 393 10-Jahres-Nachuntersuchung nicht untersucht n = 257 untersucht nicht auswertbar*2 n=4 auswertbar n =101 n = 99 (noch) nicht untersucht n = 593*1 nicht auswertbar*2 n=2 auswertbar für Vergleich 5–10 Jahre n = 85 Projekteilnehmer *1 Fortlaufende Untersuchung: Bis zur Fertigstellung des vorliegenden Beitrags war das Untersuchungsalter nur für 1,5 Jahrgänge erreicht. *2 Ausschluss wegen Fehlbildungen oder Syndromen unabhängig von der Frühgeburtlichkeit SSW, Schwangerschaftswochen verglichen. Um die motorische Entwicklung im Querschnitt einzuschätzen, wurde ein Vergleichskollektiv reif geborener Kinder in niedersächsischen Kindergärten analysiert, das an anderer Stelle (12) ausführlich beschrieben wird. Die statistischen Berechnungen erfolgten mit SPSS, Version 21. Neben Vergleichen mittels Chi-Quadrat-Test und t-Test beziehungsweise Mann-Whitney-Test wurde in einem multiplen logistischen Regressionsmodell der Einfluss relevanter Prädiktorvariablen auf die Entwicklung der Kinder bestimmt. Das Signifikanzniveau wurde auf p < 0,001 festgelegt und die Zusammenhänge zwischen Einflussgrößen und abhängiger Variable werden als Odds Ratios (OR) mit einem 99-%-Konfidenzintervall (KI) berichtet. Die Ergebnisse im Längsschnittvergleich werden mit einem 95-%-KI aufgeführt. Die ausführliche Darstellung der Methoden ist im eKasten zu finden. Ergebnisse Im Beobachtungszeitraum wurden in Niedersachsen 249 076 Kinder geboren (13), davon 926 (0,4 %) mit einem Gestationsalter < 28 SSW. Von diesen starben 232 (25,1 %) noch in der Kinderklinik und 2 (0,2 %) nach Entlassung vor Erreichen des zweiten Lebensjahres. 872 Bei einem Gestationsalter unter 23 SSW starben alle Kinder. Danach nahm die Überlebensrate mit dem Gestationsalter kontinuierlich zu: von 44,4 % im Gestationsalter von 23 SSW bis auf 91,5 % im Gestationsalter von 27 SSW. Von den 694 Überlebenden hatten 260 (37,4 %) ein Gestationsalter von 23–25 Wochen. Es konnten 437 Kinder (63,0 % der Überlebenden) nach fünf Jahren nachuntersucht werden (Grafik). In Tabelle 1 ist ersichtlich, dass die relevanten peri- und neonatologischen Parameter der ausgewerteten Gruppe keine wesentlichen Unterschiede zur Gesamtgruppe der überlebenden Kinder aufweisen. Entwicklung im Alter von 5 Jahren Die Ergebnisse der untersuchten Teilbereiche Kognition, Sprache und Verhalten sind in Tabelle 2 dargestellt. Bei der Beurteilung der Motorik waren 194 Frühgeborene (45,2 %) unauffällig (Tabelle 2). In dem untersuchten Vergleichskollektiv Reifgeborener (Querschnittvergleich) waren dagegen 89,6 % der Kinder unauffällig und nur 10,4 % zeigten Auffälligkeiten im Bereich der Motorik. Eine CP trat nicht auf (12). Die Entwicklungsergebnisse in allen untersuchten Bereichen, mit Ausnahme des Verhaltens, unterschieden sich signifikant zwischen den zwei ausgewerteten Gestationsaltersgruppen (Tabelle 2). Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 MEDIZIN TABELLE 1 Vergleich demografischer und klinischer Parameter behandelte Kinder überlebende Kinder ausgewertete Kinder nicht nachuntersuchte Kinder p (n = 926) (n = 694) (n = 433) (n = 257) Gestationsalter (Wochen) 25,5 ± 1,3 25,8 ± 1,2 25,7 ± 1,2 25,9 ± 1,1 0,190 Geburtsgewicht (g) 798 ± 207 832 ± 197 831 ± 199 837 ± 192 0,451 Geschlecht, männlich 55,1 % 52,4 % 53,3 % 51,0 % 0,548 Mehrling 25,3 % 25,3 % 24,6 % 26,4 % 0,601 Spontangeburt 13,9 % 13,1 % 14,4 % 10,7 % 0,184 pH-Wert < 7,1 4,2 % 3,4 % 3,3 % 3,6 % 0,888 schwere Hirnschädigung (IVH III/PVH/PVL) 21,8 % 14,4 % 15,7 % 12,2 % 0,212 maschinelle Beatmung > 2 Wochen 30,1 % 33,9 % 36,0 % 29,4 % 0,076 Sepsis 39,8 % 39,2 % 40,1 % 37,3 % 0,483 offener Ductus arteriosus 24,8 % 28,0 % 28,3 % 26,9 % 0,709 operierte nekrotisierende Enterokolitis 5,5 % 3,8 % 3,4 % 4,2 % 0,622 Daten bei Geburt Daten der neonatologischen Versorgung IVH III, intraventrikuläre Hirnblutung Grad 3; PVH, periventrikuläre Hirnblutung; PVL, periventrikuläre Leukomalazie Therapien Über die Lebensspanne betrachtet, erhielten 401 Kinder (92,6 %) Heilmitteltherapien und/oder Frühförderung. Bei 72,5 % der Frühgeborenen (n = 314) wurden diese im Alter von 5 Jahren durchgeführt. Davon wurden bei 29,8 % (n = 129) im Rahmen der 5-JahresNachuntersuchung Therapien von den Untersuchern neu eingeleitet. Einflussfaktoren für den Entwicklungsverlauf In der univariaten Analyse wurden als hochsignifikante assoziierte Faktoren (p < 0,001) für das Risiko der Entwicklung einer CP folgenden Parameter identifiziert: ● schwere sonographisch diagnostizierte Hirnschädigung (intraventrikuläre Hirnblutung [IVH] III, periventrikuläre Hirnblutung [PVH], periventrikuläre Leukomalazie [PVL]) ● maschinelle Beatmung über zwei Wochen ● Gestationsalter < 26 SSW. Bezüglich der kognitiven Entwicklung (IQ < 85 versus IQ ≥ 85) wurden als hochsignifikante Faktoren zusätzlich zu den drei genannten ein Geburtsgewicht unter 750 g und ein niedrigerer Bildungsstand der Mutter festgestellt. Die Ergebnisse der multiplen logistischen Regressionsanalyse sind in Tabelle 3 dargestellt. Für das Risiko der Entwicklung einer CP wurde eine hohe Signifikanz für den Faktor „schwere Hirnschädigung“ (p < 0,001) auch im statistischen Modell mit schrittweiser Aufnahme der unabhängigen Variablen, das Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 50,2 % der Gesamtvarianz erklärt, bestätigt. Für die kognitive Entwicklung wurde in diesem Modell neben dem erwartungsgemäß hohen Einfluss der schweren Hirnschädigung auch die Variable „niedrigerer Bildungsstand der Mutter“ als wichtiger assoziierter Faktor bestätigt. Längsschnittvergleich Die longitudinale Beurteilung der Entwicklung ist in Tabelle 4 beschrieben. Im Bereich der Kognition waren die Ergebnisse für das Alter zwischen 2 und 5 Jahren nominell weniger stabil als zwischen 5 und 10 Jahren (unveränderte Kategorie bei 73,1 % (n = 242) versus 82,4 % (n = 65). Positive Kategorienwechsel, das heißt verbesserte Beurteilungen, waren deutlich häufiger für das Alter zwischen 2 und 5 als zwischen 5 und 10 Jahren (17,8 % [14,1; 22,3], [n = 59], versus 8,8 % [4,3; 17,0], [n = 7]). Bei der Beurteilung der motorischen Entwicklung dagegen war der Anteil der Verschlechterungen (negativer Kategorienwechsel) im Alter zwischen 2 und 5 Jahren mit 24,7 % (n = 96) hoch. Bei den Zehnjährigen dagegen wurde bei 22,4 % (n = 19) ein positiver Kategorienwechsel verzeichnet, das heißt die Kinder wurden motorisch wieder besser beurteilt. Die Bewertung des Verhaltens fiel sehr instabil aus. 42,6 % (n = 29) der Kinder zeigten einen Kategorienwechsel. Der Anteil der verhaltensauffälligen Kinder betrug im Alter von 5 Jahren 32,3 % ([22,4; 44,2], [n = 22]) und stieg im Alter von 10 Jahren auf 38,2 % ([27,6; 50,1], [n = 26]) an. 873 MEDIZIN TABELLE 2 Entwicklung im Alter von 5 Jahren Teilbereich Untersuchungsergebnis < 28 SSW gesamt: n = 433 Untersuchungsergebnis < 26 SSW: n = 172 Untersuchungsergebnis 26–27 SSW: n = 261 n % n % n % Kognition (Test: K-ABC*1) 384 100,0 153 100,0 231 100,0 unauffällig (IQ ≥ 85) 244 63,5 81 52,9 163 70,6 unterdurchschnittliche kognitive Leistungsstärke (IQ 70–84) 86 22,4 40 26,1 46 19,9 geistig behindert (IQ < 70) 54 14,1 32 20,9 22 9,5 Sprache (Test: SETK 3–5*2) 376 100,0 151 100,0 225 100,0 unauffällig (T-Wert ≥ 40) 224 59,6 73 48,4 151 67,1 auffällig (T-Wert < 40) 152 40,4 78 51,6 74 32,9 Verhalten (Elternfragebogen: CBCL 4–18*3) 344 100,0 132 100,0 212 100,0 unauffällig (T-Wert ≤ 59) 230 66,9 86 65,1 144 67,9 Grenzbereich zur Auffälligkeit (T-Wert 60–63) 50 14,5 17 12,9 33 15,6 klinisch auffällig (T-Wert ≥ 64) 64 18,6 29 22,0 35 16,5 Motorik (Kriterienkatalog siehe eKasten) 430 100,0 170 100,0 260 100,0 unauffällig 194 45,2 55 32,4 139 53,5 auffällig (laut Kriterienkatalog) 161 37,4 68 40,0 93 35,7 75 / 40 17,4 / 53,4 47 / 26 27,6 / 55,4 28 / 14 10,8 / 50,0 CP / davon gehfähig p < 0,001 < 0,001 0,406 < 0,001 *1 Kaufman Assessment Battery for Children *2 Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder *3 Child Behavior Checklist/4 –18, IQ, Intelligenzquotient; SSW, Schwangerschaftswochen Diskussion Die vorliegenden Daten aus einem deutschen FlächenBundesland zeigen eine über die Jahre gleichbleibende Mortalitätsrate von 25 % bei extrem unreifen Frühgeborenen, die sich mit zunehmendem Gestationsalter deutlich verringerte, und bestätigen ein hohes Risiko für Entwicklungsstörungen in diesem Kollektiv. Behinderungen und Beeinträchtigungen in den Bereichen Kognition, Sprache, Verhalten und Motorik waren bei den Fünfjährigen sehr häufig. Der Anteil von geistig behinderten Kindern (IQ < 70) lag, wie auch in anderen Arbeiten (3, 8), bei den Frühgeborenen mit 14,1 % sehr hoch. Erwartet werden im Normkollektiv (Kaufman Assessment Battery for Children [K-ABC]) (14) 2,3 %. Auffällig war der hohe Anteil an Sprachentwicklungsauffälligkeiten mit 5 Jahren, der bei 40,4 % lag. In einer Kontrollstichprobe Reifgeborener wurden hingegen 20,2 % sprachauffällige Kinder ermittelt (12). Verhaltensauffälligkeiten wur- 874 den bei 33,1 % der Fünfjährigen dokumentiert, laut der Normierung (Child Behavior Checklist[CBCL]/4–18) (15) wären 15 % zu erwarten. Die Häufigkeit der CP lag mit 17,4 % höher als bei vergleichbaren Studien, in denen sie mit 11 % angegeben wird (16, 17). Ein Grund hierfür könnte die Tatsache sein, dass Eltern von Frühgeborenen mit deutlicher Beeinträchtigung ihre Kinder regelmäßig in Sozialpädiatrischen Zentren vorstellen und somit auch Nachuntersuchungstermine häufiger wahrnehmen. Ferner werden offensichtlich in einem stark zentralisierten Gesundheitswesen wie in Schweden besonders gute Ergebnisse bei der Frühgeborenenversorgung erzielt (18). Der hohe Anteil an auffälligen Kindern erklärt den Therapiebedarf von 72,5 % bei den fünfjährigen Frühgeborenen, der wesentlich höher war als bei Reifgeborenen. Diese erhielten im Vergleichskollektiv (12) nur in 15 % der Fälle Therapien. Dieses Ergebnis stimmt überein mit Daten einer Untersuchung in BerDeutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 MEDIZIN lin (19), die zeigte, dass zur Einschulung sonderpädagogischer Förderbedarf bei extrem kleinen Frühgeborenen sehr viel häufiger erforderlich war als bei reifen Neugeborenen. Betrachtet man die Einflüsse peri- und neonatologischer sowie sozialer Faktoren auf das Langzeitergebnis der Kinder, lassen sich im niedersächsischen Projekt bereits früher berichtete (10, 20) Risikofaktoren erkennen: Ein Gestationsalter < 26 SSW, eine schwere Hirnschädigung und eine Beatmungsdauer > 2 Wochen erhöhten das Risiko von Entwicklungsstörungen signifikant. Für die Entwicklung einer CP als schwerwiegendste motorische Beeinträchtigung war die schwere Hirnschädigung der herausragende Risikofaktor (Tabelle 3). Auf die kognitive Entwicklung hatte neben der schweren Hirnschädigung ein geringeres Bildungsniveau der Mutter als sozialer Risikofaktor (11) ebenfalls einen entscheidenden Einfluss. Die Daten der Väter wurden nicht in die Auswertung einbezogen, da im beschriebenen Kollektiv ein hoher Anteil alleinerziehender Mütter zu verzeichnen war, und der Erziehungseinfluss vonseiten der Mütter durch deren meist höhere zeitliche Präsenz als bedeutsamer angesehen wurde. Interessant war auch die nur im Längsschnitt zu beantwortende Frage, ob eine Prognose von Entwicklungsstörungen schon im Alter von 2 Jahren möglich beziehungsweise zuverlässig ist. Die 10-Jahres-Nachuntersuchung diente hierbei als evaluierende Untersuchung, um den Langzeitverlauf bis ins Schulalter zu beurteilen. Es konnte festgestellt werden, dass sich im Alter zwischen 2 und 5 Jahren noch größere Veränderungen bei der Beurteilung sowohl im Bereich der Kognition als auch im Bereich der Motorik ergeben können (Tabelle 4). Die Bewertung der kognitiven Entwicklung im Alter von 5 Jahren entsprach hingegen schon weitgehend der mit 10 Jahren, erkennbar an einer veränderten Beurteilung (Kategorienwechsel) in nur noch jeweils 8,8 % in beide Richtungen. Berücksichtigt man, dass zwei unterschiedliche Messinstrumente in den beiden Altersstufen eingesetzt wurden, und bezieht man die statistische Unsicherheit mit ein, so ist dies ein niedriger Wert. Bei der Einschätzung der Motorik ließen sich im Alter von 10 Jahren deutlich bessere Ergebnisse feststellen als mit 5 Jahren. Diese können aufgrund spontaner Ausreifung zustande gekommen sein und/oder als Therapieeffekt gewertet werden. Am wenigsten gut vorhersehbar ist die Entwicklung des Verhaltens, zumindest gemäß der Elternbeurteilung. 38,2 % der Kinder wurden im Alter von 10 Jahren in ihrem Verhalten als auffällig eingeschätzt, mehr als mit 5 Jahren. Interessanterweise war die Ausprägung der Verhaltensauffälligkeiten im Alter von 5 Jahren nicht vom Gestationsalter abhängig (Tabelle 2). Der hohe Anteil (23,5 %) beim negativen Kategorienwechsel in diesem Bereich weist darauf hin, dass viele Eltern das Verhalten ihrer frühgeborenen Kinder im Alter von 5 Jahren noch positiver einschätzen als im Alter von 10 Jahren. Eine Erklärung wäre, dass in der Schule deutlich mehr Anforderungen an die Kinder gestellt werden und mehr Regeln eingehalten werden müssen als im Kindergarten. Demzufolge treten bestimmte Verhaltensprobleme im Vorschulalter nicht auf beziehungsweise werden von Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 TABELLE 3 Ergebnisse der multiplen logistischen Regressionsanalyse Variable OR (99-%-KI) p schwere Hirnschädigung (IVH III/PVH/PVL) 7,36 [2,52; 21,51] 0,000 niedrigerer Bildungsstand der Mutter 3,83 [1,68; 8,77] 0,000 Geburtsgewicht < 750 g 2,50 [1,11; 5,63] 0,004 maschinelle Beatmung > 2 Wochen 1,96 [0,91; 4,24] 0,024 operierte nekrotisierende Enterokolitis 1,58 [0,22; 11,23] 0,546 Geschlecht männlich 1,43 [0,70; 2,91] 0,197 Sepsis 1,27 [0,61; 2,63] 0,396 Gestationsalter < 26 SSW 1,19 [0,52; 2,72] 0,587 Mehrlingsgeburt 1,14 [0,50; 2,59] 0,679 offener Ductus arteriosus 1,06 [0,49; 2,29] 0,853 Spontangeburt 0,83 [0,28; 2,47] 0,653 Migrationshintergrund mindestens 1 Elternteil 0,65 [0,30; 1,44] 0,164 Einflussfaktoren auf die kognitive Entwicklung* Einflussfaktoren auf die Entwicklung einer Zerebralparese schwere Hirnschädigung (IVH III/PVH/PVL) 38,28 [12,55; 116,80] 0,000 maschinelle Beatmung > 2 Wochen 2,74 [0,89; 8,41] 0,021 Geschlecht männlich 1,81 [0,63; 5,20] 0,146 Gestationsalter < 26 SSW 1,67 [0,48; 5,74] 0,287 Geburtsgewicht < 750 g 1,37 [0,41; 4,60] 0,505 Sepsis 1,22 [0,43; 3,48] 0,624 operierte nekrotisierende Enterokolitis 1,17 [0,11; 12,78] 0,867 niedrigerer Bildungsstand der Mutter 1,14 [0,40; 3,22] 0,754 Mehrlingsgeburt 0,93 [0,27; 3,17] 0,877 Migrationshintergrund mindestens 1 Elternteil 0,68 [0,20; 2,27] 0,404 Spontangeburt 0,67 [0,15; 3,01] 0,487 offener Ductus arteriosus 0,31 [0,09; 1,14] 0,021 *IQ < 85 versus IQ ≥ 85 IQ, Intelligenzquotient; IVH III, intraventrikuläre Hirnblutung Grad 3; 99-%-KI, 99-%-Konfidenzintervall; OR, Odds Ratio; PVH, periventrikuläre Hirnblutung; PVL, periventrikuläre Leukomalazie; SSW Schwangerschaftswochen den Eltern nicht wahrgenommen. Beurteilungen der Untersucher hingegen, die das Kind in einer deutlichen Anforderungssituation erlebten, unterschieden sich schon bei der 5-Jahres-Nachuntersuchung stark von den Elterneinschätzungen und wiesen bereits zu diesem Untersuchungszeitpunkt auf mögliche größere Probleme hin (12). Daher sollte den Verhaltensproblemen durch entsprechende Informationen der Kinder- und Hausärzte und der Eltern durch die Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) frühzeitig präventiv begegnet werden. Limitationen Die entscheidende Limitation der vorliegenden Erhebung ist die hohe Rate nicht untersuchter Kinder des Patientenkollektivs. Mit steigendem Alter sank die Untersuchungsrate. Im Alter von 5 Jahren konnten 63,0 % 875 MEDIZIN TABELLE 4 Longitudinale Beurteilung der Entwicklung n % % Vergleich im Alter von 2 und 5 Jahren (n = 393) MDI*1/IQ*2 ≥ 85 168 50,8 1 2 36 10,9 1 2 MDI* /IQ* < 70 38 11,4 MDI*1/IQ*2 70–84 → ≥ 85 40 12,1 MDI*1/IQ*2 < 70 → 70–84 19 5,7 MDI*1/IQ*2 ≥ 85 → 70–84 MDI* /IQ* 70–84 Kognition (n = 331) 27 8,2 2 3 0,9 unauffällig 154 39,6 57 14,7 Zerebralparese (CP) 53 13,6 auffällig*3→ unauffällig 22 5,6 7 1,8 85 21,9 11 2,8 IQ*2 ≥ 85 45 57,1 IQ*2 70–84 11 13,9 IQ* < 70 9 11,4 IQ*2 70–84 → ≥ 85 5 2,5 IQ* < 70 → 70–84 2 6,3 IQ*2 ≥ 85 → 70–84 5 6,3 IQ*2 70–84 → < 70 2 2,5 unauffällig 28 32,9 UEMF*4 16 18,8 CP 18 21,1 UEMF*4 → unauffällig 19 22,4 CP → UEMF* 0 0 unauffällig → UEMF*4 2 2,4 UEMF*4 → CP 2 2,4 32 47,1 1 1,5 6 8,8 3 4,4 7 10,3 1 MDI* /IQ* 70–84 → < 70 auffällig* Motorik (n = 389) 3 CP → auffällig*3 unauffällig → auffällig*3 3 auffällig* → CP unveränderte Kategorie 73,1 positiver Kategorienwechsel 17,8 negativer Kategorienwechsel 9,1 unveränderte Kategorie 67,9 positiver Kategorienwechsel 7,4 negativer Kategorienwechsel 24,7 unveränderte Kategorie 82,4 positiver Kategorienwechsel 8,8 negativer Kategorienwechsel 8,8 unveränderte Kategorie 72,8 positiver Kategorienwechsel 22,4 negativer Kategorienwechsel 4,8 unveränderte Kategorie 57,4 positiver Kategorienwechsel 19,1 negativer Kategorienwechsel 23,5 Vergleich im Alter von 5 und 10 Jahren (n = 85) 2 Kognition (n = 79) 2 Motorik (n = 85) 4 unauffällig*5 Grenzbereich zur Auffälligkeit*6 klinisch auffällig* 7 klinisch auffällig*7→ unauffällig*5 Verhalten (n = 68) 6 Grenzbereich zur Auffälligkeit* → unauffällig* 5 7 klinisch auffällig* → Grenzbereich zur Auffälligkeit* 6 3 4,4 unauffällig*5→ Grenzbereich zur Auffälligkeit*6 7 10,3 Grenzbereich zur Auffälligkeit*6→ klinisch auffällig*7 2 2,9 7 10,3 5 unauffällig* → klinisch auffällig* 7 *1 Mentaler Entwicklungsindex (MDI) der Bayley Scales of Infant Development II (Bayley II) *2 Intellligenzquotient (IQ) der Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC) bzw. Wechsler Intelligence Scales for Children IV (WISC IV) *3 auffällig laut Kriterienkatalog (siehe eKasten) *4 Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen (UEMF) oder auffälliges UEMF-Screening bzw. auffällig laut Kriterienkatalog (siehe eKasten) *5 T-Wert laut Normierung Child Behavior Checklist 4–18 (CBCL/4–18) ≤ 59 *6 T-Wert laut Normierung Child Behavior Checklist 4–18 (CBCL/4–18) 60–63 *7 T-Wert laut Normierung Child Behavior Checklist 4–18 (CBCL/4–18) ≥ 64 876 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 MEDIZIN der Überlebenden nachuntersucht werden, mit 10 Jahren waren es nur noch 38,8 % der ersten eineinhalb Jahrgänge. Ferner ist die Fallzahl der untersuchten Zehnjährigen noch klein, weil die Examination von zweieinhalb Jahrgängen zur Zeit der Publikation noch nicht abgeschlossen ist. Ein Grund für die hohe „dropout“-Rate ist die steigende Mobilität der Bevölkerung (21), so dass viele Fälle durch Wegzüge aus dem Bundesland Niedersachsen verloren gehen. Darüber hinaus sinkt mit zunehmendem Alter das Interesse an medizinischen Untersuchungen, so wie es auch bei der Beteiligung an kinder- und jugendärztlichen Vorsorgeuntersuchungen zu erkennen ist (22, 23). Wenn nicht alle potenziellen Teilnehmer untersucht werden können, muss die Frage nach einer dahinterliegenden Systematik gestellt werden. Der Vergleich der ausgewerteten fünfjährigen Kinder mit dem Gesamtkollektiv der Überlebenden im Hinblick auf die relevanten medizinischen und biologischen Risikofaktoren (Tabelle 1) ergab in diesem Projekt jedoch keinen Anhalt für das Vorliegen eines Selektionsfaktors. Eine mögliche ungleiche Verteilung des soziodemografischen oder kulturellen Status zwischen untersuchten und nicht untersuchten Kindern kann nicht ausgeschlossen werden. Bei der noch kleinen Fallzahl der Zehnjährigen besteht darüber hinaus eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Selektion. Die motorisch stark beeinträchtigten Kinder könnten aufgrund ihres regelmäßigen Behandlungsbedarfs in einem SPZ etwas häufiger an den Untersuchungen teilgenommen haben als die Kinder, deren Eltern keinen Beratungsbedarf hatten. Eine weitere Limitation liegt in der Erhebung des motorischen Status der Kinder: Bei den Zehnjährigen wurde ein standardisiertes Verfahren, die Movement Assessment Battery for Children-2 (M-ABC-2) (24), verwendet, bei den Zwei- und Fünfjährigen dagegen handelte es sich um eine Einschätzung verschiedener, wenn auch erfahrener, Entwicklungsneurologen gemäß eines definierten Kriterienkatalogs. Das Projekt wurde nicht unter Studienbedingungen, sondern multizentrisch und eingebettet in Routineuntersuchungen in den SPZ durchgeführt. Stärken In der vorliegenden Arbeit werden für ein gesamtes Bundesland Daten mehrerer Jahrgänge und Untersuchungszeitpunkte zur Häufigkeit von Behinderungen und Beeinträchtigungen vorgelegt. Aussagen zur Entwicklung bis zum Alter von 10 Jahren liegen erstmalig flächendeckend für deutsche Frühgeborene vor. Da sich das Untersuchungskollektiv aus Kindern zusammensetzt, die nicht alle in Level-1-Zentren, sondern zum Teil auch in Kliniken niedrigerer Versorgungsstufen behandelt wurden, erlaubt die Auswertung ein realistischeres Bild als Studien, die in einzelnen hochqualifizierten Zentren durchgeführt werden. Für in der Nachbetreuung tätige Ärzte ergeben sich wichtige Hinweise auf Frühgeborene mit besonders hohen Risiken, und damit die Möglichkeit, Kinder, die einen größeren Therapie- beziehungsweise Betreuungsbedarf haben, zu identifizieren. Durch die Zusammenführung der UnterDeutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 suchungs- mit den peri- und neonatologischen Daten können Aussagen über die Versorgungsqualität abgeleitet werden, die in dem 2012 in Niedersachsen initiierten Projekt zur Qualitätsentwicklung in der Neonatologie „Benchmarking in der Frühgeborenenversorgung“ (25) genutzt werden. Fazit Die Ergebnisse der flächendeckenden, multizentrischen Nachuntersuchung in Niedersachsen bestätigen das bekannte hohe Risiko extrem unreifer Frühgeborener < 28 SSW für Entwicklungsstörungen. Behinderungen wie Zerebralparese oder Intelligenzminderung, aber auch Sprachentwicklungsstörungen, motorische Defizite und Verhaltensauffälligkeiten sind häufig. Fast drei Viertel der Kinder erhalten demzufolge noch Therapien und Fördermaßnahmen im Alter von 5 Jahren. Für die Praxis der Nachsorge der extrem unreifen Frühgeborenen helfen die präsentierten Daten, die Kinder mit ungünstiger Entwicklungsprognose (Gestationsalter < 26 SSW, schwerwiegende Hirnschädigung, über zwei Wochen andauernde maschinelle Beatmung, geringerer Bildungsstand der Mutter) bereits anamnestisch zu identifizieren und ihnen besondere Beachtung in der Entwicklungsdiagnostik und bei den Therapieangeboten zu schenken – vor allem, wenn die Risikofaktoren in Kombination auftreten. Eine Aussage zur langfristigen motorischen und kognitiven Entwicklung der Kinder schon im Alter von 2 Jahren zu treffen, ist auch mit hoher Fachkunde nur eingeschränkt möglich. Es werden deutliche Verschiebungen der Beurteilung im Längsschnitt des Alters von 2 zu 5 Jahren festgestellt. Es darf somit die Frage gestellt werden, ob der durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegte Zeitpunkt zur Messung der Ergebnisqualität der neonatologischen Versorgung im Alter von 2 Jahren ausreichend ist (26) . KERNAUSSAGEN ● Im Alter von 5 Jahren haben 64 % der extrem frühgeborenen Kinder eine mindestens durchschnittliche kognitive Entwicklung, 60 % sind sprachlich und 45 % motorisch unauffällig. ● Behinderungen (Zerebralparese 17 %, geistige Behinderung 14 %) und Entwicklungsstörungen bei ehemaligen extrem unreifen Frühgeborenen gibt es häufig, und sie führen zu einem Therapiebedarf bei 73 % der Fälle. ● Wichtigste Einflussfaktoren auf ein negatives Langzeitergebnis sind die in der Neonatalperiode diagnostizierten schweren Hirnschädigungen (intraventrikuläre Hirnblutung Grad III/periventrikuläre Hirnblutung/periventrikuläre Leukomalazie), die Unreife < 26 SSW und ein niedrigerer Bildungsstand der Mutter. ● Eine prognostische Einschätzung der späteren geistigen und motorischen Entwicklung ist bei Kindern im Alter von 2 Jahren in mehr als 25 % der Fälle fehlerhaft. ● Die vorläufigen Daten der 10-Jahres-Nachuntersuchungen weisen auf einen hohen Anteil an Verhaltensstörungen hin. Dieses Problem sollte man frühzeitig berücksichtigen. 877 MEDIZIN Danksagung Dieses Projekt wird gefördert durch die Kaufmännische Krankenkasse (KKH), die Techniker Krankenkasse und die Qualitätsinitiative e. V., Niedersächsischer Verein zur Förderung der Qualität im Gesundheitswesen. Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht. Manuskriptdaten eingereicht: 4. 4. 2016, revidierte Fassung angenommen: 12. 9. 2016 LITERATUR 1. AQUA-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH: Bundesauswertung 2014: Geburtshilfe. www.sqg.de/ergebnisse/leistungsbereiche/geburtshilfe/(last accessed on 23 March 2016). 2. Wilson-Castello D, Friedman H, Minich N, et al.: Improved neurodevelopmental outcomes for extremely low birth weight infants in 2000–2002. Pediatrics 2007; 119: 37–45. 3. 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Umzug AG: 11 Prozent Umzugsquote – ist Deutschland Umzugsweltmeister? www.pressebox.de/pressemitteilung/umzug-ag/ 11-Prozent-Umzugsquote-ist-Deutschland-UmzugsweltmeisterOE/ boxid/434875 (last accessed on 23 March 2016). 22. Riens B, Mangiapane S: Teilnahme an der Jugendgesundheitsuntersuchung J1 – Eine retrospektive Kohortenstudie. Berlin: Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland 2013. 23. Robert Koch-Institut: Erkennen – Bewerten – Handeln: Zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Berlin: Robert Koch-Institut 2008: 127–33. 24. Petermann F: Movement assessment battery for children-2 (movement ABC-2). Frankfurt/M.: Pearson Assessment & Information 2011. 25. Damm G, Cloppenburg E, Küster H, Mayer C, Kattner E: Benchmarking in der Frühgeborenenversorgung: Ein Projekt zur Qualitätsentwicklung in der Neonatologie. Niedersachs Arztebl 2016; 6: 17–9. 26. Gemeinsamer Bundesausschuss: Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene – QFR-RL. www.g-ba.de/informationen/ richtlinien/41 (last accessed on 23 March 2016). Anschrift für die Verfasser Dr. med. Wolfgang Voss Sozialpädiatrisches Zentrum Auf der Bult Janusz-Korczak-Allee 8 30173 Hannover [email protected] Zitierweise Voss W, Hobbiebrunken E, Ungermann U, Wagner M, Damm G: The development of extremely premature infants—results from the Lower Saxony Longitudinal Study of Prematurity (Niedersächsisches FrühgeborenenNachuntersuchungsprojekt). Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 871–8. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0871 @ The English version of this article is available online: www.aerzteblatt-international.de Zusatzmaterial Mit „e“ gekennzeichnete Literatur: www.aerzteblatt.de/lit5116 oder über QR-Code eKasten: www.aerzteblatt.de/16m0871 oder über QR-Code Freier Zugang zu allen Artikeln Alle Beiträge im Deutschen Ärzteblatt sind im Internet frei zugänglich (open access). Dies gilt für die deutsche und für die englische Fassung. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 MEDIZIN Zusatzmaterial zu: Entwicklung extrem unreifer Frühgeborener Ergebnisse des Niedersächsischen Frühgeborenen-Nachuntersuchungsprojekts Wolfgang Voss, Elke Hobbiebrunken, Uta Ungermann, Michael Wagner, Gabriele Damm Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 871–8. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0871 eLITERATUR e1. Reuner G, Rosenkranz J, Pietz J, Horn R: Bayley scales of infant development (Bayley II) – Deutsche Fassung. Frankfurt/M.: Pearson Clinical & Talent Assessment 2008. e2. Grimm H: Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3–5). Göttingen: Hogrefe 2010. e3. Petermann U: Wechsler Intelligence Scale for Children—fourth edition (WISC-IV). Frankfurt/M.: Pearson Assessment & Information 2011. e4. Petermann F: Movement assessment battery for children-2 (movement ABC-2). Frankfurt/M.: Pearson Assessment & Information 2011. e5. 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Im Rahmen des Entlassungsgesprächs werden alle Eltern der seit Oktober 2004 in Niedersachsen geborenen überlebenden Frühgeborenen mit einem Gestationsalter unter 28 Schangerschaftswochen (SSW) gebeten, ihre Kinder zu Nachuntersuchungen in den elf regionalen Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) vorzustellen. Nach Vorliegen der Einwilligungserklärung der Eltern, die mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz abgestimmt wurde, wurden für diese Arbeit extrem unreife Frühgeborene aus dem Geburtszeitraum 10/2004 bis 09/2008 zwei Jahre nach errechnetem Geburtstermin (analog Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses [G-BA], [26]) sowie im Alter von 5 (vor Schulbeginn) und 10 Jahren nach einem standardisierten Konzept nachuntersucht. Dabei konnten für die 10-Jahres-Nachuntersuchungen noch keine vier kompletten Jahrgänge in die Auswertung eingehen, da bei Einreichung dieser Arbeit nur die Kinder der ersten eineinhalb Jahrgänge schon den 10. Geburtstag erreicht hatten. Zu allen drei Zeitpunkten wurden die Kinder ärztlich untersucht, und es wurden anamnestische und soziodemografische Daten erhoben. Für Kinder im Alter von 2 Jahren wurde die Mental Scale der Bayley Scales of Infant Development II (Bayley II) (e1) verwendet. Mit 5 Jahren wurden die Kinder mit einem standardisierten Intelligenztest, der Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC) (14), und zwei Untertests („Verstehen von Sätzen“ und „Morphologische Regelbildung“) aus einem Sprachtest, dem Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3–5) (e2), von Psychologen untersucht. Bei den Zehnjährigen wurden die Wechsler Intelligence Scales for Children – fourth edition (WISC IV) (e3) eingesetzt. Kinder mit einem Intelligenzquotienten (IQ) beziehungsweise mentalem Entwicklungsindex (MDI) ≥ 85 wurden als unauffällig, Kinder mit einem Wert zwischen 70 und 84 als unterdurchschnittlich und Kinder mit einem Wert < 70 als geistig behindert eingestuft. Als sprachlich auffällig galten Kinder, die in mindestens einem Untertest einen T-Wert < 40 erreichten. Zur Erfassung des Verhaltens bearbeiteten die Eltern sowohl für die Fünfjährigen als auch für die Zehnjährigen die deutsche Version der Child Behavior Checklist 4–18 (CBCL 4–18) (15). Das Verhalten wurde bei einem Gesamt-T-Wert von 60–63 als im Grenzbereich zur Auffälligkeit, bei einem T-Wert > 63 als klinisch auffällig bewertet. Die Motorik der Fünfjährigen wurde anhand eines definierten Kriterienkatalogs, der Fertigkeiten wie Einbeinstand, monopedales Hüpfen, Strichgang, Ball fangen und Treppensteigen umfasst, beurteilt. Als motorisch auffällig galten Kinder, die in den überprüften Kriterien kein altersentsprechendes Ergebnis erzielten. Im Rahmen der 10-Jahres-Nachuntersuchung wurde bei allen Kindern, die nicht die Diagnose einer Zerebralparese (CP) erhalten haben, ein standardisierter Motorik-Test, die Movement Assessment Battery for Children-2 (M-ABC-2) (e4) und ein Screening-Verfahren, der Developmental Coordination Disorder Questionnaire – German (DCDQ-G) (e5), durchgeführt. Die Diagnose und Klassifikation einer CP erfolgte nach der Terminologie der Surveillance of Cerebral Palsy in Europe (e6). Für die Beurteilung des Bildungsstandes wurde die Schul- und Berufsausbildung sowie der ausgeübte Beruf der Mutter erhoben. Die Einteilung in hohen (≥ Fachhochschulreife) und niedrigeren Bildungsstand erfolgte in Anlehnung an die International Standard Classification of Education (ISCED) (e7). Das Projektmanagement und die Auswertungen erfolgten im Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen (ZQ), einer Einrichtung der Ärztekammer Niedersachsen. ● Datenbasis Die Untersuchungsdaten wurden für die Analysen mit den relevanten peri- und neonatologischen Daten zusammengeführt. Von der Auswertung wurden dabei vier Kinder ausgeschlossen, da sie Fehlbildungen oder Syndrome mit Entwicklungsstörungen unabhängig von der Frühgeburtlichkeit aufwiesen. Bei jedem einzelnen untersuchten Probanden wurden für eine Längsschnittauswertung die Entwicklungsergebnisse im Alter von 5 Jahren mit den Ergebnissen im Alter von 2 und 10 Jahren verglichen. Für die querschnittliche Einschätzung der motorischen Entwicklung wurde ein Vergleichskollektiv reif geborener Kinder in niedersächsischen Kindergärten analysiert. Dabei wurden auf der Grundlage der demografischen Verteilung des Frühgeborenenkollektivs Stratifizierungsvorgaben für das Vergleichskollektiv nach einem Matching-Verfahren erarbeitet. Die Auswahl der Kontrollgruppe (n = 305) erfolgte nach den fünf demografischen Kriterien Region, Wohnlage, Geschlecht, Bildungshintergrund der Eltern und Migrationshintergrund (12). ● Statistische Analysen Die statistischen Berechnungen erfolgten mit SPSS, Version 21. Neben Vergleichen mittels Chi-Quadrat-Test (für binäre Zielvariablen) und t-Test beziehungsweise Mann-Whitney-Test (für normal- beziehungsweise nichtnormalverteilte stetige Zielvariablen) wurde in einem multiplen logistischen Regressionsmodell der Einfluss relevanter Prädiktorvariablen auf die Entwicklung der Kinder bestimmt. Die Ergebnisse der Methode mit gleichzeitiger Aufnahme der unabhängigen Variablen sind in Tabelle 3 dargestellt. Die am stärksten korrelierenden Variablen wurden anschließend mit schrittweiser Vorwärtsselektion eingegeben, wobei die Wald-Statistik als Selektionskriterium herangezogen wurde. Die Anpassungsgüte des Regressionsmodells wurde mit dem Hosmer-Lemeshow-Test beurteilt, als Maß der Varianzaufklärung wird Nagelkerkes R2 angegeben. Das Signifikanzniveau wurde auf p < 0,001 festgelegt, und die Zusammenhänge zwischen Einflussgrößen und abhängiger Variable werden als Odds Ratios (OR) mit einem 99-%-Konfidenzintervall (KI) berichtet. II Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 | Zusatzmaterial
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