SWR2 Wissen

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Raubmilben und Marienkäfer
Pflanzenschutz mit den Waffen der Natur
Von Jantje Hannover
Sendung: Dienstag, 20. Dezember 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Günter Maurer
Produktion: SWR 2016
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MANUSKRIPT
Kisten stapeln, klappen Wagentür, rufen
Sprecher:
Die Bodenseeinsel Reichenau an einem wolkenverhangenen Sommertag, seit
Wochen regnet es hier fast täglich. Vor einem der Gewächshäuser einer Gärtnerei
packen zehn Männer und Frauen mit flinken Händen Gurken in flache Holzkisten,
verkrüppelte und krumm gewachsene werfen sie in eine Plastikbox: Es sind keine
gewöhnlichen Gurken, sie stammen aus integriertem Anbau, in dem sogenannte
Nützlinge eingesetzt werden.
Ansage:
Raubmilben und Marienkäfer – Pflanzenschutz mit den Waffen der Natur.
Eine Sendung von Jantje Hannover.
Kisten stapeln
Sprecher:
Zwei Kollegen stapeln die vollgepackten Gurken-Kisten auf einen Anhänger.
Biobauer Berndt Wagner ist Chef der Gärtnerei.
O-Ton Berndt Wagner:
So, nun ist fertig. die Ernte ist gerade aufgeladen und jetzt fahren sie ab zum
Sortieren.
Traktor anlassen und wegfahren
Sprecher:
Langsam entschwindet der Traktor auf einer Straße, links und rechts säumen
Gewächshäuser seinen Weg. Auch in ihnen wachsen Gurken – und Tomaten,
Auberginen oder Paprika. Im Frühjahr und Herbst gedeihen hier Salate, Radieschen,
Rettiche und Rucola. Insgesamt 40 Hektar Gemüse wachsen auf der Insel
Reichenau unter Glas. Mit ihrem Gemüseanbau haben es die Insulaner längst zu
einiger Berühmtheit gebracht, auch über Baden-Württemberg hinaus. Die Produkte
der Insel schmecken aromatisch, und mit dem Etikett „Reichenau-Gemüse“ lassen
sich höhere Preise erzielen. Auf der Insel werden nur im Notfall Agrarchemikalien
gespritzt, den Rest an Pflanzenschutz erledigen die „Nützlinge“: Würmer und
Insekten, erklärt die Agraringenieurin Ulrike Schmidt vom Beratungsdienst
Reichenau.
O-Ton Ulrike Schmidt:
Hier auf der Reichenau waren wir sicher einer der Vorreiter, weil hier ein großer
Nützlingsproduzent, der das damals als erster gemacht hat, wohnhaft war. Aber
zwischenzeitlich hat sich das im gesamten deutschen Gemüsebau etabliert, ganz
klar.
Gewächshaus
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Sprecher:
Schädlinge mit Nützlingen zu vertreiben, biologischer Pflanzenschutz also, das ist die
Arbeit von Ulrike Schmidt. Mit kritischem Blick durchstreift sie ein Gewächshaus, in
dem Tomaten wachsen und sich Blattläuse ausbreiten.
O-Ton Ulrike Schmidt:
Egal wo ich jetzt hier gucke, sehe ich hier Läuse, da ist die Schadschwelle
überschritten für mich, da unten ist der Honigtau, also, das geht ja gar nicht!
pflücken
Sprecher:
Die Nützlingsberaterin wird mit dem Betreiber des Gewächshauses eine Strategie
besprechen, wie man die Läuse auf biologische Art loswird. Der Einsatz von
Raubmilben oder Gallmücken wäre zum Beispiel möglich oder Spritzen mit
biologischer Kaliseife. Nur im Notfall kommt hier Agrarchemie zur Anwendung. Ulrike
Schmidt versucht allerdings so zu beraten, dass ihre Kunden möglichst ganz ohne
Chemie auskommen:
O-Ton Ulrike Schmidt:
Weil man ganz viele Vorteile hat: ich hab weniger Rückstände auf dem Produkt, also
chemische Rückstände. Die Gurke wird täglich, spätestens jeden zweiten Tag
beerntet. Ich kann die Wartezeiten, die so ein chemisches Pflanzenschutzmittel hat,
gar nicht einhalten, das geht gar nicht. Und mit Nützlingen kann ich das sehr gut, es
gibt keine Wartezeiten einzuhalten. Dann ist es anwenderfreundlich, speziell hier bei
uns im Gebiet, das sind fast alles Familienbetriebe, das heißt da rennen auch die
Kinder hier im Betrieb mit rum, da geht jeder rein und holt sich eine Gurke vom
Stock.
Sprecher:
In konventionell geprägten Agrarlandschaften dagegen nimmt man bisher wenig
Rücksicht auf menschliche und tierische Nachbarn in Feld und Flur. Das ökologische
Gleichgewicht ist in weiten Teilen des Bundesgebiets gestört, Insektenpopulationen
schwinden alarmierend schnell, und viele Vogelarten stehen auf der Roten Liste. In
der EU wird daher nach Alternativen zu Agrargiften gesucht, erklärt Johannes Jehle
vom Julius-Kühn Institut, kurz JKI, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen.
Er leitet das Fachinstitut für Biologischen Pflanzenschutz in Darmstadt:
O-Ton Johannes Jehle:
Ziel der EU ist es, die Risiken des chemischen Pflanzenschutzes zu reduzieren. Das
Ziel ist der integrierte Pflanzenschutz, das bedeutet, das ist immer eine Kombination
von möglichst einer breiten Palette von Verfahren, dazu gehören biologische
Verfahren, biotechnische Verfahren, Anbauverfahren, Züchtung spielt eine große
Rolle, und last but not least auch der Einsatz von chemischen Mitteln, aber das soll
eben auf das notwendige Maß reduziert werden.
Sprecher:
Chemischer Pflanzenschutz ist nicht wirklich zielgerichtet. Wenn Äcker gegen
Schädlingsbefall oder Pflanzenkrankheiten gespritzt werden, sterben schädliche und
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nützliche Insekten gleichermaßen, und Vögel, die auch zu den Nützlingen zählen,
finden keine Nahrung mehr. Das schwächt das gesamte Ökosystem.
Der Mikrobiologe Dietrich Stephan vom Julius-Kühn-Institut in Darmstadt ist
überzeugt, dass die Zukunft den biologischen Verfahren gehört:
O-Ton Dietrich Stephan:
Wir verlieren ja immer mehr chemische Wirkstoffe, das liegt einerseits daran, dass
immer mehr Insekten Resistenzen bilden. Das ist wie bei Antibiotika auch, wenn
immer die gleichen Antibiotika verschrieben werden, ist die natürlich die Gefahr viel
größer, dass sich Resistenzen bilden können. Und so ist es im Pflanzenschutz eben
auch.
Sprecher:
Im „Corn Belt“ – dem Maisgürtel der Vereinigten Staaten haben sich, in riesigen
Monokulturen mit gentechnisch veränderten Pflanzen, Krankheitserreger und
Riesenwildkräuter so gut an die Gifte angepasst, dass keine Spritzmittel mehr helfen.
Höchste Zeit also, sich die Mechanismen der Natur zunutze zu machen. Dass das
notwendig ist, ist in den Spitzen von Politik und Wirtschaft mittlerweile angekommen.
Selbst Agrarchemie-Produzenten wie der Bayer-Konzern forschen an neuen
biologischen Substanzen und arbeiten eng mit dem JKI zusammen. Biologischer
Pflanzenschutz sei allerdings nicht wirklich eine neue Disziplin, erklärt Johannes
Jehle:
O-Ton Johannes Jehle:
Unser Institut existiert seit 68 Jahren. Und in dieser Zeit wurden Entwicklungen
gemacht, um zum einen Nützlinge einzusetzen, zum anderen eben Mikroorganismen
und Viren einzusetzen, um ganz bestimmte Schädlinge ganz gezielt zu bekämpfen.
Der Unterschied zum chemischen Pflanzenschutz besteht darin, dass diese
natürliche vorkommenden Antagonisten, das sind zum Beispiel auch
Krankheitserreger oder spezialisierte Parasitoide, dass sie sehr selektiv wirken und
so gut wie keine Nebenwirkungen haben auf den Rest des Agrarbiosystems.
Sprecher:
Die Natur arbeitet ganzheitlich. Nimmt ein Schädling überhand, wird er von
Fressfeinden dezimiert, und so wird das Ökosystem wieder stabilisiert. Manche der in
Jahrmillionen entwickelten Strategien der Natur sind so ausgeklügelt, dass man nur
respektvoll staunen kann.
Ulrike Schmidt vom Beratungsdienst Reichenau kennt sich zum Beispiel gut mit der
Gallmücke aus: Damit das Insekt die sehr viel größere Blattlaus, die zum Beispiel
Tomaten befällt, aussaugen kann, bedient es sich eines Tricks. Denn die Laus
schützt ihren Körper mit einem Chitin-Panzer, den die Gallmücke nicht durchdringen
kann.
O-Ton Ulrike Schmidt:
Deshalb ist es für die Gallmücke sehr schwierig, eine Angriffsstelle zu finden an der
Laus. Und eine der wenigen Stellen, wo die Laus quasi angreifbar ist, ist das
Kniegelenk. Und durch das Kniegelenk injiziert diese Gallmücke ein Lähmungsgift,
das ist die Achillessehne der Laus, dann kann sich die Laus nicht mehr bewegen,
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nicht mehr abhauen, dann saugt sie sie genüsslich aus, das ist das Geniale an der
Natur.
Sprecher:
Anbau unter Glas, wie auf der Insel Reichenau, findet in kleinen, geschlossenen
Ökosystemen statt, hier gedeiht meist nur eine einzige Gemüseart. Hobby-Gärtner
wissen, dass Pflanzen in Mischkulturen gesünder sind: Zwiebeln wachsen zum
Beispiel gerne neben Möhren, und Kürbisse gerne zwischen Bohnen. Aber im
Erwerbsgartenbau spielt dieses alte Wissen kaum eine Rolle, nicht einmal in den BioGärtnereien. Denn wenn nur eine Kultur auf einer Fläche steht, erleichtert das Ernte
und Pflege – und das spart bares Geld.
Im Unter-Glasanbau wurde bis vor wenigen Jahrzehnten bis zu
25-mal im Jahr chemisch gespritzt. Erst in den 90er-Jahren begann nach und nach
die Umstellung.
O-Ton Ulrike Schmidt:
… jetzt gucken mer mal, genau, …
Tür auf, Gewächshaus Blätterrascheln
Sprecher:
Ulrike Schmidt betritt das Gewächshaus von Berndt Wagner. In langen Reihen
winden sich Gurkenpflanzen mit ihren Stängeln um Seile, die vom Boden bis unter
das Glasdach gespannt sind. Im Dickicht der großen, weichen Blätter sind die etwas
dunkleren Gurken schwer zu erkennen. Das Pflanzen in Mutterboden, in natürliche
Erde, ist im Unterglas-Anbau mittlerweile die Ausnahme. Die meisten Gurken und
Tomaten wachsen heute als Hydrokulturen auf Kokosfasern oder Steinwolle. Sie
werden mit speziellen Nährlösungen bewässert.
O-Ton Ulrike Schmidt:
Jetzt fange ich mal an bei der Gurke, Gurke unter Glas sind alle veredelt, sieht man
da unten sehr schön, der Fuß – unten ist er dunkel, dann kommt so eine bisschen
verdickte Stelle, wo dann die Edelsorte drauf veredelt wird.
Sprecher:
Das Aufpfropfen einer Edelsorte auf eine robuste sogenannte Veredelungsunterlage
kennt man aus dem Obstbau.
O-Ton Ulrike Schmidt:
Das ist auch schon ein Teil des biologischen Pflanzenschutzes, weil die Unterlage ist
ein Kürbis, der resistent ist, tolerant ist, widerstandsfähig ist gegen ganz viel
bodenbürtige Krankheiten und Tiere, die hier natürlich auftreten, weil hier über viele,
viele Jahre immer die gleiche Kultur gemacht wird.
Sprecher:
Wenn die Kulturen regelmäßig wechseln, verringert das den Schädlingsdruck – auch
ist eine Maßnahme des biologischen Pflanzenschutzes. Doch in Gewächshäusern ist
das häufig nicht möglich. Hier hilft der Anbau resistenter Sorten, die beispielsweise
gegen Mehltau unempfindlich sind.
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O-Ton Ulrike Schmidt:
Dann geht’s hier nach oben, da sieht man gleich an der ersten Pflanze hier
unheimlich viele Tütle hängen. Das sind unsere Raubmilben, und zwar verschiedene
Raubmilben, man sieht es an der Tüte, kleine Tüten, große Tüten, die
unterschiedliche Eigenschaften haben. Das ist die Amblyseius cucumeris, wie die
heißt, die frisst Spinnmilben und Thripse. Spinnmilben kennt man aus der Wohnung,
die diese Gespinste machen, vor allem in heißen Sommern, letztes Jahr war das ein
Riesenproblem. Das sind reine Räuber.
Sprecher:
Zu den Nützlingen, die Schädlinge fressen, zählen Gallmücken, Flor- und
Schwebfliegen, Ohrenkneifer, Raubmilben, Wanzen und Marienkäfer. Eine weitere
Nützlingsart: Parasiten. Zu denen gehören zum Beispiel Fadenwürmer und
Schlupfwespen. Parasitisch lebende Wespen sind eine große Insektenfamilie, mit
40.000 Arten. Sie legen ihre Eier in die Larven der Schadinsekten. Wenn dann die
Wespenlarve schlüpft, ernährt sie sich von der Körperflüssigkeit des Wirtsinsekts,
das bald darauf stirbt. Das Reichenauer Gärtner Center hat eine große Auswahl an
Räubern und Parasiten im Angebot.
Versand
Sprecher:
Konstanze Fürleger hält ein paar Tütchen in die Luft, in denen Nützlinge verschickt
werden, sie sind etwa so groß wie Hüllen für Teebeutel. Die junge Diplomingenieurin
für Gartenbau leitet die Nützlingsabteilung des Hauses. An einem Tisch stehen zwei
Frauen, die Pappdosen verschiedener Größen in Kartons verstauen. Die Deckel sind
gelocht, wie bei Salzstreuern:
O-Ton Konstanze Fürleger:
Das ist zum Dosieren – wir haben hier eine Dose, da sind 50.000 Stück Raubmilben
drin. Normalerweise macht man mit der Amblyseius swirksi ungefähr fünfzig Milben
auf einen Quadratmeter, das heißt ich muss mit dieser Dose 1000 Quadratmeter weit
kommen. Das heißt, ich muss wirklich fein dosieren. Ich muss bei einer Raubmilbe
auch schauen, dass jede Pflanze erwischt wird, weil die haben nur Füße, die müssen
laufen.
Sprecher:
Raubmilben und auch viele andere Nützlinge können nicht fliegen. Einige der
Insekten aus dem Sortiment von Konstanze Fürleger stammen vom größten
Nützlingsproduzenten in Deutschland, der Firma Katzbiotech aus Baruth in
Brandenburg. Katzbiotech residiert in einem unauffälligen Flachbau am Rande eines
Gewerbegebiets. Die Gewächshäuser der Firma sind von außen nicht sichtbar.
Katzbiotech (Lüftung)
Sprecher:
Berater Hans-Joachim Schaele führt in den ersten der Glasbauten, in dem
Katzbiotech Nützlinge züchtet. Links und rechts des Mittelganges auf Metalltischen
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jeweils ein Wald aus Blumentöpfen, bepflanzt mit Acker- und Buschbohnen oder
Tabak, in unterschiedlichen Wachstumsstadien.
O-Ton Hans-Joachim Schaele:
Der Satz, den wir jetzt vor uns sehen, das ist der Satz, der vorigen Montag in der
vorigen Woche ausgesät wurde.
Sprecher:
Die Tabakpflänzchen sind schon ordentlich gewachsen. Gegenüber stehen die
Pflanzen aus der Vorwoche – die sind mehr als doppelt so groß. Schaele deutet auf
den Satz mit den jüngeren Pflanzen:
O-Ton Hans-Joachim Schaele:
Morgen wird der infiziert, mit Spinnmilben. Nach einer weiteren Woche werden diese
Pflanzen wiederum mit Nützlingen infiziert. Ein Satz ist bei uns immer ca. achtzehn
Tische in der Saison, bis zwanzig Tische. Alle Tische werden gleich behandelt,
sodass man sagen kann, in vier Wochen haben wir die und die Menge an fertiger
Ware.
Sprecher:
Das sind dann fast zwei Millionen Raubmilben, rechnet Hans-Joachim Schaele vor.
Er greift sich ein Tabakblatt und dreht die Unterseite nach oben.
O-Ton Hans-Joachim Schaele:
Sie sehen hier die kleinen roten Punkte, die da krabbeln? Das sind alles Nützlinge,
das sind die Guten! Das ganze passiert im sogenannten
Überschwemmungsverfahren bei uns hier. Das heißt also Masse, Masse. Im
biologischen Pflanzenschutz ist es ja so: viel hilft viel, je mehr ich raufbringe, je mehr
Erfolg habe ich.
Vogelgezwitscher
Sprecher:
Die Natur bietet viele Möglichkeiten gegen Schädlinge vorzugehen, nicht aber gegen
den zweiten Feind einer Kulturpflanze: die Wildkräuter. Denn in jeder Handvoll
natürlichen Bodens ruhen unzählige Samenkörner. Und die keimen, sobald die
Bedingungen für sie günstig sind. Darum spritzen Landwirte gerne Glyphosat auf den
Acker frei, bevor sie säen. Wildkräuter lassen sich nicht leicht mit biologischen
Verfahren bekämpfen. Im Bioanbau heißt es also nach wie vor: jäten, jäten, jäten.
Und das kann die Ökobilanz zugunsten der konventionellen Landwirtschaft
verschieben. Denn Bio-Landwirte müssen zum Unkraut-Hacken häufiger mit dem
Traktor übers Feld fahren und verbrauchen dabei Energie.
Christian Richter und seine Mitarbeiter. Der Gartenbaumeister arbeitet im PestalozziKinderdorf in Wahlwies bei Stockach, 160 Hektar werden hier nach den Richtlinien
biologisch-dynamischer Landwirtschaft bewirtschaftet. Dazu gehören auch mehrere
große Gewächshäuser.
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O-Ton Christian Richter:
Da geht man mit einem Gasbrenner an der Kultur entlang, erwärmt das Unkraut auf
40 Grad, dann gerinnt das Zelleiweiß in der Pflanze und die Pflanze wird so
dunkelgrün und geht nach kurzer Zeit kaputt, das ist die eine Methode. Zum anderen
legen wir auch schwarze Vliese, die wasserdurchlässig sind, wo auch noch bisschen
Licht durchgeht und die legen wir ziemlich nah an die Pflanze ran, wobei wir die im
Sommer wieder ganz weglegen. Man sieht ja auch hier, wenn die Kultur hochwächst,
kommt nicht mehr soviel Licht an den Boden und dann entwickelt sich kaum Unkraut.
Sprecher:
Darüber hinaus hält Christian Richter das Bodenleben lebendig. Er düngt regelmäßig
mit Kompost und setzt Regenwurmeier aus. Das stärkt die Gewächshaustomaten
und macht sie widerstandsfähiger gegen Schädlinge.
Im Freiland ist der Gemüseanbau viel einfacher. Der Gartenbaumeister baut hier
Salate, Kräuter, Kürbisse, Bohnen und vieles andere an. Schädlinge und Krankheiten
gibt es kaum – dank einer klugen Fruchtfolge.
O-Ton Christian Richter:
Unsere Gemüsepflanzen sind ja hauptsächlich Flachwurzler, und wir müssen
dazwischen auch wieder eine Pflanze säen die tiefer wurzelt, die den Boden
schneller zumacht, das sind halt hauptsächlich landwirtschaftliche Pflanzen wie
Kleegras, die zusätzlich noch Stickstoff binden. Aber auch natürlich Getreide, das
drei, vier Meter in die Tiefe Feinwurzeln ausbildet und natürlich auch die Nährstoffe
aus ganz anderen Tiefen wieder aufschließt und holen kann und den Boden lockert.
Wiese
Sprecher:
Zum Gartenbau-Team im Pestalozzi Kinderdorf gehört auch Dirk Rösener. Der
Obstbaumeister pflegt insgesamt 15 Hektar Obstplantagen. Hier gedeihen vor allem
Äpfel, Birnen, Zwetschgen und Pfirsiche. Schon von weitem unterscheiden sich die
Obstbaumreihen durch ihren bunten Unterwuchs – Blumen und Gräsern von den
benachbarten Anlagen anderer Bauern.
O-Ton Dirk Rösener:
Wir versuchen halt, diese Blühstreifen zu integrieren in die Obstanlagen, um
Nützlinge zu fördern, in erster Linie natürlich die Bestäubungsinsekten, aber auch
Nützlinge wie Schwebfliegen oder Marienkäfer, weil in erste Linie fressen ja die
Larven die Schädlinge weg, und die erwachsenen Tiere, die Marienkäfer fressen
zwar auch Läuse, aber die Schwebfliegen zum Beispiel ernähren sich nur von
Nektar.
Sprecher:
Bis zu hundert Blattläuse frisst eine Schwebfliegenlarve pro Tag, bis sie sich
verpuppt. Damit die Tiere auch danach in der Plantage bleiben und Nachwuchs
zeugen, müssen die erwachsenen Tiere genügend Nahrung finden. Dafür hat Dirk
Rösener den Blühstreifen im letzten Jahr eingesät.
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O-Ton Dirk Rösener:
Hier sieht man jetzt in erster Linie die Kornblume, quasi als Pionierpflanze vom
Blühstreifen. Der wurde im letzten Herbst eingesät, und hier sieht man jetzt die
Gräser, die einjährig sind, und zwischen den Gräsern sieht man die verschiedenen
Kräuter …
Sprecher:
Er hat vor jede der Apfelbaumreihen einen Strauch gesetzt, Holunder und
Vogelbeere zum Beispiel. Mit ihren Blüten und später den Beeren locken die Büsche
Nutzinsekten und Singvögel in die Plantage. Johannes Jehle vom Julius-Kühn Institut
spricht bei solchen Maßnahmen vom konservativen Pflanzenschutz.
O-Ton Johannes Jehle:
Beim konservativen Pflanzenschutz geht es darum, die Lebensgrundlagen der
natürlich vorkommenden Gegenspieler, dass man die erhält und fördert. Das macht
man bei Habitat-Management, dass man Hecken anpflanzt, Blühpflanzen anpflanzt,
Blühstreifen anpflanzt, sodass diese Gegenspieler auch eine Weidemöglichkeit
haben, Nahrung finden und das ist nach wie vor ein sehr wichtiges Tool.
Sprecher:
Ein Tool, also ein Werkzeug, das auch die europäische Agrarpolitik wieder entdeckt
hat. Seit der Agrarreform von 2014 muss jeder Landwirt auf fünf Prozent seiner
Fläche Blühstreifen einsäen, Hecken pflanzen oder Zwischensaaten mit Erbsen und
Bohnen anlegen, um die vollen Fördergelder der EU zu erhalten. Umweltverbände
und die Grünen bezeichnen das Ansinnen der EU-Agrareform dennoch als Schlag
ins Wasser. Denn chemische Pflanzenschutzmittel einzusetzen, bleibt auch auf
diesen Ökoflächen erlaubt.
Das Pestalozzi Kinderdorf dagegen reserviert sogar zwanzig Prozent seiner
landwirtschaftlich genutzten Fläche für die Förderung der Artenvielfalt. Darunter auch
Streuobstwiesen. Obstbaumeister Dirk Rösener deutet auf einen
Schmetterlingsflieder in seiner Anlage. Der blüht bis in den Herbst hinein und zieht
Schmetterlinge magisch an.
O-Ton Dirk Rösener:
Gerade im Sommer wenn die Nahrungsvielfalt stark eingeschränkt ist, weil in der
Landwirtschaft sämtliche Wiesen dann auf einmal gemäht werden, dann ist das sehr
hervorragend für Schmetterlinge, dann finden sie da noch ausreichend Nektar. Die
Nützlinge brauchen das ganze Jahr über Futter, das heißt auch über Winter
Winterquartiere schaffen.
Sprecher:
Es ist wichtig, das alte Wissen, den sogenannten konservativen Pflanzenschutz, in
die moderne Landwirtschaft zu integrieren. Biologische Pflanzenschutz kann aber
noch viel mehr, betont Johannes Jehle vom Julius-Kühn Institut:
O-Ton Johannes Jehle:
Was wir momentan machen, dass wir die Organismen, die vor 30 bis 40 Jahren
schon beschrieben wurden als potenzielle biologische Agentien, diese Organismen
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werden jetzt näher betrachtet, und man versucht viele von diesen Organismen heute
jetzt überzuführen in entsprechende Produkte. Das sind zum Beispiel bestimmte
Stämme von Pilzen, von Bakterien.
Sprecher:
Die Entwicklung dieser biologischen Pflanzenschutzmittel wurde jahrzehntelang
verzögert, weil bürokratische Hürden den Weg versperrten. Denn die
Genehmigungsverfahren sind in der EU auch bei biologischen Mitteln extrem
zeitaufwendig und teuer. Dabei wäre das Potential der Schädlingsbekämpfung mit
Viren und Pilzen riesig. Johannes Jehle:
O-Ton Johannes Jehle:
Wir kennen mehr als 800 verschiedene dieser Insektenviren, und jedes dieser Viren
ist extrem spezifisch für eine oder nur für wenige Arten. Das heißt wir haben hier eine
große Palette von potenziellen biologischen Präparaten.
Sprecher:
Immerhin kommt gerade Bewegung in diesen Markt. Denn die EU will die Risiken
chemischen Pflanzenschutzes minimieren. Ende 2013 hat sie daher das „Biocomes“
Projekt aufgelegt. Mit einem Förderetat von rund zwölf Millionen Euro sollen elf
verschiedene biologische Präparate zur Marktreife geführt werden. In diesem
Rahmen forscht das JKI an einem Virus gegen die Kartoffel- und die
Tomatenminiermotte. Johannes Jehle öffnet in seinem Labor einen Kühlschrank.
Tür auf
O-Ton Johannes Jehle:
Ich zeig Ihnen mal wie wir das hier machen mit dem ganzen Testen, anfangen tue ich
mal mit so einem Bioessay.
Sprecher:
Jehle entnimmt einen flachen Glaskasten, in dem sich verschiedene Petrischalen
befinden.
Brummen
O-Ton Johannes Jehle:
Das ist eine frische Kartoffelscheibe, dort ist es jetzt so, dass wir das Virus auf die
Scheiben applizieren, und dann setzen wir die kleinen Larven der Kartoffelmotte auf
diese Scheiben, dieser Test wird dann täglich oder im Abstand von zwei Tagen
evaluiert, und wir sehen dann, wann wie viele dieser Larven absterben. Daraus
können wir dann Rückschlüsse treffen auf die Aktivität, wir vergleichen hier acht bis
zehn verschiedene Virus-Isolate. Wir sequenzieren diese Viren komplett durch, die
genetische Information wird komplett bestimmt, da sehen Sie die kleinen Larven, da
unten sitzen sie, die wollen jetzt hier raus, normalerweise sitzen die alle in der
Kartoffelscheibe drin und sterben dann auch, weil sie fressen normalerweise ...
10
Sprecher:
Johannes Jehle hat eine weitere Petrischale vorbereitet und setzt sich an ein
Mikroskop:
O-Ton Johannes Jehle:
Normalerweise brauchen Sie immer ein Elektronenmikroskop, um Viren sehen zu
können, weil sie so klein sind, dass man sie im Lichtmikroskop eben nicht mehr
wahrnehmen kann. Diese Viren hier, die bilden aber zur eigentlichen Virenhülle noch
dazu eine Art Einschlusskörper, eine ganz ganz dicke Proteinhülle, wenn Sie mal
durchgucken …
Sprecher:
Der Wissenschaftler klemmt die Petrischale in die Halterung und stellt die Linse.
O-Ton Johannes Jehle:
Dann sehen Sie einzelne runde Zellen, und in den Zellen drinne so kleine Kristalle,
das sind die Baculoviren.
Sprecher:
Baculoviren befallen nur wirbellose Tiere, als Hauptwirte dienen ihnen Mottenlarven.
O-Ton Dietrich Stephan:
Wir finden in der Natur Insektenkrankheiten, aber nicht jede Insektenkrankheit kann
so vermehrt werden, so formuliert werden, so quasi verpackt werden und
ausgebracht werden, dass der Landwirt später das als Produkt nutzen kann, mit
diesen Fragen befassen wir uns hier.
Sprecher:
Dietrich Stephan leitet die Abteilung Verfahrenstechnik und Mikrobiologie am Julius
Kühn Institut. Der Mikrobiologe arbeitet zum Beispiel mit sogenannten
insektenpathogenen Pilzen, mit Krankheitserregern, die Insekten befallen. Die Pilze
breiten sich in den Blutbahnen aus und töten das Insekt innerhalb weniger Tage.
O-Ton Dietrich Stephan:
Wenn man den Krankheitsverlauf der Insekten sich anschaut: Der Pilz dringt ein,
vermehrt sich in der Hämolymphe, das Insekt stirbt und dann im nächsten Schritt
durchwächst der Pilz das Insekt von innen nach außen.
Sprecher:
Den Krankheitsverlauf hat Dietrich Stephan in vier Petrischalen nachgestellt. In der
ersten Schale liegt ein Engerling – eine Maikäferlarve. Sie ist bereits mit dem Pilz
infiziert, aber das sieht man nicht. In der zweiten und dritten wachsen zunehmend
schimmelartige Stellen aus der Haut, der Pilz hat die Larve längst getötet. In der
vierten ist sie von einer Art grünem Rasen überzogen. Jetzt setzt der Pilz seine
Sporen frei, diese Sporen sind die Substanz, mit der Stephan hier arbeitet.
Blubbern
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Sprecher:
Der Mikrobiologe tritt an einen Fermenter heran, das Gerät erinnert an einen
Küchenmixer aus Glas. Ein öliges Emulgat blubbert hier vor sich hin.
O-Ton Dietrich Stephan:
Wenn wir in Flüssigkultur fermentieren, da können wir sehr schön optimieren, den
PH-Wert verändern, Sauerstoffzufuhr und so weiter und sofort …
Sprecher:
Konkret gilt es nun, die Pilzsporen in einer Flüssigkeit oder einem Pulver so zu
fixieren, dass sie sich gut verteilen und außerdem ein paar Monate lang haltbar sind.
Landwirte sollten es dann mit ihren gewohnten Werkzeugen und Geräten auf ihren
Feldern ausbringen können. Ein Blick auf den Fermenter zeigt: Es klappt, die
Pilzsporen haben sich gleichmäßig verteilt.
Hummeln
Sprecher:
Ökologische Verfahren gegen Schädlinge, wie kontrollierter Befall mit Pilzsporen,
sind im Ackerbau noch Zukunftsmusik, im Gewächshaus gehören sie dagegen längst
zum Alltag. Massiver Einsatz von Agrarchemie würde die bestäubenden Insekten
töten – und damit die Befruchtung von Gemüse verhindern. Die Ernte würde
weitgehend ausfallen. Hier brummen gerade Hummeln – beliebte Bestäuber-Insekten
aus dem Reichenauer Gärtner-Center. Sie leben in einem künstlichen Hummelstock:
ein weißer Pappkasten mit einem roten Schieber an der Seite.
Hummeln / Gewächshaus
Sprecher:
Ulrike Schmidt beugt sich über den Hummelstock, er steht in einem Gewächshaus
voller Tomaten, zwischen den Pflanzen auf einer Kiste am Boden.
O-Ton Ulrike Schmidt:
Man muss ein bisschen aufpassen, weil Hummeln können stechen. Also, der Gärtner
kauft die Hummelvölker in diesen Pappkästen, da fliegt auch gerade eine, das ist
eine Erdhummel, die Bombus terrestris. Die gehen raus, gehen an die Blüten,
befruchten die, wenn man so eine Blüte aufmacht, dann sieht man da so eine
Verfärbung dran, das ist die sogenannte Biss-Stelle, wo sich die Hummel
festgebissen hat, um da einfach Pollen und Nektar zu sammeln …
Sprecher:
Ohne Bestäubung gäbe es keine Tomaten. In der Agrarpolitik beginnt man langsam
zu verstehen, dass man von der Natur doch sehr viel lernen kann.
*****
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