SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Glauben REFORMATION 500 REFORMATION, EIN ALTER HUT? WAS ES HEUTE BEDEUTET, EVANGELISCH ZU SEIN VON NELA FICHTNER SENDUNG 26.12.2016 / 12.05 UHR Redaktion Religion, Migration und Gesellschaft Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR SWR2 Glauben können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/glauben.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 01 a Atmo Takt 57….(singt vor…dann Chor tutti)…bis 0`16 allein, dann unterm Text Sprecherin: Letzte Probe im großen Saal der Cannstatter Luther-Gemeinde. Rund 80 Frauen und Männer allen Alters drängen sich in halben Stuhlkreisen um den Flügel - und einen Barhocker. Darauf lehnt der Dirigent - ein Bein lässig angezogen - und wedelt mit den Armen. In wenigen Tagen führt der „Bachchor Stuttgart“ das Weihnachtsoratorium auf. Die Mitglieder fiebern dem Auftritt entgegen. Atmo 1 a hochziehen, ca. 5 Sek. freistehend, unter O-Ton 02 (1.) ausblenden, Atmo 1 b unter 02 (2.) einblenden, so dass Schluss nach O-Ton freisteht 02 O-Ton, 2 Sängerinnen (1.) Also das hat für mich eine lange Tradition, das hat meinen Glauben geprägt. Ich hab mit zwölf zum ersten Mal ein Weihnachtsoratorium gesungen. Mit zwölf Jahren als Kind. Und das war DAS Ereignis und das vergess ich auch nicht. Das hat sich ganz tief in mir eingegraben, auch in mein Herz. Also die Texte, die hab ich als Kind gar nicht so verstanden:…`Weil unsere Wohlfahrt befestiget steht`. Und das muss man auch gar nicht mit dem Kopf verstehen. Das hab ich als Kind mit dem Herzen verstanden. Und dieses Empfinden hab ich immer noch, wenn ich jetzt 30 Jahre später diese Musik singe oder höre. (2.) Die Freude, die man im Glauben hat, drückt sich im Singen aus, in der Kirchenmusik. Ich sing seit 40 Jahren und ich denk, es ist einfach was, was zur Kirche und zum evangelisch Sein dazugehört, das Singen, und eben das Wort nicht nur sprechen, sondern auch mit Musik, ja, zu verkündigen. Atmo 1 b hochziehen - auf Schluss ca. 10 Sek. freistehend Sprecherin: Für Barbara Heidecker und Bettina Heu ist Singen DIE Möglichkeit, Ihr Evangelisch-Sein auszudrücken. Und Johann Sebastian Bach hat das wohl genauso gesehen, sagt Jörg Hannes Hahn, der den Stuttgarter Bachchor gegründet hat. 03 O-Ton, Hahn Martin Luther hat unglaublich viel in der Theologie bewirkt. Und tatsächlich auch weltgeschichtlich bewirkt. Und Johann Sebastian Bach hat unglaublich 2 viel in der Musik bewirkt. Er war auch ein Reformator der Musik, muss man sagen, und er hat sich natürlich engstens mit der Luther-Bibel befasst. Es gibt ja seine Bibel, wo er Zitate angestrichen hat, er war sehr bibelfest. Also Bach und Luther gehören für mich bei der Reformation ganz eng zusammen, auch wenn sie in einem ganz anderen Jahrhundert jeweils gelebt haben. Und ein fünfhundertjähriges Jubiläum ist schon was Besonderes. Ich persönlich bin auf den „Hype“ nicht so drauf gesprungen, weil es mir auch ein bischen gegen den Strich geht. Aber ich seh auf der anderen Seite auch das Bedürfnis und die Wichtigkeit, dass die Gesellschaft davon erfährt, dass da vor 500 Jahren was Wichtiges passiert ist, was uns heutzutage immer noch angehen kann. 04 Atmo, unter vorangegang. O-Ton-Ende einblenden, Sprecherin: Was Luther HEUTE noch zu sagen hat, versuchen -20 Kilometer weiter Mitglieder der Kirchengemeinde Großheppach herauszufinden - in einem Abendkurs mit dem Titel „Reformationen“. 04 Atmo bei 0`20 hochziehen, ca. 5 Sek. freistehend, Jetzt gehen mer a Stückle weiter… dann unterm Text weiter bis zur nächsten Atmo Sprecherin: Je fünf bis sechs Leute stehen vor einer Stellwand und lesen das persönliche Glaubensbekenntnis eines berühmten Theologen, Laien oder Protestanten einer anderen Kultur. Dann ziehen sie zur nächsten von fünf Texttafeln weiter, die im großen Dachraum des Gemeindezentrums verteilt sind. Als alle Kursteilnehmer durch sind, setzen sie sich an Tische und tauschen ihre Gedanken aus. 05 Atmo, bis 0`17 freistehend, dann unterm Text unter Gong leise weiter Ich verschreck vor dem Wort Vertrauen viel mehr als vor dem Wort Glauben. …Vertrauen sagt man so schnell. Mach ich`s denn wirklich? Ich vertraue auf Gottes Wort. Ja mach ich`s denn? Halt ich die zweite Wange hin? Vergelt ich denn das Böse mit Gutem? Ha! 06 Atmo Gong - (unterm Gong Kreuzblende 05 Atmo und 07 Atmo (07 vorne kürzen, so dass Vorlauf zur Dauer Gonglänge 07 Atmo Vortrag O-Ton, (ungekürzt bei 0`15) hochziehen (05 Atmo weg) 3 zur Zeit Luthers und vor allem dann auch in der Folge war es wichtig zu sagen: `was glauben wir? Was ist das, was unser Protestantisch-Sein ausmacht`, (bis 0`31) …dann unter folgendem Text Kreuzblende mit 08 Atmo Sprecherin: Mit dieser Grundsatzfrage bringt Theologin Jutta Heizmann ihre KursTeilnehmer ins Grübeln. Antwortfreudig werden sie erst bei Käsegebäck und einem Gläschen Wein. 08 Atmo Buffet kurz hoch, bei Worten: Kann I noch was zum Trinka einschenke? … dann leise unter O-Tönen weiter 09 O-Töne Spezifisch evangelisch 1, (1.) Das spezifisch Evangelische für mich ist, dass es von unten kommt. Also die katholische Kirche ist für mich immer: da wird was von oben aufgesetzt ein bischen mehr. Und im Evangelischen: Ich bin selber mündig. Ich darf und kann selber entscheiden und muss selber denken, muss mir selber Gedanken machen zu Themen. Und das müssen ja nicht nur religiöse Dinge sein oder der Glaube. Das gilt dann auch für das ganze restliche Leben, das gesellschaftliche. (2.) Freiheit! Also das haben wir Martin Luther wirklich zu verdanken, einmal die Freiheit, den Glauben und die Übersetzung der Bibel, dass alle Deutschen eine Einheitssprache bekommen haben, also das ist ein Werk, da kann man nur staunen, was der Martin Luther da auf der Wartburg geleistet hat. Sprecherin: Florian Heizmann und Evelin Müller schätzen am Protestantismus, dass er Eigenverantwortung und Bildung stärkt. Andere Kursteilnehmer wie Werner Lenhard betonen, dass die Reformation vor allem psychologische Entlastung gebracht hat. 10 O-Töne Spezifisch evangelisch 2, Wenn wir die alten Gemälde anschauen, die Höllendarstellungen, das war ja furchtbar. Also die Angst vor dem Sterben, die Angst vor dem Gericht nach dem Tod. Und da hat Luther dann doch diese frohe Botschaft entdeckt: allein durch Gnade - des isch des Größte, dass wir praktisch angstfrei leben können. Sprecherin: Allein durch Gnade - sola gratia - ist eine der fünf Grundaussagen der protestantischen Rechtfertigungslehre. Die ist der Dreh- und Angelpunkt evangelischen Denkens. Darin geht es um die Frage, wodurch wir unsere 4 Daseinsberechtigung, unseren Wert erhalten. Die Reformatoren antworten: nicht -wie gewohnt- durch Wohlverhalten und gute Taten. Sondern der Mensch ist allein durch Gottes Gnade gerechtfertigt. Er bejaht uns bedingungslos, egal, was wir tun und lassen. Das nimmt vielen Protestanten eine enorme Last von den Schultern, sagt Theologin Jutta Heizmann 11 O-Ton evangelisch, spezifisch evangelisch 3, Für mich bedeutet evangelisch sein ganz stark den Gnadengedanken, also durch die Gnade, die ich geschenkt bekomme, kann ich zu Gott kommen. Geht natürlich auf die Reformation zurück. Für mich was, was mich trägt in meinem Glauben und in dem, wenn ich immer mal wieder zweifel, nicht weiter weiß, wo ich weiß, das ist ein Fundament, da kann ich nicht drunter fallen, da fall ich drauf und es ist so weich wie ein Trampolin. Sprecherin: Mit dem Gnadengedanken eng verbunden ist die Rechtfertigung „allein durch Glaube, sola fide“. Ebenso die Rechtfertigung „allein durch die Schrift sola scriptura“ - wonach die Bibel in Glaubensfragen die einzige Autorität ist. Daran schließt sich „solo verbo“ an - allein im Wort Gottes“ …liegt Gerechtigkeit…. Sowie „solus Christus - allein durch Gottes Sohn“ …finden die Menschen zu Gott“. Diese fünf Formeln führen zum Kernsatz der Reformation „soli Deo gloria: allein Gott gebührt Ehre“. Am wichtigsten ist für den badischen Landesbischof Jochen CorneliusBundschuh: 12 O-Ton Cornelius-Bundschuh, Also für mich ist diese Erkenntnis, dass ich frei werde von bestimmten Erwartungen, die an mich gestellt werden oder die ich vor allem auch an mich selber stelle. Und dann beim Freiwerden nicht ins Leere falle. Also ich hab manchmal so ein Spiel mit Konfirmantinnen und Konfirmanten gemacht, um ihnen das zu erklären. Einer stand in der Mitte, bekam lauter Stricke in die Hand und die anderen zogen. Und jedes Ziehen steht für die Eltern, für die Mitschüler, für die Clique. Und was macht man jetzt, ja? Da meinte einer: `Wir schneiden das alles durch`. Aber dann haben sie dieses Man-fällt-ins-Leere, man wird ein isoliertes Wesen. Und ich glaube, die Reformation hat erklärt: Wir werden frei von diesen Erfahrungen, weil immer wieder Christus dazwischen tritt und ausgleicht und uns da drinnen stärkt, aber gleichzeitig nicht die Verbindung zu den anderen abreißen lässt. 5 Sprecherin: Die Konsequenz aus dieser Freiheit ist aber nicht, dass jeder tun und lassen kann, was er will - im Gegenteil: evangelische Freiheit bedeutet, seinen Glauben durch tätige Nächstenliebe zu verkünden. Das heißt Verantwortung zu übernehmen - überall dort, wo man kann - besonders bei der Arbeit, die Protestanten als eine Art Gottes-Dienst verstehen. Diese Art Verkündigung ist nicht an Priester gebunden, betont Theologie-Professor Michael Herbst von der Universität Greifswald. O-Ton 12-13, Herbst Das eigentlich Revolutionäre an der Reformation ist das allgemeine Priestertum der Glaubenden. Das bedeutet, dass jeder Mensch unmittelbar zu Gott ist und jeder Mensch gerufen ist, ein mündiges Zeugnis seines Glaubens abzugeben. Ich bin tief davon überzeugt, dass die evangelische Kirche nur dann Zukunft haben wird und Gehör finden wird, wenn sie nicht versucht Wolfgang Huber hat mal gesagt - so ne Art Bundesagentur für Werte zu sein, sondern wenn sie ihre Botschaft zur Sprache bringt und das ist vor allem reformatorisch verstanden- die Botschaft von der unbedingten Anerkennung des einzelnen Menschen aus purer Gnade. Das bedeutet zum Beispiel im Blick auf die Bedeutung von Arbeit und Leistung eine gewissen Relativierung und einen gewissen Freispruch und wäre an vielfältigen Punkten eigentlich hoch attraktiv, wenn wir den Mut hätten uns tatsächlich darauf neu zu fokussieren. Sprecherin: Gerhard Wegner, der Direktor des sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, sieht das ähnlich. Die Lehren der Reformation, sagt er, sind für die Gesellschaft bis heute eine Chance. 13 O-Ton Wegner, … ich glaube, dass diese Grundauffassung nach wie vor eine gewaltige Herausforderung für eine Gesellschaft ist, in der wir immer mehr Konkurrenz, immer mehr Selbstoptimierung, immer mehr Druck auf der Arbeit und was weiß ich haben. Dafür ist das, glaube ich, nach wie vor eine grandiose Vision, dass man endlich `ne Gesellschaft findet, in der Menschen menschlich miteinander in der Arbeit und in den Lebensvollzügen umgehen können und nicht einer gegen den anderen agiert und versucht, möglichst viel sich selbst rauszuholen. Von daher fordert dieses menschliche Berufs- und Freiheitsverständnis die Gesellschaft enorm heraus und ich finde,,, 14 Atmo Synodenlied einblenden 6 ….das müssen wir im Reformationsjubiläum sehr deutlich machen. Das könnte eine humanisierende Kraft für unsere Arbeitswelt und unsere Wirtschaft bedeuten. Sprecherin: … diese Hoffnung hat Wegner auch bei der Synode deutlich gemacht, dem Kirchenparlament der EKD, das im letzten November in Magdeburg tagte. 14 Atmo Synodenlied hochziehn, ca. 0`08 (ein Refrain) freistehend, unterm folgenden Text langsam ausblenden Sprecherin: Schwerpunktthema der Synode: „Solidarität in Europa“. Gerhard Wegner stellt eine Studie vor, die er im Auftrag des EKD-Rats erhoben hat. Danach haben nur noch knapp 40 Prozent der rund 2000 Befragten Vertrauen in die europäischen Institutionen. 15 O-Ton, Wegner kein Vertrauen in Europa Der Hauptgrund, warum man den europäischen Institutionen kein Vertrauen entgegen bringt, ist (aber) das Versagen dieser Institutionen im Kampf gegen Armut und Ausgrenzung auf der einen Seite. Und ein noch größeres Versagen darin, die Finanzmärkte in ihre Schranken zu verweisen. Das wird in unserer Befragung sehr deutlich. Europa muss es gelingen solidarischer zu werden und vor allem den Kampf gegen Armut und Ausgrenzung deutlicher zu führen, deutlicher zur Sache aller zu machen, als das bisher der Fall ist. 17 O-Ton Bedford-Strohm Wir werden deutlich machen, dass wir uns nie mit den toten Flüchtlingen im Mittelmeer abfinden werden. Wir werden uns dafür einsetzen, dass dieses Land gastfreundlich bleibt und dass die Integration der Flüchtlinge hier in Deutschland gelingt. Und wir werden mitzuhelfen versuchen, dass das Thema soziale Gerechtigkeit wieder mehr ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte rückt. Wir müssen klare Kante zeigen gegenüber allen Versuchen, völkisches Gedankengut und rechtsextremistische Kampfrhetorik in unserem Land wieder salonfähig zu machen. Vorstöße in diese Richtung sind Versuche unser Wertesystem zu verschieben. Weg vom christlich geprägten Universalismus der Menschenwürde, hin zu einem Nationalismus, durch den in unserer Geschichte nur Gewalt und Leid erwachsen ist. Wir müssen dem klar widersprechen. (endet mit Klatschen) - unter folgendem Text ausblenden 7 Sprecherin: Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm scheint den Kirchenparlamentariern aus dem Herzen zu sprechen. Doch drei Tage später kippt die Stimmung. Entschlossenheit und Zuversicht sind wie weggeblasen. Die Synodalen schleichen mit hängenden Köpfen zum Frühstück, unterhalten sich mit gedämpften Stimmen über die nächtliche Nachricht: Donald Trump wird neuer US-Präsident. Ratlosigkeit liegt in der Luft. Keiner hat mehr Lust, neue Pfarrdienstregeln und ähnliche Vorlagen zu beschließen. Die Vorsitzenden stricken mit heißer Nadel eine Stellungnahme. Darin heißt es: 17-18-Einspielung Sprecher, Donald Trump hat mit Parolen der Angst, des Hasses und der Ausgrenzung ganzer Menschengruppen geworben. Er hat die Demokratie und ihre Regeln verhöhnt. Menschen in Angst, in Sorge um ihre wirtschaftliche Existenz und ihr Gehört-Werden haben Trump ihre Stimme gegeben….Christinnen und Christen sind auch hierzulande herausgefordert, noch mehr für die Schwächeren einzutreten. Dabei müssen wir in Kontakt bleiben mit Menschen, die populistischen Versuchungen folgen, weil sie sich sonst nicht mehr vertreten fühlen. Sprecherin: Doch wollen diese Menschen überhaupt noch den Kontakt zur Evangelischen Kirche? Schließlich ist sie eng mit der politischen Elite verbunden, der sie immer weniger vertrauen: Bundeskanzlerin Angela Merkel ist Pastorentochter. Gesundheitsminister Hermann Gröhe sitzt in der EKD-Synode - wie auch GrünenFraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble wirbt in Videos der badischen Landeskirche für das Reformationsjubiläum. Außerdem war der -kürzlich verstorbene- Bundestags-Vizepräsident Peter Hinze evangelischer Pfarrer und gehört Innenminister Thomas de Maizière dem Präsidium des Evangelischen Kirchentags an. Dasselbe gilt für Außenminister Frank-Walther Steinmeier, der 2019 als Kirchentags-Präsident eingeplant war. Doch jetzt soll er stattdessen Bundespräsident werden. Die Reformationsbeauftragte der EKD, Margot Käßmann, geht fest davon aus, dass er gewählt wird und ist begeistert: 18 O-Ton Käßmann zu BP Steinmeier, Die Konfession spielt nicht eine allererste Rolle, aber es zeigt sich, was Luther mit dem Beruf meinte. Er sagte ja, dass jeder Mensch einen Beruf, eine Berufung hat und ein Christsein lebst Du nicht zuallererst in einem 10 Uhr 8 Gottesdienst am Sonntag, sondern da wirst Du bestärkt rauszugehen aus der Kirchentür und in der Welt, da wo Du kannst, Verantwortung zu übernehmen. Und Frank Walter Steinmeier ist nun ein Prostestant, der das sehr bewusst getan hat. Nun ist er der Präsident aller Deutschen. Darüber freue ich mich sehr. 19 Atmo Glocken Berliner Dom (schon unterm vorangeg. O-Ton einblenden), Kreuzblende mit 20 Atmo Bläser Festgottesdienst (ca. 20 Sek. vor Schluss), beides kurz hochziehen, dann unterm Text leise weiter (oder nur 1 Atmo?) Sprecherin: Auch beim amtierenden Bundespräsidenten war Freude zu spüren, als er Ende Oktober das Jubiläumsjahr der Reformation eröffnen durfte. Nach dem Festgottesdienst im Berliner Dom folgte der Staatsakt, bei dem Joachim Gauck eine predigtartige Rede hielt. 20 Atmo auf Schluss 21 O-Ton Gauck, Gnade - damals ein zentrales, heute vielleicht ein fremdes Wort. Und dabei scheint mir, hätten wir gerade heute nichts so nötig wie Gnade… Es macht sich in unserer Gesellschaft, von Internetforen bis hin zu politischen Demonstrationen, ein Ungeist der Gnadenlosigkeit breit, des Niedermachens, der Selbstgerechtigkeit und Verachtung, der für uns alle brandgefährlich ist…. Von denjenigen, für die die Reformation mehr ist als historische Erinnerung und für deren Leben der christliche Glaube eine wichtige Rolle spielt, von denjenigen wünsche ich mir, dass sie aus diesem Glauben heraus gnadenlosen Zuständen immer wieder Momente von tätiger Zuwendung, aber auch von Umkehr und Veränderung, entgegensetzen können. Wir brauchen auch heute Agenten der Entängstigung. Sprecherin: Als einen solchen Mutmacher scheint sich Joachim Gauck selbst zu sehen. Auf der homepage des Bundespräsidenten ist zu lesen - Zitat: „Joachim Gauck war Mitinitiator des kirchlichen und öffentlichen Widerstandes gegen die SED-Diktatur. Er leitete die wöchentlichen „Friedensgebete“, aus denen die Protestdemonstrationen hervorgingen.“ Auf der gegnerischen Seite damals stand unter anderen Petra Pau. 9 Die heutige Linken-Politikerin und Bundestags-Vizepräsidentin war Mitglied der SED und aktiv im Zentralrat der FDJ. Aus der evangelischen Kirche ist sie in jungen Jahren ausgetreten. Trotzdem, sagt sie, war sie immer gläubig. 22 O-Ton Pau, Also ich halte die Kirche, ihre Institutionen sicherlich für wichtig in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen, ich persönlich aber, ich lebe den Glauben außerhalb dieser Mauern anders und bezeuge so meine Überzeugungen, meinen Glauben und auch was ganz Persönliches, was ich im Verhältnis zu Jesus oder auch zu Gott habe. Sprecherin: Dennoch verbindet Pau mit dem Reformationsjubiläum ähnliche Hoffnungen wie die Mitglieder der evangelischen Kirche. 23 O-Ton, Also ich würde mir wünschen, dass auch gerade in der zur Zeit zugespitzten gesellschaftlichen Situation, in der Viele sich Fragen stellen: `Was passiert hier eigentlich? Wie verändert sich diese Gesellschaft, das Land, meine Lebensumstände?` Dass wir hier mit sehr viel Aufklärung agieren, den Menschen Wurzeln bewusst machen, auch woher wir kommen, welche Auseinandersetzungen es nicht nur rund um die Reformation gegeben hat, sondern eben auch darauf folgend immer wieder zur Konstituierung von gesellschaftlichen Grundsätzen, Werten, nach denen wir leben, die Werte, die am Anfang unseres Grundgesetzes stehen: Also die Würde des Menschen, jedes Menschen -ganz egal wo er herkommt, was er glaubt, wie er glaubtdas ist unantastbar…. 24 Atmo Evangelisch Panorama einblenden (Orgelmusik mit Gesang) ….und ich finde schon, dass mit der Reformation hier in Europa die Wurzeln gelegt wurden. Sprecherin: In Wittenberg werden diese Wurzeln seit Oktober in einem Riesenspektakel sicht- und hörbar: Eine Rotunde in Größe eines Zweifamilienhauses zeigt ein 360-Grad-Panorama der Stadt zu Lebzeiten Luthers… Kreuzblende mit 25 Atmo (Ablasskauf) 10 …Der Künstler Yadegar Asisi hat mit Statisten mittelalterliche Szenen nachgestellt: vom Kirchgang über Marktszenen bis hin zum Kauf von Ablassbriefen, die Luther und seine Mitstreiter zu verhindern versuchen. 25 Atmo hochziehen „Was habt Ihr da? Das ist nicht gottgefällig! Geht bußen und beten…“ „Wir haben dafür bezahlt. Warum? Das ist Gotteslästerei! Gebt ihn uns doch zurück! Das ist mein “… Atmo unter nächster Atmo leise weiterlaufen lassen 26 O-Ton Führung Wenn man dann weiterschaut, dann sieht man hier Luther auf dem Weg zur Schlosskirche mit den Thesen in der Hand und in der Diskussion sowohl mit den Mönchen als auch mit den Stadtherren - vom Künstler ganz gut gelöst: Ob er die Thesen angeschlagen hat oder nicht lässt er offen. Und dann ist man - auf der anderen Seite - vielleicht gehen wir da mal ein paar Schritte rüber sozusagen in der neuen Zeit, wenn man so will. Man hat hier die Weltkugel da oben übrigens auch Kopernikus, die Buchdruckerei, die Frau, die öffentlich vor der Gemeinde reden darf, reden kann, also sozusagen der Aufbruch in die neue Zeit. Aber am Horizont sieht man auch Bauerkriege aufflammen. Insofern ist das im ganz schnellen Durchgang der Rundumschlag, den dieses Bild zeigt. Beide Atmos 25 und 26 unter folgendem Text langsam ausblenden. Sprecherin: …erklärt Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Panorama-Vereins. Er glaubt, dass die Inszenierung den Besuchern im Jubiläumsjahr hilft, die Reformation als lebendiges Geschehen zu begreifen. (Atmos weg) Das wünscht sich der württembergische Landesbischof von allen Jubiläumsveranstaltungen. Außerdem hofft Frank Otfried July, dass die Feierlichkeiten auch die Ökumene ein Stück voranbringen. Immerhin haben sich beide Konfessionen darauf geeinigt, ein gemeinsames Christusfest zu feiern. Es gab sogar eine ökumenische Erklärung zur Eröffnung des Jubiläumsjahres in Lund, zu der Papst Franziskus höchstpersönlich erschienen ist. Bischof July war dabei 27 O-Ton July Für mich wars schon ein sehr besonderer Moment. Ich bin eigentlich die ganzen Jahre meines theologischen Lebens jemand, der an Ökumene sehr interessiert ist. Aber in diesem Gottesdienst kam das in diesen Symbolen unglaublich zum Ausdruck, dass man auf diesem Weg der Gemeinschaft ist 11 wohl wissend, dass viele Lehrfragen noch nicht geklärt sind. Aber wie dann der Papst und Munib Younan, also der Präsident des Lutherischen Weltbunds, der Generalsektretär, gemeinsam nebeneinander standen….. Dass ein römischer Papst erstens überhaupt zu so einem Anlass kommt und dass er Luther gewürdigt hat, das hat mich schon sehr berührt. 28 O-Ton Franziskus „Con Gratitud reconocemos que la Reforma…” “dankbar erkennen wir an, dass die Reformation dazu beigetragen hat, die Heilige Schrift wieder mehr ins Leben der Kirche zu stellen. Die geistliche Erfahrung Martin Luthers hinterfragt uns und erinnert uns daran, dass wir ohne Gott nichts vollbringen können.“ „…que podemos hacer nada sin Dios. Doch trotz aller Einigkeit sehen viele Protestanten in der Ökumene Grenzen. Für Bettina Heu, die im Stuttgarter Bachchor singt, ist ein Punkt entscheidend: O-Ton 29 Pfarrerin. Ich bin Pfarrerin. Und solange es keine Frauenordination gibt und keine Gleichberechtigung im Amt, dann gibt es mit mir kein Zusammengehen. Das ist etwas, was ich besonders schätze an den protestantischen Kirchen. Das ist ein großer Unterschied und das ist mir ein großer Schmerz, wenn ich meine katholischen Kolleginnen sehe, die das nicht dürfen, nur weil sie `ne Frau sind. Atmo 30 einblenden Sprecherin: Bedauernd zuckt die Theologin mit den Schultern und geht in den Probenraum zurück. Atmo hochziehen, kurz allein stehen lassen, dann unterm Text und nachfolgenden O-Ton weiter An der Tür kommt ihr ein alter Herr mit Gehstock entgegen. Hans Dieter Haller sagt, er habe das Weihnachtsoratorium so oft gesungen, dass er ruhig ein paar Minuten fehlen kann. Haller weiß die Frauenordination ebenfalls zu schätzen. Dennoch sieht er im Protestantismus auch eine Schwäche: Die Ernsthaftigkeit und sinnliche Strenge der evangelischen Erziehung. O-Ton 31, Hans Dieter Haller, Manchmal denk ich, in meiner Biographie wäre Einiges fröhlicher vielleicht gelaufen, wenn ich nicht evangelisch gewesen wäre. Das Elternhaus war 12 einfach geprägt, also wenn man die Primärtugenden des Evangelischen nimmt: Ordnung, Disziplin, Bildungsbürgertum und Lesebegeisterung, das find ich ja alles tolle Sachen, aber es hat was Schweres, Ernsthaftes…. Gut, evangelisch hat ein Durchbruchtor: das ist die Musik. Also in der Musik da kann man sich ausleben und da lebt sich auch der Evangelische aus, das prägt unsere Identität. Atmo 30 hochziehen, ca. halbe Minute freistehend bis Schluss „…lasset das Zagen, verwandelt die Klage, stimmet voll Jauchzen, voll Fröhlichkeit ein.“ 13
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