audition beim müll-miliardär

AUDITION BEIM MÜLL-MILLIARDÄR
Die Aufzugtür öffnete sich. Ganz oben, im 22. Stock. Nun konnte sie Himmel
oder Hölle erwarten. Die marineblau uniformierte Sekretärin mit der dicken
Brille blieb so neutral wie ihre Kleidung. „This way please!“ Sie führte sie in einen
grauen Gang. Tristesse begrüßte sie im Mekka des Müll-Milliardärs. Die klitzekleinen
gläsernen Büros glichen Hühnerställen. Kein persönlicher Gegenstand, keine Privatsphäre war den Mitarbeitern gegönnt. Die Menschen, die in ihren Kummerkammern
saßen und arbeiteten, wirkten auf die Rose wie dressierte Affen in Anzügen. Eine
unsägliche Freudlosigkeit ging von ihren grauen, gleichmütigen Gesichtern aus. Die
Roboter von Kuka strahlten mehr Sex-Appeal aus. Die Maschinerie in der Schaltzentrale des Abfall-Entrepreneurs funktionierte offensichtlich bestens. Profitabel wegen
Herzlosigkeit. Sie gelangten ans Ende des tristen Laufstegs. Plötzlich standen sie, völlig unerwartet, in einem großzügigen Konferenzraum mit raumhohen Fenstern und
einer Armee aus Böse-Boxen. Woolf eilte begeistert zu seinen musikalischen Komparsen. Die Rose packte ihr Laptop, das Private Placement, MyStar-Füller und Notizbuch
aus. „Jetzt oder nie!“ Sie hob beide Daumen und lächelte Woolf ermutigend an.
Nikki setzte sich dekorativ an den gigantischen Konferenztisch aus edlem
Ebenholz und schlug elegant die Beine übereinander. Woolf tigerte euphorisch an der
Fensterfront auf und ab. Der Blick auf den Jachthafen mit den protzigen See-Stechern
machte ihn geil. Er wollte auch so eins! Hier saß er an der Quelle. Mit breitem Grinsen
malte er sich, den Triumph vorwegnehmend, aus, wie er mit fetten Schecks Haus,
Auto und Jacht kaufte. Ein Klacks für den King of Rock. Wozu brauchten sie überhaupt
noch dieses nervige Meeting?
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Just in time ging die Tür auf und Winnie Woodstock betrat den Raum. Er war
alarmierenden Blick zu. Sie setzte sich erneut an den Tisch und bat Winnie und
braun gebrannt, gut gelaunt, leger gekleidet in beigefarbenen Chinos und türkisem
Woolf Platz zu nehmen. „Thank you for your invitation. Let me introduce our busi-
LaKosta-Poloshirt. Die weißen Haare kontrastierten attraktiv mit seinem jungen-
ness concept.“ Ihre Stimme klang jetzt sachlich kühl und gleichzeitig einnehmend.
haften Gesicht. Mit verschmitztem Lächeln ging er auf die Rose zu. Er begrüßte
Sie schloss ihr Laptop an den Beamer an und präsentierte das Geschäftskonzept.
sie stilgerecht mit drei französischen Wangenküssen. Dann wanderte sein Blick
Mit Charme, Chuzpe und Substanz schaff te sie es, das Feuer des Interesses in
goutierend ihren wohlgeformten Body in dem schicken schwarzen Spitzenkleid
Winnie Woodstocks Augen wieder zu entfl ammen. Woolf währenddessen döste am
hinunter und wieder hinauf in ihre charmant changierenden grünen Augen.
Tisch. Nach der zwanzigminütigen Präsentation hatte die Rose ihr Anliegen präzise
„Compliment! You look absolutely wonderful! Like a fi lmstar!“ Die Rose lächelte
und professionell auf den Punkt gebracht. Der potenzielle Investor verbeugte sich
geschmeichelt. Wow! Wenn das kein guter Gesprächsbeginn war! Sie fühlte sich wie
vor der Rose. „Very convincing. One question only: What differenciates VOLTAGE
Queen Elizabeth Taylor. Woolf beobachtete die galante Szenerie eifersüchtig.
Music from other music productions?“ Er richtete die Frage an Woolf. Genau, wie
Er hasste es, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Gewichtigen Schrittes näherte er sich
die Rose es erwartet hatte. Jetzt war sein Einsatz gefragt. Woolf erwachte aus dem
seinem zukünftigen Gönner. Nach dieser Vorlage war es doch nur noch ein Kinder-
Halbschlaf. Er holte seine Schmecker-Brille aus der Hosentasche, putzte sie an
spiel, eine großzügige Geldspende zu erlangen. Er konnte sich das Schauspiel des
seinem Ärmel ab. Räusperte sich. Erwartungsvoll und wohlwollend zugleich beob-
Business-Scharlatans also sparen und einfach der sein, der er war. Er holte aus und
achteten die Rose und Winnie Woodstock seine Zeremonie. Sicher das Vorspiel zu
haute Winnie Woodstock heftig auf die Schulter. „Hey old fellow. Nice to meet you.
einem intellektuellen Meisterwerk?!
I am Woolf Barzokka. Famous Rock Star from Germany. You will earn a fortune by
investing in me and my music!“
Woolf schaute sie mit seinem Ich-schnupfe-die-Weisheit-jeden-Morgenzum-Frühstück-ohne-Salz-Blick an. Spielte mit der Schmecker-Brille. Schließlich
Die offenen blauen Augen des potenziellen Investors verdunkelten sich.
öff nete er seinen Mundschlitz. Er räusperte sich. „Hmpm! Ähäh ... I don’t like Rap
WAS WAR DAS DENN FÜR EIN ANGEBER? Die Rose erstarrte. Sie wusste: „You
Music!“ Dem Adjutanten des Müll-Milliardärs fiel die Kinnlade herunter. „O. K.“
never get a second chance to make a fi rst impression!“ Woolf hatte es innerhalb
Mehr sagte er nicht. Es klang nicht O. K.! Die Rose blickte zum Himmel. OH NO! Woolf
einer Minute vollbracht, die letzte erkennbare Chance auf ihre Existenzsicherung
hatte es tatsächlich geschaff t, auch diese Chance zu vergeigen. Nun konnte nur noch
zu gefährden. Sie schaltete umgehend in den zweiten Gang und warf Woolf einen
die Wahrheit überzeugen. Woolfs Musik. „We speak about music. Let’s hear it!“, forderte
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sie. Woolf schaff te es immerhin, seine CD in die Anlage einzuspeisen. Er stellte sich vor
harten Hieb auf den Rücken. „Bye fellow. Take care of your lovely Rose. And: let me tell
dem Tisch auf und bewegte seinen unproportioniert langen Oberkörper spastisch hin
you! Rap music ain‘t that bad ...“ Woolf ballte die Hand zur Faust. Die Rose zog ihn in
und her. Joe Cokker für Arme! Die Rose und sein eventueller Investor schauten ihm in
den Aufzug. Die Abfahrt mit dem High-Speed-Aufzug fühlte sich an wie ein Absturz
amüsierter Befremdung zu. Nun wurde es laut! Der Sound des Woolfs erklang. Laut und
in den Abgrund. Nikkis Ohren wurden taub. Sie wollte sich nicht ausmalen, wie ihr
blechern aus dem Dutzend Böse-Boxen. Der Rose war, als hörte sie den „Sound of
Leben nun weitergehen sollte. Sie war in einer grande catastrophe gelandet!
Woolf“ zum ersten Mal. Er klang: künstlich. Die Melodie geklaut. Die Stimme gequält.
Falsch, fadenscheinig, fake. Nikki blickte zu Boden, als wünschte sie, er möge sich öff-
Selbsteinschätzung und Fremdwirkung sind nicht immer identisch. „Wie
nen. In diesem Augenblick wurde ihr erschreckend klar: Sie war einer Illusion erlegen.
war ich?“, wollte Woolf, auf der Straße angekommen, wissen. „Lausig“, wollte es
Woolf würde nie und nimmermehr ein großer Rockstar. Er war ein großer Schwätzer
ihr entfahren. Doch das bedrohliche Glitzern in seinen Augen hielt sie von der Wahr-
und ein grandioser Poser vor dem Herrn. Und am allerschlimmsten: ein Frauenschlä-
heit ab. „Respektabel“ war das Beste, was Nikki einfiel. Er blickte explosiv.
ger! Und dennoch liebte sie ihn. Woolf ging so in seiner Illusion auf, dass er fast schon
„Respektabel? Du und dieser dämliche Wichser von Woodie Woodstock seid
glaubwürdig
peinlichen
AHNUNGSLOSE ARSCHLÖCHER! Meine Kunst ist amtlich! Ihr seid noch nicht einmal
Luftgitarre, die er nun zu allem Übel noch spielte. Winnie Woodstock beendete
den Dreck unter meinen Fingernägeln wert. Ich bin der König des Rock!“ Er stieß sie
das Trauerspiel. Er eilte zur Anlage und schaltete sie aus. Woolf erstarrte inmitten
angewidert von sich und trat sie in den Bauch. Schließlich hatte er den schwarzen
seines Tanzes und blickte wie ein begossener Pudel drein. „You like?“, fragte
Karategürtel. Die Rose krümmte sich vor Schmerz zusammen. Winnie Woodstock
er unnötigerweise. Der nicht mehr interessierte Investor blickte flüchtig auf die Uhr.
beobachtete die Szene vom Fenster aus mit Entsetzen. Wie nur konnte er dieser liebli-
„Thank you for coming. I have another meeting now!“
chen Rose helfen? Er konnte nur eines tun: Ihr Unternehmen VOLTAGE musste
wirkte
mit
seinem
torkelnden
Körper
und
der
scheitern. Dann würde sie erkennen, dass der angebetete Gatte ein absolutes ArschDie Rose lächelte resignierend und packte ihre Utensilien des Erfolgs zurück in
loch und ein Versager war. Dann würde sie ihn verlassen und wieder zu sich fi nden ...
die Laptoptasche von MyStar. „Thank you for your attention. We’re looking forward to
Und vielleicht ja auch zu ihm? Sie, die sinnliche Sirene, würde Farbe und Erotik in sein
hear from you!“ Winnie Woodstock brachte sie mit nunmehr alarmierend neutralem
fades Liebesleben bringen! Er nahm den Telefonhörer ab und wählte. Er ließ VOLTAGE
Gesichtsausdruck zum Aufzug. Dort drückte er die Rose herzlich an sich und gab ihr
und Woolf Barzokka auf die schwarze Liste setzen. Miami war ein Dorf. Hier würden
drei zarte Wangenküsse. „I wish you all the luck in this world!“ Woolf haute er einen
sie keinen Fuß in die Tür bekommen!
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