Nutrition News: Probiotika zur Infekt

Jahrgang 13, Ausgabe 3/16
ISSN 2227-8524 Erscheinungsort: Wien; Verlagspostamt: A-8600 Bruck/Mur
Probiotika zur Infekt-Prophylaxe
im Leistungssport?
Immunaktivierung durch Sport
INHALT
Akute körperliche Belastungen induzieren in Abhängigkeit von der Art, Dauer
und Intensität der Beanspruchung eine
Unterdrückung des Immunsystems mit
einer lokalen und systemischen Reaktion
(Walsh NP; Exerc Immunol Rev 2011;
17:6). Diese vorübergehend reduzierte Widerstandsfähigkeit wurde auch als
„open window“ bezeichnet (Nieman DC;
J Appl Physiol 1997; 82:1385), indem eine
erhöhte virale Infektanfälligkeit insbesondere der oberen Atemwege besteht.
Auf das Blutbild bezogen spricht man von
einer biphasischen Leukozytose (Gleeson
M; J Appl Physiol 2007; 103:693). Zunächst kommt es zu einer Immunreaktion während der Belastung. Je intensiver
diese ist, desto stärker steigt die Zahl der
Leukozyten an, aktiviert durch das sympathische Nervensystem, durch Botenstoffe
wie Adrenalin und Kortisol. Die zweite
Phase der Leukozytose ist gekennzeichnet
durch einen erneuten Anstieg der zuvor
schon abgefallenen Leukozyten, gleich-
© Jezper / Fotolia
zeitig nehmen die Lymphozyten ab - und
damit auch die Abwehrkraft.
Durch die T-Zell-Suppression resultiert
eine erhöhte Infektanfälligkeit, die bis zu
sechs Stunden nach intensiver körperlicher Belastung anhält. Verbunden damit ist eine Abnahme der Immunfunktion: Die Serumimmunglobuline, spezi-
ell das Immunglobulin A (IgA) und die
Phagozytoseleistung sind reduziert, was
wiederum die Abtötungsfähigkeit von
Keto-Analoge in der Ernährungstherapie bei CNI • Alternativen zum Fleisch-Konsum • Virtuelle Realität
Einfluss von Essgeschwindigkeit auf die Gesundheit • Adipositas und geistige Behinderung
Ernährungs-Biografiebogen in der Pflege • Mitteilungen der AKE, DGEM und SSNC/GESKES • Kongresse
www.nutrition-news.cc | Archiv: www.medicom.cc
Infekt-Prophylaxe durch Probiotika
Probiotic supplements reduce the frequency of upper-respiratory tract infections
in trained athletes Fuchs D, Geiger D, Schauer M, Gatterer H, Burtscher M, Strasser B OBJECTIVE: Prolonged intense exercise is associated with transient suppression of immune function and coincides with increased
risk for upper-respiratory tract infections (URTI). Immune activation
influences the biochemistry of serotonin precursor tryptophan (TRP).
METHODS: In 33 highly trained athletes during 3 months of winter
training, we examined effects of a probiotic supplement (OMNi-BiOTiC® Power, Allergosan, Graz, AT) on biomarkers of immune activation
and TRP metabolism after exhaustive aerobic exercise and on incidence of URTI. In a double blind way, individuals were randomized
and received either probiotic (PRO, n=17) or placebo (PLA, n=16),
daily for 12 weeks. Serum concentrations of TRP and kynurenine
(KYN) were determined by HPLC, and neopterin by ELISA (BRAHMS,
Hennigsdorf, Germany) at baseline, after 12 weeks at rest, and immediately post exercise.
Weekly training and illness logs were kept. The study was completed by 29 subjects (n=14 PRO, n=15 PLA). For eligibility testing all subjects performed an incremental cycle ergometer exercise
test at 60rpm until exhaustion. After a 20min rest phase, athletes (17
women, 16 men; mean age 26.7 y; average body mass index 22 kg/m²,
Pathogenen vermindert und so die Infektanfälligkeit erhöht (Neville V; Med
Sci Sports Exerc 2008; 40:1228).
Tryptophan-Kynurenin-Stoffwechsel
Sportliche Aktivität stimuliert die Freisetzung von Interferon-γ und über seine
Wirkung wird die Aminosäure Tryptophan zu Kynurenin oder dem Neurotransmitter Serotonin umgewandelt und
dabei teilweise verbraucht (Abbildung).
Tryptophan ist eine essentielle Aminosäure, die für den Aufbau von Proteinen
notwendig ist, vom menschlichen Körper aber nicht selbst produziert werden
kann. Tryptophan ist auch Substrat für
die Biosynthese von Serotonin und spielt
eine zentrale Rolle innerhalb der angeborenen und adaptiven Immunantwort
(Strasser B; J Neuropharmacology 2016;
Epub ahead of print). Der Tryptophan­
Nr. 3, 2016
Int J Sport Nutr Exerc Metab 2016; 26:S1
average peak oxygen uptake (VO2max) 51.4 ml/kg/min) performed a
20 min maximal time-trial on a cycle ergometer.
RESULTS: VO2 max correlated significantly with baseline concentrations of TRP and KYN (r=0.562 and r=0.511; both p<0.01).
Exhaustive exercise reduced TRP concentrations (-12%; p<0.001) and
increased KYN (+6%; p=0.022). In parallel, exhausting exercise was
associated with a strong increase of neopterin levels (159% of baseline, p<0.001), indicating increased immune activation after intense
exercise and suggesting a role of indoleamine 2,3-dioxygenase (IDO)
in the increased TRP breakdown. After 12 weeks, post exercise TRP
concentrations remained unchanged in PRO but decreased by 10%
in the PLA (significant treatment effect, p<0.05). The proportion of
PLA subjects who experienced 1 or more URTI symptoms was 2.2-fold
higher than in PRO (PLA 0.79, PRO 0.35; p<0.05).
CONCLUSIONS: Exhaustive aerobic exercise in trained athletes
causes increased alterations of tryptophan metabolism due to immune activation. Daily supplementation with probiotics appears beneficial in reducing the incidence of URTI in athletes during training
periods in winter.
abbau innerhalb dieser Immunreaktion
ist ein wichtiger Abwehrmechanismus.
Durch den Entzug dieser Aminosäure aus der Proteinbiosynthese kann das
Wachstum von intrazellulären Pathogenen reduziert werden. In einer aktuellen
Studie konnten wir bei Athleten nach
einer erschöpfenden Belastung Veränderungen im Tryptophan-KynureninMetabolismus nachweisen, wobei das
Absinken der Tryptophanspiegel wesentlich deutlicher ausgeprägt war als
der Anstieg des Kynurenin (Strasser B;
PLoS One 2016; 11:e0153617).
Aufrechterhaltung eines wirksamen
Immunsystems
Diese akute Immunaktivierung und
deren Folgen versucht man durch verschiedene Maßnahmen zu reduzieren.
Eine gesunde Ernährung (ausgegli-
chene Energiebilanz, gefüllte Glykogenspeicher, Fettsäuren, Protein- und
Mikronährstoffaufnahme) ist die beste
Infekt-Prophylaxe.
Die späte Leukozytose lässt sich durch
eine zusätzliche Kohlenhydratsubstitution während der Belastung, z. B. durch
die Zufuhr von typischen maltodextrinhaltigen Sportlergetränken, abschwächen (Scharhag J; Eur J Appl Physiol
2002; 87:584).
In einer Studie bei Elite Radrennfahrern resultierte eine erhöhte Proteinzufuhr während einer hoch-intensiven
Trainingsphase in einem reduzierten Risiko für Infektionen der oberen
Atemwege (Witard OC; Brain Behav
Immun 2014; 39:211). Im Gegensatz
dazu gibt es derzeit keine Hinweise,
dass die Einnahme antioxidativer Vitamine die Kortisol-Antwort bei längeren Belastungen reduzieren kann.
3
Infekt-Prophylaxe durch Probiotika
Wirksamkeit von Probiotika
Erste Evidenz für die Effektivität von
probiotischen Bakterien lieferte eine
australische Gruppe bei Athleten mit
Symptomen des Übertrainings, die weniger Interferon-γ produzierten als gesunde Athleten (Clancy RL; Br J Sports
Med 2006; 40:351). Nach einer 4-wöchigen Verabreichung eines probiotischen Milchsäurebakteriums (Lactobacillus acidophilus) war sowohl bei
den übertrainierten als auch bei den
gesunden Athleten eine erhöhte Ausschüttung von Interferon-γ durch die
T-Zellen nachweisbar. Die Autoren
sprachen vom ersten Beweis eines TZellen-Defekts bei erschöpften Athleten und der Wiederherstellung der
T-Zellenfunktion durch die Gabe von
Probiotika.
Obwohl die Datenlage noch begrenzt
ist, gibt es erfolgversprechende Hinweise für die Wirksamkeit von Probiotika
auf die Infekt-Prophylaxe. Es konnte gezeigt werden, dass probiotische
Supplemente die Inzidenz, Schwere
und Dauer von Infektionen der oberen Atemweg und des Gastrointestinaltrakts reduzieren (Gleeson M; Int J Sport
Nutr Exerc Metab 2011; 21:55). Auch
konnten Studien feststellen, dass Probiotika die epitheliale Barrierefunktion
verbessern und auf diese Weise Störungen der Darmpermeabilität reduzieren
können (Lamprecht M; J Int Soc Sports
Nutr 2012; 9:45).
Das Ziel einer eigenen Studie war es,
den Einfluss einer probiotischen Nahrungsergänzung auf Biomarker der
Immunaktivierung nach einer intensiven Ausdauerbelastung bei trainierten
Athleten zu überprüfen (Fuchs D; Int
J Sport Nutr Exerc Metab 2016; 26:S1;
Strasser B; Nutrients; in review). In dieser doppelt-verblindeten Interventionsstudie wurden 33 gut trainierte Sportler
randomisiert. Die Teilnehmer erhielten
täglich über 12 Wochen entweder ein
Probiotikum (Omni-Biotic®Power Allergosan, Graz, AT) oder ein Placebo.
Nach 12 Wochen zeigte die Interventionsgruppe, verglichen zur Kontroll4
Abb.: Intensive sportliche Aktivität (HIT = High Intensity Training) stimuliert die Freisetzung
von Interferon-γ (IFN-γ) von aktivierten T-Zellen.
Über seine Wirkung wird die Aminosäure Tryptophan zu Kynurenin oder dem Neurotransmitter
Serotonin umgewandelt und dabei verbraucht. IFN-γ induziert innerhalb der angeborenen und adaptiven
Immunantwort das Enzym Indolamin-2,3-Dioxygenase (IDO) in Makrophagen (hMγ) und dendritischen
Zellen (hDC) sowie die Bildung und Freisetzung von reaktiver Sauerstoffspezies (ROS). Etwa drei Prozent
des nicht proteingebundenen Tryptophans werden zur Synthese von Serotonin verwendet, der Großteil
des Tryptophans wird hingegen in das Stoffwechselintermediat Kynurenin abgebaut und unter Bildung
von Kynureninsäure (KYNA) oder Quinolinsäure (QUIN) metabolisiert. KYNA kann im Gegensatz zu
Kynurenin die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden. Ihr wird eine neuroprotektive Rolle zugewiesen,
während QUIN neurotoxisch wirkt. Der QUIN/KYNA Ratio kann durch regelmäßiges Ausdauertraining
verbessert (verringert) werden (Schlittler M; Am J Physiol 2016; 310:C836).
Modifiziert nach Gostner J; In: Mittal S (Ed.); Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, 2015;75.
gruppe, eine signifikant geringere Tryptophanabbaurate nach einer standardisierten Dauerbelastung. Der höhere
Tryptophanspiegel nach der Belastung
könnte auf eine verminderte Immunaktivierung in der Probiotika-Gruppe
hinweisen.
Nur 35% der Probiotika-Probanden bekamen eine Erkältung, bei den PlaceboProbanden waren es 79%. Der Anteil an
Sportlern mit einer ein- oder mehrwöchigen Atemwegsinfektion war damit in
der Placebo-Gruppe mehr als doppelt
so hoch als in der Probiotika-Gruppe.
Es stellte sich heraus, dass der Trainingsumfang (=Trainingsadhärenz) in
der Probiotika-Gruppe signifikant höher war in Relation zur Kontrollgruppe,
was zum einen auf die reduzierte Infektanfälligkeit zurückzuführen ist, aber
auch durch Veränderungen im Tryptophan-Stoffwechsel bedingt sein kann.
Es gibt mittlerweile gute Evidenz, dass
die Zusammensetzung von kommensalen Bakterien im Darm auch eine
wichtige Rolle in der Körperkomposition spielt (Sanmiguel C; Curr Obes Rep
2015; 4:250). Wechselwirkungen zwischen Mikroorganismen und deren erhöhter Metabolismus im Darm erfüllen
dabei eine wichtige Funktion in der Regulation der Energiehomöostase (DiBaise JK; Mayo Clin Proc 2008; 83:460).
Tatsächlich konnten wir in unserer Studie bei Leistungssportlern nach täglicher Einnahme eines Probiotikums
über eine Dauer von 12 Wochen eine
Erhöhung des Grundumsatzes in der
Interventionsgruppe feststellen, nicht
aber in der Placebo-Gruppe. Dieser Effekt war nicht auf Veränderungen im
Körpergewicht oder der Körperzellmasse zurückzuführen und könnte damit
auf eine Erhöhung des Grundumsatzes
des Wirtsorganismus hinweisen. Unter Ausnutzung dieses Mechanismus
könnten Probiotika eine mögliche und
zukünftige Therapiemöglichkeit in der
Behandlung der Adipositas darstellen
(Osterberg KL; Obesity 2015; 23:2364).
Nr. 3, 2016
Infekt-Prophylaxe durch Probiotika
Potentielle Mechanismen
Probiotika, vorwiegend Bifidobakterien,
die in verschiedenen Formen zugeführt
werden können, wirken direkt am Darm,
dem größten Immunorgan des menschlichen Körpers, und können so die Immunantwort beeinflussen. Probiotika
wirken direkt auf Pathogene und reduzieren die intestinale Permeabilität, d. h.,
die Integrität der Darmbarriere wird verbessert. In der Folge ist die Verweildauer der Keime in der gastrointestinalen
Epithelschicht verkürzt, was wiederum
die Infektanfälligkeit und gastrointestinale Beschwerden, aber auch allergische
Symptome, insbesondere bei Sportlern,
reduzieren kann (Pyne DB; Eur J Sport
Sci 2015; 15:63).
Offenbar wirken Probiotika auch auf
die Phagozytoseaktivität, die Abwehrfunktion und die Zahl der T-Zellen
und können die IgA-Konzentration
erhöhen sowie verschiedenste anti-inflammatorische Enzyme im Darm lokal
vermehren (Bischoff SC; Aktuel Ernahrungsmed 2012; 37:287). Es ist bekannt,
Nr. 3, 2016
dass eine intakte Mikrobiota essenziell für das Immunsystem ist und dass
Sport Einfluss auf die Mikrobiota und
das Immunsystem nimmt (Bermon S;
Exerc Immunol Rev 2015; 21:70).
Probiotika wiederum sind eine Möglichkeit, das Mikrobiom positiv zu beeinflussen und die Immunaktivierung
zu reduzieren. In Abhängigkeit von der
Intensität kann sich Sport über die Serotoninachse positiv oder negativ auf die
mentale Fitness auswirken (Meeusen R;
Sports Med 2014; 44:S47). Die Psyche
bzw. das Gehirn beeinflusst wiederum
die Mikrobiota – ein Wechselspiel von
Psyche und Immunsystem (Jenkins TA;
Nutrients 2016; 8[1]:pii: E56).
Forschungsausblick
Ergebnisse zukünftiger Studien im
Leistungssport sollten die Effektivität
von Probiotika und deren Nutzen für
den Sportler weiter hervorheben. Insbesondere die therapeutischen Effekte
von Probiotika in der Behandlung von
Stressresilienz und depressionsartigem
Verhalten werden in den nächsten Jahren klinisch geprüft und vielleicht zu
neuen Therapieansätzen gegen belastungsbedingte Immunbeeinträchtigungen führen.
Zukünftige Studien sollen daher noch
offene Fragen klären, wie z. B. jene der
Dosis-Wirkung-Beziehung, den Effekt
von unterschiedlichen Belastungsarten,
die Frage nach der optimalen Dauer der
Intervention, den Einfluss von Sport
per se auf die Mikrobiota sowie zentrale Wirkmechanismen auf klinische
und leistungsphysiologische Outcomes.
Weitere Studien sollen den bidirektionalen Zusammenhang zwischen Darm
und Gehirn untersuchen und die Bedeutung der körperlichen Aktivität mit
und ohne Probiotika-Supplementierung
auf die Darm-Gehirn-Achse erforschen.
Interessenkonflikte:
Vortragshonorar vom Institut Allergosan, Graz
Doz. Dr. Dr. Barbara Prüller-Strasser
Biozentrum
Medizinische Universität Innsbruck
[email protected]
5