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Familie
Bauernhof & Band
Gerd Radcke und seine Frau Marta leben für ihre Band „Hava Nagila“ und für
ihren Bauernhof in Witzwort, Schleswig-Holstein. Die Polin und der Milchviehhalter
lernten sich vor neun Jahren kennen. Seitdem ist Musik in ihrem Leben.
Marta Radcke,
31 Jahre
Eigentlich wollte ich nur einen Sommer lang
in Deutschland Geld verdienen, um mein
Musikstudium in Polen zu finanzieren. Ich besuchte meine Tante in Witzwort. Nach zweieinhalb Monaten Ferienjob auf dem Campingplatz
stellte ich mich bei Gerd vor, der damals eine Haushaltshilfe für den Hof suchte.
Zwischen uns hat es sofort gefunkt, da war alles
andere egal: die unterschiedlichen Nationalitäten
und Konfessionen, mein Studium, Gerds frische Trennung, die 15 Jahre Altersunterschied.
Schnell zeichnete sich ab, dass wir zusammengehören. In Polen war ich seitdem nur noch
zu Besuch. Ich hatte viel Glück: Ich bekam
sofort eine Stelle als Organistin in der evangelischen Kirche, die ich noch heute inne
habe. Gerds Kinder, Felix und Kristin,
und ich, wir hatten gleich einen Draht
zueinander. Irgendwie passte alles.
Das Leben auf dem Bauernhof war
erst neu und ungewohnt, hat mir
aber von Anfang an gefallen. Obwohl ich als Großstadtkind erst
mit den Tieren gefremdelt habe,
bezeichne ich mich heute sogar
als Bäuerin.
Daneben gibt es unsere Band
„Hava Nagila“, für die Gerd und
ich unsere Freizeit „opfern“. Wir
beide lieben Musik, singen und komponieren moderne Kirchenlieder. Ich bin der Kopf der
Band, Gerd schreibt Texte und ist unser Bühnentech­
niker. Pro Monat absolvieren wir zwei bis drei Auf­
tritte, aber wir hoffen,
mit unserer Musik
eines Tages unser Geld
Gerd und ich
verdienen zu können.
gehören zusammen,
Unsere dritte CD ist in
das war uns beiden
Planung. Die Musik,
der Hof, unsere Kinsofort klar.
der – der Alltag ist voll
positivem Stress, aber
dabei auch erfüllt, der Hof ist voller Leben.
Gerd und ich passen perfekt zusammen. Dafür bin
ich unendlich dankbar.
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top agrar 1/2015
Gerd Radcke,
46 Jahre
Die erste Frage, die Marta mir stellte, als sie auf
den Hof kam und die Kühe sah, lautete: „Beißen
die?“ Von dieser Ahnungslosigkeit ist heute
nichts mehr zu spüren. Marta ist Profi im Stall,
zuständig für die Kälber.
Der Hof wurde mir bereits mit 19 Jahren überschrieben. Während meines ersten Lehrjahres hätte ich am
liebsten in den Sack gehauen, um Musik zu studieren,
doch ich habe mich mit dem Beruf später gut arrangiert, ich mag, was ich tue. Statt damals 30 Kühe,
halten wir heute 180 plus Nachzucht. Die Musik
rückte an die dritte, vierte Stelle, bedingt durch
die Arbeit, die betriebliche Ausbildung benachteiligter Jugendlicher, die Ehrenämter, die Kinder.
Seit Marta mit ihrem Temperament, ihrer Energie und ihrer
Liebe zur Musik in unser Leben
getreten ist, hat sich das geändert. Ich
liebe es, für die Band Lieder zu schreiben,
Auftritte zu organisieren, mit Marta Musik
zu machen. Seit kurzem spiele ich sogar
wieder Gitarre. Ich traue uns zu, dass wir
es mit unserer Musik richtig weit schaffen. Oft mache ich mir Gedanken, wie
lange ich unseren Hof noch bewirtschaften möchte. Ich bin
seit fast 30 Jahren in der
Pflicht, habe Diabetes und
unser Sohn und möglicher Hofnachfolger ist erst 7 Jahre alt. Sollte
unsere musikalische Karriere Fahrt aufnehmen, könnte
ich mir vorstellen, mich darauf zu konzentrieren.
Marta vereint alles, was ich mir von einer Partnerin
wünsche. Uns verbindet
unsere Liebe, der Glaube,
die Kinder, die Musik. Es
Mit Marta habe
ist schön zu sehen, wie
ich Musik wieder­
innig das Band zwischen
entdeckt. Wir
Marta und meinen großen Kindern ist.
teilen fast alles.
Wir teilen fast alles.
Den Altersunterschied
bemerken wir kaum, wohl, weil wir beide uns dem Anderen annähern. Wir streiten nur über Kleinigkeiten,
Nichtigkeiten, etwa rumstehende Kaffeetassen.
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Gerd und Marta Radcke bewirtschaften
einen 175 ha-Milchviehbetrieb mit 180 Kühen
in Nordfriesland. Zur Patchworkfamilie
gehören Felix (20), Kristin (16) und die gemeinsamen Kinder Max (7) und Teresa (5).
Gerd und Martas Leidenschaft gilt ihrer
Kirchenband, www.havanagila.de
Protokoll: Kathrin Hingst, Foto: Christensen