Viele Rubel – mehr Fleisch?

Markt
Viele Rubel – mehr Fleisch?
Moskau will die russische Fleischwirtschaft mit Subventionen in Milliardenhöhe
ankurbeln. Was das bedeutet, haben wir Dr. Inna Levkovych und Prof. Heinrich Hockmann
vom IAMO, Halle, gefragt.
Prof. Dr.
Heinrich
Hockmann
ist stellver­
tretender
Leiter der
Abteilung
Agrar­
märkte am
IAMO.
Dr. Inna
Levkovych
erforscht
den Agrarhandel und
Handels­
politik in
den GUSLändern.
top agrar: Wie viel Geld will Moskau
in den kommenden Jahren in die Tierpro­
duktion und Fleischverarbeitung stecken?
Prof. Hockmann: Das russische „Programm zur landwirtschaftlichen Entwicklung und zur Regulierung der
Agrar-, Rohstoff- und Produktmärkte“
sieht bis 2020 eine staatliche Unterstützung von mindestens 13,5 Mrd. €
für die tierische Produktion und Verarbeitung vor. Zusätzlich wurden zuletzt
für Geflügel- und Schweinefleisch­
produzenten 91 bzw. 135 Mio. € bereitgestellt. Aufgrund des Importstopps
plant das russische Landwirtschafts­
ministerium nun weitere Hilfen für
die Tierwirtschaft. Ob die genannten
Gelder komplett ausgezahlt werden, ist
aber nicht sicher. Darüber hinaus gilt
eine „Null Prozent Einkommensteuer“
für alle Unternehmen der Fleisch­
industrie.
80 % (2010 ca. 65 %) und erreichen damit schon fast das gesetzte Ziel von
88 % bis 2020.
Obwohl die Fleischproduktion in
Russland rasant gestiegen ist, besteht
immer noch Importbedarf, vor allem
bei Geflügel und Schweinefleisch.
Russland will daher das Importverbot
für Fleisch aus Südkorea aufheben. Im
Oktober wurde zum ersten Mal seit
10 Jahren Schweinefleisch aus China
importiert. Auch wenn die Importquoten in den letzten Jahren schon geschrumpft sind, ist der Bedarf weiterhin erheblich. Ob kleine Länder wie
z. B. Südkorea oder Armenien einen
bedeutenden Teil dieses Bedarfs decken
können, darf bezweifelt werden. Größere Erfolgsaussichten haben Lieferverträge mit Südamerika. Aber auch
diese Länder können nicht von heute
auf morgen ihre Exporte umlenken.
top agrar: Ist Russland dem Ziel der Ei­
genversorgung näher als viele vermuten?
Prof. Hockmann: Nach Angaben der
russischen Statistikbehörde lag der
Selbstversorgungsgrad bei Fleisch und
Fleischprodukten 2013 insgesamt bei
78,5 %, fünf Jahre vorher bei 70 %. Unterschiede gibt es je nach Region und
Fleischart. Bei Rindfleisch liegt der
Selbstversorgungsgrad nur bei 37 %. In
den letzten Jahren ist die Produktion
von Geflügelfleisch stark angestiegen.
Der Selbstversorgungsgrad liegt hier
mittlerweile bei 90 %. Bei Schweinefleisch kommen die Russen auf etwa
top agrar: Angesichts der niedrigen
Eigenversorgung dürfte Russland wohl
noch einige Zeit Nettoimporteur bleiben?
Dr. Levkovych: Natürlich exportiert
auch Russland Fleischwaren. Die
Ausfuhren haben sich in den letzten
5 Jahren sogar verdoppelt. Der Export
beschränkt sich aber vor allen auf
Produkte die in Russland selbst nicht
verwertet werden können. Der Anstieg
beweist aber auf keinen Fall, das Russland in Naher Zukunft Nettoexporteur
von Schweine- und Geflügelfleisch
werden wird. Hierzu sind die Selbstversorgungsgrade noch gering.
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top agrar 12/2014
top agrar: Können Moskaus Gelder die
akuten Folgen des Embargos abmildern?
Prof. Hockmann: Es gibt Berechnungen, wonach derzeit 50 % der Erlöse der
Fleischproduzenten auf staatliche Förderungen zurückzuführen sind. Auch
wenn viel Geld zu Verfügung gestellt
wird, kostet der Aufbau von Produktions- und Verarbeitungskapazitäten
Zeit. Die Effekte dürften wohl erst
richtig sichtbar werden, wenn das Importembargo längst wieder abgeschafft
ist. Zurzeit ist es schwierig vorherzusagen, ob die staatlichen Hilfen auch
künftig erfolgreich sein werden.
top agrar: Wie reagieren die Lebens­
mittelpreise in Russland auf das Import­
embargo für importiertes Fleisch?
Dr. Levkovych: Die russische Fleischproduktion wurde vorher schon stark
durch Zölle und Quoten geschützt. Das
erhöhte die Verbraucherpreise, die teilweise doppelt so hoch waren wie die
Weltmarktpreise. In den letzten zehn
Monaten sind die Preise für Geflügel
und Schweinefleisch umgerechnet
nochmals um etwa ein Viertel gestiegen. Das hat sich nach dem Importembargo noch beschleunigt. Allein von
August bis Oktober um 3,9 %.
Der Rubelkurs hat sich während
der aktuellen Krise zudem weiter verschlechtert, sodass der Preisanstieg
wohl nicht allein auf den Importstopp
zurückzuführen ist. Fleisch ist aber der
Spitzenreiter bei der Verteuerung. Für
alle Lebensmittel insgesamt sollen die
Verbraucherpreise seit Januar nur um
8 % gestiegen sein.
top agrar: Wie schwierig wird es, nach
dem Embargo verlorene Marktanteile für
deutsche Lieferanten wiederzugewinnen?
Dr. Levkovych: Nach dem Ende des
Importstopps müssen die Lizenzen
wahrscheinlich neu beantragt werden.
Quoten werden seitens Russlands
normalerweise nach den Liefermengen
aus dem Vorjahr verteilt. So könnte die
Quote für deutsches Schweinefleisch
entsprechend klein ausfallen – oder die
deutschen Exporteure müssten einen
hohen „over-quota-Zoll“ zahlen.
-br-
top agrar 12/2014
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