Schweiz Tages-Anzeiger – Donnerstag, 15. Dezember 2016 Der zaghafte Aufstand der rechten Sozialdemokraten Die SP-Spitze reagiert gelassen auf die Gründung einer neuen Plattform durch den gemässigten SP-Flügel. Martin Wilhelm Bern In der SP rumort es. Eine Gruppe von Sozialdemokraten um den Zürcher Ständerat Daniel Jositsch und seine Aargauer Ratskollegin Pascale Bruderer hat gestern die Lancierung einer Plattform für «reformorientierte» Parteimitglieder bekannt gegeben. Dank ihr soll der gemässigte Flügel der Partei gegen innen und aussen stärker in Erscheinung treten. Auslöser für die Lancierung der Plattform war der Parteitag der Sozialdemokraten Anfang Dezember in Thun. Die Gruppe um Bruderer und Jositsch unterlag mit dem Antrag, den Entwurf eines Positionspapiers zurückzuweisen, das eine Demokratisierung der Wirtschaft fordert. Um ein Haar hätten die Delegierten der Partei auch die Forderung der Juso in das Papier aufgenommen, «Eigentum demokratisch zu denken» und den Privatbesitz von Boden und Ressourcen zu «transformieren». Zusätzlich angefacht hatte die Spannungen ein Zitat von Parteipräsident Christian Levrat, indem dieser den Klassenkampf als Mittel gegen Fremdenfeindlichkeit und Populismus pries. Beides zusammengenommen sorgte für vernichtende Kommentare in den Medien («Auf zum Mars»), bot den Gegnern viel Angriffsfläche («Frontalangriff auf KMU») und schreckte gemässigte SP-Wähler auf, wie Daniel Jositsch. Pascale Bruderer. die Gruppe um Jositsch und Bruderer gestern darlegte. Beim linken Flügel der SP löste die medienwirksame Lancierung der Plattform einen harschen Vorwurf aus. Anstatt bei der Erarbeitung des Positionspapiers mitzuarbeiten, würden Bruderer, Jositsch und ihre Verbündeten nun zu den Medien rennen, um sich zu beklagen, so Juso-Präsidentin Tamara Funiciello. «Das Wirtschaftsdemokratiepapier ist eine Arbeit von zwei Jahren. Bis zum Rückweisungsantrag hatte sich von den nun Beteiligten nie jemand gemeldet.» Gestützt wird diese Darstellung auch von der Parteileitung. Auf Anfrage sagte Fraktionschef Roger Nordmann (VD): «Das ist nicht ganz falsch.» Mit dem Rückweisungsantrag habe die Gruppe einen ersten Schritt unternommen, sich einzubringen, der zweite sei nun, auch inhaltliche Forderungen zu stellen. An einem kurzfristig anberaumten Termin äusserte sich gestern auch Parteipräsident Christian Levrat zur Gründung der Plattform. Er sei ein Anhänger einer lebendigen Partei und erachte deren Breite von Wermuth bis Jositsch als Glücksfall, sagte der Freiburger Ständerat. Er liess aber durchblicken, dass die Gruppe um Bruderer und Jositsch bisher wenig zur wirtschaftspolitischen Positionierung der Partei beigetragen hätten. «Mit ihrer Ankündigung, nun auch Inhalte zu erarbeiten, rennen sie offene Türen ein.» Dass der sozialliberale Flügel der SP zuletzt nicht sehr aktiv war – mit der Wahl von Simonetta Sommaruga zur Bundesrätin und dem Rücktritt Rudolf Strahms als Nationalrat gingen ihm zwei gewichtige Stimmen in der Bundeshausfraktion verloren, mit dem Rückzug Bruderers als Vizepräsidentin der SP eine in der Parteileitung –, räumte auch Jositsch ein. «Wir sind in den letzten Jahren ins Hintertreffen gelangt», sagte er. Als Erstes wollen die Initianten der Plattform den gemässigten Flügel der Partei nun wieder besser vernetzen. Von der Bundeshausfraktion ist ausser Jositsch und Bruderer bisher nur die Berner Nationalrätin Evi Allemann dabei, welche die beiden gemeinsam mit der Winterthurer Stadträtin Yvonne Beutler und dem Bündner Unternehmer und Sektionspräsidenten Marcel Züger vor den Medien sekundierte. Über eine neue Website können sich interessierte Partei- mitglieder wie auch Aussenstehende melden. Im Frühjahr soll dann ein Treffen stattfinden, an dem als Erstes auch die wirtschaftspolitische Position der Plattform festgelegt werden soll. Im Kern wird diese eine soziale Marktwirtschaft fordern, wie Jositsch sagte. Darüber hinaus wurde die Gruppe wenig konkret. Sie teilte mit, dass sich viele Parteimitglieder und Sympathisanten durch einen «pointierten klassenkämpferischen Linkskurs» nicht angesprochen fühlen würden. «Klassenkampf» veraltet Dass die SP einen klassenkämpferischen Linkskurs fahre, wird von der Parteileitung allerdings in Abrede gestellt. Die Diskussion um das Schlagwort Klassenkampf sei «hochgekocht» worden, sagten Levrat, Nordmann und Funiciello übereinstimmend. Letztere sagt, so, wie es verabschiedet wurde, sei das Positionspapier alles andere als revolutionär. Die Forderung nach der Stärkung von Genossenschaften und mehr Mitsprache der Arbeitnehmer in grossen Betrieben sei sehr, sehr nahe an dem, wofür die SP bereits immer eingestanden sei. Die weitergehenden Forderungen der Juso seien eben ja gerade abgelehnt worden. Auch Levrat selber will nichts von einem Klassenkampf wissen: Der Begriff als solches sei veraltet, sagte Levrat. «Ich benutze ihn nicht.» Kommentar Seite 2 Nationalrat will Familien bei der Krankenkasse entlasten Die Kantone sollen für Eltern mit kleinen und mittleren Einkommen 80 Prozent der Kinderprämie bezahlen. Und jungen Erwachsenen winkt ein saftiger Prämienrabatt. Höhere Prämie für Erwachsene Ob diese Rechnung aufgeht, ist jedoch unklar. Die Kantone trauen der Sache jedenfalls nicht. Sie haben sich gegen die 80-Prozent-Vorgabe bei der Prämienverbilligung für Kinder gewehrt. «Man setzt Geld ein, das noch gar nicht vorhanden ist», sagt Stefan Leutwyler, stellvertretender Zentralsekretär der Konferenz kantonaler Gesundheitsdirektoren (GDK). Denn laut Gesetz können die Kassen jungen Erwachsenen einen Prämienrabatt geben, sie müssen aber Einsicht in Genprofile für Strafermittler Die Strafverfolgungsbehörden sollen bei schweren Straftaten DNA-Informationen zur Augen-, Haar- und Hautfarbe des Täters auswerten dürfen. Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat einer entsprechenden Motion zugestimmt. Er folgte am Mittwoch oppositionslos seiner vorberatenden Rechtskommission. Mit dem Ja zur Motion von Nationalrat Albert Vitali (FDP/LU) mit dem Titel «Kein Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger» muss der Bundesrat nun einen Gesetzesentwurf ausarbeiten. Das Parlament verlangt, dass die codierenden DNA-Abschnitte zur Feststellung der persönlichen Eigenschaften bei schweren Verbrechen ausgewertet werden dürfen. Es ist der Meinung, dass sich damit die Strafverfolgung verbessern liesse. Die Mehrheit wies darauf hin, dass der Bundesrat das schon einmal vorgesehen habe. Damals seien die technischen und wissenschaftlichen Kenntnisse aber noch ungenügend gewesen. Inzwischen seien Fortschritte erzielt worden. Emmen und Rupperswil Die Diskussion um die Auswertung der DNA war im Zusammenhang mit dem Vergewaltigungsfall in Emmen LU und dem Vierfachmord in Rupperswil AG neu aufgeflammt. In beiden Fällen lag die DNA des Täters vor. Doch die Ermittler konnten nicht auf die vollständigen genetischen Informationen zurückgreifen. Das DNA-Profil-Gesetz verbietet die Auswertung von codierenden Abschnitten der DNA. Die Ermittler dürfen nur auf DNA-Analysen zurückgreifen, um Spuren vom Tatort mit Spuren von Verdächtigen abzugleichen. (SDA) Nachrichten Steuern Neuer Versuch zur Abschaffung der Heiratsstrafe Der Nationalrat nimmt einen weiteren Anlauf zur Abschaffung der Heiratsstrafe. Er hat eine Motion von Ständerat Pirmin Bischof (CVP, SO) mit 96 zu 89 Stimmen an den Bundesrat überwiesen. Basis für die künftige Steuerberechnung soll gemäss Motion die gemeinsame Besteuerung sein. Explizit erwähnt im Vorstoss sind Splitting- und Teilsplittingmodelle und die vom Bundesrat ins Spiel gebrachte alternative Besteuerung. Der Bundesrat muss nun eine entsprechende Gesetzesrevision vorlegen. (SDA) Markus Brotschi Bern Vor sechs Jahren verlangte die Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel mit einem Vorstoss, dass Eltern von den Krankenkassenprämien für ihre Kinder ganz befreit werden. Die Forderung wurde von der nationalrätlichen Gesundheitskommission positiv aufgenommen. Diese brauchte aber fünf Jahre, bis sie eine konkrete Vorlage zustande brachte. Denn die vollständige Übernahme der Kinderprämien hätte Bund und Kantone rund 1,2 Milliarden Franken pro Jahr gekostet. Gestern genehmigte der Nationalrat nun ein abgespecktes Projekt. Von einem vollständigen Prämienerlass für die Kinder ist nicht mehr die Rede. Die Kantone werden verpflichtet, Eltern mit mittleren und tiefen Einkommen die Kinderprämien um mindestens 80 Prozent zu verbilligen. Bisher lag die Vorgabe bei 50 Prozent. Zusatzkosten sollen den Kantonen keine entstehen, weil der Nationalrat sie bei der Prämienverbilligung für junge Erwachsene entlastet. Dies geschieht auf einem Umweg: Die Krankenkassen sollen für 18- bis 25-Jährige einen Prämienrabatt von rund einem Drittel gewähren. Dies schreibt der Nationalrat den Kassen zwar nicht vor. Er entlastet sie aber von der Hälfte der Risikoausgleichszahlungen für junge Erwachsene. Davon profitieren laut Nationalrat die Kantone, weil sie 70 Millionen im Jahr bei der Prämienverbilligung einsparten. 5 Armee Fünf Kadermitglieder vor Militärgericht Fünf Infanterie-Kader der Schweizer Armee müssen sich in Yverdon-les-Bains VD vor dem Militärgericht wegen Veruntreuung verantworten. Sie sollen über Jahre Ausrüstungsgegenstände und Infrastruktur der Armee für nicht dienstliche Zwecke verwendet und sich damit bereichert haben, wie die Militärjustiz am Mittwoch mitteilte. Der Prozess beginnt am kommenden Montag. (SDA) Terrorismus Kein neuer Bericht zum Schutz von Minderheiten Weniger Kosten für Familien: Ursprünglich sollten Kinder von den Krankenkassenprämien befreit werden. Foto: Keystone nicht. Aus Sicht der Kantone ist es deshalb unklar, wie weit sie bei der Prämienverbilligung für die jungen Erwachsenen effektiv sparen können. Die Kantone hoffen deshalb, dass der Ständerat die Erhöhung der Prämienverbilligung für Kinder ablehnt. Krankenversicherungsexperte Felix Schneuwly geht hingegen davon aus, dass die Kassen die Reduktion der Ausgleichszahlungen in Form von Prämienrabatten weitergeben werden. «Ich bin sicher, dass die Kassen die Prämien der jungen Erwachsenen reduzieren», sagt Schneuwly. Denn die jungen Erwachsenen seien für die Kassen interessant. Die Reduktion des Risikoausgleichs für die Jungen werden jedoch die über 25-Jährigen berappen müssen. Der Nationalrat rechnet damit, dass die Erwachsenenprämie im Schnitt um monatlich 10 Franken ansteigt. Viele Kassen haben den Rabatt für junge Erwachsene in den letzten Jahren stark reduziert oder gar abgeschafft. Der Grund liegt im aktuellen Risikoausgleichssystem. Da junge Erwachsene sogenannt gute Risiken sind, müssen die Kassen für sie hohe Beiträge in den Ausgleichstopf bezahlen. Diese Beiträge sollen nun halbiert werden. Laut Ruth Humbel, die das Geschäft gestern im Nationalrat präsentierte, fliessen heute bei einer Monatsprämie von 300 Franken rund 200 Franken in den Risikoausgleich. Die durchschnittlichen Gesundheitskosten der jungen Erwachsenen betrügen nur rund 100 Franken im Monat. Unterlaufen Kantone Vorgabe? Die Vorlage geht nun an den Ständerat. Doch auch wenn dieser mit der stärkeren Verbilligung der Kinderprämien einverstanden ist, bleibt offen, wie weit die Eltern profitieren. Dies liegt daran, dass die Kantone grossen Spielraum bei der Ausgestaltung der Prämienverbilligung haben. Jeder Kanton hat sein System. So ist auch die Definition von mittleren und tiefen Einkommen den Kantonen über- lassen. Falls einzelne Kantone kein zusätzliches Geld für die Prämienverbilligung bei Kindern einsetzen wollen, können sie die massgebende Einkommensgrenze für die Eltern senken. Auf diese Weise erhielten weniger Eltern eine Prämienverbilligung für ihr Kind. Jene, die eine erhielten, bekämen dafür einen Anteil von 80 Prozent. Die 80-Prozent-Vorgabe war im Nationalrat stark umstritten. SVP und FDP argumentierten mit dem Föderalismus. Würden die Kantone gezwungen, die Prämien um 80 Prozent zu verbilligen, schränke dies ihren Spielraum ein, sagte Bruno Pezzatti (FDP, ZG). Es müsse den Kantonen überlassen werden, ob sie mit Einsparungen bei den jungen Erwachsenen höhere Prämienverbilligungen finanzierten. Der Nationalrat entschied sich jedoch mit 96 zu 91 Stimmen knapp für die 80-Prozent-Vorgabe. Die SVP bekämpfte die Vorlage als Ganzes, scheiterte jedoch mit ihrem Nichteintretensantrag mit 116 zu 60 Stimmen. Der Bundesrat muss keinen neuen Bericht darüber verfassen, ob Bund und Kantone genügend Massnahmen ergreifen, um Minderheiten wie Juden oder Homosexuelle vor Terror zu schützen. Der Ständerat hat am Mittwoch einen entsprechenden Vorstoss abgelehnt. Die kleine Kammer sagte mit 19 zu 13 Stimmen bei 2 Enthaltungen Nein zu einem Postulat von Daniel Jositsch (SP, ZH). Dieser argumentierte, dass Minderheiten durch den IS-Terror vermehrt gefährdet seien. Auch die Schweiz sei vor dieser Gefährdung nicht gefeit. (SDA) Lebensmittel Import von Hormonfleisch bleibt erlaubt Der Nationalrat will den Import von Hormonfleisch nicht verbieten. Er hat am Mittwoch eine entsprechende Motion von Adèle Thorens (Grüne, VD) abgelehnt. Nutztieren Hormone zu verabreichen, ist in der Schweiz seit Jahrzehnten verboten. Thorens forderte mit ihrem Vorstoss, dass das Hormonverbot auch für importiertes Fleisch gilt. (SDA)
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