SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
„Zwischen Denken und Dichten“ Friedrich Rückert zum 150. Todestag
(4)
Von Antonie von Schönfeld
Sendung:
Donnerstag 15. Dezember 2016
Redaktion:
Ulla Zierau
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
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SWR2 Musikstunde mit Antonie von Schönfeld
„Zwischen Denken und Dichten“ Friedrich Rückert zum 150. Todestag (4)
SWR 2, 12. Dezember – 16. Dezember 2016, 9h05 – 10h00
IV. Dichtung und Wissenschaft
Signet
... mit Antonie v. Schönfeld.
„Zwischen Denken und Dichten“ - Friedrich Rückert zum 150. Todestag,
heute Folge 4: Dichtung und Wissenschaft, Professur und Familie
Titelmusik
Im Katalog der großen Wanderausstellung „Friedrich Rückert - Der Weltpoet“ ist
ein Kapitel mit einem Imperativ überschrieben: „Erfolg haben!“ heißt es da mit
Nachdruck. Das Kapitel umfasst die Jahre 1826-1841, jene 15 Jahre, in denen
Rückert als Professor für orientalische Sprachen an der Universität Erlangen lehrt. Der „Weltpoet“-Katalog übrigens ist ein dicker Wälzer und wer nach Lust und
Laune in jeder Menge Illustration und Information zu Rückerts Leben und Werk
flanieren möchte, selbstverständlich auf dem neuesten Stand der Forschung sollte ihn sich zulegen.
Als Rückert zum Professor berufen wird, ist er bereits 38 Jahre alt - es ist seine erste
wirklich längere Festanstellung, relativ spät im Leben.
Die Erlanger Jahre sind keineswegs durchgängig erfolgreiche Jahre, schon der
Beginn verläuft nicht glatt: Die Theologen in Erlangen - für deren Studenten der
neue Orientalist vor allem orientalische Sprachen zu lehren hat - lehnen Rückert
zunächst einstimmig ab.
Ein Grund für den Widerstand mag Rückerts unkonventioneller Werdegang sein,
man fürchtet, er bringe - für die theologische Fakultät - nicht die richtigen
Voraussetzungen mit. Tatsächlich ist Rückert seit seinem Universitätsabschluss in
Jena fünfzehn Jahre zuvor meist freiberuflich unterwegs gewesen,
Redakteurstätigkeiten haben sich abgewechselt mit Übersetzungen und
Sprachstudien, und dazwischen lag noch eine einjährige Italienreise - All das weit
entfernt von einem ordentlich schrittweisen Aufstieg in akademisches Amt und
Würden.
Man „dürfe blos hoffen,“ heißt es in einer Erklärung der theologischen Fakultät,
„daß Dr. Rückert neben der Kenntniß der älteren und neueren orientalischen
3
Sprachen auch so viel alttestamentliche Exegese mitbringen werde, um auch
hierin ihren Anforderungen ein Genüge zu leisten“.
Und es wird tatsächlich nicht leicht, den Anforderungen „ein Genüge zu leisten“
und in der Lehrtätigkeit Pflichten und Bedürfnisse, Okzident und Orient in Einklang
zu bringen, - doch Rückert wird 15 Jahre in Erlangen bleiben.
Musik 1
Ebu Bekir Aga
Geldi cevher tigi ates barma ayineden
Pera Ensemble
Edel 0300400BC, LC 6203
SWR M0318502 004, 3‘22
Friedrich Rückert hat immer gesagt, dass er ‚viel lieber lernt als zu lehren’, und das
mit jeder Sprache mehr, die er erlernt - denn seine Sprachenstudien wird er auch
als ordentlicher Professor fortsetzen. Der Orient fasziniert ihn sein Leben lang und
mit jeder der mehr als 40 Sprachen (vor allem aus dem arabischen Sprachraum),
die er im Laufe seines Lebens lernt, wird Rückert der Orient als Kulturwelt
vertrauter, kommt er ihm näher.
Hier spielte gerade das Pera-Ensemble ein Stück von Ebu Bekir Aga, einem
türkischen Komponisten aus dem 18. Jahrhundert.
Die Professur in Erlangen kommt ihm in seiner Lebenssituation 1826 wie gerufen, vermutlich wird er einen Stoßseufzer getan haben als die Universität ihn endlich
als Professor der orientalischen Sprachen akzeptiert, vielleicht unterstützt durch
Fürsprache von höchster Seite: Der bayrische Kronprinz, der spätere König Ludwig
I., hat sich für den Dichter eingesetzt, - Prinz und Dichter sind sich in Rom
begegnet während Rückerts italienischer Reise.
Nach bald fünfzehn Jahren der freien Forschung und Tätigkeit ist ihm die
Lehrtätigkeit jedoch fremd wie ein Korsett, Rückert wird nicht unbedingt das
Idealbild eines Professors abgegeben haben: Zwar loben die Studenten seine
Vorlesungen als „einen der höchsten und fruchtbarsten geistigen Genüsse“
(August Ebrard), doch es kommt nur eine Handvoll - Rückert unterrichtet sie der
Einfachheit halber gleich in seinem eigenen Studierzimmer, - was scheren ihn
Konventionen.
Schwierig ist auch die Gradwanderung zwischen Denker und Dichter, zwischen
Wissenschaftler und Lyriker, immer fühlt er sich von der jeweils anderen Seite
kritisch beäugt und nicht genug wertgeschätzt:
„Kaum hat, was mir die Mus` eingab, die Gemüter berühret; Was in Sprachen ich
tat, kaum die Gelehrten bewegt“, schreibt er später.
4
Rückert ist immer Dichter und Denker zugleich und wenn er ein Resumée zieht,
dann will auch das in Versform heraus:
Auf dem Lehnstuhl der Poesie
Und dem Lehrstuhl der Philologie
Wollt ich sitzen zugleich;
Ich habe mich, das seh ich jetzt,
Zwischen zwei Stülen niedergesetzt,
Und sitze da nicht weich.
Musik 2
Anonymous:
Rast Murassa aus der Sammlung: Dimetrius Cantemirus (1673-1723)
Edel 0300400BC, LC 6203
SWR M0318502 010, 4‘00
Rast Murassa - ein Stück aus der Sammlung Dimetrius Cantemirus um die Wende
vom 17. zum 18. Jahrhundert mit dem Pera-Ensemble.
Auch was gesellschaftliche Gepflogenheiten angeht ist Rückert wenig
angepasst: Im kleinen Erlangen trifft sich der überschaubare Kreis der Akademiker
hie und da zu bestimmten Anlässen und es fällt auf, dass beispielsweise Kleidung
dem Herrn Professor nicht so wichtig ist und mit seiner Größe von mehr als zwei
Metern kann Rückert bei Empfängen oder Gesellschaften kaum unauffällig am
Rande bleiben.
Aus Ehrungen macht er sich sowieso zeitlebens nichts. -Da gibt es die Geschichte
später aus Berlin, wo Rückert - wie auch Jacob Grimm, Alexander von Humboldt,
Schlegel und Tieck - den Orden Pour le mérite für Künste und Wissenschaften
verliehen bekommt und ihn auf einer späteren Ordensfeier nicht trägt. Humboldt
soll auf ihn zugekommen sein mit den Worten:
„Aber, mein lieber Rückert, heute hätten sie doch Ihre Orden anlegen müssen!“
Und ob er übersehen habe, dass Ordensfest sei.
Doch Rückert muss völlig unbefangen und kein bisschen verlegen geantwortet
haben, dass wohl seine Frau die Ordensbänder verlegt - oder anderweitig
verwendet habe...
„Die Bänder verlegt -? zu den Orden?? Das war noch nicht da!“
soll Humboldt lächelnd erwidert - und es gleich dem König erzählt haben...
5
Was für Rückert zählt, das ist seine Sprachstudien, sein Schreiben und Dichten und
das ist seine Familie, die Kinder und seine Frau, Luise - auch wenn die vielleicht
gerade ihr Haar zusammengebunden hat mit den Bändern für den Pour le
mérite...
Musik 3
Clara Schumann
Liebst du um Schönheit op. 37 Nr. 4
Julia Sophie Wagner, Sopran und Eric Schneider, Klavier
ES2060, LC 7186
SWR M0454872 005, 2´05
Liebst du um Schönheit, o nicht mich liebe!
Liebe die Sonne, sie trägt ein gold’nes Haar!
Friedrich Rückert - vertont von Clara Schumann, und natürlich heißt es später:
„Liebst du um Liebe, o ja, mich liebe!“
Als er sie kennen- und wohl gleich lieben lernt, muss Friedrich Rückert seine
Freundin Luise Wiethaus-Fischer mit Gedichten überschüttet haben. So viele
kommen zusammen - und so schöne! - dass nur zwei Jahre nach dem lyrischen
Brautwerben einige der Gedichte zum ersten Mal veröffentlicht werden, zunächst
in kleinen Bändchen, ‚in Handtaschengröße für die Damen’. Die Verse kommen
an - und werden zur einer Goldgrube für den Verleger:
Der Liebesfrühling soll zum erfolgreichsten Gedichtzyklus der Biedermeierzeit
werden.
Vollständig herausgegeben werden die Gedichte erst gut zehn Jahre später in
der Ausgabe der „Gesammelten Gedichten“ von 1834, Rückert hat sie hier zu
fünf einzelnen „Sträussen“ gebunden, zu denen später noch ein sechster kommt.
Und auch als die Rückerts längst eine Familie mit vielen Kindern sind, lassen sich
noch immer viele Leser davon anrühren, wie der Dichter einst seiner Luise sein
Herz zu Füßen gelegt hat: 1858 kommt die ganze Sammlung noch einmal als
Prachtausgabe auf den Markt: Für das aufwendig gestaltete Deckblatt wird
extra die Weimarer Blumenmalerin Franziska Schulze beauftragt, hübsch also in
Blumen eingefasst steht da Liebesfrühling von Rückert.
Musik 4
Robert Schumann
Mein schöner Stern op. 101 Nr. 4
Julia Sophie Wagner, Sopran und Eric Schneider, Klavier
ES2060, LC 7186
SWR M0454872 012, 2´56
6
Mein schöner Stern! ich bitte dich,
O lasse du dein heitres Licht
Nicht trüben durch den Dampf in mir,
Vielmehr den Dampf in mir zu Licht,
Mein schöner Stern, verklären hilf!
sang Julia Sophie Wagner da gerade - am Klavier begleitet von Eric Schneider Zeilen von Friedrich Rückert vertont von Robert Schumann.
Der Dichter scheint sich des eigenen ‚Schaffensdrang-Dampfes’ nur allzu bewusst
gewesen zu sein!
Doch im Liebesfrühling perlen auch nur so die Gefühle:
Ich frage, wer zuerst geliebt,
Ich oder sie, die mir mich giebt,
Und die von mir sich hat empfahlt,
Die ich nicht unterscheiden kann
Von mir; wie soll ich unterscheiden,
Wer da geliebt zuerst von Beiden? ...
Es ist die schiere Wortlust, die da aus der verliebten Brust des Dichters quillt. Über
50 dieser Liebesfrühling-Gedichte hat die Braut Luise in ihr Tagebuch
abgeschrieben, das Friedrich ihr geschenkt hat, dazwischen stehen ihre
persönliche Gedanken:
„Du hast das unbedeutende Mädchen geschmückt wie eine Königinn!“
Und sie fügt hinzu: „Fürchte darum nicht, dass sie stolz werden wird!“
Und er fragt:
Wissen möchte ich nur, wie lange
Ich dir spielen könnt im Haar,
Oder streicheln an der Wange,
Oder sehn ins Augenpaar!
Und dieses spritzige und zugleich innige kleine Lied hat Heinrich von
Herzogenberg vertont, ein Freund von Johannes Brahms:
Musik 5
Heinrich von Herzogenberg
Wie lange? (Friedrich Rückert) op. 30,2
Hélène Lindquist, Sopran und Philipp Vogler, Klavier
cpo 777 586-2, LC 8492, 1‘00
7
„Wie lange“ - ein kleines Lied von Heinrich von Herzogenberg auf Zeilen von
Friedrich Rückert mit Hélène Lindquist und Philipp Vogler, die einen ganzen
Schatz von Herzogenberg-Liedern gehoben haben.
Äußerlich müssen Luise und ihr Friedrich ein sehr ungleiches Paar abgegeben
haben, allein der Größenunterschied war enorm. Einmal regt sie sich in einem
Brief an ihn auf über „abscheulich hohe Absätze“, die er für seine neuen Stiefel
bestellt habe, und fragt ihn, ob er sie „gar so hoch“ wolle:
„Willst du denn noch größer erscheinen? (...) Bedenke, dass du eine kleine Frau
bekommst.“
Doch abscheuliche Absätze hin oder her, für beide ist es die große Liebe.
Luise wird die patente und durchaus selbstbestimmte Frau an Rückerts Seite, sie
managt Haushalt und Familie - eigentlich das ganze profane Leben, er steht
doch gar zu oft „unter Dampf“ - sie braut das Bier, ist Gesprächspartnerin,
vielleicht auch erste Kritikerin und handelt häufig genug die Verträge mit den
Verlagen aus.
Die Wanderausstellung „Der Weltpoet“ zeigt zwischen Werkausgaben und
Porträts ein kleines Dokument, das bis heute sehr lebendig und berührend von
den Gefühlen der beiden erzählt:
In einer Glasvitrine liegt ein kleines vergilbtes Papier mit einer sonderbaren roten
Naht: Es ist ein Liebesbrief von ihr an ihn, Luise sehnt sich heftig nach ihrem
Bräutigam. Der wiederum muss das Briefsiegel so ruppig geöffnet haben, dass
das Blatt weit einreißt. Der beschädigte Brief aber wird nicht weggeworfen,
sondern liebevoll und ein bisschen unbeholfen wieder zusammengenäht mit
einem roten Faden.
Friedrich Rückert war zu dieser Zeit, wie es sich schöner kaum sagen lässt - „der
Welt abhanden gekommen“. Diese Zeilen aus dem Liebesfrühling hat achtzig
Jahre später Gustav Mahler vertont als letztes seiner Fünf Rückert-Lieder. Mahlers
Musik wirkt ernsthaft, gleich die ersten Takten der Orchestereinleitung wirken
entrückt, wie nicht von dieser Welt.
Der Komponist und Chorleiter Clytus Gottwald hat das Lied bearbeitet für Chor a
cappella und dabei Mahlers Musik breit aufgefächert in 16 Stimmen.
In dieser Fassung bekommt die Musik etwas Leichteres, das jedoch nichts von der
Ernsthaftigkeit nimmt, eher etwas hinzufügt, etwas Schwebendes... vielleicht
durch die Homogenität des Klangs, der nur von menschlichen Stimmen erzeugt
wird.
„Ich bin der Welt abhanden gekommen...“
8
Musik 6
Gustav Mahler (arr. Clytus Gottwald)
Ich bin der Welt abhanden gekommen
SWR Vokalensemble Ltg. Marcus Creed
SWR M0355857 006, 7‘20
„Empfindung bis in die Lippen hinauf...“ hat Gustav Mahler zu diesem Lied
gesagt: „Ich bin der Welt abhanden gekommen“.
Hier wurde es in einer Bearbeitung für sechzehn Stimmen von Clytus Gottwald
gesungen vom SWR Vokalensemble. Die Leitung hatte Marcus Creed.
Rückerts Texte haben unzählige Komponisten zu Liedern angeregt, die Zahl von
etwa 2000 Vertonungen, die Musikwissenschaftler zusammengetragen haben, ist
beeindruckend.
Robert Schumann gehört zu denjenigen, die sich immer wieder mit Rückerts
Texten auseinandersetzen, er findet in ihm sein literarisches Pendant und mit 56
Liedern auf Texte des fränkischen Dichters führt Schumann die Liste an Bearbeitungen nicht mitgezählt.
Dabei stammen seine Rückert-Vertonungen längst nicht alle aus dem
Liebesfrühling - doch mit diesem Gedichtzyklus verbindet Robert Schumann eine
besondere Geschichte:
Musik 7
Robert Schumann:
Ich hab in mich gesogen op. 37 Nr. 5
Julia Sophie Wagner, Sopran und Eric Schneider, Klavier
ES2060, LC 7186
SWR M0454872 006, 2’05
„Ich hab in mich gesogen den Frühling treu und lieb“ aus dem Zyklus
Liebesfrühling mit Julia Sophie Wagner und Eric Schneider am Klavier.
Clara und Robert Schumann schreiben ihren Liederzyklus „Liebesfrühling“
gemeinsam, beide steuern Lieder bei.
„Die Idee, mit Klara ein Liederheft herauszugeben, hat mich zur Arbeit begeistert“
notiert Schumann Anfang 1841 ins Ehetagebuch, im darauffolgenden September
erscheint das gemeinsame Opus 37, überschrieben: „Zwölf Gedichte aus F.
Rückerts Liebesfrühling für Gesang und Pianoforte von Robert und Clara
Schumann“, vier von den zwölf Liedern stammen von Clara Schumann.
9
Das Musikerpaar schickt dem Dichter ein Exemplar der Neuauflage der
Liebesgeschichte eines jungen Paares - knapp zwanzig Jahre nach dem
Rückert’schen Original und der bedankt sich auf die ihm eigene Weise:
Meine Lieder
Singt ihr wieder,
Mein Empfinden klingt ihr wieder,
Mein Gefühl
Beschwingt ihr wieder,
Meinen Frühling
Bringt ihr wieder,
Mich, wie schön,
Verjüngt ihr wieder:
Nehmt meinen Dank,
Wenn auch die Welt,
Wie mir einst, ihren vorenthält!
Und werdet ihr den Dank erlangen,
So hab ich meinen mit empfangen.
Musik 8
Robert Schumann:
Jasminenstrauch op. 27 Nr. 4
Carolyn Sampson, Sopran und John Middleton, Klavier
BIS 2102, LC , 0´46
Was spricht einen Komponisten an einem Text an, was lässt ihn zur Feder greifen?
- Vielleicht ein autobiographisches Detail, etwas, was er selber gerade erlebt
hat? Der Inhalt also - oder das Sprachliche? Vielleicht die Form?
Von Rückert wurden Liebesgedichte vertont, aber auch humorvolle Erzählungen,
Balladeskes, Übertragungen aus arabischen Dichtungen bis hin zu kleinen
Momentaufnahmen wie dem gerade gehörten „Jasminenstrauch“.
Der war am Abend noch grün, ist „am Morgen jedoch schneeweiß
aufgewacht“. Carolyn Sampson, begleitet von John Middleton, hat die
Verwandlung gerade dargestellt.
Einige Komponisten haben gleich Dutzende von Rückert-Gedichten vertont und
sich immer wieder mit dem Dichter auseinandergesetzt, bei anderen - und
durchaus vielen - findet man nur hier und da einen Rückert-Text in eine
Liedsammlung eingestreut. Die Rezeption gerade in der Musik des 19.
Jahrhunderts zeigt, wie renommiert Friedrich Rückert als Dichter zu seiner Zeit war.
10
Manche Komponisten aber nehmen Lieder auch als Vorlage und bearbeiten sie
ihrerseits, so beispielsweise Franz Liszt: Schumanns Liebeslied „Widmung“ hat Liszt
wenige Jahre nach der Komposition für Klavier transkribiert - und in dieser Version
ist es überaus populär geworden:
Musik 9
Franz Liszt
Widmung (Liebeslied) S566
Leslie Howard, Klavier
hyperion LISZT 1, LC 7533, 3‘12
Robert Schumann in der Bearbeitung von Franz Liszt: Leslie Howard spielte das
Liebeslied „Widmung“.
Etwa zur selben Zeit, in der die Liebesfrühling-Gedichte entstehen, gibt Rückert
seine erste Gedichtsammlung heraus, die Bezug nimmt auf den Kulturkreis des
Morgenlandes: Die östlichen Rosen - Gedichte in persischer Manier.
Es ist seine erste gemischte Sammlung, eine Art Prototyp für Rückerts späteren Stil,
Übertragungen orientalischer Dichtung nahtlos in eigene Poesie übergehen zu
lassen.
Mitgespielt haben mag Rückerts Begeisterung für Goethes West-Östlichen Diwan;
über dessen Lektüre schreibt er, dass ihn manches „vor lauter Wollust ganz außer
sich gebracht“ habe.
Jetzt bietet er seinem Verleger ein ganz ähnliches Projekt an:
„Es sind, damit ich Sie begierig mache, Curiosa, Persica nämlich, nicht
Übersetzungen zu nennen und auch nicht Nachbildungen, in seiner Weise ein
Gegenstück zu Goethes Divan, nur ist bei diesem der Geist die Hauptsache, bei
meinem die Form (...)“
Und im Weiteren nimmt Rückert Bezug auf seinen Lehrer Joseph von Hammer und
dessen Übersetzung des persischen Dichters Hafis und meint, wer Goethes Geist
und seine Form zusammennähme, dazu den Inhalt von Hammers Hafis - er spricht
von ‚dessen Hafisischer Blumenlese’ - der würde „sich, ohne Persisch zu kennen,
einen ungefähren Begriff von persischer Poesie machen können.“
Das ist hoch angesetzt und trifft es doch, sowohl auf die Östlichen Rosen
bezogen wie auf die Makamen des Hariri, eines von Rückerts Hauptwerken, das
er ein paar Jahre später in Erlangen herausgibt.
Bei den Makamen handelt es sich um Erzählungen des arabischen Dichters Hariri
aus Basra, Hier schreibt Rückert in der Vorrede an den Leser:
11
„Meine Arbeit giebt sich für keine Übersetzung, sondern für eine Nachbildung. Die
Grundsätze, nach denen man Homer und Shakespeare verdeutscht, sind, wie
jetzt noch die Sachen stehen, auf einen arabischen Dichter kaum anwendbar.
Dazu gehört eine nähere Verwandtschaft oder eine innigere Aneignung eines
fremden Bildungskreises, als deren wir bis jetzt uns in Bezug auf den Orient rühmen
können.“
Das ist es, was Rückert erreichen will: das Fremde verstehen, die fremde Kultur
kennenlernen, zugänglich machen und damit weitergeben, Begriffe wie
„Weltpoet“ und „Weltversöhnung“ jetzt im Rückert-Jahr sind also nicht zu hoch
gegriffen.
Musik 10
Ustad Vilayat Khan:
Madhoushi
Shujaat Khan, Sitar, Gesang
The Silk Road Ensemble
sony 88875181012, LC Anfang bis ca. 0´40 - Blende SWR M0432911 007
Und spätestens jetzt muss jene arabische Gedichtform genannt werden, jenes
Reimschema, das Friedrich Rückert (etwa zeitgleich mit August von Platen)
in die deutsche Literatur eingeführt hat: das Ghasel.
Das Schema ist leicht zu verstehen: aa - ba - ca - da...
Alle geraden Zeilen nehmen also den Reim des ersten Verspaares auf, während
die übrigen Zeilen reimlos bleiben, also jede andere Endung haben können.
‚Ghasel’ bedeutet übrigens ‚Gazelle’ - oder auch schöne Frau - und tatsächlich
hat Rückerts Umgang mit dieser Form etwas von der Leichtfüßigkeit einer Gazelle:
man muss nicht jedes Wort verstehen wenn er diese Gedichtform auch in einem
Gedicht vorstellt und kann doch die Virtuosität solcher Zeilen genießen. Und
während Goethe wenig Freude an diesem streng definierten Reimschema fand
löst die Form bei Rückert geradezu etwas aus - er wirft sich hinein und lässt seiner
virtuosen Feder die Zügel schießen:
Das Ghasel
Es wandte meine Kunst sich zum Ghasele,
Damit sie allen Formen sich vermähle.
Ergötzlich ist solch bunte Reimerei,
Ob auch des Lebens markiger Kern ihr fehle;
12
Die Wandrung selbst bereichert schon den Geist,
Ob er auch nirgends plündre oder stehle.
Hier lernt, wie tönender Musik zulieb
Die Sprache sich in mancher Krümmung quäle
Und, von des Gleichklangs strenger Schrift beherrscht,
Seltsame Bilder halb gezwungen wähle.
Des Künstlers Kunst und Fassung leihet oft
Den Wert dem minder kostbaren Juwele.
Euch fleh ich an, o Richter, richtet mild,
Weil ich ja selbst die Schwächen nicht verhehle,
Und unter dieses bunten Turbans Schmuck
Verkennet nicht die echte Christenseele.
Musik 11
Ustad Vilayat Khan:
Madhoushi
Shujaat Khan, Sitar, Gesang
The Silk Road Ensemble
sony 88875181012, LC SWR M0432911 007, 4‘00
Das war noch einmal ein Ausschnitt aus Madhoushi von Sandeep Vilayat Khan,
gespielt vom Silk Road Ensemble, einem Ensemble - länder-übergreifend,
ethnien-übergreifend - das der Cellist YoYo Ma vor vielen Jahren ins Leben
gerufen hat - ganz im Sinne von Friedrich Rückerts Idee der Völkerverständigung.
Damit geht die SWR2-Musikstunde heute zu Ende, morgen ist sie ein letztes Mal in
dieser Woche dem Dichter und Sprachwissenschaftler Friedrich Rückert
gewidmet.
Für heute dankt für´s Zuhören und wünscht einen guten Tag – Antonie von
Schönfeld