Prof. Katja Scholz-Bürig, HAWK Ansprache im Rahmen des akademischen Gottesdienstes der EHG und KHG am 04.12.1016 Johannes der Täufer fordert die Menschen, die zu ihm in die Wüste gepilgert sind auf, Ihren Lebensstil zu ändern. Die Menschen sind seiner Spur gefolgt. Die Menschen, die ihm gefolgt sind, haben das ganz bewusst gemacht. Manche waren sicher erstmal nur neugierig, andere erwarteten sich bestimmt eine konkrete Hilfe, und wieder andere vielleicht die klare Ansage, was sie tun sollen. Bestimmt aber war allen gemeinsam die Suche nach Orientierung. Und die gibt Johannes der Täufer – er ist sehr eindeutig, überhaupt nicht bequem und er fordert. Wir wissen nicht, wer und wie viele sich das zu Herzen genommen haben, aber er hat auf jeden Fall Spuren in den Menschen hinterlassen. Auch wir alle sind in unserem Leben auf Menschen getroffen, freiwillig oder unfreiwillig, die Spuren in uns hinterlassen haben. Manche mehr, manche weniger – manche positiv aber leider auch manche die verletzt haben und wo Narben oder sogar Wunden geblieben sind. Sie liebe Studierende, werden auch bald durch Ihren Beruf zu den Menschen gehören, die auf jeden Fall Spuren in dem Leben und in der Seele anderer hinterlassen werden. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig und prägend Lehrer und Lehrerinnen sind und jeder, der schon einmal im Berufsleben stand, kennt die Wirkung auf unser Leben, die von Vorgesetzten, von den Führungskräften ausgeht. Im Gegensatz zu der Situation von Johannes dem Täufer können es sich Ihre Schüler/innen und Ihre MitarbeiterInnen aber nicht aussuchen, ob sie mit Ihnen zu tun haben möchten. In einem gewissen Rahmen sind sie Ihnen sogar ausgeliefert. Von Ihnen als gute Lehrer/innen oder VG wird es mit entscheidend abhängen, ob die Menschen diese Zeit der Arbeit mit Freude und Motivation erleben, einfach nur so hinmachen oder – und das sage ich ganz bewusst – ob sie schlimmstenfalls richtig leiden. Jeder der schon einmal einen schlechten Chef/Chefin hatte weiß, wie belastend das für die Person selber auch über den Berufsalltag hinaus und auch oft auch für deren Familie/Freunde sein kann. Sie als spätere Führungskräfte werden, ob Sie wollen oder nicht, Spuren in den Leben vieler Menschen hinterlassen und ich möchte mir heute mit Ihnen Gedanken darüber machen, was gute Führung ist und Gedankenanstöße dazu zu geben, wie man eine gute Führungskraft werden könnte. Die Auswirkungen und Folgen von schlechter Führung sind vielfach belegt. Alle zwei Jahre ermittelt z.B. die Gallup Studie den Engagement Index für Deutschland. (Quelle: Pressemitteilung vom 10.03.2015, http://www.gallup.com/dede/181871/engagement-index-deutschland.aspx) Die Gallup Studie ist eine telefonische Umfrage bei ca. 2.034 zufällig ausgewählten ArbeitnehmerInnen, die seit 2001 anhand von zwölf Fragen zum Arbeitsplatz und –umfeld 1 Prof. Katja Scholz-Bürig, HAWK den Grad der emotionalen Bindung von Mitarbeitern und damit das Engagement und die Motivation bei der Arbeit feststellt. Die sich über alle Jahre durchziehende Erkenntnis: Die Art und Weise, wie in einer Organisation geführt wird, ist der entscheidende Faktor für den Grad der emotionalen Bindung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Anders ausgedrückt: entscheidend für die Frage, ob jemand motiviert und gerne arbeitet, sind die Führungskräfte und die Führungskultur. Das aktuelle Ergebnis 2014 ist ziemlich erschreckend: • nur hohe emotionale Bindung 15 % (= 5.030 Mio. AN) • geringe emotionale Bindung 70 % (= 23.472 Mio. AN) • keine emotionale Bindung 15 % (= 5.030 Mio. AN) Das ist aus verschiedenen Gründen wirtschaftlich nicht gut für die Unternehmen. Nur zwei Fakten dazu aus der Studie: Menschen mit geringer oder keiner emotionale Bindung bedeuten für Unternehmen hohe Fluktuationsraten 25 % der AN hat schon einmal wegen schlechter FK gekündigt Und von den AN ohne emotionale Bindung suchen 19 % aktiv nach einem neuem Arbeitsplatz, von denen mit einer hohen emotionalen Bindung sind es nur 1 %. und Emotional nicht gebundene AN fehlen im Schnitt 5 Tage mehr durch Krankheit, bei durchschnittlich 252 Euro Kosten/Tag bedeutet das für ein Unternehmen mit 2000 MA mal eben 1,3 Mio. Euro Kosten. Das ist die betriebswirtschaftliche Perspektive. Das ethisch Schlimmere ist: physisch. bei schlechter Führung leiden viele AN psychisch und In der Studie wurden alle AN z.B. auch gefragt, ob sie zur Zeit ein Gefühl von „Burn-out“ haben. 60 % der emotional nicht gebundenen MA antworteten mit ja. Und bei den emotional gering gebundenen MA waren es noch 36 %. (nur 21 % zu den emotional gebundenen MA). Gute Führung ist wichtig und dafür tragen Sie als spätere Führungskräfte Verantwortung. Logischer Weise drängt sich jetzt bei Ihnen die Frage auf: Wie ist denn eine gute Führungskraft? Welche Eigenschaften muss man dazu haben? 2 Prof. Katja Scholz-Bürig, HAWK Fredmund Malik, ein von mir sehr geschätzter österreichischer Wirtschaftswissenschaftler (mit Forschungsschwerpunkt Managementlehre sowie Inhaber und Leiter eines Management-Beratungsunternehmens in St. Gallen) bringt das in seinem Buch „Führen, leisten, leben“ ganz wunderbar auf den Punkt: Er untersucht u.a. welche Fähigkeiten/Talente/Charaktereigenschaften Führungskräfte gemeinsam haben, von denen die MA sagen, das sind gute Führungskräfte. Spannende Antwort: nichts, es gab nichts von dem man sagen konnte: diese eine Eigenschaft haben wir bei allen gefunden und die scheint zwingende Voraussetzung für gute Führung zu sein. Und das ist doch schon einmal sehr beruhigend, denn es gibt offenbar ganz unterschiedliche Typen von Menschen, die auf ihre individuelle Art gute, wirksame Führungskräfte sein können. Was er herausgefunden hat: Die guten Führungskräfte haben zwar keine Fähigkeiten/Talente/Charaktereigenschaften gemeinsam, aber eines verbindet sie doch: es gibt eine Gemeinsamkeit des Handelns: 1. sie handeln nach Regeln und Grundsätzen 2. hohes Maß an Gründlichkeit 3. methodisches Vorgehen Gute FK zu sein kommt nicht über Nacht, nur weil man die Rolle einer FK bekommt. Man muss es lernen, lernen wollen, aber man kann es auch lernen, genauso wie Sie lesen, schreiben und Sprachen gelernt haben. Entscheidend ist, sich darüber bewusst zu sein, dass man beim „Führung lernen“ in einem Lernprozess ist, der nie aufhören wird, und sich ständig bemühen muss, sich weiter zu entwickeln. Um das deutlich zu machen, möchte ich Ihnen ein paar hilfreiche Bausteine vorstellen: Die Basis für „gute Führungskraft sein“ ist die Haltung gegenüber Ihren Mitmenschen. Wer anderen, so wie Christus es uns beigebracht hat, mit Achtung und Wertschätzung begegnet, lebt schon einen ganz wichtigen Baustein. Dazu passt, was Peter Glotz, ein 2005 verstorbener deutscher Publizist und Kommunikationswissenschaftler hat einmal gesagt: „Gute Führungskräfte sind diejenigen, die darum wissen, dass von ihren Entscheidungen und ihrem Verhalten viel für andere Menschen abhängt und die sich dementsprechend verhalten“. Ein weiterer Baustein ist Ihr eigenes gelebtes Motiv bei der Arbeit: wenn Ihre MitarbeiterInnen spüren, dass Sie den Willen haben, das Richtige zu tun und dass es Ihnen nicht um sich selber und Ihre Karriere geht, leben Sie einen weiteren wichtigen Baustein. 3 Prof. Katja Scholz-Bürig, HAWK Ich möchte Ihnen drei Konkrete Beispiele vorstellen, die deutlich machen mit welch einfachen Handlungsweisen man „gute, wirksame Führung“ werden kann: 1. Beispiel: Vertrauen schaffen, ohne gegenseitiges Vertrauen geht es nicht Wie schafft man Vertrauen? • Fehler der MA sind nach außen und oben auch Fehler der Führungskraft • Fehler der FK bleiben Fehler der FK • aufmerksam und konzentriert zuhören • man muss selber „echt“ sein, mit allen Ecken und Kanten • Charakterliche Integrität der FK 2. Beispiel: In der Gallup Studie wurden die AN auch gefragt, was für sie Merkmale einer hervorragenden Führung sind. Ergebnis sind die 3 Z für hervorragende Führung • • • Zugänglichkeit = VG ist für MA ansprechbar, auch bei Themen, die nicht die eigentliche Arbeit betreffen Zuständigkeit = FK wissen, an welchen Projekten MA gerade arbeiten ( regelmäßige Treffen/Besprechungen) Zielorientiert = FK konzentrieren sich auf die Stärken der MA, nicht auf die Schwächen 3. Beispiel: Gute Führungskräfte Motivationstyps behandeln Menschen entsprechend ihres Anschlussorientierte Mitarbeiter „Es ist nicht entscheidend, was ich mache, sondern wie wir dabei miteinander umgehen und dass ich Bestandteil des Teams bin“ (ca. 50 % aller MA) • VG ist für MA ansprechbar, auch bei Themen die nicht die eigentliche Arbeit betreffen • das Gespräch und den Austausch mit diesen Mitarbeitern suchen • kontinuierlich Feedback geben Leistungsorientierte Mitarbeiter „Mir ist es egal, mit wem ich arbeite, hauptsache es kommt ein gutes Ergebnis heraus“ „Ich habe Freude an meiner eigenen Leistung und guten Ergebnissen, lasse mich gern herausfordern, bin zielorientiert und lege großen Wert auf Qualität.“ (ca. 30 % aller MA) • diese Menschen möchten in der Regel nicht viel von ihrem Privatleben preisgeben • Aufgaben mit messbaren Ergebnissen sowie fachliche Verantwortung übertragen • neue und komplexe Aufgaben zuteilen • offenes Ohr für die Ideen dieser Mitarbeiter haben 4 Prof. Katja Scholz-Bürig, HAWK Wenn Sie es schaffen, bei dem Umgang mit den Mitarbeitenden und der Aufgabenverteilung das zu berücksichtigen, haben Sie schon einen wesentlichen Schritt getan. Und was sollte man noch lernen? Entwickeln Sie Ihre Fähigkeit zur Resilienz Als Führungskraft ist man tagtäglich damit konfrontiert, dass etwas nicht klappt, auch dass es richtige Misserfolge gibt. Da ist es wichtig, an seiner Fähigkeit zur Resilienz zu arbeiten, also an der Fähigkeit mit Misserfolgen und Krisen umzugehen. In Bezug auf Führungskräfte hat „Resilienz“ sieben Aspekte, die ich Ihnen zum Schluss kurz vorstellen möchte. Gefühlsstabilität: Resiliente Menschen besitzen die ausgeprägte Fertigkeit, ihre Emotionen und ihre Aufmerksamkeit zu kanalisieren. Wenn etwas passiert, reagieren immer Bauch und Kopf. Wer es schafft, dem Kopf die Oberhand zu geben, kann die eigene Gefühlswelt derart steuern, dass hohe Belastungen nicht als Stress, sondern als Herausforderung empfunden werden und sie kurz darauf wieder voll agieren können. Man behält einen klaren Kopf. Optimismus: Ohne feste Überzeugung, dass sich die Dinge – früher oder später – zum Positiven wenden werden, ist Widerstandsfähigkeit nicht denkbar. Nicht: war doch klar, dass das wieder schief gegangen ist“, sondern „Dieses Mal hatte ich keinen Erfolg, nächstes Mal schon“, statt: „Ich schaffe es nie.“ Selbstbewusstsein: Resiliente Menschen glauben an die eigenen Kompetenzen. Statt in die Opferrolle zu schlüpfen und zu jammern, werden sie lieber aktiv. Ich traue es mir zu und ich bin aber auch dafür verantwortlich und suche nicht nach Leuten die Schuld sind, dass es nicht geklappt hat. Analysestärke: der Mut, genau hinzuschauen was tatsächlich die Ursache des Scheiterns war, Ursachen zu identifizieren, zu analysieren. Resiliente Menschen sind dabei in der Lage, eingefahrene Denkpfade zu verlassen. Gratifikationsverzicht: Resiliente Menschen sind alles andere als impulsiv, sondern vielmehr in der Lage, auf entsprechende Verhaltensanreize kontrolliert und überlegt zu reagieren. Dazu gehört auch, sofortige Belohnungen zugunsten eines höheren Ziels in der Zukunft aufzuschieben – im Fachjargon heißt das Gratifikationsverzicht. Der Marschmallow – Test von Psychologe und Autor Walter Mischel. Realismus: Resiliente Menschen denken langfristig und entwickeln für sich realistische Ziele. So können sie von temporären Wendepunkten im Leben, wie zum Beispiel dem Tod der Eltern oder einem unfreiwilligen Berufswechsel, nicht aus dem Gleichgewicht geworfen werden. Weil sie sich schon gedanklich auf ihr Leben „danach“ vorbereiten, meistern sie diese Herausforderungen souveräner und schneller. Kontaktfreude: Resiliente Menschen kommunizieren gern und lösen gerne Probleme im Team. Schwierigkeiten versuchen sie erst gar nicht im Alleingang zu lösen, sondern gemeinsam mit anderen Menschen. Dazu suchen sie aktiv Partner, die einfühlend und unterstützend sind, ihnen Mut machen und an ihre Stärke erinnern. Weil sie zudem die 5 Prof. Katja Scholz-Bürig, HAWK Fähigkeit besitzen, das Verhalten anderer richtig zu deuten, sind sie in der Lage, gute und lang anhaltende Beziehungen aufzubauen. Dass man mit der eigenen Resilienzfähigkeit meistens noch nicht zu 100 % zufrieden ist, ist normal und mir ist noch niemand begegnet, der da nicht irgendwo noch eine Baustelle hat. Aber auch hier: Es geht um das Verstehen der Richtung, in die man sich entwickeln könnte, es geht um das, was man, was jeder realistisch lernen kann um eine gute, wirksame Führungskraft zu werden, die die richtigen Spuren im Leben der ihr anvertrauten Mitmenschen hinterlässt. 6
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