Die Liberale Bis zuletzt galt sie als große alte Dame der FDP, dabei war sie der Partei längst abhanden gekommen. Ein Nachruf auf Hildegard Hamm-Brücher Seite 7 Foto: B. Friedrich/Ullstein Bild AUSGABE BERLIN | NR. 11196 | 49. WOCHE | 38. JAHRGANG SONNABEND/SONNTAG, 10./11. DEZEMBER 2016 | WWW.TAZ.DE € 3,50 AUSLAND | € 3,20 DEUTSCHLAND ANZEIGE wir-mögens-öko.de ZU GESUND Das neue Krank NEU im Handel Mann, 75, rege, rechts, reaktionär, sucht Macht für den Lebensabend ERNST GEMEINTE ZUSCHRIFTEN AN [email protected] N ETZKAM PAGN E Der tiefe Fall des Jacob Appelbaum Er war der Star der Hackerszene, dann wurde er mit Vergewaltigungsvorwürfen abserviert. Zu Recht? Gesellschaft SEITE 20–22 SELBST VER TEI DIGU NG Bilqiss, vom Tode bedroht Die marokkanischfranzösische Schriftstellerin Saphia Azzeddine über die starke Heldin ihres neuen Romans Kultur SEITE 12, 13 DER STÄ R KSTE SATZ Das Leben des AfD-Politikers Alexander Gauland SEITE 8, 9 „Der ‚Populismus‘ ist kein Krisenphänomen, sondern ein Doppelgänger moderner Demokratien“ ETHEL MATALA DE MAZZA und JOSEPH VOGL im Essay Argumente SEITE 11 taz.berlin 60649 4 190254 803208 TAZ MUSS SEIN Die tageszeitung wird ermöglicht durch 16.432 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. 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Seite 11 Kultur Seltener Gast in Donald Trumps Tower Gesellschaft Sturz Hacker Jacob Appelbaum muss sich Vergewaltigungsvorwürfen stellen Seite 20–22 Sachkunde Mal dick, mal dünn: Populäre Kinderserienfiguren im Wandel der Zeit Seite 24, 25 Stadt Die Architektin Marjetica Potrč über die Zerstörung des öffentlichen Raums. Ein Gespräch Seite 26, 27 E U ROPA N AC H H A LT IG E N T DE C K E N NORD — Zügig nach Schottland — OST — Von Wien per Rad ins Burgenland — SÜD — Sizilianische Radreise, Deutschlands grüner Süden — WEST — Pyrenäen: Imker Mit dem IIm ker unterwegs, Burgund: Wie eine Kathedrale entsteht Zweitausendsiebzehn — 5,90 € — 7,50 SFR. — Übrige EU-Länder 6,80 € — www.wirsindanderswo.de neu www.wirSindAnderswo.de ANZEIGE Verträglich Reisen ist jetzt Anderswo! Botschaft Angela Merkel möchte, dass CDU-Kreisverbände Weihnachtslieder singen. Folgt die Basis? Seite 29 Genuss Bhindhi Curry tut der Seele gut Seite 30 Medien Kolumbien Staatliche Bodyguards spionieren Journalisten aus Seite 33 Reise Nacktfotos Hüllenlos durch die Alpen Seite 35 Leibesübungen Debatte Woher rührt der Hass gegen das Fußballunternehmen RB Leipzig? Seite 39 TV-PROGRAMM SEITE 32 LESERBRIEFE SEITE 37 DIE WAHRHEIT SEITE 40 LEKTIONEN 5 Dinge, die wir diese Woche gelernt haben 1. Die CDU und Merkel – es wird kompliziert Mal wieder – zum neunten Mal – ist Angela Merkel zur CDUVorsitzenden gewählt worden, diesmal nur mit 89,5 Prozent. Das schlechteste Ergebnis, seitdem sie auch Kanzlerin ist. Und schon am Tag danach setzte es beim Parteitag in Essen den nächsten Dämpfer: Den 2014 mit der SPD ausgehandelten Kompromiss zur doppelten Staatsbürgerschaft wollen die Delegierten am liebsten rückgängig machen – gegen die Empfehlung Merkels. Sie halte A ls der österreichische Bundespräsidentenkandidat Alexander Van der Bellen am Sonntagabend im Triumph in die Wiener Sofiensäle einzog, spielten sie „We Are the Champions“ von Queen. Und was sagt uns das? Es sagt uns, dass er gewonnen hat. Klar, ein Classic-Grüner hätte mit kulturellem Distinktionsbewusstsein „Pata Pata“ von Miriam Makeba gewählt. Aber der hätte halt nicht mal die Stichwahl erreicht. Jetzt könnte man sagen: Van der Bellen ist doch gar kein Grüner, sonst hätte er die Wahl ja nicht gewonnen. Das wäre für alle ideal, die nicht wollen, dass Grüne jenseits von Baden-Württemberg als Orientierungspartei die zentralen Fragen der Gegenwart bearbeiten. Es hieße im Umkehrschluss: Richtige Grüne sind Verlierer, deren Erfüllung es ist, wie im Land Berlin hinter der Linkspartei zu landen, um als Nummer 3 in einer anachronistisch-sozialdemokratisch tickenden Koalition mitwurschteln zu dürfen. Die ent- den Beschluss persönlich für falsch, sagte sie – und will an der Regelung auch in der laufenden Legislatur nichts ändern. 2. Wenn Grönland eisfrei ist, gehen wir unter Und es könnte tatsächlich passieren, dass von ganz Grönland das Eis komplett abschmilzt, schreiben Forscher der Columbia University in New York im Wissenschaftsmagazin Nature. Das Grönlandeis scheine „sehr instabil“ zu sein und sei schon in natürlichen Warmphasen verschwunden, weshalb es auch wegen der menschengemachten Erderwärmung verloren zu gehen drohe. In den vergangenen 1,4 Millionen Jahren sei Grönland mindestens 280.000 Jahre eisfrei gewesen. Passiert das wieder, könnte der Meeresspiegel um sieben Meter steigen. Dann saufen wir ab. Nanu, was ist denn das? Empfängt der künftige US-Präsident Donald Trump in seinem so stilsicher designten Trump-Tower in New York City da etwa Hillary Clinton? Soll seine unterlegene Gegenkandidatin Ministerin werden? Nein, es handelt sich um einen Aaron aus San Francisco, der, als Clinton verkleidet, durch die Lobby stöckelt – sehr zur Freude der dort Versammelten Foto: Andrew Harnik/ap 3. Kleiner Aufkleber hilft Verirrten Die Stadt Iruma in Japan hat ein Hilfsmittel entwickelt, um verirrten Demenzkranken schnell wieder nach Hause zu geleiten: Miniaufkleber mit QR-Codes für Finger- oder Fußnägel, in denen eine individuelle Nummer eingespeichert ist. Mittels dieser scanbaren Etiketten können Menschen, die sich verirrt haben, einer Verwaltung zugeordnet werden. Diese hilft anschließend, die Angehörigen zu finden. Die nur einen Zentimeter großen Codes halten etwa zwei Wochen lang, auch wenn sie nass werden. 4. Flensburg goes digital Flensburg, hübsche Kleinstadt im Norden mit zweifelhaftem Ruf als „Stadt der Verkehrssünderdatei“, kommt den Unholden ungebremsten Rasens, notori- schen Falschparkens oder derben Nötigens näher: Sie können ihre Punkte im Internet einsehen. Zur Abfrage auf der Seite www.kba.de ist allerdings einiges vonnöten: ein Personalausweis mit Onlinefunktion, ein Kartenlesegerät und eine Ausweis-App für den Computer. 5. Ein neues Wort: der Steuerpatriot Als so einer darf der in Diensten Real Madrids stehende Fußballer Karim Benzema gelten. Wo Kollegen wie Cristiano Ronaldo oder Arsenals Mesut Özil laut der Enthüllungsplattform Football Leaks massenhaft Steuern hinterzogen haben sollen, hat Benzema mehr gezahlt als nötig. Weil er sie in seine Heimat Frankreich überwiesen hat, wo der Steuersatz mit 33 Prozent höher ist als in Spanien, wo Benzema arbeitet. FELIX ZIMMERMANN Das Zitat „Berlin ist eben nicht nur Currywurst und Techno, sondern auch Babybrei und Bürgeramt, darin werden wir jetzt investieren“ WERNER GRAF, NEBEN NINA STAHR NEUER LANDESVORSITZENDER DER BERLINER GRÜNEN, IN SEINER BEWERBUNGSREDE Foto: Rasmus Tank Roman Saphia Azzeddines „Bilqiss“ vereint kulturelle Konflikte mit Humor Seite 12, 13 Sachbuch US-Philosophin Seyla Benhabib verteidigt die Globalisierung des Rechts Seite 15 DI E EI N E FRAGE Das neue grüne Wir WAS KÖN N EN DI E DEUTSCH EN BUN DESGRÜN EN VON ÖSTERREICHS BUN DESPRÄSI DENT ALEXAN DER VAN DER BELLEN LERN EN? scheidende Frage für die Partei vor der Bundestagswahl lautet also: Wozu Grün im Jahr 2017? Er setze auf die „Vernunft“, sagte Alexander Van der Bellen mir vor der Wahl. Ich sagte: „Ja glauben Sie denn, dass die Vernunft mehrheitsfähig ist?“ Worauf er antwortete: „Ja. Noch.“ Und tatsächlich hat er mit einem fast perfekten Wahlkampf und einem Gespür für die Grenzen von anderen eine Mehrheit der Vernunft zusammengebracht: Pro EU und für die offene Gesellschaft. Und auch wenn das im Wahlkampf keine Rolle gespielt hat, so steht dieser Bundespräsident jetzt auch für die sozialökologische Transformation als zentralen Kern einer gerechteren gemeinsamen Zukunft. Man kann über Österreichs Grüne sagen, was man will, aber PETER UNFRIED IST TAZ-CHEFREPORTER sie haben die historische Chance genutzt. Und nicht vorbeiziehen lassen. Sie haben sich untergeordnet unter ein größeres Ziel, sich einen ewigen Wahlkampf lang die moralischen Opposi tionsausrufezeichen verkniffen, auch wenn es richtig hart war, etwa bei der Schließung der Balkanroute. Ja, aber: Wozu dann noch Grün? Van der Bellen hat eine Antwort gegeben, indem er liberale Europäer vor einem antieuropäischen, antiliberalen, antisozialökologischen österreichischen Bundespräsidenten bewahrt hat. Diesen Job müssen nicht die Grünen übernehmen. Es böte sich halt an. In Österreich kann man auch sehen: Wer rechts schlagen will, muss von halb rechts Wähler holen und darf nicht die Mitte nach rechts verschieben, so wie das moralische Linkspopulisten, kurz: Mopulisten, wie der Journalist Jakob Augstein mit dem Kampfbegriff „rechte Grüne“ versuchen. Van der Bellen hat sich einen Janker gekauft und ist darin über die Dorffeste gezogen. Das war ein Zeichen der Wertschätzung der Kultur der anderen. So baute er Vertrauen auf – gegen diesen Habitus, von ande- ren immer nur das Schlimmste anzunehmen. Der zentrale teilgesellschaftliche Paradigmenwechsel, für den Van der Bellen steht, ist sein Patriotismus. Dies ist unsere Gesellschaft, unsere Verfassung, unsere Demokratie, unser Europa. Und nun müssen wir nach den gemütlichen Jahren im gefühlten Widerstand zum ersten Mal kämpfen – und zwar dafür und mit möglichst vielen zusammen. Nicht gegen möglichst viele. Mit dieser Haltung hat Ale xander Van der Bellen eine neue Mehrheit gewonnen und damit auch die überkommenen Zuordnungen rechts und links überwunden. Es sind Grüne, Liberale, Linke und Konservative, die ihn gewählt haben, um als Allianz gegen rechts die offene Gesellschaft und die Möglichkeit einer guten Zukunft zu verteidigen. Die Kraft eines progressiven Spitzenpolitikers bemisst sich nicht an der Radikalität seiner Positionen. Sie bemisst sich daran, ein Wir schaffen zu können, das über die Partei hinausweist. Die Drei SON NABEN D/SON NTAG, 10./1 1. DEZEM BER 2016 TAZ.AM WOCH EN EN DE 03 „Böller wie Splitterbomben“, schreibt die Bundesanwaltschaft. Die Asylunterkunft in Freital nach dem letzten Anschlag im November 2015 Foto: Roland Halkasch/ZB/dpa/picture alliance Der Schatten VON KONRAD LITSCHKO D er Vorwurf dürfte Peter Frank ärgern, sehr sogar. Es geht um den Fall Freital, eine Serie rechter Straftaten in Sachsen. Der Generalbundesanwalt hat ihn übernommen und angeklagt: als Rechtsterrorismus. Nun heißt es, ein Polizist habe die Gruppe vor Einsätzen seiner Kollegen gewarnt, habe mitgeteilt, wann sie besser verschwinden sollten. Ja, sagt Franks Sprecherin, dem Verdacht werde nachgegangen. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Dresden ermittele. Mehr könne sie nicht sagen. Die Probleme sind damit aber nicht am Ende. Im November hatte die Bundesanwaltschaft Anklage gegen sieben Männer und eine Frau der Freitaler Gruppe erhoben: Über Monate sollen sie in der Kleinstadt vor Dresden Straftaten verübt haben. Zwei Asylunterkünfte wurden mit Sprengsätzen angegriffen, das Auto eines Linkspartei-Politikers abgebrannt, das Büro seiner Partei demoliert, ein linkes Wohnprojekt in Dresden attackiert. Die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft ermittelte und sah darin keinen Terror. Peter Frank, oberster Ankläger der Republik, tat es – und übernahm. Es war ein Signal der Härte gegen die bundesweit immer weiter ausufernde Gewalt gegen Flüchtlinge. Nun aber droht das Verfahren von einer anderen Frage überlagert zu werden: Bringen Sachsens Sicherheitsbehörden den Prozess in Gefahr? Denn da ist nicht nur der Polizeispitzel, noch ein weiterer Fall ist ungeklärt: Was hatte es mit dem Kontakt des Verfassungsschutzes zu einem Gruppenmitglied auf sich? Diese Frage treibt vor allem Endrik Wilhelm um. Er ist Verteidiger von Maria K., einer der Angeklagten. „Ich möchte, dass dieses Verfahren so rechtsstaatlich läuft, wie es laufen sollte. Und da stellt sich gerade schon die Frage der Mitverantwortung der Ermittlungs- Im Verfahren gegen die Gruppe Freital wird es für die Ermittler heikel. Wie sehr mischten Polizei und Verfassungsschutz mit? Hätte der letzte Anschlag verhindert werden können? RECHTER TERROR behörden“, sagt der Dresdner Anwalt. Wilhelm reichte inzwischen Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft ein: wegen Beihilfe durch Unterlassen. Im Juli 2015 hatte die Freitaler Gruppe mit ihrer Gewaltse rie begonnen. Ihre Anschläge verabredeten sie über eine geheime Gruppe in einem Messengerdienst, den „Schwarzen Kanal“. Aus Tschechien besorgten sie Hunderte illegale Böller. Einige, so stellten die Ermittler fest, hatten eine 130-fach stärkere Wirkung als Silvesterfeuerwerk. Damit schlugen die Neonazis nachts zu. Drei Monate nach der ersten Tat, im Oktober 2015, meldete sich schließlich eines der Mitglieder bei der Polizei. Er wolle auspacken, sagte er, aber dafür Vertraulichkeit zugesichert bekommen. Die Polizei verwies ihn zunächst an den Verfassungsschutz. Später bekommt der Mann seine Vertraulichkeit, wird von der Polizei vernommen – und liefert die geheimen Chatprotokolle. So bestätigten es Vertreter von Verfassungsschutz und Generalstaatsanwaltschaft im Rechtsausschuss des Sächsischen Landtags. Allerdings: Wenige Tage nach Auftauchen des Informanten begeht die Gruppe ihren letzten und schwersten Anschlag – eine weitere Sprengstoffattacke auf eine Asylunterkunft in Freital. Die Gruppe platziert die Böller direkt vor den Fensterscheiben. Der Syrer Ibrahim R. wird von umherfliegenden Glassplittern an der Stirn und am Auge verletzt, drei andere Bewohner flüchten im letzten Moment aus dem Raum. Die Bundesanwaltschaft wertet die Tat als versuchten Mord. Hätte der Anschlag verhindert werden können? Denn es gab ja nun den Informanten. Zudem schnitt die Polizei bereits über Wochen die Telefongespräche einiger Verdächtiger mit. „Man muss schon fragen, warum diese Erkenntnisse nicht genutzt wurden, um Schlimmeres zu verhindern“, sagt Endrik Wilhelm. Er ist mit der Kritik nicht allein. Der sächsische Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann findet: „Die wesentlichen Informationen lagen auf dem Silbertablett.“ Der Eindruck, dass die Polizei den Anschlag hätte verhindern können, dränge sich auf. Die Behörden weisen den Vorwurf zurück. Man habe dazu ein Prüfverfahren eingeleitet, sagt die Sprecherin der Bundesan waltschaft. Der Verdacht habe sich „bislang nicht erhärtet“. Auch der sächsische Verfassungsschutz widerspricht, von dem Anschlag auf die Flüchtlingsunterkunft gewusst zu haben. Nur ein einziges Treffen habe es mit dem Informanten gegeben: eine „Nullnummer“. Nichts habe man dabei über die Gruppe erfahren. Nicht nur die Verteidiger, auch Anwälte der Nebenklagebleiben skeptisch. „Warum hatte der Verfassungsschutz überhaupt Kontakt zu dem Mann?“, fragt Kristin Pietrzyk, die Ibrahim R. vertritt. „Der hat da nichts zu suchen. Das ist doch eine klare Sache der Strafverfolgungsbehörden.“ Tatsächlich war der Informant aus der Freital-Gruppe nicht nur Mitläufer. Schon im Juni griff er mit Timo S., heute angeklagt als Rädelsführer, und einem dritten Komplizen Flüchtlingsunterstützer an. Mit dem Auto versuchten sie, deren Wagen von der Straße zu drängen. Als die Verfolgungsjagd schließlich zum Halten kam, zerschlug der dritte Angreifer die Autoscheiben mit einem Baseballschläger. Auch bei dem Angriff der Freitaler auf ein linkes Wohnprojekt in Dresden war der Informant dabei. Er gehörte zur Gruppe, die mit Böllern und Steinen die Vorderseite des Hauses attackierten. Die zweite Fraktion griff mit Buttersäure von der Hinterseite an. Kurz nach der Attacke meldete sich der Mann bei der Polizei. Dass er, trotz der Straftaten, Vertraulichkeit zugesichert bekam, ist für Verteidiger Endrik Wilhelm ein Unding. „So etwas geht bei einem Beschuldigten nicht.“ Erst im Juli dieses Jahres wurde die Vertraulichkeit aufgehoben – ein dreiviertel Jahr nach den ersten Festnahmen. Das zeigen Ermittlungsakten, die die taz einsehen konnte. Zu den acht heute Angeklagten gehört der Informant dennoch nicht. Gegen ihn wird gesondert ermittelt. Es bleibt nicht die einzige Ungereimtheit. Ungeklärt ist auch die Sache mit dem Polizisten. In einer Vernehmung hatte der mutmaßliche Anführer, Timo S., behauptet, der Mitangeklagte Patrick F. habe einen Bekannten bei der Bereitschaftspolizei, der sie über Polizeieinsätze informiert habe – und darüber, wann sie sich besser aus dem Staub machen sollten. So berichtete es die Zeit. Patrick F. soll den Ermittlern auch den Namen des Beamten genannt haben. Ein Polizist als Tippgeber für Terroristen? Dieser Vorwurf wiegt schwer. Die Dresdner Staatsanwaltschaft geht ihm nach. Sie ermittelt seit Donnerstag konkret gegen einen Beamten. Der Vorwurf: Verletzung von Dienstgeheimnissen. Die Grünen haben beantragt, dass sich der Sächsische Landtag bereits am Dienstag mit den Vorwür- fen befasst. „Durch pures Behördenversagen wird einer der wichtigsten Prozesse der jüngsten Zeit ins Wanken gebracht“, kritisiert Innenexperte Lippmann. Für Nebenklageanwältin Pietrzyk ist klar, dass die Rolle von Polizei und Verfassungsschutz auch im Prozess thematisiert werden muss. „Dass hier eigenartig agiert wurde, ist offensichtlich.“ Dass der Prozess, der im Frühjahr 2017 beginnen soll, noch platzt, glaubt Pietrzyk allerdings nicht. „Dafür sind die Beweise der Anklage zu stark.“ Der Bundesanwaltschaft liegen neben den Chatprotokollen inzwischen auch Geständnisse einiger Beschuldigter vor. Der Gruppe ging es darum, ein „Klima der Angst“ zu schaffen, heißt es in der Anklage. Sie sei hierarchisch organisiert gewesen, verhielt sich konspirativ, plante ihre Taten genau. Und sie nahm die Tötung von Menschen „billigend in Kauf“. Ihre Böller hätten wie Splitterbomben gewirkt. All das spreche für Terrorismus. ANZEIGE Wir retten weiter. Auch im Winter. Gemeinsam gegen das Sterben im Mittelmeer ! Spendenkonto: IBAN: DE04 1005 0000 0190 4184 51 • BIC: BELADEBEXXX SOS MEDITERRANEE Deutschland e. V. • Organisation zur Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer www.sosmediterranee.org • [email protected]
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